Brot für die Welt

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Stellungnahme von Brot für die Welt zum Regierungsentwurf der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2021+

Brot für die Welt begrüßt, dass die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) in regelmäßigen Abständen kontinuierlich weiterentwickelt wird und sich das Ambitionsniveau dabei jedes Mal steigert – wenn auch nur in kleinen Schritten. Die Richtung stimmt, aber bei der Reichweite, dem Tempo, der Verbindlichkeit und der Vollständigkeit gibt es noch "viel Luft nach oben".


Als evangelisches Hilfswerk, das in 85 Ländern – vor allem im Globalen Süden – jährlich rund 700 Projekte fördert und sich mit mehr als 2000 Partnerorganisationen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung engagiert, beobachten wir genau, ob die DNS auch die internationale Dimension der Nachhaltigkeit angemessen abbildet – besonders unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Als 2002 das Bundeskabinett zum ersten Mal eine Nachhaltigkeitsstrategie beschloss (damals noch unter dem Namen Nationale Nachhaltigkeitsstrategie), lag der Fokus vor allem auf Herausforderungen des Umweltschutzes in Deutschland. Erst mit der Neuauflage 2016 hielt eine größere Themenvielfalt und die internationale Dimension Einzug in die Strategie, die seitdem Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie heißt und den Anspruch hat, darzulegen, was sich die Bundesregierung vornimmt, um mit, in und durch Deutschland wichtige Beiträge zur Umsetzung der 2015 im Rahmen eines Sondergipfels der Vereinten Nationen beschlossenen Agenda 2030 zu leisten.
Brot für die Welt hatte es in seiner damaligen Stellungnahme sehr begrüßt, dass die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2016 umbenannt, umstrukturiert und dass in 17 Kapiteln analog zu den 17 Zielen der Agenda 2030 für eine globale nachhaltige Entwicklung (SDGs) aufgelistet wurde, was die Bundesregierung zur Erreichung der SDGs bereits getan hat und in Zukunft zu tun gedenkt.

Dennoch hatten wir schon damals in unserer Kommentierung darauf hingewiesen, dass man der DNS noch anmerkt, dass sie aus einer nationalen Umweltstrategie hervorgegangen ist und dass sie trotz der Orientierung an der Agenda 2030 die internationale Dimension immer noch unzureichend berücksichtigt. Dies ist leider in dem nun vorgelegten Regierungsentwurf für die Weiterentwicklung der DNS noch immer so. Die Empfehlung einer internationalen Kommission unter Leitung der ehemaligen neuseeländischen Ministerpräsidentin und UNDP-Chefin Helen Clark, die 2018 in einem Peer Review eine stärkere Berücksichtigung der Wirkungen Deutschlands auf die Erreichung oder Verfehlung der SDGs in anderen Ländern – vor allem des Globalen Südens – angemahnt hatte, wurde anscheinend kaum berücksichtigt.
Auch wenn die Bundesregierung darum gebeten hat, nicht nur auf die Schlüsselindikatoren zu blicken, deren Zahl begrenzt bleiben soll, sondern auch die Umsetzungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen: Es fällt doch auf, dass die drei neuen Indikatoren, die nun in die DNS aufgenommen worden sind, alle lediglich die nationale Ebene berühren und dass es nach wie vor zu mehreren SDGs keine internationalen Indikatoren gibt. Wir hoffen sehr, dass dies im Konsultationsprozess noch korrigiert bzw. nachgeholt wird und liefern in unserer Stellungnahme dazu konkrete umsetzbare Vorschläge. Doch bevor wir auf konkrete Vorschläge zu den Indikatoren und Umsetzungsmaßnahmen eingehen, möchten wir zu übergeordneten Aspekten Stellung nehmen.

Definition Nachhaltigkeit
Vermutlich haben nur redaktionelle Gründe dazu geführt, dass eine hervorragende Passage zur Definition von Nachhaltigkeit, die in der DNS von 2016 auf Seite 24 zu finden ist, in dem nun vorliegenden Regierungsentwurf nur verkürzt wiederauftaucht. Wir plädieren sehr dafür, die vollständige Passage aus der DNS 2016 auch in der DNS 2021 wieder abzubilden. Sie ist so – nahezu wörtlich – auch von der Landesregierung Brandenburg in ihrem Koalitionsvertrag übernommen worden. Und auch die EKD hat in ihrem Impulspapier "Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen"  genau diese Passage anerkennend hervorgehhoben und vollständig zitiert. "Dem Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung zu folgen bedeutet für die Bundesregierung daher, darauf hinzuarbeiten, mit ihrer Politik gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden – in Deutschland sowie in allen Teilen der Welt – und ihnen ein Leben in voller Entfaltung ihrer Würde zu ermöglichen. Dafür bedarf es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle (ein Leben ohne Armut und Hunger; ein Leben, in dem alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit voll entfalten können, vgl. Kernbotschaft der Agenda 2030) die absolute äußere Beschränkung vorgeben." (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Neuauflage 2016, Seite 24)


Dekade des Handelns – in Zeiten von Corona
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung selbstkritisch darauf hinweist, dass auf allen Ebenen deutlich mehr getan werden muss, um bis 2030 die SDGs zu erreichen bzw. ihnen wenigstens signifikant näher zu kommen. Besonders bei den umweltbezogenen SDGs war schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie erkennbar, dass die Zielerreichung in weiter Ferne lag. Durch die Corona-Pandemie, aber auch durch den ungebremsten Klimawandel sind Entwicklungserfolge im Bereich der Armuts- und Hungerbekämpfung wieder zunichtegemacht worden. Die Ungleichheit zwischen den Staaten und innerhalb vieler Gesellschaften nimmt zu. Die Bundesregierung beklagt dies zu Recht. Sie will wichtige Beiträge in der von UN-Generalsekretär Antonio Guterrez ausgerufenen "Dekade des Handelns" leisten und hat sich auch das Ziel gesetzt, in Zeiten von Corona auf eine Stärkung des Multilateralismus zu setzen und Programme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen am Prinzip der Nachhaltigkeit auszurichten. All das ist begrüßenswert, findet sich aber nur sehr bedingt im alltäglichen Regierungshandeln wieder und wird auch in den Kapiteln des nun vorliegenden Regierungsentwurfs für die DNS 2021, in denen es um konkrete Umsetzungsmaßnahmen und Indikatoren geht, nur fragmentarisch abgebildet.
Zielkonflikte offen, transparent und fair austragen
Eine Ursache dafür könnte in ungelösten Zielkonflikten liegen. Notwendige Transformationsprozesse sind auch mit Einschränkungen und zumindest temporären (wirtschaftlichen) Verlusten verbunden – zum Beispiel für Branchen und Verbraucher*innen, die (noch) nicht nachhaltig produzieren und konsumieren.

