Dipl.-Ing. Patricia Moock, Wandelpunkt Consulting

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Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Möglichkeit zur Kommentierung und Einladung zum Dialog zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung.

In der Einleitung verweisen Sie auf das Leitmotto "Leave no one behind." – "Niemanden zurücklassen." Wohin die Reise für Deutschland im Punkt Nachhaltigkeit aber gehen soll, beschreiben Sie jedoch konkret nicht. Ich vermisse eine klare Vision für Deutschland für 2030 und wie wir in 2030 zusammen leben werden, gemeinsam Geschäfte machen, wie die Regierung mit Ihren Bürgern interagiert und wie unser Weltbild sein wird. Was wird konkret anders sein? Diesen Punkt vermisse ich schmerzlich, denn die Umsetzung der SDGs erfordert das Prinzip "Lead from the Future". Die Bundesregierung muss schnellstens ein konkretes Zielbild für Deutschland entwickeln wonach sich Zivilgesellschaft und Wirtschaft ausrichten kann. Was ist das konkrete CO2-Ausstoß Ziel für jeden Bürger oder für Unternehmen? Wie wird unser Bildungssystem konkret aussehen? Wie werden unsere Unternehmen wirtschaften? Wie robust wird unser Sozialsystem sein? Usw.

In der Peer Review (siehe S. 37) sind wir darauf hingewiesen worden, dass wir unsere Ziele ehrgeiziger setzen müssen: jedoch sind unter den einzelnen Indikatoren der SDGs teilweise keine langfristigen Ziele definiert, oder Ziele fallen aus dem Himmel. Erreichen wir mit den beschriebenen Maßnahmen überhaupt die Ziele? In wie weit zahlen die Maßnahmen überhaupt konkret auf die Ziele ein? Im Maßnahmenkatalog zu den einzelnen SDGs lese ich zu häufig, dass Berichte eingefordert werden, eine Strategie wird noch erarbeitet, Gründung eines Netzwerks, Gründung einer Plattform, Förderung von Forschungsprojekten etc. Ich lese zu wenig "Umsetzung", "Verabschiedung von Gesetzen" und nur ein einziges Mal "Beschränkung" (SDG 14 – Fischfangbeschränkung). Die Uhr tickt und wir haben leider keine Zeit mehr, um Diskussionsrunden zu gründen, um uns Gedanken über Förderprogramme zu machen oder in weiteren Ausschüsse zu diskutieren: wir müssen konkrete Ziele definieren, handeln/ beschränken & klare Richtungen vorgeben, ehrlich evaluieren und wieder von vorn anfangen.

Ich wünsche mir die gleiche Dringlichkeit in der Strategie zur Nachhaltigkeit wie in der Bekämpfung der Corona-Pandemie: Greifen Sie bitte durch und beschränken Sie nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle, fordern Sie konsequente Umweltberichterstattung und Verpflichtung zur CO2-Emissionstransparenz und -reduktion von jedem Unternehmen – vor allem von energieintensiven Branchen, fordern Sie konsequent von Bürgern nachhaltigen Konsum und fördern Sie nachhaltige Kaufentscheidungen und Lebensstile. Wir brauchen eine Wendung und einen Wandel in unserem Lebensstil und in der Wirtschaft, um die SDGs in die Tat umzusetzen und nicht eine effizientere Gestaltung des Alten Wirtschaftens und der Alten Lebensweise: wir müssen neu gestalten. Und ja, dabei wird auch mal etwas kaputt gehen müssen, um das Neue hervortreten lassen zu können. Hierzu frage ich mich, ob der Mut und die Kreativität bei den Entscheidern vorhanden ist, denn ich vermisse ebenso eine Auseinandersetzung mit den Fehlern und Fehlentscheidungen, die getroffen wurden, weshalb wir vor allem in den letzten Jahren wenig positive Veränderung hinzu Nachhaltigkeit gesehen haben. Wir brauchen eine bessere Fehlerkultur, sodass wir aus der Entscheidungsträgheit aufwachen und die nächsten 10 Jahre nutzen und konsequent handeln und umsetzen. Bitte haben Sie Vertrauen in die deutschen Bürger, dass Sie anpassungsfähig sind und auch beim dringend gebrauchten schnelleren Tempo bei der Umsetzung mitgehen können.

Im Detail möchte ich noch auf die gewählten SDG Indikatoren eingehen. Mir ist bewusst, dass eine Indikatorenauswahl zu den einzelnen SDGs getroffen werden muss, jedoch vermisse ich folgende SDG Indikatoren sehr, bzw wünsche mir Überarbeitung:

SDG 1: Indikator für Relative Armut fehlt – wie im SDG Index Dashboard zu sehen ist verschlechtert sich die der Indikator für Deutschland zunehmend. Für die Stabilität der Gesellschaft ist es jedoch unabdingbar, dass wir die Einkommenschere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufklaffen lassen.

