Bundesregierung

 

Lissabon kann Geschichte schreiben

Do, 18.11.2010
 
Es bestehe die historische Chance, das Denken in Kategorien des Kalten Krieges endgültig hinter uns zu lassen, so Bundesaußenminister Guido Westerwelle in einem Beitrag für "Die Welt". Die Nato stehe vor sehr wichtigen Weichenstellungen: Strategische Partnerschaft mit Russland, eine Strategie für die Zukunft und der Beginn der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan.
Namensbeitrag von Guido Westerwelle in "Die Welt":
 
Vor 20 Jahren endete der Kalte Krieg. Jahrzehntelang standen sich die Nato und der Warschauer Pakt feindlich gegenüber. Heute lädt die Nato Russland zur Mitwirkung an einem kooperativ konzipierten Raketenabwehrschirm ein. Der russische Präsident Dmitri Medwedjew reist nach Lissabon als Partner, nicht als Gegner. Wir haben die historische Chance, das Denken in Kategorien des Kalten Krieges endgültig hinter uns zu lassen.

Ich verkenne nicht, dass es weiterhin ernsthafte Meinungsunterschiede wie in der Georgien-Frage gibt. Gleichwohl kann nach der Eiszeit aufgrund des Krieges in Georgien ein Neuanfang gelingen. Dafür sprechen die gemeinsamen Sicherheitsinteressen: in Afghanistan, bei der Bekämpfung des Terrorismus, beim Vorgehen gegen Piraterie oder bei der Abwehr von Bedrohungen durch ballistische Raketen. In Lissabon sollten die Grundlagen für eine strategische Sicherheitspartnerschaft gelegt werden, die in beiderseitigem Interesse liegt.

Nicht weniger bedeutsam werden die Beratungen in Lissabon über das neue strategische Konzept der Nato sein. Über Monate wurde öffentlich, unter Experten und im Kreis der Mitgliedsstaaten diskutiert, wie die Nato der Zukunft aussehen sollte. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, um die richtigen strategischen Weichenstellungen vorzunehmen. Das Kernversprechen der Nato wird auch in Zukunft die gegenseitige Beistandsverpflichtung zur Abwehr von bewaffneten Angriffen sein. Daneben ist es richtig, dass sich die Nato auch neuen Herausforderungen stellt. Dazu gehört ein wirksames Vorgehen gegen terroristische Bedrohungen genauso wie ein gemeinsames Handeln im Angesicht der Gefahr von Computer-Attacken. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Mechanismen von Kooperation und Konsultation nach Artikel 4 des Washingtoner Vertrags optimal auszuschöpfen. Klar ist, dass jedwedes Handeln der Nato auch in Zukunft an das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen gebunden sein muss.

Das neue strategische Konzept bietet auch die Chance, die Frage der Abrüstung neu zu gewichten. Die Nato wird auch in Zukunft ein Verteidigungsbündnis sein und kein Abrüstungsvertrag. Es geht auch nicht darum, die Notwendigkeit der Abschreckung, auch der nuklearen Abschreckung, infrage zu stellen, solange es Atomwaffen gibt. Gleichwohl liegt es in unser aller Sicherheitsinteresse, dass die Nato als das wichtigste Militärbündnis der Welt ihren Beitrag zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen leistet. Deshalb sollte sich auch die Nato zum Ziel einer Welt ohne Atomwaffen bekennen. Das neue strategische Konzept sollte reflektieren, dass Atomwaffen im Verteidigungsdispositiv der Nato eine geringere Rolle spielen werden. Abrüstungsfragen haben in der heutigen Welt den gleichen Stellenwert wie der Schutz des Klimas. Deshalb sollte die Nato in einem Folgeprozess ihren konkreten Beitrag zu Abrüstung und Rüstungskontrolle definieren.

In Lissabon wollen wir auch im Hinblick auf unser gemeinsames Engagement in Afghanistan eine strategische Weichenstellung vornehmen. Es geht darum, den Prozess der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände einzuleiten. Präsident Karsai hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Afghanen selbst im Jahr 2014 in der Lage sein sollen, die Sicherheitsverantwortung vollständig zu übernehmen. Diese Übergabe soll im nächsten Jahr beginnen, Distrikt für Distrikt, Provinz für Provinz. Auch wenn in Lissabon noch keine konkreten Gebiete benannt werden, weil es den Taliban in die Hände spielen könnte, diesen Prozess der schrittweisen Übergabe zu unterminieren - das Startsignal dafür soll definitiv gegeben werden. Mit der Verantwortungsübergabe entsteht die Abzugsperspektive, die wir noch in dieser Legislaturperiode anstreben. Vorbehaltlich der Entwicklung der Sicherheitslage ist es unser Ziel, unser eigenes Kontingent im Jahr 2012 zum ersten Mal zu reduzieren.

Strategische Partnerschaft mit Russland, ein mutiges strategisches Konzept für die Zukunft, Beginn der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan - die Nato steht vor sehr wichtigen Weichenstellungen. Umfangreiche Vorbereitungen liegen hinter uns, intensive Gipfelberatungen vor uns. In Lissabon kann Geschichte geschrieben werden. Diese Chance gilt es zu nutzen.

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