Verschiedene Akteursgruppen üben Einfluss auf verschiedene Ministerien aus, die sich dann in den Verhandlungen zur Weiterentwicklung der DNS mehr oder weniger auch als Anwälte dieser oder jener Gruppen, Verbände oder Branchen sehen. In gewisser Weise ist es auch verständlich und angemessen, dass das Umweltministerium besonders den Umweltschutz im Blick hat, das Entwicklungsministerium die Überwindung von Armut und Hunger in den Ländern des Globalen Südens betont, das Wirtschaftsministerium an die hiesige Wirtschaft denkt … und so weiter. Solche Zielkonflikte ergeben sich zwangsläufig und sind nichts Schlechtes, wenn sie offen, transparent und fair ausgetragen werden und sich alle Beteiligten auf gemeinsame Prinzipien einigen können – im Nachhaltigkeitsdiskurs auf die Definition von Nachhaltigkeit, wie sie auf Seite 24 der DNS von 2016 dargelegt und als für das gesamte Regierungshandeln leitend herausgestellt worden ist (siehe oben).
Doch oft entsteht der Eindruck, dass in dem Tauziehen bezüglich größerer Projekte (wie etwa der deutschen Positionierung zur EU-Agrarpolitik) oder auch konkreter Nachhaltigkeitsindikatoren diejenigen "gewinnen", hinter denen die mächtigsten Lobbygruppen stehen oder dass zumindest aufgrund des Konsensprinzips in den interministeriellen Arbeitskreisen einzelne Ministerien sehr viel blockieren können.

"Transformationsbremsen" lösen –
Nachhaltigkeitsstrukturen verbessern
Damit solche "Transformationsbremsen" gelöst werden, sollten Zielkonflikte offener, transparenter und fairer ausgetragen und das Konsensprinzip in Frage gestellt oder zumindest dadurch relativiert werden, dass das Kanzleramt stärker eine Mittlerrolle einnimmt und bei anhaltender Blockadesituation mutiger von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht.
Auch sollte die Rolle der Nachhaltigkeits- bzw. SDG-Koordinatoren in allen Ministerien aufgewertet und sichergestellt werden, dass sie am jährlichen Forum Nachhaltigkeit im Kanzleramt teilnehmen und dort auch berichterstatten über die Aktivitäten ihres Ministeriums zur Umsetzung der DNS und der Agenda 2030.

Auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestags sollte aufgewertet und mehr Ressourcen und Kompetenzen erhalten, um sorgfältiger alle Gesetzesvorhaben und Bundestagsbeschlüsse daraufhin überprüfen zu können, ob sie mit dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 vereinbar sind.
Die Aufnahme von Nachhaltigkeit als Staatsziel in die Verfassung könnte ebenso dazu beitragen, dass die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wirklich leitend für das gesamte Regierungshandeln wird und nicht mehr den Eindruck erweckt, eine Strategie neben vielen anderen der Bundesregierung zu sein.

Mit Nachdruck unterstützt Brot für die Welt die Stellungnahmen des Rates für nachhaltige Entwicklung (RNE) zur Weiterentwicklung der DNS – neben den bereits genannten Aspekten vor allem die Forderungen,  sich besonders den off-track-Indikatoren zuzuwenden und die zuständigen Ministerien zum Nachsteuern zu verpflichten, die Idee des "Gemeinschaftswerks Nachhaltigkeit" zu konkretisieren, die Ziele der DNS und der Agenda 2030 auch mit der Haushaltsplanung zu verbinden und nach finnischem Beispiel beim nächsten Bericht Deutschlands vor dem High Level Political (HLPF) 2021 in New York einen konstruktiv-kritischen Bericht der Zivilgesellschaft parallel mit einbringen zu lassen.


Vorschläge zu einzelnen SDG-Kapiteln des Regierungsentwurfs
Da für Brot für die Welt aufgrund seines Mandats besonders die internationale Dimension der Nachhaltigkeit wichtig ist, haben wir uns bei unseren Vorschlägen besonders auf diejenige SDG-Kapitel der DNS konzentriert, zu denen es bisher noch keine internationalen Indikatoren gibt oder bei denen das Ambitionsniveau der internationalen Indikatoren angehoben werden sollte.

SDG 1   Armut in jeder Form und überall beenden
Indikator zur Förderung des Auf- und Ausbaus von sozialen Sicherungssystemen in Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Es ist besonders schmerzlich, dass zum ersten und wohl wichtigsten SDG der Agenda 2030 in der DNS kein internationaler Indikator zu finden ist. Dies sollte unbedingt im Rahmen des jetzt stattfindenden Konsultationsprozesses korrigiert werden. Das Mindeste wäre ein verbindlicher Prüfauftrag.
Brot für die Welt schlägt vor, einen Indikator zu entwickeln und in die DNS zu integrieren, mit dem Umfang und/oder Wirkung von Maßnahmen gemessen werden können, mit denen Deutschland Partner der Entwicklungszusammenarbeit beim Aufbau und der Stärkung sozialer Sicherungssysteme unterstützt.
Denkbar wäre, in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die durch bi- oder multilaterales Engagement im Aufbau sozialer Sicherungssysteme unterstützt werden, den Prozentsatz der Bevölkerung zu ermitteln, der zusätzlich von sozialer Grundsicherung (Social Protection Floors) abgedeckt wird. Die dafür benötigten Daten werden regelmäßig von der Internationalen Arbeitsorganisation zusammengestellt (vgl. ILO Social Protection Report) und auch für das Monitoring von Indikator 1.3.1 der Agenda 2030 verwendet.

Denkbar wäre alternativ, den Einsatz der Bundesmittel zur Unterstützung von Partnerländern beim Auf- und Ausbau von sozialen Sicherungssystemen zu ermitteln oder die Zahl der Partnerländer, die mit Unterstützung der deutschen EZ den Auf- und Ausbau von Social Protection Floors in Angriff nehmen. Durch die Einführung eines eigenen CRS-Codes für soziale Sicherung (CRS 16010) im BMZ im Jahr 2019 wäre eine solche Auswertung ab sofort unkompliziert möglich. In allen Varianten soll als Ziel eine signifikante Steigerung angestrebt werden.
Der Vorschlag, die deutschen Beiträge zum Aufbau- und der Stärkung sozialer Sicherungssysteme in Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit zu messen, bezieht sich auf Unterziel 1.3 der Agenda 2030 sowie auf die Umsetzung der Beschlüsse der internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba (Juli 2015), in denen den Entwicklungsländern "starke internationale Unterstützung" beim Auf- und Ausbau von sozialen Sicherungssystemen zugesagt wird. Auch hat sich die Bundesregierung durch die Verabschiedung der Empfehlung 202 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 2012 zur Grundsicherung (Social Protection Floors Recommendation) zur Unterstützung der internationalen Umsetzung sozialer Sicherheit verpflichtet.
Die Corona-Pandemie hat wieder einmal deutlich gezeigt, dass bei fehlenden oder völlig unzureichenden sozialen Sicherungssystemen externe Schocks sehr schnell dazu führen, dass große Bevölkerungsanteile wieder in extreme Armut abrutschen und dann existenziell bedroht sind. Nicht nur das Corona-Geschehen, auch zunehmende Wirbelstürme, Überschwemmungen, Waldbrände und Dürrekatastrophen aufgrund des Klimawandels machen deutlich, dass externe Schocks zunehmen werden und SDG 1 nicht erreicht werden kann, wenn nicht soziale Sicherungssysteme besonders in den ärmeren Ländern auf- und ausgebaut werden.

SDG 2   Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und bessere    Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

Wir begrüßen sehr, dass der von uns 2015 vorgeschlagene und 2018 in die DNS integrierte Indikator 2.2 zur Stärkung des Rechts auf Nahrung noch weiter präzisiert worden ist und dass die Bundesregierung in dem Regierungsentwurf zur Weiterentwicklung der DNS so stark die Rolle des Welternährungsrats CFS und seines zivilgesellschaftlichen Mechanismus betont.

