Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH

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er Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) wurde mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 von Bundesminister Prof. Dr. Helge Braun (Bundeskanzleramt) eingeladen, Stellung zur Dialogfassung zur Weiterentwicklung 2021 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu nehmen. Diese Gelegenheit nimmt der SVR gerne wahr.

Aus Sicht des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration ist sehr zu begrüßen, dass die Strategie mit den Zielen Nr. 4 (Bildung), Nr. 10 (Ungleichheit) und Nr. 17 (Globale Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung) wichtige Ansatzpunkte enthält, um

  • erstens die Integration von Neuzugewanderten über die gesamte Bildungskette hinweg zu verbessern,
  • zweitens für chancengleiche Teilhabe in der Migrationsgesellschaft zu sorgen und
  • drittens die Potenziale von Mobilität für den Aufbau von Kompetenzen und die wirtschaftliche Entwicklung in Partnerländern in den Blick zu nehmen.

Dabei sollte Afrika als zunehmend wichtiger Herkunftskontinent von Migrantinnen und Migranten verstärkt in den Blick genommen werden (vgl. hierzu das SVR-Jahresgutachten 2020). Der Kontinent wird nach Einschätzung des SVR kaum von den erweiterten Optionen der Zuwanderung durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz profitieren. Umso wichtiger ist es, die Möglichkeiten der Bildungs- und Ausbildungsmigration und entsprechender Qualifizierung auch im Herkunftsland auszubauen; hierzu können Ausbildungspartnerschaften einen Beitrag leisten. Die entsprechenden Ansätze in der Strategie sind daher wichtig und könnten noch verstärkt werden. Auch der wissenschaftliche Austausch und die Studierenden- und Forschenden- mobilität sind wichtige Bausteine hierzu.
Konkret begrüßt der SVR die in Ziel 4 benannten Bestrebungen der Bundesregierung, weiterhin die Herstellung von Chancengleichheit als ein wichtiges politisches Ziel für alle Bildungsbereiche zu betrachten. In der Tat sind die Bildungsbeteiligung und der Bildungserfolg von Menschen mit Migrationshintergrund in sämtlichen Bildungsetappen noch immer geringer als die von Personen, die keine Zuwanderungsgeschichte aufweisen. Dies ist in erster Linie auf die soziale Herkunft zurückzuführen. Es wird daher als positiv bewertet, dass die Bundesregierung eine Vielzahl an Programmen aufgelegt hat, die in sämtlichen Bildungsetappen an Stellschrauben ansetzen, die es für eine Entkopplung von Herkunft und Bildungserfolg braucht. Dabei ist von großer Bedeutung, dass für Programme, die sich als wirksam erwiesen haben, eine breitflächige Verankerung und langfristige Formen der Finanzierung angestrebt werden. Insbesondere wenn aufwändig Beziehungen, Vertrauen und Netzwerke aufgebaut werden (z. B. zu Eltern mit Migrationshintergrund, zwischen Institutionen auf lokaler Ebene), hängt der Erfolg von Personen ab und schwindet, wenn die ‚Kümmerer‘ durch die Beendigung eines Projekts nicht mehr da sind.

Darüber hinaus sieht der SVR insbesondere zwei weitere Herausforderungen, die angegangen werden müssen, damit Chancengleichheit gelingt: Erstens besuchen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund überproportional häufig segregierte Kitas und Schulen. An diesen Schulen gelingt es aufgrund erhöhter Problemlagen häufig nicht, die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer individuellen Bedarfe angemessen zu fördern. Die Leistungsdifferenz zwischen Lernenden mit und ohne Migrationshintergrund ist bedeutsam ausgeprägter als an anderen Schulen. Diese Schulen benötigen zusätzliche Unterstützung. Daher sollten Ressourcen datenbasiert bedarfsorientiert verteilt werden (vgl. SVR-Forschungsbereich 2016a). Zweitens benötigen insbesondere junge Neuzugewanderte Unterstützung. Es ist darauf zu achten, dass Lehrkräfte für den ‚Normalfall Vielfalt‘ weiterqualifiziert werden, so dass sie jene Kinder und Jugendlichen entsprechend fördern können – so sollte eine durchgängige Sprachförderung in allen Fächern erfolgen (vgl. SVR-Forschungsbereich 2016b). Vor allem bei den Übergängen laufen Neuzugewanderte Gefahr, verloren zu gehen. Dies gilt insbesondere für jene, die nicht schulpflichtig sind und betrifft damit Kinder im Elementarbereich, bzw. ihre Eltern, sowie ältere Jugendliche und junge Erwachsene, die aus der Berufsschulpflicht fallen. So ist der Anteil der Personen ohne allgemein- oder berufsschulisch qualifizierenden Abschluss in der ersten Zuwanderungsgeneration besonders hoch (SVR-Jahresgutachten 2019, Kap. B.1). Bundesprogramme (wie das in der Nachhaltigkeitsstrategie genannte Programm BOF) tragen dazu bei, jene Neuzugewanderten entsprechend vorzubereiten. Aus Sicht des SVR ist es darüber hinaus wichtig, dass Beratung im Sinne einer Lotsenfunktion von Beginn an und durchgehend gedacht wird (vgl. SVR-Forschungsbereich 2020).
Ziel 10 (Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern) umfasst die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen. Dies betrifft auch die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Trotz vieler Fortschritte in den letzten Jahrzehnten ist diese gleichberechtigte Teilhabe noch nicht überall erreicht (s. SVR-Jahresgutachten 2019, Kap. B.1). Neben dem Bildungssystem (s. o.) zeigt sich bspw. hinsichtlich der Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt auch in Deutschland weiterhin eine Lücke zwischen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte: Menschen mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt seltener erwerbstätig, häufiger geringfügig beschäftigt oder in Leih- oder Saisonarbeit tätig, sie erzielen ein geringeres Einkommen und beziehen im Alter niedrigere Renten. Um diese Teilhabelücke zu adressieren, wäre aus Sicht der SVR eine Verzahnung der Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Nationalen Aktionsplan Integration sinnvoll.

