Wie man mit Kindern über den Krieg in der Ukraine spricht

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Interview mit Diplom-Psychologin Wie man mit Kindern über den Krieg in der Ukraine spricht

Der Krieg in der Ukraine schockiert, viele Erwachsene sind fassungslos. Auch Kinder machen sich Sorgen und haben viele Fragen. Wie sollten Eltern am besten mit ihnen über das schwierige und bedrückende Thema sprechen? Die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf gibt einige Tipps.  

5 Min. Lesedauer

Elisabeth Raffauf

Elisabeth Raffauf arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Diplom-Psychologin in Köln. Als psychologische Expertin schreibt sie Fachbücher und ist für verschiedene Medien tätig.  

Foto: Tina Niedecken

Frau Raffauf, der Krieg in der Ukraine macht vielen Menschen große Sorgen, die Bilder im Fernsehen und im Internet sind beängstigend. Wie gehen Kinder mit der aktuellen Situation um?

Elisabeth Raffauf: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Das hängt vor allem vom Alter ab – aber auch davon, wie das einzelne Kind generell seine Umgebung wahrnimmt. Es gibt sehr empathische Kinder, die viele Fragen und auch Ängste haben. Und dann wiederum Kinder, die sich lieber ablenken und spielen gehen wollen, als sich mit dem Thema Krieg zu beschäftigen.

Viele Kinder kennen möglicherweise schon länger Kriegsbilder aus dem Fernsehen. Bisher meist von Konflikten, die weit weg sind. Jetzt merken sie aber, dass es hier um etwas anderes geht: Es ist ein Krieg in der Nähe, in Europa, und die Sorge ist eine ganz andere. Die Kinder spüren auch, dass die Aufregung der Erwachsenen viel größer ist. Das macht natürlich Angst. Und viele stellen Fragen: Was ist denn ein Krieg genau? Kann das auch uns treffen? Und wie geht es den Menschen dort?

Wie sollten denn Eltern mit ihren Kindern über das schwierige Thema Krieg sprechen?

Raffauf: Natürlich vor allem altersgerecht! Es ist ja ein Unterschied, ob ich ein Kindergartenkind oder einen Achtklässler vor mir habe. Ganz wichtig ist, Kindern Zeit und Raum zu geben, ihre Fragen stellen zu können. Und dass man diese mit einfachen Worten beantwortet und die Situation erklärt: Da ist ein großes Land, das ein kleines Land besetzt, und dass dort in diesem Krieg viele Menschen sterben. Und auf die Frage, warum es den Krieg gibt, kann man zum Beispiel antworten, dass es um das Streben nach Macht geht, und dass sich ein Land auf Kosten anderer noch größer und andere kleiner machen will.

Viele Kinder wollen Informationen haben, und diese sollten Eltern altersgerecht vermitteln. Es sollte aber nicht nur um die reinen Fakten, sondern auch um Gefühle gehen. Was macht das mit uns, wie fühlt sich die aktuelle Lage für uns an – auch darüber sollten sich Eltern mit ihren Kindern austauschen.
                 
Empfehlen Sie Eltern, sämtliche Informationen mit ihren Kindern zu teilen? Oder gibt es auch Nachrichten, die Kinder besser nicht mitbekommen sollten?     

Raffauf: Es ist wichtig, dass Eltern auf die Fragen der Kinder ehrlich antworten und dass sie darauf achten, ob sie mehr wissen wollen. Zugleich sollten Eltern ihnen aber auf keinen Fall ungefragt sämtliche Detail-Informationen über Kriegsgeschehnisse aufdrücken! Das würde das Ohnmachtsgefühl und die Angst nur weiter verstärken. Kinder haben dieses Ohnmachtsgefühl auch, genauso wie Erwachsene. Wir können einfach in dieser aktuellen Situation nicht viel tun.

Und was das Fernhalten von Nachrichten oder Bildern angeht, sollte man wieder nach dem Alter unterscheiden. Kleine Kinder sollten sich nicht die Tagesschau ansehen. Bei älteren Kindern ist dies etwas anderes, sie bekommen ja auch beispielsweise von Freunden Nachrichten und Videos auf ihr Handy geschickt. Oder es wird in der Schule über das Thema Krieg gesprochen.  Eltern sollten aber auch ihre älteren Kinder begleiten. In der Regel hat man ja auch ein Gefühl dafür, ob das eigene Kind etwas auf dem Herzen hat und sich austauschen will; oder ob dies eher nicht der Fall ist.   