Das Regierungshandeln bezüglich des 2021 bevorstehenden Food Systems Summit der Vereinten Nationen in New York, bei dem der CFS vermutlich außen vor bleiben und dafür Akteuren, die eine industrielle Agrarwirtschaft propagieren, viel Raum gegeben werden soll, steht allerdings im Widerspruch dazu.
Nach unseren Erfahrungen gibt es sowohl im BMEL als auch im BMZ nach wie vor Anhänger*innen verschiedener „Schulen“ und Denkrichtungen und noch keine Einigung, mit welchen Strategien SDG 2 erreicht werden soll. Stärker als bisher sollte von beiden Ministerien beachtet werden, dass es in SDG 2 sowohl um die Bekämpfung des Hungers als auch um die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft geht. In den Unterzielen von SDG 2 wird eine besondere Unterstützung für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Landarbeiter*innen, Hirt*innen und für die handwerkliche Fischerei angemahnt. Und bei der Wahl der Strategien und Methoden zur Erreichung von SDG 2 soll – wie bei jedem SDG – beachtet werden, dass sie nicht die Erreichung anderer Ziele (Klimaschutz, Erhalt der biologischen Vielfalt, Verringerung der Ungleichheit etc.) erschweren oder gar unmöglich machen.

Bereits im Zuge der Erarbeitung der DNS 2016 und ihrer Aktualisierung 2018 gab es im BMZ und BMEL sowie in zivilgesellschaftlichen Organisationen die Überlegung, flankierend zu dem Indikator 2.2 auch den Hunger-Index in den Partnerländern der deutschen EZ zu messen und ebenso den Flächenverbrauch des deutschen Ernährungskonsums im Globalen Süden oder zumindest in den Ländern mit einem (von der FAO und der WHO bestätigten) signifikanten Ernährungsproblem. Ein solcher Indikator sollte darauf abzielen, vor allem Futtermittelimporte aus Ländern, in denen Menschen hungern, zu verringern und dort Flächenkonkurrenzen zu entschärfen. Brot für die Welt empfiehlt, diese Diskussion wiederaufzunehmen und die Entwicklung dieser flankierenden Indikatoren sowie ihre Integration in die DNS zu prüfen.

SDG 3   Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters
gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
Indikator zur Stärkung von öffentlichen Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern

Zu SDG 3 gibt es in der DNS acht Indikatoren, die sich auf die Förderung der Gesundheit in Deutschland beziehen, aber bisher keinen einzigen, der die Erreichung von SDG 3 global in den Blick nimmt. Der Blick auf die gegenwärtige Corona-Pandemie macht jedoch sehr deutlich, wie wichtig es ist, dass es in allen Ländern funktionierende Gesundheitssysteme gibt. In vielen Ländern mit niedrigem Einkommen fehlt es nach wie vor am Nötigsten, um selbst vermeidbare und/oder leicht zu behandelnde Krankheiten zu besiegen. Vor allem der armen Bevölkerungs(-mehrheit) fehlt oft der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen.
Deshalb wird vorgeschlagen, einen Indikator zur Förderung der Gesundheit der Menschen in den Entwicklungsländern in die DNS zu integrieren. Der Vorschlag bezieht sich auf Unterziel 3.c der Agenda 2030. Die internationale Staatengemeinschaft hat in der Agenda 2030 den Entwicklungsländern zugesagt, sie beim Aufbau und der Stärkung ihrer Gesundheitssysteme zu unterstützen und dafür die Finanzmittel signifikant zu erhöhen.  An dieser Zusage sollte sich auch Deutschland orientieren und einen entsprechenden Indikator mit ambitioniertem Ziel in die DNS aufnehmen. Gemessen werden könnte die Höhe der Investitionen in öffentliche Gesundheitssysteme von Entwicklungsländern mit dem Ziel, diese bis 2025 auf mindestens 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit zu steigern.

Indikator zur Förderung der Forschung zu vernachlässigten Krankheiten

Zwar wird zurzeit unter Hochdruck geforscht, um Medikamente und Impfstoffe gegen das Sars-Cov2-Virus zu entwickeln, das die Corona-Pandemie ausgelöst hat, aber gegen andere Krankheiten, unter denen vor allem die Menschen in den tropischen Entwicklungsländern zu leiden haben, wird die Forschung und Entwicklung eher vernachlässigt, beziehungsweise sind Produkte durch den vorherrschenden Patentschutz oftmals nicht erschwinglich für ärmere Menschen. Es wird empfohlen, unter Bezug auf SDG-Unterziel 3.b ("Forschung und Entwicklung zu Impfstoffen und Medikamenten für übertragbare und nichtübertragbare Krankheiten zu unterstützen, von denen hauptsächlich Entwicklungsländer betroffen sind, und den Zugang zu bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen gewährleisten") zu prüfen, ob ein Indikator entwickelt werden kann, der darauf abzielt, Forschungsanstrengungen in Deutschland in Bezug auf bisher vernachlässigte Krankheiten, bzw. Krankheiten, von denen besonders Menschen in Entwicklungsländern betroffen sind, zu steigern und dabei öffentliche Investitionen immer mit Zugangskriterien zu verknüpfen, so dass die Produkte dann auch weltweit verfügbar sein werden.

Zwar nicht zu SDG 3, sondern zu SDG 9 (u. a. Innovationen unterstützen) hatte es im Zuge der Aktualisierung der DNS (2017/2018) Konsultationen gegeben, um einen Indikator zu entwickeln, der die Wirkung von Forschungsinvestitionen misst. Ein zunächst vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingebrachter Vorschlag (Anzahl weltmarktrelevanter Patente pro Millionen Einwohner) wurde wieder zurückgezogen, weil in den Konsultationen eine Reihe von Organisationen zurecht bemängelten, dass die Zahl der Patente nichts darüber aussagt, welchen Beitrag sie zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Patente könnten sogar einen negativen Einfluss auf die Erreichung der SDGs haben, wenn sich dadurch beispielsweise Medikamente derart verteuern würden, dass die arme Bevölkerungs(mehrheit) in Entwicklungsländern keinen Zugang zu ihnen hätte.

Es wird eine Prüfung empfohlen, ob ein Indikator entwickelt werden kann, der darauf abzielt, Forschungsanstrengungen zu fördern, die auf SDG-Unterziel 3.b Bezug nehmen und zu Ergebnissen führen, die der Gesundheit von Menschen in allen Ländern dienen – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Einkommen. Ein solcher Indikator könnte auch dem Kapitel zu SDG 9 zugeordnet werden.

