DAS GESPRÄCH „Die Erwartung an die Demokratie lautet: Gleichberechtigung.“ Carolin Emcke Möllers: Wir haben tendenziell zu viele Instrumente der direkten Beteiligung. Volksabstimmungen, Bürgerbetei- ligungen, Anhörungsverfahren und ähnliche Strukturen werden in aller Regel vornehmlich von bürgerlichen Schichten genutzt und privilegieren diese im Ergebnis gegenüber Leuten, die es schwerer haben, ihre Interessen zu vertreten. Demokratie lebt vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Wie sollte das dann Ihrer Meinung nach aussehen? Möllers: Ich halte es für ein Problem, wenn sich viele Menschen ausschließlich für ein Thema, zum Beispiel für den Klimaschutz, engagieren. Damit arbeiten sie an der Demokratie und am Parteiensystem vorbei und vergeben letztlich auch eine Chance auf Einfluss. Denn das Heraus- fordernde am politischen Prozess ist ja, dass es gerade nicht nur ein Thema gibt, dass es nichts umsonst gibt und dass alle Einzelfragen gegen alle anderen Einzel- fragen abgewogen werden und in Ausgleich gebracht werden müssen. Dadurch wirkt politisches Engagement, die klassische Parteiarbeit, unglamourös, ist aber unver- zichtbar für unsere Demokratie und kann auch Freude machen. Emcke: Das sollte allerdings auch den Parteien selbst zu denken geben. Viele Menschen fragen sich auch: „Passe ich da rein?“ Braucht eine Demokratie besonders viele Gleichden- kende, um stabil zu sein, oder ist es Ausdruck demo- kratischer Freiheit, wenn die Meinungen in einer Gesellschaft gespalten und polarisiert sind? Möllers: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Gesell- schaften, die haben die Demokratie durch Tradition historisch verinnerlicht. Je mehr Verinnerlichung es gibt, desto mehr Polarisierung können sie vertragen. Und es gibt Ordnungen, denen die Demokratie nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist. In diesen Systemen wird Polarisierung schneller gefährlich. Deshalb glaube ich zum Beispiel, dass Amerika immer eine Demokratie bleiben wird, obwohl die Polarisierung derzeit extrem ist, während in anderen Ländern – vielleicht sogar bei uns – die Demokratie und die Institutionen, die sie tragen, schneller in Frage gestellt werden. Emcke: Natürlich gelingt eine Demokratie nur, wenn sie ihre Bürgerinnen und Bürger auch immer wieder überzeugt. Es braucht ein Vertrauen in demokratische Institutionen, aber auch in die Möglichkeit, sie korrigieren zu können. Ich lebe mit einer Argentinierin zusammen und dieses Vertrauen in den Rechtsstaat und stabile Ins- titutionen unterscheidet uns. Wenn bei uns in der Straße eine Baustelle ist, denke ich: „Guck mal, super, die Stadt repariert das Loch im Asphalt.“ Meine Freundin denkt: „Da wird Geld von A nach B verschoben.“ Für mich gibt es zunächst ein Grundvertrauen in unsere demokratischen 09 „Ich halte es für ein Problem, wenn sich viele ausschließ- lich für ein Thema engagieren.“ Christoph Möllers