Statement des Kanzlers vor dem informellen Europäischen Rat
Die Verteidigungsfähigkeit der EU steht im Mittelpunkt der informellen Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, an dem auch Bundeskanzler Scholz teilnimmt. Weitere Themen seien unter anderem die Beziehungen zu den USA sowie die Migration, so der Kanzler vorab.
7 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 3. Februar 2025

„Europa ist stark. Wir sind der größte Wirtschaftsraum der Welt und sehr erfolgreich", sagte Bundeskanzler Scholz in Brüssel.
Foto: Bundesregierung / Guido Bergmann
Die Sicherheit und Verteidigung der EU stehen im Mittelpunkt des informellen Europäischen Rates in Brüssel. So wollen sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs bei dem Treffen zu allen Aspekten europäischer Verteidigung, einschließlich einer verstärkten EU-NATO Zusammenarbeit, und zum transatlantischen Verhältnis austauschen. Das Treffen dient einem ersten ausführlichen Austausch zu diesen Themen.
Lesen Sie hier das Wichtigste aus dem Statement in Kürze:
- Sicherheit und Verteidigung: Sicherheit und Verteidigung müssten gestärkt werden, betonte der Kanzler. Daher sei es gut, dass die EU-Mitgliedstaaten beraten, wie sie – auch innerhalb der NATO – dazu beitragen können. „Wir brauchen konkrete Verabredungen, was unsere Verteidigungsindustrie betrifft. Mehr Zusammenarbeit muss möglich sein, auch ohne Einschränkungen durch Wettbewerbsregeln.“
- Wirtschaftsfragen: Die EU müsse sicherstellen, bei Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz, vorne dabei zu sein. Dabei dürften aber traditionelle Industrien wie Stahl, Chemie oder die Automobilindustrie, nicht vergessen werden. Man werde auch über die künftige Zusammenarbeit mit den USA sprechen. Dabei setze man in erster Linie auf Kooperation, werde aber – sofern nötig – reagieren.
- Migration: Im Zusammenhang mit Fragen der irregulären Migration sei Europa auch immer die Lösung, das sehe man an der gelungenen Verständigung über ein gemeinsames europäisches Asylsystem, so Kanzler Scholz. Diese Neuregelung sei sehr im deutschen Interesse. Es sei wichtig, dass Deutschland die zur Umsetzung notwendigen Gesetze, die im Bundestag lägen, rasch beschließe.
Sehen Sie hier das Statement des Kanzlers im Video:
Video
Lesen Sie hier die Mitschrift des Statements:
Bundeskanzler Scholz:
Einen schönen guten Morgen! Europa ist stark. Wir sind der größte Wirtschaftsraum der Welt und sehr erfolgreich. Deshalb ist es richtig, dass wir heute an dieser Stelle in Brüssel zusammenkommen, um darüber zu reden, wie wir Europas Zukunft gemeinsam gestalten können.
Aus meiner Sicht ist eines ganz klar. Auch für Deutschland selbst gilt: Europa ist das wichtigste nationale Interesse, das wir haben. Deshalb will ich drei Punkte nenne, über die wir hier auch sprechen werden.
Erstens: Es geht um Sicherheit und Verteidigung. Sie müssen wir stärken. Deshalb ist es gut, dass die europäischen Mitgliedsstaaten hier darüber reden, wie sie ihren Beitrag auch im Rahmen der NATO so gestalten können, dass wir gut aufgestellt sind und unsere eigene Sicherheit gewährleisten können. Es ist ein Fortschritt, dass jetzt überall mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben werden und einige wenige Mitgliedsstaaten jetzt noch den Rest des Weges zurücklegen. Das wird Europas Sicherheit und Verteidigungskraft stärken.
Außerdem brauchen wir konkrete Verabredungen, was unsere Verteidigungsindustrie betrifft. Mehr Zusammenarbeit muss möglich sein, auch ohne Kontrolle durch Wettbewerbsregeln. Wir müssen besser gemeinsam beschaffen können, und wir brauchen eine konstante, große, gemeinsame Produktion, damit sichergestellt ist, dass wir die Produktion hochfahren können, wenn es darauf ankommt, und dass wir nicht erst neu anfangen müssen. Hier sind also zentrale Fragen von Sicherheit und Verteidigung zu besprechen.