Indikator zur Verringerung des Fleischkonsums in Deutschland

Der Fleischkonsum ist in Deutschland zwar in den letzten Jahren leicht gesunken, liegt aber immer noch weit über dem, was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für eine gesunde Ernährung empfiehlt. Deshalb hatte die DGE bereits im Rahmen der Konsultationen zur Neuauflage der DNS 2015/2016 vorgeschlagen, einen Indikator zur Reduzierung des Fleischkonsums in Deutschland in die DNS aufzunehmen. Brot für die Welt empfiehlt, diese Anregung wiederaufzunehmen und bei dem anzustrebenden Zielwert nicht nur die Empfehlungen der Wissenschaft für eine gesunde Ernährung bzw. Mischkost zu Grunde zu legen sondern sich auch an der Fleischmenge zu orientieren, die mit nachhaltig angebauten Futtermitteln aus Deutschland bzw. Europa produziert werden kann.
Ein solcher Indikator hätte positive Auswirkungen auf SDG 2 (Hunger beenden), weil der enorme Flächenverbrauch Deutschlands in Ländern des Globalen Südens für den Anbau von Futterpflanzen für die hiesige Tierzucht dort u. a. zu Flächenkonkurrenzen führt und vor allem Kleinbäuerinnen und Kleinbauern erschwert, genügend Nahrungsmittel für die Ernährung der eigenen Bevölkerung anzubauen. Er hätte ebenso positive Auswirkungen auf die Erreichung der umweltbezogenen SDGs (Schutz des Klimas, der Böden, der Gewässer, der Wälder und der biologischen Vielfalt).

Maßnahmen, die zur Erreichung der Ziele eines solchen Indikators führen würden, wären eine Ausweitung der Eiweißstrategie des BMEL (Förderung des Leguminosenanbaus in Deutschland und der EU). Ebenso sollten steuerliche Maßnahmen geprüft werden, die den Fleischkonsum verringern und/oder den Preisunterschied zwischen nachhaltig und mit hiesigen Futtermitteln produziertem Fleisch und konventionellem Fleisch geringer macht. Ein solcher Indikator hätte Auswirkungen auf mehrere anderen SDGs und könnte auch unter den Kapiteln zu SDG 2 und SDG 12 aufgeführt werden.

SDG 4   Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern

Für eine gesamtgesellschaftliche sozial-ökologische Transformation bedarf es der Beteiligung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und einer breiten Öffentlichkeit.
Entwicklungspolitische Bildungsarbeit leistet in diesem Rahmen einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und muss daher auch in der Weiterentwicklung der DNS mit einem Indikator versehen werden. Kinder und Jugendliche sind im Sinne von "nothing about us without us" Teil des Wandels und sollten daher in ihren Beteiligungsmöglichkeiten gestärkt werden. Dafür brauchen sie glaubwürdige Angebote, im non-formellen wie im formellen Bereich. Wichtige Handlungsräume stellen insbesondere Schulen und (pädagogische) Hochschulen dar. Sie sind der Ort, wo Wissen erworben, (Selbst-)Erfahrungen gemacht und Reflexionsräume geöffnet werden. Transformative Bildungsansätze sind dabei ein entscheidendes Mittel, denn sie basieren auf den Grundlagen erfahrungsbezogenen und handlungsorientierten Lernens. Gleichwohl braucht es dafür nicht nur die Vermittlung der geeigneten Instrumente. Auch die Lernräume an Schulen müssen sich verändern, um beteiligungsorientierte, kreative und experimentelle Lernerfahrungen zu ermöglichen. Dabei tragen die Lehrenden eine zentrale Verantwortung. Es liegt an ihnen, ob sich Schüler*innen mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen, sie sich zu eigen machen und in ihren Alltag integrieren. Voraussetzung ist, dass sich auch Lehrkräfte im Sinne von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Global Citizenship Education als Teil der Weltgemeinschaft verstehen, diese aktiv mitgestalten und ihre Lehrpläne in diesem Sinne ausgestalten.
Den Rahmen dafür bilden u. a. Angebote aus dem Globalen Lernen, in denen Südperspektiven differenziert dargestellt werden und eine inklusive, Rassismus kritische Haltung befördert wird. Um dem gerecht zu werden, braucht es eine Transformation der Lehrkräfteausbildung. BNE und Global Citizenship Education mit ihrem partizipativen Ansatz von einem globalen dialogischen Verständnis weltbürgerlicher Verantwortung müssen in den Hochschulen als Teil des Lehramtsstudiums, in der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden und Multiplikator*innen (einschl. in den entsprechenden Prüfungsordnungen) verpflichtend aufgenommen werden.
Ein Indikator könnte darauf abzielen, die Zahl oder den Anteil der Lehrpläne von Schulen und Pädagogischen Hochschulen zu messen, in denen BNE und Global Citizenship Education verankert sind.

Die Bundesregierung hatte ja bereits zugesichert, einen Indikator für BNE zu prüfen. In dem nun vorliegenden Regierungsentwurf wird auf Seite 55 berichtet, das seit Januar 2019 vier Forschungsverbünde damit befasst seien aber bisher nur einen BNE-Indikator zur Lehrkräftefortbildung für anwendbar hielten. Auch wenn noch weitere und umfassendere Indikatoren geprüft werden sollen, erschließt sich uns nicht, warum nicht der bereits vorliegende und als praxistauglich bewertete Indikator zur Lehrkräftefortbildung jetzt in die DNS integriert wird.

SDG 7   Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und
moderner Energie für alle sichern

Wir plädieren dafür, den Indikator 7.2.a (Anteil Erneuerbare Energie am Brutto-Endenergieverbrauch) bezüglich des Ambitionsniveaus des Ziels anzuheben:  auf 40 % bis 2030 und auf 100 % bis 2050. Ebenso plädieren wir dafür, den Indikator 7.2.b (Anteil des Stroms aus EE am Bruttostromverbrauch) bezüglich des Ziels anzupassen: Anstieg auf 85 % bis 2030 und auf 100 % bis spätestens 2040. Um die Klimaziele erreichen zu können, ist ein viel schnellerer Ausbau unumgänglich. Durch Innovationen in den letzten Jahren sind EE zudem viel günstiger geworden, so dass inzwischen weder technisch noch ökonomisch etwas dagegenspricht, den EE-Ausbau zu beschleunigen. Eine Orientierungshilfe für angemessene Ausbauziele hat das Umweltbundesamt in seiner Studie "RESCUE – Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität“ geliefert. Die Indikatoren 7.2.a und 7.2.b sollte sich am „Green Supreme Szenario" der RESCUE-Studie orientieren und die Zielmarken daraus wie vorgeschlagen übernehmen.

SDG 8   Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges
Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und
menschenwürdige Arbeit für alle fördern  

Indikator zum Pro-Kopf-Materialverbrauch mit dem Ziel der Reduzierung um 50 % bis 2030

Für die sparsame Nutzung von Ressourcen betrachtet Brot für die Welt einen Indikator zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs als essentiell. Primäre Rohstoffe sind begrenzt und ihr Abbau ist oft mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt verbunden. Laut Umweltbundesamt ist es daher ein Ziel der deutschen Umweltpolitik, die Rohstoff möglichst effizient zu nutzen. Auf der Basis der Entwicklung zwischen 2000 und 2010 strebt die Bundesregierung eine jährliche Steigerung der Rohstoffproduktivität von mindestens 1,5 % an. "Gesamt-rohstoffproduktivität" ist aber als alleiniger Indikator nicht ausreichend. Vielmehr empfiehlt Brot für die Welt ergänzend den Primärrohstoffverbrauch pro Kopf (RMC/Kopf) zu ermitteln und mit einem quantifizierten Ziel für eine absolute Reduktion zu unterlegen.

