Merkel: Ostrente bis 2020 angleichen

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Im Wortlaut: Merkel Merkel: Ostrente bis 2020 angleichen

Die Renteneinheit soll 2020 mit dem Auslaufen des Solidarpaktes erreicht sein, so Bundeskanzlerin Merkel. In einem Zeitungsinterview spricht sie auch über die Zukunft des Solidarpakts, die Folgen des Mindestlohns und ihr Verhältnis zu Präsident Putin.

  • Interview mit Angela Merkel
  • Sächsische Zeitung
Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt.

"Wir streben bis 2017 ein Gesetz an, das den Fahrplan zur Angleichung der Rentenwerte in Ost und West festschreibt."

Foto: Bundesregierung/Bergmann

Das Interview im Wortlaut:

Sächsische Zeitung (SZ): Frau Bundeskanzlerin, Sie sind gerade aus dem Urlaub zurück. Gab es in den vergangenen Wochen wenigstens mal einen Tag, an dem Sie nicht an Wladimir Putin oder Barack Obama denken mussten?

Angela Merkel: Bei meiner Arbeit kann es keinen Tag ganz ohne Politik geben. Auch im Urlaub denke ich natürlich immer wieder an die Probleme, die wir zu lösen haben. Durch den Abstand kann sich dabei aber ergeben, dass ich manche Dinge auch einmal aus einer anderen Perspektive betrachte und dabei auf neue Gedanken komme.

SZ: Viele Ostdeutsche, viele unserer Leser, äußern Verständnis für Putins Vorgehen in der Ukraine-Krise. Sehen auch Sie legitime Interessen oder historische Ansprüche der Russen?

Merkel: Wir leben jetzt seit bald 70 Jahren im Frieden. Das hat auch damit zu tun, dass wir Europäer die territoriale Integrität unserer Staaten achten, dass wir die Grenzen nicht einseitig verändern. Wer die wechselvolle und blutige Geschichte unseres Kontinents kennt, weiß, wie viel dieser Respekt vor den Grenzen eines jeden Landes wert ist. Mehr noch: In der Europäischen Union und unserer immer engeren Zusammenarbeit haben wir den Rahmen gefunden, der uns Grenzen überwinden lässt.

SZ: Das sieht der russische Präsident offenbar anders.

Merkel: Dem, was ich gerade als europäisches Grundverständnis beschrieben habe, hat Präsident Putin mit der Annexion der Krim zuwider gehandelt. Es gab dort keine mit der Regierung in Kiew vereinbarte Volksabstimmung wie demnächst beispielsweise in Schottland und auch kein jahrelanges Unrecht und viele UN-Resolutionen wie etwa im Kosovo. Deshalb hat das Vorgehen Russlands auf der Krim keine internationale Organisation anerkannt. Wenn eine solche Annexion, die gegen internationales Recht verstößt, in Europa wieder zu einem Mittel der Politik würde, das widerspruchslos hingenommen würde, wäre alles in Gefahr, was uns seit mehr als einem halben Jahrhundert in Frieden und Wohlstand leben lässt. Deshalb akzeptieren wir das russische Vorgehen nicht.

SZ: Und die Ostdeutschen...

Merkel: Wir Ostdeutschen hatten 1990 die Möglichkeit, uns frei zu entscheiden und haben uns mehrheitlich für die Deutsche Einheit entschieden. Und was für uns, für Polen, Ungarn oder Balten galt, das hat für jedes andere Land zu gelten, auch für die Ukraine. Die Menschen dort sollen über ihre Zukunft, darüber wie sie leben wollen, selbst entscheiden können. Hätten sie sich mehrheitlich entschieden, sich enger an Russland zu binden oder der Eurasischen Union beizutreten, hätte niemand in der EU das abgelehnt. Die Verfassung, die gesamte Ausrichtung der Politik, die Eigenständigkeit, die den Regionen wie der Ostukraine zugestanden wird - das alles soll die Ukraine frei und demokratisch selbst entscheiden können. Darum geht es im Kern, und das sollte auch Russland akzeptieren.

SZ: Gibt es aus Ihrer Sicht einen unterschiedlichen Blick auf den Konflikt in Ost- und Westdeutschland?

