Demografiestrategie
Wenn Andreas Delleske sich nach Natur sehnt, muss er nicht in Auto oder Bahn steigen und die Stadt hinter sich lassen. Er kann einfach das Fenster öffnen und in die alten Linden vor seinem Haus blicken. Oder er geht ein paar Schritte zum Biotop. Dabei wohnt der 46-jährige Energieberater nicht in einem kleinen Dorf im Grünen. Sondern gemeinsam mit 5.300 anderen Menschen im Quartier Vauban am Stadtrand von Freiburg im Breisgau.
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Bevor hier Familien lebten, waren auf dem Areal am Fuß des Schönbergs französische Soldaten untergebracht. 1992 zogen sie ab, das Gelände fiel an das Bundesvermögensamt und die Stadt hatte plötzlich 38 Hektar bebaubare Fläche vor der Tür. Sie kaufte 34 Hektar. Der Rest ging an das Studentenwerk und ein gemeinnütziges Projekt, das die alte Bausubstanz erhalten und Wohnraum für geringer verdienende Menschen schaffen wollte. In vier umgebauten Gebäuden, früher Mannschaftsunterkünfte der Soldaten, wohnen heute 260 Menschen.
Planung mit den Bürgern
Doch in Freiburg gab es noch mehr Bürger, die gerne im Quartier leben und dabei mitreden wollten, wie die neu gewonnene Fläche aussehen sollte. Und auch die Stadt sah die Notwendigkeit, die Bürger mehr als bis dahin üblich in die Planung einzubinden. Sie richtete eine spezielle Arbeitsgruppe ein und die Bürger gründeten einen Verein: das „Forum Vauban“. „Wir sahen Vauban als einmalige Chance und wollten auf dem ehemaligen Kasernengelände zukunftsfähiges, familiengerechtes Wohnen ermöglichen – überwiegend in Eigentumswohnungen“, fasst Roland Veith, Verwaltungsbeamter und damals Projektleiter Vauban, die Ziele zusammen. Niedriger Energiebedarf, das Verkehrskonzept und das Verhältnis von Wohn- und Grünflächen – das waren die wichtigsten Gesichtspunkte. Man ließ sich professionell beraten und gab gemeinsam mit der Bundesumweltstiftung und der Europäischen Union Studien in Auftrag: Wie lässt sich das Leben in der Stadt mit weniger Energieaufwand gestalten? So entstand ein autoarmer Stadtteil, in dem 20 Hektar Wohnbauland fast sechs Hektar Grünflächen gegenüberstehen. Darunter viel alter Baumbestand, wie die Linden vor Delleskes Tür.
Lebensqualität mit weniger Energie
Niedrigenergiebauweise ist Pflicht. Einige Baugemeinschaften gingen sogar noch weiter und errichteten Passivhäuser; ein Bauträger realisierte eine Solarsiedlung mit Plusenergiehäusern, die Strom ins öffentliche Netz einspeisen. Im Vauban spürt man an jeder Ecke, dass sich Menschen mit einer ähnlichen Weltanschauung zusammengeschlossen haben, um ihre Vorstellung vom Leben in der Stadt umzusetzen. „Wir sind keine Kommune von Ökos, sondern ein ganz normaler Stadtteil“, weist Delleske allzu romantische Vorstellungen zurück. Er fügt jedoch hinzu: „Andererseits haben uns die gemeinsame Planung und der Bau schon zusammengeschweißt.“ Man kenne sich besser, teile sich das Auto oder andere Anschaffungen und nehme sich Zeit, wenn man jemanden auf der Straße treffe.
Noch heute kommen das ganze Jahr über Besuchergruppen nach Freiburg, um sich anzusehen, was Stadt und Bürger gemeinsam möglich gemacht haben. „Die strengen energetischen Vorschriften und die Tatsache, dass das eigene Auto in den stellplatzfreien Gebieten nicht vor der Tür stehen darf: Das hat damals ganz Deutschland interessiert“, erinnert sich Ex-Projektleiter Veith. Alle hätten wissen wollen: Kriegen die das hin? Die Geschichte hat ihnen recht gegeben.