Geeignete Maßnahmen hierfür sind z. B. die Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist bei Geräten, die Steigerung von Recyclingquoten und die Einführung einer Müllverbrennungssteuer. Auch weitere relevante Ressourcenverbräuche wie z. B. der Land- und Wasserverbrauch (auch in Exportländern) müssen erheblich reduziert werden.
Für einen gesetzlichen Rahmen zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten von Unternehmen mit globalen Lieferketten
Die Anzahl der Mitglieder des Textilbündnisses scheint als Indikator für die Ermöglichung menschenwürdiger Arbeit weltweit (DNS-Indikator 8.6 "Globale Lieferketten") wenig geeignet. Nicht das Engagement der Bundesregierung für Nachhaltigkeit wird darin deutlich, sondern das von Unternehmen, die dieses Thema selbst für wichtig erachten. Darüber hinaus ist der Textilsektor nur ein – wenn auch nicht unbedeutender – Sektor, in dem Anstrengungen nötig sind, um menschenwürdige Arbeit weltweit zu ermöglichen. Schließlich handelt es sich bei dem Textilbündnis um freiwillige Nachhaltigkeitsinitiativen, ebenso wie z. B. beim Grünen Knopf. Solche Initiativen sind begrüßenswert und wichtig auf dem Weg hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften, sie müssen jedoch durch gesetzliche Maßnahmen begleitet werden. Denn Unternehmen, die auf Kosten ihrer Mitarbeitenden und der Umwelt produzieren, genießen bislang deutliche Wettbewerbsvorteile gegenüber nachhaltig produzierenden Unternehmen, weil sie die Kosten für Verletzungen von ILO-Arbeitsstandards und Umweltschäden nicht einpreisen.
Gerade in Zeiten von Corona – bereits jetzt gibt es Berichte aus asiatischen Ländern, dass europäische Textilunternehmen die Hälfte ihrer Aufträge stornieren und zahlreiche Angestellte entlassen werden – wird deutlich, dass Menschen am Anfang der Lieferkette, die meist nicht sozial abgesichert sind und aufgrund geringer Gehälter keinerlei Rücklagen haben – besonders vulnerabel sind. Durch die Schaffung verbindlicher Rahmenbedingungen in Form eines Lieferkettengesetzes bzw. eines Gesetzes zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten von Unternehmen käme Deutschland seiner globalen Verantwortung als führende Wirtschaftsnation nach, die von Globalisierung profitiert und durch die Stellung als drittgrößte Importnation den Einfluss hat, durch die Etablierung von sozialen und ökologischen Standards die weltweiten Produktionsbedingungen zu verbessern und menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern.  Ein starkes Lieferkettengesetz würde dafür sorgen, dass Unternehmen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Wertschöpfungsketten vermeiden, bei Verstößen mit Konsequenzen zu rechnen haben und Betroffene vor deutschen Gerichten Schadensersatz einklagen können, wenn ein Unternehmen seinen menschenrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Auch die freiwilligen Nachhaltigkeitsinitiativen der Bundesregierung würden dadurch aufgewertet, da sie einen Beitrag zur Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben leisten könnten. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung mit Nachdruck für eine europäische Regelung zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten von Unternehmen einsetzen und sich aktiv und konstruktiv am Prozess zur Erarbeitung eines UN-Abkommens für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzen.

Weitere Indikatoren überprüfen und anpassen

Die Indikatoren 8.2.a und 8.2.b, die auf die "schwarze Null" zielen, sollten im Lichte notwendiger nachhaltiger Konjunkturmaßnahmen zur Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sowie wichtiger Zukunftsinvestitionen, die nötig sind, um die SDGs zu erreichen, kritisch hinterfragt werden. Mit Nachdruck unterstützen wir die Stellungnahme des RNE, der wiederholt angemahnt hat, den Indikator 8.4 durch einen alternativen Wohlstandsindex zu ersetzen oder zumindest damit zu ergänzen. Auch in der Agenda 2030 ist bereits verankert, dass wirtschaftliches Wachstum gemessen am BIP nichts aussagt über eine nachhaltige Entwicklung, sondern – im Gegenteil – unter Umständen einer nachhaltigen Entwicklung entgegenläuft.

Den Indikator 8.6 (Zahl der Mitglieder des Textilbündnisses) halten wir – wie gesagt – nicht für zielführend. Das Textilbündnis hat nicht nur Mitglieder, die in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte signifikante Fortschritte anstreben, sondern auch solche, die eher den Status quo beibehalten wollen und auf der Bremse stehen. Sinnvoller wäre es, diesen Indikator zu streichen und dafür im Kapitel zu SGS 12 (Nachhaltige Produktions- und Konsummuster) - wie von uns vorgeschlagen - das neue staatliche Textilsiegel "Grüner Knopf" für die nachhaltige Beschaffung des Bundes zu nutzen.
Sollte der Indikator 8.6 beibehalten werden, dann müsste er modifiziert werden, damit nur solche Mitglieder des Textilbündnisses gezählt werden, die nachweislich Beiträge zu mehr Nachhaltigkeit und dem Schutz menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten leisten. Dies könnte zum Beispiel dadurch geschehen, dass nur Unternehmen gezählt werden, die die Unternehmenskritierien des Grünen Knopfes erfüllen und Produkte mit dem Grünen Knopf auf den Markt bringen.

SDG 9   Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen,
breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und
Innovationen unterstützen

Mit der Agenda 2030 haben die Regierungen der Welt das Versprechen gegeben, hochwertige, verlässliche, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastrukturen aufzubauen, wirtschaftliche Entwicklung sowie menschliches Wohlergehen zu fördern und dabei den Schwerpunkt auf einen erschwinglichen und gleichberechtigten Zugang zu legen. Weiterhin versprachen sie, inklusive und nachhaltige Industrialisierung zu fördern und bis 2030 den Anteil der Industrie an der Beschäftigung und am Bruttoinlandsprodukt entsprechend nationaler Gegebenheiten erheblich zu steigern (SDGs 9.1 und 9.2 der Agenda 2030). Brot für die Welt erachtet es für eine globale nachhaltige Entwicklung als grundlegend, SDG 9.1 und 9.2 vorrangig auf die Gesellschaften des Globalen Südens zu beziehen.

In der DNS sollte die Schlüsselrolle von Investitionen und Infrastrukturförderung für die wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Globalen Südens stärker beleuchtet und betont werden, die deutschen Beiträge zur Wirtschaftsentwicklung im Globalen Süden zu stärken, an strenge Nachhaltigkeitskriterien auszurichten und mit eng getakteten Auswertungs- und Berichtpflichten zu versehen. Alle Public Private Partnerships und Wirtschaftsförderprogramme müssen mit den Prinzipien der DNS und der Agenda 2030 im Einklang sein.