Merkel: Nein, ich nehme im Übrigen vor allem den gemeinsamen Wunsch wahr, den Konflikt nicht mit militärischen Mitteln auszutragen. Das hat die Bundesregierung auch von Anfang an ausgeschlossen, denn nur eine politische Lösung kann dauerhaft Stabilität bringen. Dabei müssen wir für unsere Prinzipien klar und konsequent eintreten. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, konstruktiv mit Russland zusammenzuarbeiten und bin dazu auch in der Zukunft bereit. Aus diesem Grund bemühe ich mich sehr darum, den Gesprächsfaden mit dem russischen Präsidenten trotz der Sanktionen nicht abreißen zu lassen, aber zum konstruktiven Miteinander gehören eben immer mehr als einer.

SZ: 2019 enden der Solidarpakt und das System des Bund-Länder-Finanzausgleichs. Haben die Ostländer danach nicht weiterhin überproportionalen Finanzbedarf? Wie soll der gedeckt werden?

Merkel: Unter den ostdeutschen Ländern bilden sich immer stärker regionale Unterschiede heraus, wie es sie im Westen auch gibt. Sachsen etwa steht im Vergleich zu anderen Regionen relativ gut da, es gehört auch zu den Ländern, die mit kluger Haushaltspolitik vorsorgen. Wenn wir in den nächsten Jahren die Finanzströme in Deutschland neu ordnen, wird es darauf ankommen, einerseits die regionalen Unterschiede zwischen den Ländern Ostdeutschlands und andererseits immer noch bestehende Sonderbelastungen wie hohe Arbeitslosigkeit oder Strukturprobleme in allen neuen Bundesländern zu berücksichtigen. Wir werden sehr genau hinsehen müssen, wie effizient die Länder ihre Aufgaben erfüllen und wie sie es mit den Leistungen halten, die sie ihren Bürgern bieten. Es gibt Länder, die von anderen Ländern Geld aus dem Finanzausgleich bekommen und beitragsfreie Kita-Jahre anbieten. Länder dagegen, die viel Geld in den Finanzausgleich abgeben, können sich das nicht leisten. Auch darüber wird zu reden sein. Mir kommt es bei alledem darauf an, für die ostdeutschen Bundesländer finanzielle Brüche zu vermeiden.

SZ: An der Frage der Ost-West-Rentenangleichung haben sich schon mehrere Vorgängerregierungen die Zähne ausgebissen. Wird es in dieser Wahlperiode ein Gesetz geben, das die vollständige Angleichung der Rentenwerte ab 2020 verbindlich festschreibt?

Merkel: 2020 soll die Renteneinheit erreicht sein. Die Bundesregierung hat sich mit Blick auf das Auslaufen des Solidarpaktes Ende 2019 vorgenommen, 2016 zu überprüfen, wie weit die Angleichung der Altersbezüge in den neuen und den alten Bundesländern vorangekommen ist. Inzwischen beträgt der Rentenwert im Osten 92,2 Prozent des Westwertes. Noch ist schwer einzuschätzen, wie sich der Mindestlohn auf die Rentenangleichung auswirkt. Wir streben bis 2017 ein Gesetz an, das den Fahrplan zur vollständigen Angleichung der Rentenwerte in Ost und West festschreibt.

SZ: Der jüngst beschlossene Mindestlohn spielt im Osten eine besondere Rolle - einerseits wegen der hier besonders verbreiteten Niedriglöhne, andererseits wegen der möglichen Gefährdung von Arbeitsplätzen. Befürchten Sie den Verlust vieler Arbeitsplätze in Ostdeutschland durch den Mindestlohn oder einen Preisauftrieb - beispielsweise bei Dienstleistungen?

Merkel: Wir haben bei der Gestaltung des Mindestlohngesetzes viel Arbeit darauf verwendet zu verhindern, dass er auf Kosten der Arbeitsplätze geht. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Mindestlohnkommission sehr schnell und dann laufend die Auswirkungen des Mindestlohns beobachtet und ihre Erkenntnisse der Bundesregierung alle zwei Jahre berichtet. Ich will über die Auswirkungen jetzt nicht spekulieren, zumal die Fachleute sehr unterschiedliche Annahmen haben. Im Gesetz ist eine dreijährige Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2017 definiert, in der Abweichungen nach unten erlaubt sind. Damit besteht für Branchen, deren Löhne bisher deutlich unter 8,50 Euro liegen, noch die Möglichkeit, den Übergang in den Mindestlohn abzumildern.

SZ: Es war ein langer Weg...

Merkel: Die Bundesregierung hat nach vielen Abwägungen eine vertretbare Lösung gefunden. Und 25 Jahre nach der friedlichen Revolution war es für die Menschen wichtig, dass wir dabei nicht mehr zwischen Ost und West unterschieden haben.

SZ: Rechnen Sie mit Preissteigerungen?

Merkel: Es kann in manchen Bereichen durchaus Auswirkungen geben, aber ich glaube nicht, dass zum Beispiel in meinem Wahlkreis auf der Insel Rügen die Touristen wegbleiben, wenn ein Koch jetzt statt staatlicher Lohnkostenzuschüsse den Mindestlohn bekommt.

SZ: In Ostdeutschland ist die Erinnerung an die Auswirkungen staatlicher Überwachung noch verhältnismäßig frisch. Wenn man hört, was die amerikanische Regierung, was amerikanische Politiker über die Arbeit ihrer Geheimdienste sagen, dann hat man immer das Gefühl: Die verstehen eigentlich gar nicht richtig, worüber sich die Deutschen aufregen. Haben Sie Verständnis dafür, dass die Sichtweise so unterschiedlich ist?

Merkel: Die Freiheit des Einzelnen und das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit sind hohe Werte. Sie stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis, das immer wieder neu bestimmt werden muss. Und es stimmt, dass in Amerika dieses Spannungsverhältnis vielfach anders gesehen wird als bei uns. Als Bundeskanzlerin vertrete ich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und trete deshalb für unsere Überzeugungen zur Arbeit der Nachrichtendienste ein. Dabei ist für mich klar, dass wir beispielsweise beim Schutz vor islamistischem Terror und vor zurückkehrenden Dschihadisten die Zusammenarbeit mit unseren Partnern, auch den amerikanischen Nachrichtendiensten, brauchen.

SZ: Als CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin waren Sie persönlich betroffen von Abhörmaßnahmen. Haben Sie sich bei Barack Obama erkundigt, was die US-Dienste eigentlich über Sie wissen oder über Sie wissen wollten?

Merkel: Um mich ging es mir nicht in erster Linie. Es ging und es geht mir darum, ob die Menschen in Deutschland darauf vertrauen können, dass unsere Gesetze, die den Zugriff auf Daten regeln, in Deutschland eingehalten werden, und zwar von jedem. Im Übrigen halte ich eine Überwachung von Politikern befreundeter Staaten angesichts unser wahren Sicherheitsaufgaben für eine Verschwendung von Energie.

SZ: Sie hätten sich ja wünschen können, dass die Amerikaner die über Sie gesammelten Informationen vernichten.

Merkel: Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass meine Datensicherheit das wichtigste Problem in dieser Angelegenheit ist.

SZ: Eine Frage an die CDU-Vorsitzende, nicht an die Bundeskanzlerin: In Sachsen wird in zweieinhalb Wochen ein neuer Landtag gewählt. Gut möglich, dass Ihre Partei wieder einen Koalitionspartner braucht, die FDP aber nicht mehr zur Verfügung steht - wäre die AfD ein möglicher Regierungspartner?

Merkel: Die Landesparteien entscheiden selbst darüber, mit wem sie Koalitionen bilden, aber dessen ungeachtet haben wir im Bundesvorstand der CDU deutlich gemacht, dass die AfD für uns kein Kooperations- oder Koalitionspartner ist. In Sachsen werbe ich natürlich für eine starke CDU mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich.

SZ: Wann besuchen Sie Sachsen das nächste Mal?

Merkel: Ich habe im Rahmen des Landtagswahlkampfes mehrere Termine, und ich freue mich, dass ich nach Bautzen, Grimma, Dresden und Annaberg komme.

SZ: Und gibt es demnächst mal wieder einen Familienwandertag in der Sächsischen Schweiz?

Merkel: Ich habe sehr schöne Erinnerungen an den Ausflug im April. Es hat sich in dieser Gegend alles wirklich sehr gut entwickelt, und die Gastfreundlichkeit der Menschen ist sehr groß.

SZ: Sind Sie öfter mal inkognito dort unterwegs?

Merkel: Ich bin immer mal wieder unterwegs, ohne vorher den Medien Bescheid zu geben, und das klappt glücklicherweise auch recht gut. Für die Sächsische Schweiz ist aber erst mal nichts geplant. Ich war als Studentin öfter dort. Insofern war der Ausflug im April für mich auch eine schöne Rückkehr in meine Jugendzeit.

Das Gespräch führten Peter Heimann, Sven Siebert und Uwe Vetterick für die Sächsische Zeitung.