08 DAS GESPRÄCH Aus welchem Grund? Die Menschen sterben an Malaria, Tuberkulose, HIV und anderen behandelbaren Krankheiten, weil keine Medikamente ins Land kommen und Impfkampagnen nicht stattfinden. Dazu kommt Hunger, weil Lieferketten ausgefallen sind und Arbeitsplätze über Nacht wegbrechen. Ohne Kurzarbeitergeld und Grundsicherung stehen die Menschen buchstäblich auf der Straße. Was kann Deutschland leisten? Deutschland hat mit einem weltweiten 3-Mil- liarden-Sofortprogramm gehandelt. In Süd- afrika haben wir Fabriken in Notkrankenhäuser umgebaut, etwa mit VW und BMW, und stellen Beatmungsgeräte. Wir verteilen auch über 1 Mil- lion Corona-Tests in Afrika. Und zusammen mit dem Welternährungsprogramm, das für seine Arbeit den Friedensnobelpreis bekommen hat, mit UNICEF und deutschen Hilfsorganisa- tionen sichern wir zudem die Ernährung und Medikamente für Millionen Kinder. Das wird aber nicht reichen. Ich würde mir wünschen, dass auch Brüssel ein europäisches Stabilisie- rungs- und Wiederaufbauprogramm auflegt. Welche Entwicklungen befürchten Sie sonst? Viele Länder stehen kurz vor dem Staats- bankrott. Wie der Libanon, der 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat. Das heißt: kein Geld für Ärzte, Lehrer oder Poli- zisten. Viele Hilfsprogramme sind nicht aus- reichend finanziert, so dass Nahrungsmittel- Programme bereits gekürzt werden müssen. Terroristen nutzen diese Krise für vermehrte Anschläge aus – vor allem in der Sahelzone. Schon jetzt gibt es Unruhen und Flüchtlings- bewegungen. Afrikas besuchen, darunter tolle Aufsteigerländer, wie Botswana, Ghana, Tunesien. Ich bin fasziniert von der Vielfalt dieses Kontinents, aber sehe natürlich auch die großen Herausforderungen. Wo liegen denn die größten Herausforderungen? Die Bevölkerung verdoppelt sich bis 2050. Ohne eine Chance auf Arbeit werden viele Menschen flüchten oder sich radikalisieren. Ich habe in Nordnigeria mit Boko- Haram-Aussteigern gesprochen, die mir sagten: „Ich habe mitgemacht, weil die mir einen Dollar pro Tag, Essen und ein Gewehr geboten haben. Hätte ich einen Job gehabt, hätte ich das nie getan.“ Deswegen müssen wir Hunger, Armut und damit Fluchtursachen verringern. Wo setzen Sie an? Wir haben einen „Marshallplan mit Afrika“ entwickelt mit vier Säulen. Erstens kann und muss Afrika selbst mehr leisten. Deshalb unterstützen wir gezielt Länder, die messbare Fortschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte und der Bekämpfung von Korruption machen. Zweitens stoßen wir mit öffentlichen Geldern Zukunftslösungen an. Solche Leuchttürme sind etwa unsere „Grünen Innovations- zentren“ für eine moderne Landwirtschaft. Oder das modernste Solarkraftwerk der Welt in Ouarzazate (Marokko), gebaut mit deutscher Unterstützung. Damit helfen wir, Afrika zum grünen Kontinent der erneuerba- ren Energien zu machen. Aber mit öffentlichen Mitteln allein lösen wir die Herausforderungen nicht. Wir brauchen auch die Wirtschaft? Genau. Um Investitionen gerade von Mittelständlern zu erleichtern, haben wir den Entwicklungsinvestitions- fonds aufgelegt. Der Bedarf ist enorm: In den nächsten zehn Jahren wird in Afrika so viel gebaut werden wie die letzten hundert Jahre in Europa. Und da sollten Deutsche und Europäer dabei sein. Sie waren vor Corona oft in Afrika. Wie würden Sie Afrika im Jahr 2020 kurz beschreiben? Afrika – 100 Mal so groß wie Deutschland – ist Faszination und Herausforderung, ist Licht und Schatten. Ich konnte 44 der 54 Länder Was ist die vierte Säule? Fairer Handel. Nehmen Sie eine normale Jeans: Die wird in Bangladesch oder Äthiopien hergestellt. Die Nähe- rinnen arbeiten dort 12 Stunden am Tag für 20 Cent pro Stunde. Das ist pure Ausbeutung. Und weil das kaum zum Überleben reicht, müssen hunderttausende Kinder