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Der Vertrag von Lissabon

 
Am 1.Dezember 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Die Weichen hierfür hat Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2007 gestellt. Gewinner dieser grundlegenden Reform sind die Bürgerinnen und Bürger. Sie haben in Zukunft deutlich mehr Rechte und Einflussmöglichkeiten: Das Europäische Parlament wird in fast allen Politikbereichen zum gleichberechtigten Gesetzgeber. Auch die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der nationalen Parlamente werden gestärkt. Sie werden enger in den europäischen Entscheidungsprozess eingebunden und können Einspruch erheben, wenn sie nationale Zuständigkeiten verletzt sehen (Subsidiaritätskontrolle). Hier liegt eine wichtige Aufgabe für Bundestag und Bundesrat.

Zeremonie anlässlich der Unterschreibung des Vertrag von LissabonFoto: picture-alliance/ dpa Vergrößerung In Zukunft sind auch europäische Bürgerbegehren möglich. Mit einer Million Unterschriften können Bürger aus verschiedenen Mitgliedsländern die EU-Kommission auffordern, einen Gesetzesvorschlag zu machen. Die Grundrechtecharta macht die Bürger- und Freiheitsrechte auf europäischer Ebene rechtsverbindlich. Bürger können beim Europäischen Gerichtshof klagen, wenn sie sich durch einen europäischen Rechtsakt in ihren Grundrechten verletzt fühlen.
 
Der Vertrag von Lissabon sieht eine klare Aufgabenverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vor. Reformen in der Arbeitsweise der Union und im Gesetzgebungsverfahren machen Europa handlungsfähiger: Zum ersten Mal sind die Zuständigkeiten der EU klar beschrieben und von den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten abgegrenzt.
 
Ein hauptamtlicher Präsident, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird, hat den Vorsitz im Europäischen Rat. Zum ersten Präsidenten des Europäischen Rates wurde der ehemalige belgische Premierminister Herman Van Rompuy bestimmt. Im Ministerrat werden Mehrheitsentscheidungen zur Regel; damit kann der Ministerrat jetzt schneller Entscheidungen treffen.
 
Damit die EU geschlossen in der Welt auftreten kann, wird die europäische Außen- und Sicherheitspolitik gestärkt. Die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik", Baroness Catherine Ashton, leitet den Rat der Außenminister und ist Vizepräsidentin der Kommission. Sie wird unterstützt von einem europäischen diplomatischen Dienst. Dieser Dienst wird sich aus Beamten der Europäischen Kommission, des EU-Ratssekretariats und der Mitgliedstaaten zusammensetzen und soll bis zum Jahresende 2010 eingerichtet sein.
 
 

Nachhaltiges und integratives Wachstum in Europa schaffen

 
Der Europäische Rat hat im Krisenjahr 2009/2010 Handlungsfähigkeit bewiesen. Die neue Strategie "Europa 2020" soll die Krise überwinden helfen und intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum in Europa und den Mitgliedstaaten stärken. Kern der neuen Strategie ist die Festlegung auf fünf zentrale europäische Zielempfehlungen in den Bereichen Forschung, Beschäftigung, Energieeffizienz, Bildung und Armutsbekämpfung. Auf dieser Basis sollen die Mitgliedstaaten nationale Ziele festlegen und Reformprogramme entwerfen.
 
Die "Europa 2020-Strategie" wird nicht zu einer Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Union führen. Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen versichert, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, zum Beispiel im Bereich der Bildung, unberührt zu lassen. Die Gemeinschaft soll durch sogenannte Leitinitiativen in den Bereichen Innovation, Jugend, digitale Agenda, Ressourcenschonung, Industrie, Beschäftigung und Armutsbekämpfung dazu beitragen, die Ziele zu erreichen.
 
