9 Min. Lesedauer
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Möglichkeit der Kommentierung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie! Wir schätzen es sehr, dass ein Dialog zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stattfindet und so die Öffentlichkeit die Möglichkeit erhält, die Strategie um wichtige Punkte zu ergänzen oder Impulse für Veränderungen zu liefern. Wir denken auch, dass dieses ein wichtiger Schritt ist, um verschiedenste Stakeholder berücksichtigen zu können.
Wir, Steffen Kiemel und Lara Waltersmann, befassen uns in unserer alltäglichen Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in der Abteilung Nachhaltige Produktion des Fraunhofer IPA mit der Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen und versuchen diese darin zu unterstützen, ihre Umwelteinwirkungen (z.B. durch Verminderung der CO2-Emissionen) zu senken. Daher werden wir uns im Folgenden insbesondere auf Kommentierungen im Bereich Industrie fokussieren.
Insbesondere im Bereich Klimaschutz und Förderung einer nachhaltige Wirtschaftsweise lässt sich die vorliegende Fassung unserer Meinung nach verbessern. Die derzeitigen Bestrebungen des Bundes zur Verminderung der CO2-Emissionen reichen nicht aus, um das Pariser Abkommen und eine Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5°C zu erreichen. Da das Klimaschutzprogramm 2030 und auch das Kohleausstiegsgesetz bereits entschieden und detailliert kritisiert wurden (siehe z.B. Scientists4future oder Öko-Institut e.V. ), beziehen wir uns bei unserer Kommentierung lediglich auf die SDGs und die Nachhaltigkeitsstrategie mit ihren Indikatoren als solches.
Wir schlagen daher folgende Ergänzungen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vor:
Zu SDG 8: Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
Überprüfung der Subventionsprüfung aufgrund noch immer vorhandener umweltschädlicher Subventionen
Um die beiden Unterziele 8.1 und 8.4 des SDG 8 zu erreichen, müssen auch die Subventionen des Bundes zielgerichtet eingesetzt werden. Im Jahre 2012 beliefen sich die umweltschädlichen Subventionen des Bundes laut Umweltbundesamt auf 57 Mrd. €. Dieses betrifft insbesondere den Verkehrs- und Energiesektor, z.B. Steinkohlesubventionen, Spitzenausgleich bei der Ökosteuer für das Produzierende Gewerbe oder Energiesteuervergünstigungen für Dieselkraftstoff. Hier sollte überprüft werden, ob die Subventionsprüfung (siehe Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, S. 63) angepasst werden muss, um diese umweltschädlichen Subventionen deutlich zu reduzieren. In der Veröffentlichung des Umweltbundesamts sind zudem konkrete Vorschläge zur Verminderung der umweltschädlichen Subventionen zu finden. Der Abbau umweltschädlicher Subventionen würde die Erfüllung des SDGs 8 gleich in mehrfacher Hinsicht fördern:
- Wegfall von Folge¬kosten für den Staat durch die verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden
- Keine Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten umwelt¬freundlicher Techniken und Produkte
- Umweltschädliche Subventionen führen dazu, dass der Staat in erhöhtem Maße umweltgerechte Techniken und Produkte fördern muss, damit sie im Wettbewerb eine faire Chance haben und sich im Markt durchsetzen können.
- Anreize zur Umsetzung von Effizienzprojekten, z.B. von Energieeffizienzprojekten
- Schaffung und Erhalt von neuen, zukunftsfähigen und langfristigen Arbeitsplätze in Deutschland, welche zusätzlich eine nachhaltige Ausrichtung der Wirtschaft fördern.
Zusätzlich wird vorgeschlagen, einen Indikator zur Angabe der umweltschädlichen Subventionen des Bundes in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aufzunehmen. Dieses würde ein effektives Monitoring der Subventionen fördern und einen weiteren Anreiz schaffen diese umweltschädlichen Subventionen abzubauen.
Dringend benötigte Ergänzung des Indikators BIP je Einwohner
Bezüglich des Indikators 8.4 „BIP je Einwohner“ können wir nur unterstützen, dass im Rahmen der Agenda 2030 nach Ergänzungen dieses Indikators gesucht wird. (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, S. 183). In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird selbst gesagt, dass „anhand des BIP keine Aussagen zur Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Wachstums getroffen werden [können].“ (S.182) Der BIP wurde u.a. aufgrund seiner Eindimensionalität vielfach kritisiert , . Daher schlagen wir vor den im Rahmen der Agenda 2030 definierten Indikator zur Ergänzung des BIP möglichst zeitnah als neuen Indikator in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aufzunehmen.
Zu 9. Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
Bzw. 13. Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
Bestrebungen zu Klimaanpassungen deutlicher hervorheben
Bereits jetzt sind die Temperaturen in Deutschland um 1,6°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gestiegen. Zwar geht das SDG 13 explizit auf den Klimaschutz und die notwendigen (zumindest internationalen) Klimaanpassungen ein, jedoch sollte in SDG 9 oder SDG 13 zusätzlich betont werden, dass auch in Deutschland umfassende Klimaanpassungen notwendig sind. Hier wäre es wichtig Maßnahmen oder Indikatoren aufzunehmen, die es tatsächlich ermöglichen und nachverfolgen, dass eine widerstandsfähige bzw. klimaresiliente Infrastruktur aufgebaut wird. Daher wird vorgeschlagen zumindest die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS) im Kasten „Aktivitäten der Bundesregierung“ aufzunehmen.
