Bundesregierung

 

Westerwelle: "Einen deutschen Sonderweg gibt es nicht"

Do, 14.04.2011
 
Die Enthaltung zur Libyen-Resolution sei eine schwierige Abwägungsentscheidung gewesen, erklärt Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Die Bundesregierung teile die Ziele der Resolution, habe aber Zweifel am militärischen Einsatz. Völlig klar sei, dass Deutschland in der humanitären Verantwortung stehe, den Menschen in Libyen bei der Bewältigung der Kriegsfolgen zu helfen.
Berliner Zeitung: Herr Westerwelle, FDP-Chef wollen Sie nicht mehr sein, aber Außenminister bleiben. Warum eigentlich?
 
Guido Westerwelle: Die deutsche Außenpolitik ist auf einem guten Weg. Wir haben jetzt eine Abzugsperspektive aus Afghanistan, die Abrüstungsdebatte hat wieder Schwung bekommen, und diese Bundesregierung hat die großen europäischen Herausforderungen bislang gut gemeistert. Und so soll es auch weitergehen.
 
Berliner Zeitung: Dennoch fordern einige in Ihrer Partei, dass Sie auch das Außenamt aufgeben. Was sagen Sie denn denen?
 
Westerwelle: Ich mache meine Arbeit und konzentriere mich mit der Rückendeckung des FDP-Bundesvorstandes, der FDP-Bundestagsfraktion und der Koalition insgesamt auf das Amt des Außenministers. Übrigens: Die wenigsten deutschen Außenminister waren in ihrer Amtszeit auch Parteivorsitzende.
 
Berliner Zeitung: In der Aufzählung der außenpolitischen Herausforderungen haben Sie eine Sache nicht erwähnt. War denn die deutsche Enthaltung zur Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat Ausweis hoher Staatskunst?
 
Westerwelle: Es war eine schwierige Abwägungsentscheidung. Wir hatten unsere Bedenken hinsichtlich einer militärischen Intervention. Doch die Resolution wurde beschlossen, und jetzt ist sie geltendes internationales Recht, das alle bindet.
 
Berliner Zeitung: Aber eine Enthaltung ist doch keine Haltung.
 
Westerwelle: Wir hatten Zweifel am militärischen Kampfeinsatz. Die übrigen Ziele der Resolution aber teilen wir. Dem System Gaddafi muss Einhalt geboten werden. Deswegen haben wir von Anfang an auf scharfe Sanktionen gegen Libyen gesetzt. Mittlerweile ist ein umfassendes Öl-und Gas-Embargo zustande gekommen - auch weil wir Deutsche so gedrängt haben.
 
Berliner Zeitung: Das erklärt aber nicht, warum Sie die Bundesrepublik aus dem westlichen Bündnis herausgelöst und an die Seite von Russland und China gestellt haben.
 
Westerwelle: Sie vergessen Brasilien und Indien. Hätten wir zugestimmt, wäre Deutschland als größtes europäisches Nato-Land erst recht unter schweren Druck geraten, sich militärisch zu beteiligen. Wir hätten nicht mehr die Debatte, ob wir Soldaten in Libyen einsetzen sollen, sondern stünden nur noch vor der Frage: Wie viele schicken wir los?
 
Berliner Zeitung: Sehen Sie sich in Ihrer Skepsis über den Nato-Einsatz bestätigt?
 
Westerwelle: Auch der Nato-Generalsekretär sagt doch mittlerweile, dass es in Libyen keine militärische Lösung geben wird, sondern nur eine politische. Das haben wir von Anfang an gesagt. Und genau das steht auch im Vordergrund der Abschlusserklärung von Doha.
 
Berliner Zeitung: Um die Isolierung Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft zu überwinden, wollen Sie jetzt die Bundeswehr an der militärischen Sicherung einer humanitären EU-Mission in Libyen beteiligen. Ende des deutschen Sonderwegs?
 
Westerwelle: Wir sind nicht isoliert, und einen Sonderweg gibt es auch nicht. Wir nehmen an den Treffen der internationalen Libyen-Kontaktgruppe teil. Die Mehrzahl der EU-Staaten beteiligt sich, wie wir, nicht an den Kämpfen in Libyen. Es ist aber doch völlig klar, dass wir in der humanitären Verantwortung stehen, den Menschen in Libyen bei der Bewältigung der Kriegsfolgen zu helfen. Das haben die EU-Außenminister schon am 21. März so beschlossen. Von einer Kursänderung, wie sie mir die Opposition in Deutschland unterstellt, kann also gar keine Rede sein.
 
Berliner Zeitung: Aber ein Bundeswehr-Einsatz in Libyen, selbst wenn er mit dem Etikett humanitär versehen wäre, ist riskant. In der öffentlichen Wahrnehmung wäre das ein Einsatz mit Bodentruppen, den Sie bislang immer abgelehnt haben.
 
Westerwelle: Nicht so schnell. Erst muss Ocha, die humanitäre Organisation der Vereinten Nationen, um eine militärische Absicherung bitten. Bislang hieß es aus der Uno immer, die Hilfslieferungen für Libyen seien ohne militärischen Begleitschutz möglich. Wir sind also in einem politischen Planungsstadium für den Fall, dass die Dinge sich ändern.
Berliner Zeitung: Wollen Sie den Einsatz deutscher Bodentruppen in humanitärer Libyen-Mission etwa ausschließen?
 
Westerwelle: Wir werden helfen, wenn Ocha um Unterstützung bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge bittet. Alles andere sind Spekulationen. Ich will aber betonen: Die militärische Absicherung einer humanitären Hilfslieferung zum Beispiel auf dem Mittelmeer ist etwas völlig anderes als die Beteiligung an einem Kriegseinsatz. Humanitäre Hilfe ist neutral, sie schaut nur auf die Opfer.
 
Berliner Zeitung: Sie haben von der Abzugsperspektive für Afghanistan gesprochen. Steht Ihr Plan noch, die ersten deutschen Soldaten um die Jahreswende 2011/2012 nach Hause zu holen?
 
Westerwelle: Trotz aller Rückschläge ist es ein ermutigendes Zeichen, dass vom Sommer an die ersten afghanischen Regionen in die Sicherheitsverantwortung der Afghanen selbst übergeben werden sollen. Und deshalb bleibt es auch bei unserer Absicht, Ende des Jahres erstmals das Bundeswehr-Kontingent zu reduzieren. Immer unter dem Vorbehalt: Wenn es die Lage zulässt.
 
Berliner Zeitung: Aber gerade gab es einen Überfall auf das UN-Büro in Masar-i-Sharif mit sieben ermordeten UN-Mitarbeitern. Nicht einmal in einer der sichersten Städte Afghanistans schaffen es die Afghanen, selbst für Sicherheit zu sorgen.
 
Westerwelle: Wir befinden uns auf den ersten Metern eines langen Laufs. Aber auch ein langer Lauf beginnt mit den ersten Schritten. Das zeigt nur, dass wir die Afghanen auch nach 2014, wenn die Sicherheitsverantwortung vollständig an Afghanistan übergeben sein sollte, nicht im Stich lassen dürfen.
 
Berliner Zeitung: Wird der deutsche Außenminister, der die deutschen Afghanistan-Soldaten nach Hause holt, Guido Westerwelle heißen?
 
Westerwelle: Das habe ich fest vor, aber ich glaube, das dürfte nicht die erste Sorge der Soldaten sein.
 
Das Gespräch führte Damir Fras für die Berliner Zeitung.
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