Rechtsstaatlichkeit und EU-Außengrenzen im Fokus

Europäischer Rat Rechtsstaatlichkeit und EU-Außengrenzen im Fokus

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben beim Europäischen Rat über Migration und das Thema Rechtsstaatlichkeit diskutiert. Die Unabhängigkeit der Justiz sei „Kernpfeiler europäischer Werte“, so Kanzlerin Merkel in Bezug auf Polen. Politische Gespräche seien aber auch von großer Bedeutung. Die Energiepreise, Handelspolitik und der digitale Wandel waren weitere Themen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Europäischen Rat in Brüssel

Bundeskanzlerin Merkel in Brüssel: „Gute Zusammenarbeit zu jeder Tages- und Nachtzeit.“

Foto: Bundesregierung/Steins

Angesichts der aktuellen Situation in Polen war das Thema Rechtsstaatlichkeit kurzfristig auf die Tagesordnung des Europäischen Rats in Brüssel gesetzt worden. Hintergrund ist das letzte Urteil des polnischen Verfassungsgerichts: Dieses hatte am 7. Oktober entschieden, dass Bestandteile des EU-Rechts gegen die Verfassung des Landes verstoßen.

Das Problem sei nicht nur juristisch zu lösen, sondern es handele sich auch „um eine politische Aufgabe“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Pressekonferenz am Ende des Gipfels. „Im Rat gab es eine breite Übereinstimmung, dass die politischen Gespräche, die richtige Einordnung und der respektvolle Umgang miteinander von großer Bedeutung sind, um solche komplizierten Fragen zu lösen.“

Bei der  Vielzahl von Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Polen sicherten die Staats- und Regierungschefs der Kommission als Hüterin der Verträge hre Unterstützung zu.

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Video Kanzlerin Merkel nach dem Europäischen Rat

Energiepreise dürfen Umbau der Energieversorgung nicht behindern

Wichtiges Thema beim Gipfel waren auch die steigenden Energiepreise. Die Europäische Kommission hatte Mitte Oktober Maßnahmen vorgestellt, um den weltweiten Anstieg der Energiepreise zu bewältigen sowie den Menschen und Unternehmen in Europa zu helfen.

Die Ursachen haben viel mit der globalen Situation der Wachstumsphase nach Covid-19 zu tun, macht die Kanzlerin deutlich. Daher sei die gegenwärtige temporäre Steigerung der Preise von den Debatten zum Klimawandel, dem Maßnahmenpaket „Fit for 55“, zu unterscheiden. Der Umbau unserer Energieversorgung „muss in Richtung von Klimaneutralität gehen und darf nicht durch solche temporären Anstiege von Preisen behindert werden“, mahnte die Kanzlerin.

Die EU-Energieminister werden sich bei einer außerordentlichen Tagung am 26. Oktober weiter mit dem Thema befassen. Auch der Europäische Rat wird die Entwicklung der Lage weiter verfolgen und das Thema beim Gipfel im Dezember erneut aufgreifen.

Migration: neue Brisanz an EU-Außengrenze zu Belarus

Auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs stand zudem das Thema Migration. Dies habe durch die hybriden Aktionen des Präsidenten von Belarus, Lukaschenko, nochmal an großer Brisanz gewonnen. „Hier wird auf dem Rücken von Menschen durch Lukaschenko Politik gemacht und erfolgt eine politische Instrumentalisierung“, sagte die Kanzlerin. Von der irregulären Migration seien besonders Polen, Litauen, aber auch Deutschland betroffen. Der Europäische Rat kündigte in seinen Schlussfolgerungen mögliche weitere Sanktionen gegen Belarus an.

Auch die Sekundärmigration war Thema. So habe man über das EU-Türkei-Abkommen, die Beziehungen zu Ländern in Afrika, zu Ägypten, zu Jordanien und dem Libanon gesprochen. „Die Basis für unser Zusammenleben im Schengen-Raum ist natürlich ein effektiver Schutz der Außengrenzen bei gleichzeitiger Respektierung unserer eigenen Rechtsgrundlagen und auch der internationalen Gesetze“, sagte die Kanzlerin.

Familienfoto Europäischer Rat.

Auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs steht auch das Thema Migration.

Foto: Bundesregierung/Steins

Corona-Pandemie: Durchschnittliche Impfquote von 65 Prozent

Die aktuelle pandemische Lage hat die Staats- und Regierungschefs ebenfalls beschäftigt. Im Zentrum der Beratung stand die Frage der Impfstoffspenden. Europa ist der Kontinent, der bereits eine Milliarde Dosen exportiert hat. „Damit stehen wir weltweit und global sehr gut da“, so Merkel. Auch die durchschnittliche Impfquote von 65 Prozent in der Europäischen Union sei weltweit die höchste. „Wir können also trotz dem, was wir auch an Schwierigkeiten hatten, auf einige Dinge durchaus auch recht stolz sein“, sagte die Kanzlerin.

Handelspolitik und Digitalen Wandel schnell voranbringen

Am Donnerstagabend führten die Führungsspitzen zudem eine allgemeine Strategiedebatte über die Handelspolitik der EU. Wenn es um europäische Souveränität und die Rolle der EU in der globalen Welt gehe, „dann ist Handel eine unserer strategischen Möglichkeiten“, so Merkel. Allerdings beklagte sie, dass „wir leider zu lange brauchen, um Handelsabkommen zu ratifizieren“. Diese Schwäche müsse überwunden werden.

Als letzten Punkt berieten die Staats- und Regierungschefs am Freitag über die Digitalisierung. Die Umsetzung des Digitalen Kompass‘ 2030  spielt für Fortschritte bei der digitalen Agenda eine zentrale Rolle. Hier müssen die verschiedenen Rechtsakte, wie beispielsweise das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act)  verabschiedet werden. Hier drängt die Zeit, machte die Kanzlerin deutlich. Die Vorschläge der Kommission seine aus deutscher Sicht an einigen Stellen noch nicht ambitioniert genug: „Wir brauchen eine innovationsfreundliche Regulierung in der Europäischen Union“, so Merkel.

Die Kanzlerin bedankte sich noch einmal bei ihrer vermutliche letzten Pressekonferenz nach einem Europäischen Rat „für die gute Zusammenarbeit zu jeder Tages- und Nachtzeit – das bietet Europa ja.“