SDG 10   Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
Indikator zur Förderung des Auf- und Ausbaus von Steuersystemen in Partnerländern

Ein gut funktionierendes solidarisches Steuersystem mit progressiven Sätzen ist elementar, damit ein Staat genügend Einnahmen hat, um seinen Pflichten nachzukommen und der gesamten Bevölkerung Sicherheit im umfassenden Sinn zu geben und ihr Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Ein effektives Steuersystem mit progressiven Sätzen trägt auch zur Verringerung der Ungleichheit bei. Es wird vorgeschlagen, einen Indikator mit Bezug zu SDG 10.4 zu entwickeln, der das Engagement der Bundesregierung misst, Partnerländer beim Aufbau und der Stärkung von effektiven solidarischen Steuersystemen zu unterstützen. So könnte etwa die Zahl der Länder und/oder Programme ermittelt werden, die Deutschland bzw. mit denen Deutschland den Auf- und Ausbau effektiver und solidarischer Steuersysteme unterstützt. Ziel wäre dann eine signifikante Steigerung bis 2030. Noch besser wäre es, den Erfolg dieser Programme zu messen. Dies könnte sich in Sachen Datenerhebung als schwierig erweisen, sollte aber geprüft werden. Als zusätzliche Maßnahmen sollte eine enge Zusammenarbeit Deutschlands mit Partnerländern zur Eindämmung von Steuerflucht, Steuervermeidung und illegalen Finanzströmen in die DNS integriert werden.
Steuerflucht, Steuervermeidung, aber auch illegale Finanzaktivitäten wie grenzüberschreitende Geldwäsche begrenzen die Kapazität von Ländern des Globalen Südens, eigene öffentliche Finanzmittel für die Umsetzung der SDGs bereitzustellen. Für die Umsetzung von SDG 10 sind die Möglichkeiten und der Grad der internationalen Kooperation bei der Schließung von Steueroasen und Bekämpfung von illegalen Finanzströmen daher zentral. Besondere Bedeutung der Bekämpfung von Steuerflucht, Steuervermeidung und illegalen Finanzströmen kommt u. a. dem zwischenstaatlichen Informationsaustausch für die Festsetzung und Einforderung von Steuern, verankert in einem international verbindlichen Abkommen für die internationale Zusammenarbeit im Bereich Besteuerung zu. Ein starkes Engagement Deutschlands für eine UN-Konvention zur umfassenden Bekämpfung von Steueroasen, Steuermissbrauch durch multinationale Unternehmen und anderen illegalen Finanzströmen durch einen universellen, zwischenstaatlichen Prozess auf der Ebene der Vereinten Nationen sollte als Umsetzungsmaßnahme in der DNS verankert werden.

SDG 12   Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

Indikatoren zum nachhaltigen Konsum und zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung

In der DNS sind bereits zu SDG 12 zwei Indikatoren integriert, die sich auf SDG 12.7 der Agenda 2030 beziehen und auf nachhaltigen Konsum und nachhaltige öffentliche Beschaffung abzielen. Dabei geht es jedoch bisher ausschließlich um Produkte, die ein staatliches Umweltzeichen tragen. Die Ausweitung auf Produkte und Dienstleistungen, die mit glaubwürdigen und anspruchsvollen Umwelt- und Sozialsiegeln ausgezeichnet sind, wird in der DNS als "perspektivisch" bezeichnet. In zwei Workshops im Rahmen des vom Bundeskanzleramt einberufenen "Forum Nachhaltigkeit" wurde verdeutlicht, dass aus juristischen Gründen Siegel privater Trägerorganisationen – wie etwa das Fairtrade-Siegel von Transfair e.V. bzw. Fairtrade International – auch wenn sie gemeinnützig sind,  in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung nicht als Nachweis für die Nachhaltigkeit von Produkten ausgewiesen werden dürfen. Maßstab dürften nur staatliche Siegel sein, weil sonst Siegelvergabeorganisationen mit sehr unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen dagegen klagen könnten, warum das Siegel einer bestimmten Organisation als Nachweis diene, ihres aber nicht. Dies ist bedauerlich, weil gerade das Fairtrade-Siegel eine anerkannt hohe Glaubwürdigkeit aufweist, eine große Produktpalette abdeckt (u. a. Kaffee, Tee, Kakao, Bananen, Fruchtsäfte, Baumwolle etc.) und durch Mindestpreise und Prämien vor allem für Produzent*innen im Globalen Süden sehr stark die soziale Dimension der Nachhaltigkeit abdeckt, die bei den staatlichen Umweltzeichen kaum berührt wird. Aus dem Dilemma herausführen könnte so etwas wie ein staatlicher "Siegel-TÜV". Die Bundesregierung müsste gesetzlich festlegen, welche Kriterien ein Siegel erfüllen muss, um als glaubwürdig und anspruchsvoll zu gelten und als Nachweis für Nachhaltigkeit in der DNS dienen zu können.
Es gibt zwar bereits die von der GIZ im Auftrag des BMZ gestaltete Seite "Siegelklarheit", die aber bisher nur als Service für private und öffentliche Konsumenten bzw. Beschaffer dient und keine gesetzliche Grundlage hat. Brot für die Welt empfiehlt deshalb, diesen Service auszuweiten und auf gesetzliche Grundlage zu stellen, um im viel beklagten "Siegel-Dschungel" Streu von Weizen trennen und glaubwürdige und anspruchsvolle Siegel privater Trägerorganisationen für die DNS nutzen zu können. Dies würde es ermöglichen, die bereits vorhandenen Indikatoren für nachhaltigen Konsum und nachhaltige öffentliche Beschaffung auf eine viel breitere Basis zu stellen und neben der ökologischen Dimension auch die internationale soziale Dimension der Nachhaltigkeit einzubeziehen.
Einen solchen "Siegel-TÜV" zu prüfen hat auch bereits der Deutschen Bundestag in einem Beschluss vom 12.11.2019 (BT-Drucksache 19/15062) gefordert. Darin heißt es u. a.:
 "Es sollte deshalb geprüft werden, ob bereits bestehende Portale der Bundesregierung wie siegelklarheit.de zu einer staatlichen Kontroll-und Überprüfungsinstanz ("Siegel-TÜV") für Zertifizierungssysteme ausge¬baut werden können, um im "Siegel-Dschungel" Spreu von Weizen zu trennen".


Auch der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) hat eine solche staatliche Kontroll-und Überprüfungsinstanz gefordert, damit glaubwürdige Sozial- und Umweltsiegel privater Trägerorganisationen für Indikatoren in der DNS genutzt werden können, was ja "perspektivisch" bereits vorgesehen ist und nun auch realisiert werden sollte.

Seit September 2019 liegt mit dem "Grünen Knopf" zum ersten Mal ein staatliches Siegel vor, das auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit einbezieht. Auch wenn es sicherlich bezüglich des Anspruchsniveaus noch ausbaufähig ist (und ja auch noch erweitert und geschärft werden soll), kann es bezüglich des Textilbereichs schon jetzt als Nachweis für den nachhaltigen Konsum und die nachhaltige öffentliche Beschaffung herangezogen werden.

Brot für die Welt empfiehlt deshalb, neben der bereits erwähnten Entwicklung eines staatlichen "Siegel-TÜV", die DNS-Indikatoren 12.1.a und 12.3.a um den Textilbereich zu ergänzen und den Marktanteil von mit dem "Grünen Knopf" ausgezeichneten Textilien zu messen und mit einer angemessenen Zielvorgabe zu versehen. Ein solcher Indikator wäre aussagekräftiger als der bisherige Indikator 8.6, der lediglich die Anzahl der Mitglieder der Multi-Stakeholder-Plattform "Textilbündnis" misst und könnte deshalb diesen Indikator ersetzen.

Ein neuer DNS-Indikator 12.3.c, der sich auf die öffentliche Beschaffung bezieht, sollte den Anteil der mit dem "Grünen Knopf" ausgezeichneten Textilien messen, die der Bund mit seinen untergeordneten Behörden bzw. Einrichtungen anschafft. Hier ist eine große Hebelwirkung zu erwarten, allein wenn man an Gardinen, Tischtücher, Handtücher, Bettwäsche, Uniformen und andere Arbeitskleidung denkt. Es sollte eine ambitionierte aber auch bezüglich des Angebots erreichbare Zielvorgabe (Anteil und Jahr der Zielerreichung) ermittelt und festgelegt werden.

