Forschung zu Spinnengift
Das Gift einer einzigen Spinne kann bis zu 3.000 Komponenten enthalten. Ein Forscherteam hat entdeckt, dass sich aus den Bestandteilen vielversprechende Wirkstoffkandidaten für die Behandlung von Krankheiten entwickeln lassen. Und auch in der Schädlingsbekämpfung könnten Spinnengifte eingesetzt werden.
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Spinnen bereiten vielen Menschen ein gewisses Unbehagen, manche haben sogar Angst vor den Achtbeinern. Am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen sind sie hingegen willkommen. Hier forscht der Biochemiker Dr. Tim Lüddecke mit seinem Team an Spinnentoxinen. „Spinnengifte sind eine weitgehend unerschlossene Ressource, dies liegt unter anderem an der schieren Vielfalt – etwa 50.000 Arten sind bekannt. Im Spinnengift steckt viel Potenzial für die Medizin, etwa bei der Erforschung von Krankheitsmechanismen“, sagt der Leiter der neuen Arbeitsgruppe „Animal Venomics“.
Neue Möglichkeiten für Medikamente und Pflanzenschutz
So kann im Labor untersucht werden, wie einzelne Toxine auf Schmerzrezeptoren von Nervenzellen wirken. Besonders vielversprechend ist der Giftcocktail der Australischen Trichternetzspinne. Man geht davon aus, dass sich damit neuronale Schäden nach Schlaganfällen behandeln und Herzen für Organtransplantationen länger haltbar machen lassen.
Andere Wirkstoffkandidaten sind interessant für die Anwendung als Antibiotikum oder als Schmerzmittel. „Es handelt sich um ein sehr junges Forschungsfeld. Die Substanzen sind zwar entdeckt und beschrieben, sie befinden sich aber noch nicht in der Präklinik“, so Lüddecke. Anders sieht es bei der Pestizidforschung aus. Spinnen betäuben Insekten mit ihrem Gift und fressen sie anschließend. Da die Toxine sehr wirksam gegen Insekten sind, bieten sie eine gute Grundlage für Biopestizide, sie eignen sich für die Schädlingsbekämpfung von Nutzpflanzen.
Die Forschung konzentrierte sich bislang auf die Gifte der sehr großen oder potenziell gefährlichen Arten, die in den Tropen leben. Die einheimischen, kleinen und harmlosen Spinnen standen nicht im Fokus. „Die meisten Spinnen in Mitteleuropa sind maximal zwei Zentimeter groß, ihre Giftmenge reichte für Experimente nicht aus. Doch inzwischen verfügen wir über präzise Analysemethoden, um auch die geringen Mengen der bisher vernachlässigten Mehrheit der Spinnen untersuchen zu können“, erläutert Lüddecke. Diesen Arten widmet sich die Arbeitsgruppe am Gießener Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer IME im Rahmen eines Forschungsprojekts. Dabei arbeiten sie unter anderem mit Forscherteams der Justus-Liebig-Universität Gießen zusammen.
Neue Biomoleküle aus dem Gift der Wespenspinne
Besonderes Augenmerk der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gilt der Wespenspinne, die ihren Namen ihrer auffällig wespenähnlichen Färbung verdankt. Es ist ihnen gelungen, ihr Gift zu entschlüsseln, wobei sie zahlreiche neuartige Biomoleküle identifizierten. Spinnengifte sind hochkomplex, sie können bis zu 3.000 Komponenten enthalten. Das Gift der Wespenspinne hingegen enthält nur etwa 53 Biomoleküle. Es ist stark von hochmolekularen Bestandteilen dominiert, dazu gehören sogenannte CAP-Proteine und andere Enzyme. Wie in anderen Spinnengiften sind Knottine vorhanden – allerdings machen diese nur einen geringen Teil des gesamten Gemischs aus.
Knottine stellen eine Gruppe von neurotoxischen Peptiden dar, die aufgrund ihrer Knotenstruktur robust gegenüber chemischem, enzymatischem und thermischem Abbau sind. Man könnte diese Moleküle daher als Bestandteil von Medikamenten oral verabreichen, ohne dass sie im Magen-Darmtrakt verdaut werden. Sie können ihre Wirkung daher sehr gut entfalten, weshalb sie großes Potenzial für die Medizin bieten. Darüber hinaus binden sich Knottine spezifisch an Ionenkanäle. „Je spezifischer ein Molekül an sein Zielmolekül andockt, nur einen einzigen Typ von Ionenkanal angreift, desto weniger Nebenwirkungen löst es aus“, erklärt Lüddecke.
Zudem beeinflussen die Knottine schon in geringen Mengen die Aktivität der Ionenkanäle, sprich, sie sind in geringer Konzentration wirksam. Infolgedessen können abgeleitete Arzneien niedrig dosiert verabreicht werden. Die Kombination dieser Eigenschaften machen Spinnengifte so interessant für die Wissenschaft.
Auch entdeckten die Projektpartner im Gift der Wespenspinne Moleküle, die in ihrer Struktur Neuropeptiden ähneln, die für den Transport von Informationen zwischen den Nervenzellen verantwortlich sind. „Wir haben neuartige Familien von Neuropeptiden gefunden, die wir bislang von anderen Spinnen nicht kennen. Wir vermuten, dass die Wespenspinne damit das Nervensystem von Insekten angreift. Seit Längerem ist bekannt, dass Neuropeptide im Tierreich im Laufe der Evolution häufig zu Toxinen umgebaut werden“, sagt der Forscher.
Giftstoffe im Labor vervielfältigen
Da die Giftausbeute bei kleinen Spinnen gering ausfällt, entnehmen die Forscherinnen und Forscher die Giftdrüsen und sequenzieren daraus die mRNA. Aufgrund der Genstruktur lassen sich die Toxine entschlüsseln. Das Giftprofil der Wespenspinne liegt inzwischen vollständig vor, im nächsten Schritt werden die relevanten Komponenten hergestellt. Hierfür wird die Gensequenz mittels Biotechnologie in eine Bakterienzelle eingebaut, die dann das Toxin produziert. „Wir bauen quasi genetisch modifizierte Bakterien, die das Toxin in großem Maßstab herstellen.“ Die Hauptkomponente des Wespenspinnengifts, das CAP-Protein, konnten Lüddecke und sein Team in Großserie herstellen. Erste funktionelle Studien starten in Kürze.
In einer weiteren Übersichtsarbeit konnte der Biochemiker in Kooperation mit den Kollegen der Justus-Liebig-Universität Gießen und Forscherinnen und Forschern der australischen University of the Sunshine Coast ableiten, dass Spinnengifte sehr dynamisch sind und dass viele Einflüsse ihre Zusammensetzung und Funktionsweise prägen. „Die Dynamik des Spinnengifts wurde bislang völlig unterschätzt. Das biochemische Repertoire wird entscheidend vom Lebensabschnitt, Lebensraum und vor allem vom Geschlecht beeinflusst. Auch der Giftcocktail von Jungtieren und Erwachsenen ist nicht unbedingt identisch. Es ist vielmehr das Zusammenwirken der vielen Bestandteile, das Spinnengift so wirksam macht, als die Wirkung eines einzelnen Toxins. Durch ihre Wechselwirkungen steigern die Komponenten ihre Wirksamkeit“, resümiert der Forscher.