Wir werden auch über unsere Wirtschaftskraft sprechen. Dabei gibt es Dinge zu bereden, die wir voranbringen müssen, etwa wenn es darum geht, wie wir sicherstellen, dass wir vorn dabei sind, wenn es um künstliche Intelligenz und Quantencomputer, um die Frage analytischer Biologie und viele andere Dinge, die für wirtschaftlichen Wohlstand wichtig sind, aber auch um unsere traditionellen Industrien geht, Stahl, Chemie, Automobilindustrie.
Es geht aber auch darum, dass wir unseren Beitrag dafür leisten, dass die weltweite Verflechtung, die Globalisierung, weiterhin für Wohlstand sorgen kann, hier in Europa, aber auch überall sonst in der Welt. Deshalb werden wir natürlich auch intensiv über die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika sprechen. Beide, die USA wie auch Europa, profitieren vom Warenaustausch und vom Austausch von Dienstleistungen. Wenn Zollpolitik das schwierig machen würde, dann wäre das schlecht für die USA und schlecht für Europa. Klar ist: Als starker Wirtschaftsraum können wir unsere Dinge selbst gestalten und auch auf Zollpolitiken mit Zollpolitiken reagieren. Das müssen und werden wir dann auch tun. Aber es sollte die Perspektive und das Ziel sein, dass wir so vorgehen, dass es auf Kooperation hinausläuft. Das zu bereden wird ein wichtiger Punkt sein.
Ein drittes Thema, das uns hier immer wieder bewegt und das ich am Rande mit vielen bereden und besprechen werde, ist die Frage, wie wir unsere gemeinsamen Herausforderungen lösen, die sich zum Beispiel auch mit der irregulären Migration ergeben. Dafür ist Europa auch immer die Lösung. Man sieht das an der gelungenen Verständigung über das Gemeinsame Europäische Asylsystem. Diese Neuregelung tritt nächstes Jahr in Kraft. Sie ist auch sehr im deutschen Interesse; das will ich gar nicht verhehlen. Wir werden dann mehr Verfahren an den Außengrenzen haben, die gleichzeitig besser geschützt werden. Wir werden Flüchtlinge überall registrieren. Wir werden einen Solidaritätsmechanismus unter den Ländern haben. Und ja, Deutschland wird diejenigen, die ihre Verfahren in anderen Ländern betreiben können, dann auch zügiger dorthin zurückführen können, ohne die Schwierigkeiten, die heute mit den aktuellen Regeln existieren. Das ist also ein großer Fortschritt, den Europa möglich gemacht hat.
Deshalb ist es für mich auch wichtig, dass Deutschland als das große Land im Zentrum Europas diese europäischen Regeln jetzt auch umsetzt. Im Deutschen Bundestag liegen die entsprechenden Gesetzentwürfe bereits zur Abstimmung bereit. Die Bundesregierung hat sie eingebracht, insbesondere eine zügige Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das es uns ermöglicht, schneller vorzugehen.
Meine Forderung an die Opposition in Deutschland, an die CDU/CSU, an die Union, ist, dass sie nicht weiter die so wichtigen Gesetze zur Begrenzung der irregulären Migration im Rahmen der europäischen Regelungen bekämpft. Der Rückgang der irregulären Migration könnte besser vorangehen, aufbauend auf den Erfolgen, die wir bereits erreicht haben, wenn die Union diese wichtigen Gesetze nicht weiterhin blockierte. Deshalb kann man sagen, wenn man auch noch auf die Gesetze zur inneren Sicherheit schaut, die ebenfalls blockiert werden, und das Bundespolizeigesetz: Die Blockadehaltung der CDU/CSU, die parteipolitisch motiviert ist, führt dazu, dass die irreguläre Migration nicht weiter zurückgehen kann, dass wir es nicht gut schaffen, dass wir noch mehr zurückweisen können, die in anderen Ländern Europas ihr Verfahren betreiben müssen, und sie gefährdet die innere Sicherheit. Damit muss Schluss sein. Noch vor der Bundestagswahl müssen diese Gesetze zur Begrenzung der irregulären Migration und zur Verbesserung der inneren Sicherheit beschlossen werden.