 

Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung auf EU-Ebene

 
Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft 2007 wurde das Aktionsprogramm zum Abbau von Verwaltungslasten initiiert: Bis Ende 2012 sollen 25 Prozent der bestehenden Bürokratie-Lasten aus EU-Recht abgebaut sein. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dieses Abbauziel als Nettoziel auszugestalten: Belastungen aus neuen EU-Regelungen wären dann durch einen entsprechenden Abbau an anderer Stelle auszugleichen.
 
Bislang hat die Europäische Kommission 69 Vereinfachungsvorschläge vorgelegt, die zu einer geschätzten Entlastung von EU-weit maximal 38,3 Mrd. Euro pro Jahr führen könnten; 15 dieser Vorschläge mit einer Entlastungswirkung von 7,6 Mrd. Euro haben Rat und Europäisches Parlament bereits angenommen.
 
Die Bundesregierung tritt zudem für die Stärkung der Folgenabschätzungen auf EU-Ebene ein, insbesondere durch Einführung einer unabhängigen Prüfung der Bürokratie-Kosten nach Vorbild des Nationalen Normenkontrollrates.
 
Europäische Gesetze sollen zum Bürokratieabbau beitragen, insbesondere mit Blick auf die Bedürfnisse der mittelständischen Wirtschaft. Auf Wunsch der Bundesregierung soll die europäische Wachstumsstrategie "Europa 2020" den Grundsatz der Besseren Rechtsetzung ausdrücklich berücksichtigen.
 
 

Europäischer Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts

 
Der Vertrag von Lissabon, der zum 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist, will für die Bürger einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts schaffen. Der Europäische Rat beschloss deshalb im Dezember 2009 das "Stockholmer Programm", das einen Rahmen für Maßnahmen der Union auf den Gebieten Unionsbürgerschaft, Justiz, Sicherheit, Asyl und Einwanderung für die kommenden fünf Jahre bildet. Folgende Prioritäten sind im Programm aufgeführt: 
  • Europa als gemeinsamer Raum des Grundrechtsschutzes  
  • Europa als Raum des Rechts und der Justiz  
  • Europa mit einer Strategie der inneren Sicherheit  
  • Zugang zu Europa in einer globalisierten Welt  
  • Europa der Verantwortung, der Solidarität und der Partnerschaft in Migrations- und Asylfragen  
  • Eigene europäische Außenpolitik  

In der europäischen Innenpolitik wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, die Balance zwischen Mobilität, Sicherheit und Bürgerrechten zu wahren und die zunehmenden Aufgaben im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit in Europa zu bewältigen. Im Bereich der europäischen Justizpolitik will die Bundesregierung darauf hinwirken, dass die Vorschläge zum Schutz der Bürgerrechte des "Stockholmer Programms" zeitnah umgesetzt werden. Im Vordergrund stehen die Schaffung von Mindeststandards im Strafverfahren und die Absicherung der gegenseitigen Anerkennung in Zivilsachen durch Mindestverfahrensregeln.
 
 

EU-weit Rechte von Beschuldigten im Strafverfahren stärken

 
Die Bundesregierung will innerhalb der EU möglichst zügig gemeinsame Mindeststandards in Strafverfahren schaffen. Im November 2009 verabschiedeten die Justizminister der 27 EU-Mitgliedstaaten einen "Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren", der schrittweise bestimmte Verfahrensrechte innerhalb der EU umsetzen soll. Als erste Maßnahme sieht dieser Fahrplan das Recht auf Dolmetsch-Leistungen und Übersetzungen in Strafverfahren vor. Dadurch sollen die Rechte von verdächtigen Personen, die die Verhandlungssprache des Gerichts nicht oder nur unzureichend beherrschen, gestärkt werden.
 
Im Juli 2010 hat das Kollegium der Europäischen Kommission den Richtlinien-Entwurf zum "Recht auf Information" angenommen. Er soll sicherstellen, dass eine verdächtige oder beschuldigte Person frühzeitig und in einer ihr verständlichen Sprache die Informationen erhält, die sie braucht, um ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen.