Merkel: "Deutschland, das sind wir alle!"

Regierungserklärung Merkel: "Deutschland, das sind wir alle!"

"In unserem Land hat sich etwas verändert." Trotz ausgezeichneter wirtschaftlicher Lage machten sich Menschen Sorgen um die Zukunft und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Flüchtlingskrise habe Deutschland "in beispielloser Weise gefordert", so Merkel. Sie sei eine humanitäre Ausnahmesituation gewesen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hält im Bundestag eine Regierungserklärung.

Die Kanzlerin stellt Grundzüge aus dem Regierungsprogramm für die kommenden vier Jahre vor.

Foto: Bundesregierung/Schacht

Die Debatte über den richtigen Weg habe Deutschland "gespalten", die Diskussion sei "polarisiert", die Gesellschaft "rauer" geworden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung nach ihrer Wiederwahl. Sie rechtfertigte die Entscheidung, in den Jahren 2015 und 2016 hunderttausende Flüchtlinge besonders aus Syrien aufgenommen zu haben. Merkel betonte aber auch, dass dies eine humanitäre Ausnahmesituation gewesen sei. Am Ende der Legislaturperiode werde man hoffentlich die Bilanz ziehen können, dass die Spaltungen überwunden seien und der Zusammenhalt neu gewachsen sei.

Aufgenommen als Menschen in Not

Merkel erinnerte zu Beginn daran, dass vor sieben Jahren im Zuge des "Arabischen Frühlings" der Bürgerkrieg in Syrien begonnen habe. Europa habe zuerst gehofft, von den Folgen nicht direkt betroffen zu sein. Zur ganzen Wahrheit gehöre aber auch, so die Kanzlerin selbstkritisch, "dass wir zu spät erkannt haben, dass Flüchtlinge in den Nachbarländern nicht ausreichend versorgt waren" und Schlepperbanden die Situation ausgenutzt hätten. "Wir haben sie als Menschen in Not aufgenommen." Es sei eine unglaubliche Bewährungsprobe für die Gesellschaft gewesen. Die Strukturen seien darauf nicht vorbereitet gewesen. "Unser Land kann auf diese Leistung stolz sein", sagte die Kanzlerin.

Fünf Punkte sind der Kanzlerin für die Zukunft wichtig:

1. Eine solche Ausnahmesituation wie die Aufnahme der Flüchtlinge in 2015 und 2016 könne und solle sich nicht wiederholen. Das EU-Türkei-Abkommen habe geholfen, Schleppern das Handwerk zu legen.

2. UN-Hilfsprogramme dürften nicht mehr so dramatisch unterfinanziert sein wie vor zwei Jahren. Hilfe vor Ort sei zentrale Aufgabe. Welternährungsfonds und UNHCR würden von Deutschland seither stärker gefördert.

3. Merkel verurteilte auf das Schärfste Bombardements, zum Beispiel einer Schule, durch das syrische Regime von Assad, aber auch Russland, das dem zusehe. Auch das türkische Vorgehen in Afrin sei bei allem Verständnis für dessen Sicherheitsinteressen inakzeptabel. „Auch das verurteilen wir auf das Schärfste“. Merkel forderte zudem eine bessere Zusammenarbeit mit den afrikanischen Ländern, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

4. Europäische Außengrenzen müssten geschützt werden. Merkel forderte ein Ein- und Ausreiseregister. Bessere Kontrolle sei notwendig, denn terroristische Gefahren hätten zugenommen. Merkel dankte den Sicherheitsbehörden: "Unsere freiheitliche Gesellschaft wird sich unsere Art zu leben nicht durch Terroristen zerstören lassen."

5. Deutschland werde weiter denen helfen, die einen Anspruch hätten, im Land zu bleiben. Auf der anderen Seite müssten die, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, das Land wieder verlassen. Insgesamt sollen nicht mehr als 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen. Merkel hofft, ein gemeinsames Asylsystem auf dem Europäischen Rat im Juni verabschieden zu können.

Die Flüchtlingssituation habe wie ein Brennglas grundlegende gesellschaftliche Probleme aufgedeckt, so die Kanzlerin. Schon in den vergangenen Jahrzehnten seien viele Menschen aus anderen Ländern zu uns gekommen. Es gelte, gemeinsam zu agieren, um Benachteiligungen zu beseitigen. Aber auch Probleme müssten benannt werden.