Indikator zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung
In der 2018 erfolgten Aktualisierung der DNS hat die Bundesregierung angekündigt, unter Bezug auf SDG 12.3 der Agenda 2030 einen Indikator zu entwickeln, der auf die Verringerung von Lebensmittelverschwendung (durch Nachernteverluste und unnötige Lebensmittelabfälle) abzielt. Wie in der DNS bereits zutreffend beschrieben, hätte eine signifikante Verringerung der Lebensmittelabfälle in Deutschland auch positive Umweltauswirkungen – national wie international – und würde Flächenkonkurrenzen in Entwicklungsländern verringern, weil dadurch auch der Flächenverbrauch Deutschlands im Globalen Süden sinken würde. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Erreichung von SDG 2 (Hunger beenden).
Ein Indikator mit ambitionierter Zielvorgabe zur Verringerung von Lebensmittelverschwendung wurde bereits 2016 von Brot für die Welt, RNE und mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen (u. a. Deutscher Bauernverband, NaBu) gefordert. 2018 berichtete die Bundesregierung, dass noch auf europäischer Ebene eine einheitliche Methodik für die Berichterstattung und die Definition von Lebensmittelabfällen entwickelt werden müsste. Sollte Einigkeit auf europäischer Ebene noch nicht erzielt worden sein oder sich als äußerst schwierig erweisen, empfiehlt Brot für die Welt der Bundesregierung, nun nicht mehr länger darauf zu warten, sondern jetzt unabhängig davon einen Indikator für Deutschland zu entwickeln und sich dabei stark an SDG 12.3 der Agenda 2030 zu orientieren, das die Halbierung der Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene fordert.

Mehr Nachhaltigkeit auch in die Handelsverträge

In einer globalisierten Welt, in der die produzierten Güter zu einem erheblichen Anteil international gehandelt werden, kann die Nachhaltigkeit bei der Produktion insbesondere dadurch verbessert werden, indem bilaterale und multilaterale Handelsabkommen sozial und ökologisch nachhaltig sowie menschenrechtskonform ausgestaltet werden. Durch die Verabschiedung der Agenda 2030 sowie des Pariser Klimaabkommens haben sich die Widersprüche zwischen dem gegenwärtigen Handelsrecht und den Programmen und Leitlinien der Vereinten Nationen weiter verschärft. Deutschland sollte sich ein für eine stärkere Folgenabschätzung von EU-Handelsabkommen auf Menschenrechte, Umwelt- und Sozialstandards sowie Gendergerechtigkeit einsetzen und auf sanktionsbewehrte Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskapitel in den EU-Handelsverträgen drängen. Dies sollte in der DNS verankert werden.

SDG 13   Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des
Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

Wir plädieren für eine Anhebung des Ambitionsniveaus des Ziels von Indikator 13.1.a (Reduzierung der Treibhausgase) auf eine Minderung um 65-70 % bis 2030, um mindestens 90 % bis 2040 jeweils gegenüber 1990 und spätestens 2050 Erreichung von Treibhausgasneutralität. Durch die zu erwartende Zielerhöhung der EU im Rahmen des Green Deals wird auch Deutschland in Zugzwang geraten, seine Klimaziele zu erhöhen. Zudem sind die bisherigen Minderungsziele kein angemessener Beitrag Deutschlands für eine Begrenzung der globalen Erhitzung auf 1,5 Grad. Eine Orientierungshilfe für angemessene Minderungsziele hat das Umweltbundesamt in seiner Studie "RESCUE – Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität" geliefert. Der Indikator 13.1.a sollte sich am "Green Supreme Szenario" der RESCUE-Studie orientieren und die Zielmarken daraus wie vorgeschlagen übernehmen. Zusätzlich sollten Maßnahmen in die DNS integriert werden, die die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen bis 2025 sowie den Ausstieg der KfW aus fossilen Energieprojekten bis 2022 vorsehen. Auch dafür hat das Umweltbundesamt bereits konkrete Vorschläge vorgelegt, die aufgegriffen werden sollten.

Auch der Indikator 13.1.b zur internationalen Klimafinanzierung sollte angepasst werden. Bisheriges Ziel ist die Verdopplung der finanziellen Beiträge Deutschlands bis 2020 gegenüber 2014. Dieses Ziel sollte fortgeschrieben werden auf die folgenden Jahre: Verdoppelung der Finanzierung bis 2025 gegenüber 2020, Verdoppelung bis 2030 gegenüber 2025.
Die Industriestaaten haben sich beim 15. Klimagipfel (COP15) 2009 verpflichtet, den Entwicklungsländern Klimafinanzierung für Minderung und Anpassung bereitzustellen. Im Pariser Abkommen (COP21) 2015 wurde dieses Versprechen nochmal bestätigt. Demnach haben sich die Industriestaaten verpflichtet, bis zum Jahr 2020 einen Aufwuchs auf 100 Milliarden US-Dollar zu realisieren und dann ab 2020 diese Summe jährlich bis zum Jahr 2025 bereitzustellen.

Außerdem sollte als Indikator geprüft und/oder Maßnahme in die DNS integriert werden, die darauf abzielen, dass Deutschland auch finanzielle Mittel zur Bewältigung bzw. Kompensation von klimabedingten Schäden und Verlusten leistet. Die Industriestaaten sollten dafür ab 2025 Finanzmittel in Höhe von 25 Mrd. US-Dollar bereitstellen. Dazu sollte auch Deutschland einen seiner Größe und Leistungskraft angemessenen Beitrag leisten.

SDG 14   Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

Indikator zur Verringerung des Imports und der Produktion von Fischmehl

Während im Regierungsentwurf Initiativen der Bundesregierung erwähnt werden, die die Überfischung der Weltmeere reduzieren und eine nachhaltige Fischerei weltweit fördern sollen, fehlt es an einem internationalen Indikator hierzu, der dieses Engagement messbar belegt. Brot für die Welt schlägt daher vor, einen Indikator aufzunehmen, der darauf abzielt, die deutsche Produktion und die Importe von Fisch- und Meeresfrüchten aus Aquakultur und Fischzucht, die auf Zufütterung durch Fischmehl oder Fischöl aus Wildfisch basieren, um
70 % zu reduzieren. Die Überfischung in Europa und in den Weltmeeren hat die Aquakultur weltweit zum am schnellsten wachsenden Ernährungssektor werden lassen. Ein Großteil des Fisch- und Meeresfrüchtekonsums in Deutschland wird nur noch durch in Fischfarmen gemästete Arten gedeckt. Neben Hering, Thunfisch und Seelachs aus Meeresfang stehen im deutschen Konsum vor allem Lachs, Shrimps und Speisefische wie Pangasius und Doraden ganz oben im Fischkonsum. Letztere stammen fast ausschließlich aus Aquakultur - wie Lachs aus Chile, Pangasius aus Vietnam und Shrimps aus Bangladesch aus Fischfarmen, in denen unter miserablen arbeits- und menschenrechtlichen Bedingungen und mit verheerenden Folgen für die Ökosysteme produziert wird.