Ein Aspekt, der bislang in diesem Bereich fehlt, ist die Bekämpfung von Diskriminierung. Denn nichts widerspricht dem Ideal gleichberechtigter Teilhabe so sehr wie Diskriminierung aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft oder Religion. Studien (u. a. des SVR-Forschungsbereichs 2014) haben gezeigt, dass Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund in Bewerbungsverfahren um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze benachteiligt werden. Es ist darum aus Sicht des SVR unbedingt geboten, Diskriminierung als Hürde für gleichberechtigte Teilhabe auch im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie in den Blick zu nehmen und zu bekämpfen.
Unter Ziel 17 (Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben füllen) wird auch auf die Potenziale von Migration eingegangen. Hier geht es zum einem um die in der Strategie ausführlich betrachtete Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und von Studierenden. Unter den internationalen Studierenden in Deutschland bleiben die in den vergangenen Jahren sogar gestiegen Studienabbruchquoten ein Problem, das auf die Notwendigkeit einer engmaschigeren Begleitung hinweist (SVR-Forschungsbereich 2017a). Zudem sollte die Vorbereitung jener Studierender auf den hiesigen Arbeitsmarkt einen größeren Stellenwert erhalten, denn die in Deutschland ausgebildeten ‚mobilen Talente‘ können eine Antwort auf den steigenden Fachkräftebedarf unter Akademikerinnen und Akademikern sein (SVR-Forschungsbereich 2017b).

Darüber hinaus sollten hierbei aus Sicht des SVR auch nicht-akademische Berufe in den Blick genommen werden. Auch unter Auszubildenden sollte die internationale Mobilität gefördert werden. Die Option einer Zuwanderung für eine berufliche Aus- oder Weiterbildung, die das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ausgebaut hat, wird bislang noch kaum genutzt. Aus Sicht des SVR liegen hier aber Potenziale sowohl für Deutschland als auch für die Herkunftsländer, die davon profitieren können, wenn junge Menschen eine Berufsausbildung in Deutschland absolvieren und ggf. nach einigen Jahren Berufserfahrung mit Kompetenzen, Netzwerken und Erfahrungen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Über Ausbildungspartnerschaften zwischen deutschen Organisationen und Organisationen in Partnerländern können die Ausbildungsstrukturen weiterentwickelt werden; außerdem kann durch nach deutschen Standards aufgebaute Ausbildungsgänge die (ggf. temporäre) Erwerbsmigration nach Deutschland erleichtert werden. In dem Fall ist darauf zu achten, dass über die örtlichen Bedarfe hinaus ausgebildet wird, um einen Braindrain zu vermeiden.

Neben diesen Aspekten, die den Kompetenzbereich des Sachverständigenrats für Integration und Migration betreffen, möchten wir wenige grundsätzliche Punkte anmerken: So wäre es sehr zu begrüßen, wenn Kohärenz und Koordination der Strategie auch dadurch verbessert würden, dass Kapazitäten zur Steuerung im Bundeskanzleramt oder der entsprechende Staatssekretärs-Ausschuss gestärkt werden. Berichte zur Kohärenz in einem regelmäßigen Turnus könnten dazu beitragen, dass diese nicht aus dem Blick gerät. Mindestens genauso wichtig ist die Nachverfolgung der Zielerreichung bezogen auf die ausgewählten Indikatoren. Die breite Verankerung der Nachhaltigkeitsstrategie und ihrer Ziele wird allerdings vor allem davon abhängen, dass ihre kommunikative Vermittlung verstärkt wird. Hier wäre es beispielsweise denkbar, dass die zuständigen Ministerien die Einbettung ihrer Aktivitäten in die Strategie in den entsprechenden Transformationsbereichen expliziter machen. Denkbar sind auch kommunikative Schwerpunkt-Jahre, die von den zuständigen Ministerien genutzt werden, den Zusammenhang der Nachhaltigkeitsstrategie zu anderen Prozessen für ihren Bereich herauszustellen (z.B. im Bereich Integration und Migration mit dem Nationalen Aktionsplan Integration).

Insgesamt lässt sich das Fazit ziehen, dass die Strategie grundsätzlich in die richtige Richtung geht, was den Themenbereich Integration im Sinne chancengleicher Teilhabe und Migration betrifft. Das schließt eine weitere Verstärkung von Ambitionen in oben genanntem Sinne nicht aus.

Prof. Dr. Petra Bendel
Vorsitzende    

Prof. Dr. Daniel Thym
Stellvertretender Vorsitzender


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