SDG2: Indikator für das Human Trophic Level fehlt – dieser wichtige Indikator zahlt auf viele weitere Indikatoren  günstig ein, wie die NH3 Belastung in der Luft und die Nitratbelastung im Grundwasser, wenn wir ihn denn verringern würden. Deutschland ist hier konstant auf einem nicht nahhaltigem Level von 2.4! Und keine Maßnahme der Bundesregierung zahlt hierauf positiv ein.

SDG3: Feinstaubexposition PM10: S.111f "Somit bildet der Indikator keine flächendeckende Einhaltung des Richtwertes ab, sondern eine auf die Wohnorte der Bevölkerung abseits starker Emissionsquellen für Feinstaub bezogene Einhaltung. Er gibt weder einen Hinweis auf die Höhe der Exposition der Bevölkerung insgesamt noch auf deren Variation im Jahresverlauf. Nicht gesondert betrachtet werden durch diesen Indikator zudem die Belastungen durch kleinere Feinstaubpartikel (PM2,5 und PM0,1)." Wobei 77% der Bewohner in Deutschland in Städten lebt und hier eine deutliche Exposition an Feinstaub besteht! Weshalb wählen und veröffentlichen Sie solche Datenquellen, wenn diese doch keine Aussagekraft besitzen für mehr als zwei Drittel der Bevölkerung?
SDG12: EMAS Umweltmanagement – Hier schreiben Sie "Verschiedene Untersuchungen und Befragungen der EMAS-Unternehmen in Deutschland und EU-weit bestätigen, dass die Teilnahme an EMAS zu Umweltentlastungen führt" (S. 239) und das angestrebte Ziel sind 5000 zertifizierte Standorte. In Deutschland gibt es ca. 18.000 Großunternehmen und schätzungswiese 3,1-3,5 Millionen Unternehmen. Wenn die EMAS Zertifizierung zu deutlichen Umweltentlastungen führt, dann ist doch die Zielsetzung von 5000 Standorten - mit Verlaub gesagt - ein Witz?

SDG12 Nachhaltige Beschaffung - Hier gehen Sie in Ihren Datenquellen auf Recyclingpapier und CO2-Emissionen je Fahrleistungen der Kfz der öffentlichen Hand ein. Mir fehlt hier die Übersicht, was wirklich 80% der Ausgaben in der öffentlichen Beschaffung ausmacht. Ich hoffe doch sehr, dass diese 80% nicht aus Recyclingpapier und KfZ der öffentlichen Hand besteht.  Viel wichtiger wären doch hier Ihre Vorbildfunktion, dass die Länder und Kommunen zum Beispiel keine Aufträge mehr vergeben, an Unternehmen, die deutlich klimaschädlich arbeiten, oder die nicht EMAS-Zertifiziert sind; oder keine Subventionen mehr vergeben werden, wenn Mindestanforderungen aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht eingehalten werden.

SDG13 Energiebezogene CO2-Ausstöße pro Kopf fehlt: Sie schreiben, dass der Großteil der Treibhausgase aus Wärme und Energieverbrauch stammt, dann benötigen wir auch einen Indikator zusätzlich, der dies misst.

SDG16 Jährliche Waffenexporte fehlt – Dieses SDG befasst sich mit Frieden und Gerechtigkeit, jedoch beziehen Sie sich hier nicht auf die Waffenexporte aus Deutschland, die jährlich getätigt werden. Wie können wir uns ernsthaft für Frieden einsetzen, wenn wir auf Platz 4 der weltweiten Waffenexporteure zwischen 2015-2019 sind?

Generell sehe ich in der Berichterstattung keine Konsistenz in der Darstellung der Daten zu den einzelnen SDG Indikatoren. Mal beginnt die Zeitachse bei 2012, mal bei 1990, mal bei 2005. Ebenso wird mit der Baseline-Definition umgegangen. Mal definieren Sie das Referenzjahr mit 2005, mal mit 2012. Für mich ist das keine glaubwürde Datenerhebung und verschleiert auf den ersten Blick die Versäumnisse der letzten 10  Jahre, da hier in den meisten Graphen wenig zieldienliche Entwicklung stattgefunden hat.

Abschließend appelliere ich noch einmal an Sie, die Dringlichkeit der Lage zu erfassen und mit dem nötigen Mut Maßnahmen zu ergreifen, die tatsächlich zur Erreichung der Klimaziele und der SDGs beitragen.


Dipl.-Ing. Patricia Moock, Certified SDG Change Leader
Wandelpunkt Consulting