Das Hauptproblem ist dabei jedoch das Futter für die Raubfische in der Aquakultur: Fischmehl oder Fischöl. Für ein Kilo Zuchtfisch braucht man zwischen einem bis fünf Kilogramm Fischmehl. Für ein Kilogramm Fischmehl werden mindestens fünf Kilogramm Wildfisch gebraucht. Das können in Industrieländern auch Fischabfälle vom Filetieren sein. Doch zunehmend bedroht die Jagd nach frischen Fisch für die Fischmehlverarbeitung die Existenz des handwerklichen Fischereisektors an den Küsten des Globalen Südens. Der Weltmarktpreis für Fischmehl steigt und an den Küsten entstehen Fischmehlfabriken (zum Beispiel in Westafrika), die oft mit eigenen Booten illegal auf Fang gehen. Das meiste Fischmehl wird in Peru produziert, ca. 8 Millionen Tonnen für die Lachsfarmen in Chile und Norwegen und damit indirekt für den Lachs der Konsument*innen in Deutschland, anstatt es in Entwicklungsländern z. B. als Proteinpulver zu vermarkten.

Indikator zum Anteil am verbrauchten Wildfisch in der Fütterung des produzierten oder importierten Fisches
Damit verbunden ist auch eine Importreduzierung von Fischmehl und Fischölimporten als Rohprodukt, das auch in der Tiermast als Futtermittel verwendet wird. Dazu sollte ein Indikator entwickelt werden, der den Anteil am verbrauchten Wildfisch in der Fütterung des produzierten oder importierten Fisches und die Rohprodukte Fischöl und Fischmehl in Fischmehläquivalenten umrechnet und vergleichbar macht (ähnlich der Umrechnung bei Milchäquivalenten).
Der Vorschlag bezieht sich auf SDG 14.b, das u. a. auch auf die Förderung der handwerklichen Kleinfischer – vor allem im Globalen Süden – und ihren Zugang auf die Meeresressourcen abzielt. Das Ziel ist eine Reduzierung der Produktion von Fischmehl und Fischöl aus Wildfang in Gewässern des Globalen Südens. Denn weltweit werden nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) ca. 20 Millionen Tonnen Wildfisch (von 80 Millionen Gesamtfangmenge) zu Fischmehl oder Fischöl verarbeitet. Benutzt werden dafür Bestände, die auf dem Weltmarkt nur einen geringen Preis haben. Das sind vor allem kleine Heringe, Anschoven, Makrelen, Sardellen. Genau der Fisch, der nahe der Oberfläche und der Küsten schwimmt (pelagisch) und daher von den handwerklichen Kleinfischern im Globalen Süden gefangen werden kann. Vor allem Frauen verarbeiten ihn weiter. Er wird günstig an die Bevölkerung verkauft und ist für die Ernährungssicherheit in vielen Entwicklungsländern, vor allem für eine zumindest teilweise Abdeckung des Proteinbedarfs, unverzichtbar.

SDG 16   Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

Wir plädieren für eine Ergänzung von Indikator 16.3.b (Korruptionsbekämpfung). Hier sieht die DNS vor, dass der Corruption Perception Index in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bis 2030 verbessert werden soll. Brot für die Welt schlägt vor, dies nicht nur auf die Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu beschränken – zumal das BMZ die Liste der Partnerländer (zumindest für die bilaterale Kooperation) erheblich reduziert hat. Hier sollte der Indikator alle Länder umfassen, mit denen Deutschland wirtschaftlich zusammenarbeitet.

SDG 17   Umsetzungsmittel stärken und Globale Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen
Das sogenannte 0,7 %-Ziel feiert in diesem Jahr seinen 50. "Geburtstag". Deutschland hatte sich bereits 2005 verpflichtet, spätestens 2015 das Ziel zu erreichen, mindestens 0,7 % seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (ODA) bereitzustellen. 2019 lag die deutsche ODA-Quote bei 0,6 %. 2020 wird sie wahrscheinlich erstmals auch ohne Anrechnung der Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen im Inland bei 0,7 % liegen – auch aufgrund der Rezession. Indikator 17.1 sieht – wenig ambitioniert – die Erreichung des 0,7 %-Ziel erst 2030 vor. Wir plädieren deshalb dafür, ihn so zu modifizieren, dass das 0,7 %-Ziel auch 2021 (ohne Anrechnung der Inlandsflüchtlingskosten) erreicht wird und dann dauerhaft als Mindestgröße angesehen wird, als rote Linie, die nicht mehr unterschritten werden darf.

Zur Umsetzung der Agenda 2030 und der Erreichung der Pariser Klimaziele sind bei weitem mehr Finanzmittel nötig, die Deutschland zur Verfügung stellen sollte – gerade auch in Zeiten von Corona, um die direkten und indirekten Folgen der Pandemie in den Entwicklungsländern abzumildern. Deshalb sollten in der DNS auch Bemühungen Deutschlands zur Einführung und Nutzung innovativer Finanzierungsinstrumente für den Kampf gegen extreme Armut, Hunger und den Klimawandel verankert werden. Wir unterstützen ausdrücklich die Forderung des RNE, eine Ausweitung der Finanztransaktionssteuer, der Digitalsteuer und der Einnahmen aus dem Emissionshandel in Angriff zu nehmen. Auch eine stärkere Nutzung von Flugticketabgaben sollten in Erwägung gezogen werden. Bezüglich der Finanztransaktionssteuer plädiert Brot für die Welt gemeinsam mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine umfassende Besteuerung aller Finanztransaktionen, die den Handel mit Derivaten einschließt. Geschäfte mit Aktien und Anleihen sollten mit einem Satz von 0,1 % und der Handel mit Derivaten in Höhe von 0,01 % besteuert werden.
Gemeinsam mit dem RNE und vielen anderen Organisationen appellieren wir an die Bundesregierung, sich auch für eine umfassende Entschuldung von Entwicklungsländern und ein internationales Insolvenzrecht bzw. einen entsprechenden Mechanismus einzusetzen, der die Schuldentragfähigkeit von Ländern auch im Lichte der Prinzipien der Agenda 2030 und der Erreichung der SDGs bewertet.

Eine Art "Nachhaltigkeitsfilter" benötigt auch Indikator 17.3, der den Anteil der Einfuhren aus LDCs an den gesamten Einfuhren misst und auf eine signifikante Steigerung zielt. Sicherlich brauchen besonders die ärmeren Entwicklungsländer steigende Einnahmen aus dem Exportgeschäft. Aber nicht alle Exporte dienen einer nachhaltigen Entwicklung. Der verstärkte Anbau von Palmöl und Futtermitteln für den Export führt in vielen Entwicklungsländern zu Brandrodungen, Vertreibungen von Indigenen, ökologischen und sozialen Verwerfungen. Die Exporterlöse kommen in vielen Fällen nur einer sehr kleinen Bevölkerungsschicht oder transnationalen Unternehmen zu Gute, die nur geringe oder gar keine Steuern in dem Anbau- und/oder Produktionsland zahlen. Es ist deshalb zu prüfen, wie dieser Indikator so konditioniert bzw. differenziert werden kann, dass er nur Einfuhren erfasst, die aus nachhaltigem Anbau und nachhaltiger Produktion stammen und einer Entwicklung dienen, die mit den Prinzipien der Agenda 2030 im Einklang stehen.

Brot für die Welt
Thilo Hoppe (Entwicklungspolitischer Beauftragter)