DAS GESPRÄCH Gibt es denn Bereiche, die Sie vor Künstlicher Intelligenz schützen wollen? Braun: Zum Beispiel die Frage, ob und wie jemand nach dem Strafrecht belangt wird oder nicht, ist und bleibt eine hoheitliche Aufgabe. Wer eine Haftstrafe verbüßen muss, entscheidet ein Richter, kein Algorithmus. Da hat KI nichts zu suchen. In anderen Bereichen brauchen wir KI so schnell wie möglich: In Industrie und Landwirt - schaft müssen wir sie breit einsetzen, auch um ökologi - scher und ressourcenschonender zu produzieren. Mit - hilfe von KI können Wege effizienter geplant und Mittel sparsamer eingesetzt werden. Das ist die KI, auf die die Leute sich freuen können. Kaiser: Es gibt einfach Bereiche, da wird KI den Men - schen niemals ersetzen können. Menschen haben Empathie. Computer nicht. Nehmen wir meine zweijäh - rige Tochter. Außer „ja“, „nein“ und „Papa“ verstehe ich kaum ein Wort von ihr. Trotzdem weiß ich in 95 Prozent der Fälle, was sie gerade will, wie sie sich fühlt. Das wird KI niemals können. Aber KI wird dazu führen, dass ich meinen Alltag besser organisiere und dadurch Zeit gewinne – Zeit für meine Tochter zum Beispiel. Zeitersparnis klingt natürlich toll. Viele Menschen haben aber die Sorge, dass die KI sie ihren Arbeitsplatz kostet. Braun: Wenn wir uns erinnern, in den Fünfzigerjahren hieß es: „Die Fließbandarbeit vernichtet Arbeitsplätze.“ Am Ende kam das deutsche Wirtschaftswunder dabei heraus. So ähnlich könnte es sich jetzt mit der Digitali - sierung entwickeln. Durch sie entstehen neue Arbeits - plätze, weil die Produkte zusätzliche Fähigkeiten gewin - nen. Früher hatte der Mixer einen Knopf, und er konnte mixen. Und heute hat er ein Display, verrät mir Rezepte und hilft mir durch den gesamten Kochvorgang. Da arbeiten natürlich viel mehr Menschen dran als an dem alten Mixer. Und nicht jeder muss Nobelpreisträger sein, um daran mitzuarbeiten. Was passiert, wenn die KI so schnell und viel lernt, dass sie am Ende schlauer ist als der Mensch, und der Mensch die Kontrolle verliert? Kaiser: Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ führt leider völlig in die Irre. Es klingt ja so, als wäre ein Computer intelligent. Das ist er nicht. Ich zitiere Chris Boos, Digitalratsmitglied und KI-Experte: „Ein Computer versteht erstmal nichts.“ Ein Beispiel: Große neuronale Netzwerke haben vielleicht 1 Million Knoten und brauchen dafür die Energie eines halben Atomkraftwerks. Ein durchschnittliches Gehirn hat 84 Milliarden Neuronen und kommt mit einem Butterbrot aus. Selbst wenn sich die Rechenleistung alle 18 Monate verdoppelt, gibt es keinen Grund zur Sorge. Wenn von etwas eine Gefahr ausgeht, dann eher von dem Menschen, der die Maschine steuert, und nicht von der Maschine selbst. „Computer sind nicht intelligent.“ Stephanie Kaiser Hat jemand, der KI steuern kann, damit unkontrollierbare Macht? Kaiser: Darauf weiß ich keine Antwort. Das sage ich auch immer ehrlich. Aber ich möchte das Thema KI an dieser Stelle mal etwas entmystifizieren. Wir können nicht immer alle Probleme antizipie ren und vorab lösen. Das erste iPhone zum Bei - spiel war nicht unbedingt das beste Telefon aller - Zeiten. Es war halt die erste Version. Heute funk tioniert es um einiges besser. Viele Iterationen - später. Manchmal muss man einfach etwas aus - probieren, vielleicht mal hinfallen und dann dar aus lernen. Das ist wirklich, wirklich wichtig. Wir als Digitalrat nennen es „Liebe zur Zukunft“. - Braun: Künstliche Intelligenz stellt doch unsere gewachsenen demokratischen Strukturen nicht in Frage. Es geht nicht um unkontrollierbare Macht, sondern darum, die enormen Potenziale für das Wohl der Menschen zu nutzen. 11