Frage: Herr Bundeskanzler, Mark Rutte hat am Wochenende mehr Anstrengungen von Deutschland im Bereich der Rüstungsausgaben gefordert. Wie sollten solche Rüstungsausgaben über das Zwei-Prozent-Ziel hinaus finanziert werden?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Eines ist ganz klar: Wir haben ein verabredetes Verfahren, und dazu zählt zunächst einmal, dass alle Länder Europas mehr als zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Deutschland hat das mit dem von mir durchgesetzten Sondervermögen erreicht, und wir werden ab 2028, wenn das Sondervermögen ausgegeben sein wird und diese Mittel eingesetzt sein werden, weitere Mittel suchen müssen, um dann dauerhaft den Bundeswehrhaushalt um weitere 30 Milliarden Euro pro Jahr zu verbessern. Das wird auch geschehen und wird eine große Aufgabe sein.
Ansonsten haben wir hier jetzt innerhalb der NATO die klare Verabredung, dass die Fähigkeitsziele neu definiert werden, und dann werden wir sehen, was das für konkrete Konsequenzen hat.
Frage: Sie wollen einen Handelskrieg mit den USA eigentlich vermeiden. Aber Macron möchte zum Beispiel keine Vereinigungskapazitäten in den USA kaufen. Wie sollte ‑ ‑ ‑ (akustisch unverständlich)
Bundeskanzler Scholz: Es wird eine Verständigung unter den europäischen Mitgliedsstaaten bei der gemeinsamen industriellen Entwicklung der Verteidigungsindustrie geben, und die wird aus meiner Sicht immer auch beinhalten, dass wir mit unseren Partnern in der NATO zusammenarbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir da ein Ergebnis erzielen, das sowohl für die europäische Entwicklung gut ist als auch für die Frage der Zusammenarbeit zum Beispiel mit Großbritannien, mit Norwegen, mit Kanada, mit den USA.
Frage:
(akustisch unverständlich)
Bundeskanzler Scholz: Europa ist wirtschaftlich stark. Wir sind ein ganz großer Wirtschaftsraum mit leistungsfähigen Unternehmen, die global wettbewerbsfähig agieren. Wir sind mit der ganzen Welt verflochten und haben Möglichkeiten, Handel mit der ganzen Welt zu treiben. Deshalb wäre es immer gut – aus der Perspektive sowohl der USA als auch Europas –, dass wir kooperieren. Die Versuche hinsichtlich Freihandelsabkommen sind ja zunächst einmal nichts geworden, können aus meiner Sicht aber immer wieder aufgegriffen werden. Aber klar ist: Die Voraussetzung für Verständigung ist, dass man um seine eigene Stärke weiß. Europa kann handeln.
Frage:
(akustisch unverständlich)
Bundeskanzler Scholz:
(auf Englisch, ohne Dolmetschung)
Frage:
Herr Bundeskanzler, wo sehen Sie nach dem Treffen mit Keir Starmer vor einigen Tagen die größten Herausforderungen in Europas Verteidigungsindustrie?
Bundeskanzler Scholz: Wir werden zwischen Großbritannien und der europäischen Verteidigungsindustrie zusammenarbeiten. Es geht um Skalierungseffekte, es geht um Konzentration. Die Unternehmen müssen von all den rechtlichen Regeln befreit werden, die ihre Zusammenarbeit beeinträchtigen. Die Staaten müssen in Einkaufsprozesse anderer Staaten ohne neues Einkaufsverfahren einsteigen können. Dann kommen wir auch zu den guten „scales“. Weniger Bürokratie, mehr Entschlossenheit! – Schönen Dank.