Kostengünstiges Frühwarnsystem gegen Erdrutsche

Deutsch-kolumbianisches Projekt Kostengünstiges Frühwarnsystem gegen Erdrutsche

Die Armensiedlungen von Medellín erstrecken sich über Berge, deren Hänge immer wieder nachgeben und ganze Siedlungen unter sich begraben. Deutsche und kolumbianische Forscherinnen und Forscher entwickeln mit Unterstützung der Bundesregierung ein Frühwarnsystem, das die Bewohner rechtzeitig vor einem Erdrutsch warnen soll.

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Auf der ganzen Welt ziehen immer mehr Menschen vom Land in die Stadt. Sämtliche Städte auf der Welt zusammengenommen wachsen pro Woche um 1,4 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner – das entspricht der Einwohnerzahl Münchens. Für den Landschaftsarchitekten Christian Werthmann ist klar: Die Städte wachsen größtenteils ungeregelt. Werthmann ist Professor für Landschaftsarchitektur an der Universität Hannover. Sein Forschungsgebiet: die globale Urbanisierung in prekären Gebieten.

Eine Milliarde Menschen in informellen Siedlungen

Der Begriff "Slums" sei wegen seiner diskriminierenden Konnotation nicht mehr zeitgemäß, weshalb der Wissenschaftler die Bezeichnung "informelle Siedlungen" bevorzugt. Schon jetzt wohnen knapp eine Milliarde Menschen auf der Welt in informellen Siedlungen. 

Auch in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, Medellín, leben rund 200.000 der 2,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner nicht im offiziellen Teil der Stadt, sondern auf selbst erschlossenem Land. Die Menschen flüchteten im jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen der kolumbianischen Regierung und Guerillagruppen vom Land in die Städte. Dort errichteten sie an den Hängen um die Stadt Barackenstädte und Hütten – zunächst gleich neben der offiziellen Stadt am Fuße der Hänge, nach und nach auch in höheren Hanglagen. "Weiter unten sind die Häuser teilweise 50 Jahre alt und haben Wasser- und Stromanschluss", schildert Werthmann. "Wenn man weiter die Berge hinaufgeht, trifft man auf Siedler, die erst seit ein paar Wochen in provisorischen Holzhütten hausen."

Instabile Hänge gefährden Siedlungen

Zwar entspreche Medellín nicht mehr dem Image als Hauptstadt der Drogenkartelle, erklärt Werthmann. "Seit dem Tod von Pablo Escobar (ehemaliges Oberhaupt eines Drogenkartells) im Jahr 1993 ist die Mordrate stetig zurückgegangen", so der Wissenschaftler weiter. Die Gefahr gehe nun jedoch von den zum Teil instabilen Hängen aus: "Das große Problem ist, dass die besiedelten Hänge erdrutschgefährdet sind."

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt Inform@Risk im Programm "CLIENT II – Internationale Partnerschaften für nachhaltige Innovationen"  mit knapp zwei Millionen Euro. Deutsche und kolumbianische Forscher entwickeln in dem Projekt ein Frühwarnsystem, das die Bewohner der informellen Siedlungen von Medellín vor Erdrutschen warnen soll. Das Besondere an dem System ist, dass es kostengünstig und wartungsarm sein wird, weshalb es auch in ärmeren Regionen der Welt zum Einsatz kommen kann. 

Mehrmals im Jahr geraten die Hänge um Medellín ins Rutschen. In den vergangenen 80 Jahren sind 850 Menschen ums Leben gekommen. Weit mehr wurden verletzt oder sind obdachlos geworden. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Hänge seien sich des Risikos bewusst und stünden daher unter mentalen Stress, so Werthmann. Es gebe aber nicht genug Bauland in der eigentlichen Stadt. Hinzu komme, dass die Bewohner stolz darauf seien, in den Hängen zu wohnen: Der Blick über die Metropole sei "fantastisch", die Luft viel besser als in der Stadt selbst und der Zusammenhalt in der gewachsenen Nachbarschaft sehr gut.

Nach mehrfachen Besuchen in Medellín kamen Werthmann und sein Team zu dem Schluss, dass Umsiedlungen für 200.000 Menschen extrem langwierig und kostspielig seien. Als Zwischenlösung müsse die Infrastruktur in den Hängen verbessert werden: Stromleitungen, Kanalisation und befestigte Wege müssten angelegt werden. Notwendig sei auch ein zuverlässiges Frühwarnsystem, das vor bevorstehenden Erdrutschen warnt.