Zusammenleben der Religionen verbessern

Der Koalitionsvertrag gebe Antworten auf bestehende Probleme. Viele Fortschritte seien gemacht worden, aber beim Thema Zusammenleben und Zusammenhalt sei man längst noch nicht da, wo man sein wolle. Merkel kündigte an, einen Pakt für den Rechtsstaat schnüren zu wollen, unter anderem durch die Einstellung von 15.000 neuen Polizisten. Erforderlich sei Respekt gegenüber denen, die das Recht durchsetzten.

Deutschland habe eine christlich-jüdische Prägung, so Merkel. Aber zugleich lebten mittlerweile 4,5 Millionen Muslime in unserem Land. Deren Religion, der Islam, sei inzwischen ein Teil Deutschlands. "Insbesondere das Zusammenleben der Religionen stellt uns vor Herausforderungen", so Merkel. Sie forderte, Bund und Länder müssten gemeinsam zukunftsfähige Strukturen auch für den Islam finden. Eine wichtige Rolle spielt für die Bundeskanzlerin weiterhin die Deutsche Islamkonferenz.

Zusammenhalt der Gesellschaft stärken

Als entscheidende Grundlage für den Zusammenhalt Deutschlands nannte Merkel Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Damit hätten „Gewalt, Rassismus und Antisemitismus in unserem Rechtsstaat keinen Platz“. "Wir wollen als Bundesregierung die Spaltung überwinden und einen neuen Zusammenhalt schaffen", so Merkel. Der Wohlstand unseres Landes solle allen zugutekommen. Ziel sei eine Gesellschaft, geprägt von Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Zusammenhalt. Eine Priorität sei, Familien zu stärken, etwa durch das Baukindergeld. Die neue Koalition entlaste Alleinerziehende und Kinderreiche. Kinderarmut sei eine Schande.

Auch die Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, die paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge und der Abbau des Solis, der 90 Prozent der Menschen zugute komme, entlaste die Bürgerinnen und Bürger. Zudem seien solide Finanzen weiter garantiert. Seit 2014 habe die Bundesregierung keine neuen Schulden aufgenommen, das werde so bleiben, versicherte die Kanzlerin.

Zukunft ist Europa

"Unsere Zukunft liegt im Zusammenhalt Europas", ist die Kanzlerin sicher: "Nicht in Kleinstaaterei, nicht im Rückzug auf sich selbst, nicht in nationalen Egoismen." Mit Blick auf die transatlantische Partnerschaft mit den USA und Kanada sowie auf das Verhältnis zu China und Russland mahnte die Kanzlerin "viel mehr Gemeinsamkeit in der Außenpolitik" der EU-Partner an. Nur gemeinsam könne die Europäische Union ihre Souveränität, ihre Interessen und ihre Werte verteidigen und den Wohlstand sichern.

Mit Blick auf die Verteidigungsausgaben unterstrich sie die Bedeutung, dass Deutschland ein verlässlicher Partner in der Nato sein müsse: "Im Koalitionsvertrag bekennen wir uns zu den Zielen des Bündnisses, also auch zu den finanziellen Beiträgen." Merkel erklärte zudem, dass Deutschland eine modern ausgerüstete und einsatzfähige Bundeswehr braucht. Der letzte Bericht des Wehrbeauftragten zeige überdeutlich, dass hier noch viel zu tun sei, obwohl in den vergangenen vier Jahren eine Wende bei den Ausgaben für Verteidigung vollzogen worden sei.

"Deutschland kann es schaffen"

Merkel bekräftigte, dass sie sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen werde, das Beste für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu erreichen. Dann könnten die Menschen am Ende der Legislaturperiode vielleicht sagen, "die in Berlin" hätten aus dem Wahlergebnis 2017 etwas verstanden und viel Konkretes für die Bevölkerung erreicht.

Sie wünsche sich, dass als Bilanz gezogen werden könne, dass die Gesellschaft menschlicher geworden sei, Spaltungen und Polarisierungen verringert oder gar überwunden werden konnten, der Zusammenhalt neu gewachsen sei. Sie lud alle ein, daran mitzuwirken, denn, und damit schloss Merkel ihre Rede: "Deutschland, das sind wir alle!"