Zu 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
Förderung einer umfassenden ökologischen Bilanzierung deutscher produzierender Unternehmen nach Scope 1 & 2 (GHG Protocol)
Um die gesetzten Klimaziele zu erreichen, müssen in den kommenden Jahrzehnten weite Teile der deutschen Industrie klimaneutral werden. Erster Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Darstellung des Ist-Zustandes:
- Zunächst Konzentration auf Scope 1 & 2 – Möglichkeit der Erweiterung auf ausgewählte Kriterien aus Scope 3
- Aufwand der Bilanzierung nach Scope 1 & 2 auf Unternehmensebene ist vergleichsweise gering
- Aussagekraft im Kontext klimaneutrale Produktion akzeptabel
- Notwendige Daten sind meist vorhanden, liegen aber nicht in digitalem geordnetem Format vor. Daher besteht derzeit eine geringe Motivation von Unternehmen Kapazitäten für diese zunächst nicht wertschöpfende Tätigkeit zu binden.
Ziel der beschriebenen Maßnahme ist die Absenkung der Einstiegshürde zur Klimabilanzierung, welches ein detailliertes Tracking der Klimabilanz der deutschen Industrie ermöglichen würde. Somit ergäben sich folgende zukünftige Anwendungen und Vorteile:
- Benchmark der Unternehmen untereinander (anonymisiert, geclustert nach Peer-group)
- Identifikation von Handlungsbedarf - Transparenz für den/die Verbraucher*in
- Falls normiertes und gesichertes Vorgehen bei Bilanzierung sichergestellt, eröffnet dies dem Gesetzgeber neue Möglichkeiten eine Klima-Abgabe zu implementieren
- Vorreiterrolle Deutschlands auf dem internationalen Markt.
- Die Auslobung eines Nachhaltigkeitspreises im Sinne „größte Verringerung der eigenen Umweltwirkung im Vergleich zum Vorjahr“
Geht man die Supply Chain bis zur Rohstoffförderung entlang, so ist im Grunde der Großteil der Umweltwirkungen eines Produktes zunächst energiebasiert. Der relevante weitere Teil besteht aus prozessbasierten Emissionen, die bereits im Scope 1 abgedeckt sind. Bei weitreichender (internationaler) Durchsetzung des Konzepts sowie der Vorgabe einer allgemein anerkannten Allokationsart und gleichzeitiger Einführung von Traceability-Verfahren können Klimawirkungen von Endprodukten durch die simple Addition der Klimawirkungen der Edukte berechnet werden. Eine aufwändige Ökobilanz nach DIN EN ISO 14044 müsste nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt werden.
Daher werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
- Aufbau einer Plattform zur genormten aufwandsarmen Bilanzierung der Klimawirkung
- Erste Ideen und Ansätze hierzu existieren bereits (z.B. CDP, Science Based Targets) - Schrittweise gesetzliche Verankerung der Pflicht zur Bilanzierung, beispielsweise durch Erweiterung des CSR-RUG
Als Änderung für die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wird die Aufnahme des Nachhaltigkeitsindikators „Anteil der nach Scope 1 & 2 bilanzierten deutschen Unternehmen“ in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und die entsprechende Definition von spezifischen Zielen vorgeschlagen.
Förderung einer weitreichenden Implementierung der Umweltmanagementnorm ISO 14001
Die Umweltmanagement-Zertifizierung nach EMAS findet explizite Erwähnung in der Dialogfassung der Weiterentwicklung 2021 der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Als einer der (nur 5 ) Schlüsselindikatoren für das SDG Nr. 12 werden im Bereich Umweltmanagement der Industrie somit konkrete Ziele genannt. So sollen bis 2030 5.000 Organisationsstandorte zertifiziert sein. Während wir es begrüßen, dass in dieser Hinsicht ein quantifizierbarer Indikator berücksichtigt wird, haben wir folgende Anmerkung: Unsere Erfahrung, sowohl auf Basis von Interviews mit Unternehmensvertreter*innen, als auch durch detaillierte Literaturrecherche, legt den Schluss nahe, dass die Zertifizierung nach ISO 14001 im industriellen Umfeld der deutlich anerkanntere Standard ist. Laut Rückmeldung der Unternehmen schreckt insbesondere der erhöhte Aufwand der EMAS-Zertifizierung in Verbindung mit mangelnder Nachfrage seitens der Kunden ab.