Ein deutsch-kolumbianisches Team aus Stadtplanerinnen und Stadtplanern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Vertreterinnen und Vertretern von Bürgerinitiativen setzt sich für nachhaltige und sichere Stadtteile ein. Das ist ein Beitrag zur Erfüllung des elften Nachhaltigkeitsziels der Vereinten Nationen, Städte und Siedlungen sicher und nachhaltig zu gestalten.

Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung - Ziel 11 : Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen

Einer seiner Mitstreiter ist der Ingenieurgeologe Kurosch Thuro von der Technischen Universität München. Dass die Hänge rund um Medellín extrem rutschanfällig seien, liege an dem Untergrund aus zu Lockergestein verwittertem Grundgebirge: "Durch den hohen Eisengehalt ist das Gestein sehr witterungsempfindlich, sodass es bei Kontakt mit Wasser in geologischen Zeiträumen betrachtet recht schnell verwittert."

Vorwarnzeit von bis zu drei Tagen

Zu Hangrutschen komme es meist in der Regenzeit und besonders nach langanhaltendem Starkregen. "Dieses Wissen machen wir uns beim Frühwarnsystem zunutze“, erklärt Thuro, der ein solches System bereits in den Alpen installiert hat. "Aus den Alpen wissen wir: Es dauert meistens zwei bis drei Tage, bis der Boden so durchweicht ist, dass der Hang versagt." Somit sei eine Vorwarnzeit von mehreren Stunden bis zu drei Tagen denkbar. Diese vergleichsweise lange Vorwarnzeit sei entscheidend, um die Bevölkerung tatsächlich warnen und das gefährdete Areal rechtzeitig evakuieren zu können.

Anzeichen für einen bevorstehenden Erdrutsch

Thuro plant ein Frühwarnsystem, das neben dem Wasserstand noch weitere Indikatoren für einen bevorstehenden Erdrutsch heranzieht: "Wir verlegen auf dem Hang Antennenkabel, die in Bohrlöchern versenkt werden", sagt der Geologe. "Wenn sich ein Kabel verformt, dann ändert sich der Innenwiderstand und daraus können wir auf eine Hangbewegung schließen." Zudem testen die Forscher, ob sich Sensoren, die Alarm schlagen, wenn sich ein bestehender Riss in einer Hauswand verbreitert, als weitere Bausteine des Frühwarnsystems eignen. "Wir könnten sogar mit GPS messen, ob sich der Hang abwärts bewegt", so der Frühwarnexperte. Diese unterschiedlichen Komponenten seien wichtig, um einen Fehlalarm zu vermeiden und nur bei tatsächlich bevorstehenden Erdrutschen zu warnen.

Die entscheidende "letzte Meile"

Für eine effektive Frühwarnung komme es besonders auf die sogenannte "letzte Meile" an, erläutert Werthmann. "Was nutzt eine Frühwarnung, wenn sie ungehört verhallt?", ergänzt Thuro. Wichtig ist deshalb die Zusammenarbeit mit der städtischen Behörde für Katastrophenvorsorge und lokalen NGOs, die in engem Kontakt mit den Bewohnern der Hänge stehen. Sie müssen nun entscheiden, welche Art der Frühwarnung eingesetzt wird – etwa Sirenen, Lautsprecherdurchsagen oder eine Handy-App.

Über die eigentliche Frühwarnung hinaus entwickeln die Forscher geeignete Evakuierungsstrategien. Aufgabe der Behörden vor Ort ist es, befestigte und beleuchtete Fluchtwege anzulegen, über die die Menschen auch nachts zu sicheren Sammelpunkten gelangen können. Durch die enge Verzahnung von Frühwarnung mit Freiraumplanung könnte eine "Win-win-Situation" erzeugt werden, bei der die neuen Wege und Sammelpunkte auch das tägliche Leben in den Siedlungen verbessern.

Kostengünstiges und robustes System

Ziel der Forscher ist ein kostengünstiges und robustes Frühwarnsystem, das weder zu Diebstahl verleitet noch aufwändig zu warten ist. Thuro berichtet: "Das Reizvolle ist, dass sich dieses System in ganz Kolumbien oder sogar in ganz Südamerika installieren ließe – überall dort, wo eine große Gefährdung besteht, aber wenig Geld vorhanden ist."