Wie Megastädte die Meeresumwelt gefährden

Meeresforschung Wie Megastädte die Meeresumwelt gefährden

Durch Zusammenführung großer Metropolen sollen in China Megastädte mit über 100 Millionen Einwohnern entstehen. Was das für die Schadstoffbelastung der angrenzenden Meere bedeutet, untersuchen deutsche und chinesische Wissenschaftler mit Unterstützung der Bundesregierung.

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Seit vielen Jahrzehnten verbindet deutsche und chinesische Meeresforscherinnen und Meeresforscher eine enge Kooperation. Gemeinsam untersuchen sie unter anderem, wie sich das jahrzehntelange Bevölkerungswachstum und der Klimawandel auf die chinesischen Küsten und Meere auswirken. Joanna Waniek, Meeresforscherin am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), ist die deutsche Koordinatorin des deutsch-chinesischen Projekts MEGAPOL. In diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt geht sie der Frage nach, welche Belastung riesige Metropolen für die angrenzenden Flüsse und Meeresgebiete bedeuten.

Im Projekt MEGAPOL untersuchen deutsche und chinesische Meeresforscher, welche Umweltbelastungen durch urbane Ballungsräume mit bis zu 100 Millionen Einwohnern in angrenzenden Meeresgebieten entstehen. Das BMBF fördert die Forschung mit rund einer Million Euro.

Metropolregion mit 120 Millionen Einwohnern

Die Idee zu dem Projekt kam ihr nach einem Forschungsaufenthalt in China: "Ich habe eine Zeitung in die Hände bekommen, in der über die Pläne der chinesischen Regierung berichtet wurde, mehrere Megastädte zu einer Metropolregion zusammenzufassen." Die Zusammenführung der Metropolen Guangzhou, Shenzhen und Hongkong ist eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte der chinesischen Regierung. Rund um das Perlflussdelta leben dann etwa 120 Millionen Menschen in einer riesigen Metropolregion. "Alle Abwässer gelangen über den Perlfluss ins Meer", schildert Waniek. Problematisch für die Meere sei nicht ein einziger Schadstoff, sondern der "Cocktail", den der Fluss ins Südchinesische Meer trägt. "Es mangelt leider immer noch am Bewusstsein, dass alles, was wir in den Ozean werfen, nicht einfach verschwindet, sondern dort für lange Zeit erhalten bleibt", mahnt die Meeresforscherin. "Auf allen Schiffsexpeditionen sehen wir inzwischen massenweise Plastikabfälle wie Styropor auf den Algenmatten treiben", berichtet Waniek. Das Plastik werde von Fischen, Vögeln und Muscheln aufgenommen. "Styropor kann von den Tieren nicht verdaut werden, was dazu führt, dass die Tiere qualvoll verhungern."

Über Algen in die Nahrungskette

Im Sommer 2019 wird Waniek wieder einmal zu einer Expedition in das Südchinesische Meer aufbrechen, diesmal mit dem modernsten deutschen Forschungsschiff, der SONNE. "Wir messen Rückstände von Medikamenten und Sonnencremes sowie Mikroplastik, aber auch von Pflanzen- und Insektenvernichtungsmitteln sowie überschüssigen Nährstoffen aus der Landwirtschaft." Außerdem untersuchen die Wissenschaftler anhand winziger Algen, ob die Schadstoffe in die Nahrungskette gelangen: Wenn Hormone, UV-Filter und Pflanzenvernichtungsmittel in den Algen nachzuweisen sind, "bedeutet das, dass sie sich in der Nahrungskette anreichern und irgendwann über Fisch und Muscheln auch in den menschlichen Organismus gelangen können", erklärt Waniek.

Verweiblichung männlicher Fische 

Carina Deich promoviert bei Joanna Waniek und erforscht, welchen Einfluss Hormone auf die Meeresumwelt im Südchinesischen Meer haben: "Wir untersuchen das Oberflächenwasser auf das Vorkommen hormoneller östrogener Aktivität. Diese kann beispielsweise durch den Stoff Ethinylestradiol – dem Hormon, das in der Anti-Baby-Pille vorkommt – hervorgerufen werden", so Deich. "Solche Stoffe können bei männlichen Fischen zur Ausprägung weiblicher Merkmale führen." 2018 gewann die junge Wissenschaftlerin auf einer Expedition mit einem chinesischen Forschungsschiff Wasserproben aus dem Oberflächenwasser, die sie auf ihren Hormongehalt hin untersuchen wird. Von der Forschungsfahrt mit der SONNE erhofft sie sich weitere wichtige Daten für ihre Doktorarbeit: "Auf der SONNE stürze ich mich vor allem auf Wasserproben aus größeren Meerestiefen." Diese Proben sollen der Chemikerin verraten, wie sich die Hormone im gesamten Meer verteilen und welche Organismen betroffen sein könnten.

Bei Stadtentwicklung Schädigung der Meere vermeiden

Dass Joanna Waniek und ihr Team den Einfluss von Megastädten auf das Meer ausgerechnet in China erforschen, lässt sich leicht erklären: "Weil wir in Europa und vor allem im Ostseeraum nicht so viele Megastädte haben", lacht die Ozeanographin. Zu befürchten sei aber, dass die gleichen Probleme irgendwann auch an europäischen Küsten auftreten werden: "Große Städte im Mittelmeerraum verschmutzen das Mittelmeer bereits jetzt sehr stark." Mit ihrer Forschung zu chinesischen Megastädten will Waniek aufzeigen, was passieren kann, wenn die fragile Meeresumwelt bei der Entwicklung von Städten und Metropolregionen nicht bedacht wird. Die Forschungsergebnisse sollen dazu beitragen, zukünftige Schädigungen der Meere zu vermeiden. Von entscheidender Bedeutung sei es, trotz wachsender Städte den Eintrag von Nährstoffen, unterschiedlichen Chemikalien und Mikroplastik in Küstenmeere zu verringern.

Meeresmüll ist ein global wachsendes Problem, dem nur durch gemeinschaftliches Handeln entgegengewirkt werden kann. Deshalb haben die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten unter deutscher Präsidentschaft 2017 mit der Verabschiedung des "G20-Aktionsplans zu Meeresmüll" ihren Willen zum Schutze der Meeresumwelt bekräftigt. Der Aktionsplan behandelt den landseitigen wie auch seeseitigen Eintrag von Müll in die Meere. Auch unter deutscher G7-Präsidentschaft 2014/2015 haben sich die G7‑Staaten auf einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Verschmutzung der Meere durch Müll verständigt.