Es stellt sich also für viele Unternehmen die Frage, weshalb großer Aufwand in eine Zertifizierung gesetzt werden soll, die anschließend nicht umfangreich als Alleinstellungsmerkmal hervorgehoben werden kann (auf Grund mangelndem Interesse Kunde + vglw. geringem Bekanntheitsgrad). Dies äußert sich auch in der genannten Entwicklung auf S. 238: „Die Zahl der [nach EMAS zertifizierten] Organisationen ist seit 2005 um 22,9% gesunken.“ Während das genannte Ziel also durchaus durch die Einführung in der Bundesverwaltung unterstützt werden kann (wie geplant), müssen die Anreize zur Einführung von EMAS für Unternehmen, z.B. durch eine erleichterte Kreditvergabe, Förderung oder Berücksichtigung bei der öffentlichen Beschaffung, deutlich verbessert werden. Eine Konkretisierung des Ausbaus der „Anreize für die Einführung von Umweltmanagementsystemen“ (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, S.239) wird daher eindringlich gefordert.
Die deutschlandweite Durchdringung der Industrie mit der weltweit anerkannten Norm ISO 14001 stellt hierbei eine sinnvolle Ergänzung dar. Insbesondere in globalen Lieferketten ist die ISO 14001 von höherer Relevanz und bietet trotz geringeren Anforderungen in manchen Bereichen einen guten und umfassenden Überblick über die Umweltwirkungen einer Unternehmung. Der konkretere Nutzen für die Unternehmen (Bekanntheit, teilw. Vorgaben von Kunden etc.) und der überschaubarere Aufwand bei der Implementierung qualifizieren einen ISO 14001-Schlüsselindikator zur Aufnahme in die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Zusätzlich sollten klare Ziele für diesen Indikator definiert und ein konkreter Maßnahmenplan zur Erreichung dieser Ziele erarbeitet werden. Die Konkretisierung der Anreize zur Einführung von Umweltmanagementsystemen muss analog zu EMAS hier auch erfolgen. Die Vision ist, dass die Einführung eines Umweltmanagementsystems nach EMAS oder ISO 14001 ab bestimmter Unternehmensgröße (analog zu Energieaudit und CSR-RUG) verbindlich wird.
Kreislaufwirtschaft fördern – Design for Recycling
Zur Sicherung wirtschaftsstrategischer Rohstoffe, aber auch zur Minderung der Umweltwirkungen eines Produkts wird derzeit bereits in vielen Bereichen ein Recycling angestrebt. Für einige Produkte und Produktgruppen kommen zusätzlich gesetzliche Mindestquoten hinzu. Während dies einen Meilenstein auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft darstellt, sind manche dieser Verordnungen veraltet bzw. bedürfen einer Überarbeitung um aktuelle Entwicklungen in Produktportfolio, technischem Wandel und Markt abzubilden. In diese Prozesse müssen zwingenderweise interdisziplinäre, aber trotzdem themenspezifische Stakeholder aus Forschung, Industrie und Politik einbezogen werden. Ein Beispiel für unzureichende Veränderungen ist die geplante Novelle des Batteriegesetzes (bspw. Ungleichbehandlung Rücknahmesysteme, weiterhin geringe Recyclingeffizienz etc.). Die Partizipation relevanter Akteure aus diesem Bereich wurde folglich nur mäßig umgesetzt.
Hinzu kommen fehlende Vorgaben/Zertifizierungen hinsichtlich der Rezyklierbarkeit der Produkte. Das Produktdesign erschwert, bzw. verhindert in vielen Fällen eine sachgerechte stoffliche Verwertung, von höherwertigeren Kreislaufstrategien wie bspw. Remanufacturing ganz zu schweigen. Als Beispiel kann in vielen Fällen automobiler Anwendungen auch hier die Lithium-Ionen Batterie herangezogen werden. Die Erarbeitung von entsprechenden Zertifikaten/Normen sowie anschließend die Definition klarer Zielsetzungen in folgenden Überarbeitungen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie bietet einen enormen Hebel hin zur Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft in Deutschland. Basis hierfür können bestehende Richtlinien wie bspw. die VDI-Richtlinie 2243 sein. Außerdem existieren hier bereits Konzepte. So kündigte das britische Non-Profit Unternehmen OPRL die Einführung eines „UK Certification Schemes“ namens „Certified as Recyclable“ an.
Daher werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
- Prüfung und mglw. Revision bestehender Richtlinien zur Kreislaufführung von Produkten und Produktssystemen, dabei Definition klarer und messbarer Ziele (ähnlich BattG2) sowie Einbindung relevanter Stakeholder
- Prüfung der Ausweitung von Kreislaufwirtschafts-Richtlinien auf weitere Produktgruppen, dabei Definition klarer und messbarer Ziele (ähnlich BattG2) sowie Einbindung relevanter Stakeholder
- Entwicklung einer Produkt-Zertifizierung hinsichtlich der Rezyklierbarkeit/ Demontierbarkeit/ Weiter-/Wiederverwendbarkeit. Dabei zunächst Definition von relevanten Produktgruppen im Austausch mit interdisziplinären Stakeholdern.
Sowie folgende Änderung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie:
- Aufnahme des Schlüsselindikators „Nach „Recycling-Fähigkeit“ zertifizierte Produkte“ (sobald Entwicklung Zertifizierung abgeschlossen) und Definition konkreter Ziele
Wir danken Ihnen im Voraus für die Berücksichtigung unserer Kommentierungen!
Freundliche Grüße
Steffen Kiemel und Lara Waltersmann