Eltern haben auch eigene Ängste und Sorgen. Sollten diese gegenüber den Kindern geäußert werden?    

Raffauf: Es ist schon wichtig, zu den eigenen Gefühlen zu stehen. Denn Kinder kennen ja ihre Eltern. Sie spüren ja, wenn die Mama sonst fröhlich und unbeschwert und im Moment eher traurig ist. Über diese Gefühle sollte man mit seinen Kindern sprechen. Das gibt den Kindern auch Sicherheit! Sie erfahren, dass ihr Gefühl richtig war und sie sich auf ihre Antennen verlassen können. Zum Beispiel wenn das Kind überzeugt war, dass sich seine Mutter gerade Sorgen macht.

Allerdings sollte man keine Panik auf Kinder übertragen. Wenn man also wirklich sehr große Angst hat oder sehr verzweifelt ist, sollte man sich besser mit Freunden austauschen. Dort ist dann auch eher der Platz, um mal zu weinen oder die eigene Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. Da brauche ich mir auch keine Sorgen zu machen, dass meine Kinder die starken Gefühlsausbrüche mitbekommen.

Die Welt scheint auch für Kinder im Moment aus den Fugen zu geraten. Jetzt der Krieg in der Ukraine, seit zwei Jahren die Corona-Pandemie. Was macht diese Doppel-Belastung mit Kindern und Jugendlichen?

Raffauf: Auch das ist sehr verschieden. Es gibt Kinder und Jugendliche, die durch Corona schon sehr belastet, traurig und antriebsarm sind. Sie haben das Gefühl, sie bekommen ihr Leben nicht mehr in den Griff. Die Pandemie hat diese Kinder und Jugendlichen sehr runtergezogen. Und mit dieser neuen Krise sind sie jetzt in der Tat doppelt belastet, das ist wirklich eine große Gefahr. Und diese jungen Leute brauchen möglicherweise auch professionelle Hilfe.
 
Gibt es denn etwas, womit Familien die aktuell belastende Zeit etwas aufhellen können?

Raffauf: Es ist wirklich sehr wichtig, sich gerade in der momentanen Situation Freiräume zu schaffen, um auch mal auf andere Gedanken zu kommen. Indem man zum Beispiel als Familie sagt, jetzt machen wir den Fernseher für heute Abend aus, weil wir sonst in unserer Stimmung noch weiter runtergezogen werden. Den Nachrichtenkonsum zu begrenzen macht also durchaus Sinn, weil sonst immer nur dieselben negativen Gedanken im Kopf kreisen. Oder man macht etwas Nettes mit seinen Kindern – auf den Spielplatz gehen, Tischtennis spielen, einen Kuchen backen oder Freunde treffen.

Es gibt auch andere Möglichkeiten, seinen Gefühlen oder seiner Ohnmacht Ausdruck zu verleihen: Manche mögen mit ihren Kindern eine Kerze aufstellen und anzünden. Es gibt ein Video nach den furchtbaren Attentaten in Paris im November 2015. Damals ist ein Vater mit seinem kleinen Kind auf dem Arm zum Anschlagsort gegangen, an dem schon viele Kerzen aufgestellt und Blumen niedergelegt wurden. Der Vater meinte dann zu seinem Kind: Manche Menschen haben Waffen, wir haben Kerzen und Blumen. Erst hat das Kind wohl etwas fragend geschaut, aber danach hat ihm dies wohl etwas Trost gespendet. Damit will ich sagen: Es ist einfach wichtig, seinen Gefühlen Platz zu geben, gleich in welcher Form!

Wie spreche ich mit meinen Kindern über Krieg? Wertvolle Informationen für Eltern bietet auch die Medieninitiative „Schau Hin , an der unter anderem das Bundesfamilienministerium beteiligt ist. Wer sich Sorgen macht oder einfach einen Rat braucht, kann sich an das Elterntelefon „Nummer gegen Kummer“ (0800 1110550) wenden. Das vom Bund geförderte Angebot steht kostenfrei und anonym zur Verfügung.