Das Interview im Wortlaut:

Tageszeitung (taz): Frau Hendricks, Sie sind jetzt seit zwei Monaten Bundesumweltministerin. Haben Sie schon gemerkt, dass man Sie auf eine "Mission Impossible" geschickt hat?

Barbara Hendricks: Den Eindruck habe ich nicht. Aber natürlich gibt es in dem Job viele Aufgaben, wie etwa die Suche nach Atommüll-Zwischenlager-Standorten, bei denen niemand Hurra schreit, wenn es gelingt - die aber allen negativ auffallen würde, wenn es nicht klappt.

taz: Wir meinten eher, dass Sie lauter Ziele erreichen sollen, obwohl Sie die Instrumente gar nicht haben. Ob Klima, Atom oder Gentechnik: Die Entscheidungen fallen oft in anderen Ministerien oder in den Bundesländern.

Barbara Hendricks: So sehe ich das nicht. Wir arbeiten ja fachlich gut mit den anderen Ressorts zusammen. Es stimmt zwar, dass mein Ministerium nicht mehr für erneuerbare Energien zuständig ist. Aber meine neue Zuständigkeit für Stadtentwicklung und Bauen gibt mir viele Möglichkeiten, unser ehrgeiziges Klimaziel zu erreichen: bis 2020 im Vergleich zu 1990 immerhin 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen.

taz: Aber Deutschland schafft dieses Ziel nicht, haben Sie kürzlich selbst eingeräumt.

Barbara Hendricks: Wenn alles so bleibt wie bisher geplant, werden wir bis 2020 nur 33 bis 35 Prozent erreichen. Wir brauchen also weitere Maßnahmen.

taz: Sie haben ein Sofortprogramm angekündigt. Was wird da drinstehen?

Barbara Hendricks: Da kann beispielsweise die Elektromobilität einen Beitrag leisten. Die muss alltagstauglicher werden. Das größte Potenzial gibt es aber im Gebäudebereich.

taz: Ist das nicht auch eine Mission Impossible? Sie sind zwar Bauministerin, aber für die Gebäudedämmung ist der Wirtschaftsminister zuständig.

Barbara Hendricks: Das Wirtschaftsministerium bestimmt über die Fördertöpfe, die die staatliche Förderbank KfW vergibt. Aber mein Haus bestimmt die Basis und die Grundlagen der energetischen Sanierung.

taz: Und was soll da passieren? Auf konkrete finanzielle Zusagen hat die SPD im Koalitionsvertrag ja verzichtet. Stehen Sie nicht mit leeren Händen da?

Barbara Hendricks: Auf eine steuerliche Förderung für die Sanierung von Gebäuden haben sich die Koalitionsparteien nicht geeinigt, weil es grundsätzlich keine Einigung über Steuermaßnahmen gab. Aber die Sanierung über die KfW-Förderung ist mindestens genauso sinnvoll. Und die wird ja aufgestockt. Damit sie noch stärker genutzt wird, halte ich es für sinnvoll, die Förderkriterien zu differenzieren.

taz: Sie wollen die Standards für die Sanierung senken?

Barbara Hendricks: Nein, aber die KfW sollte mehr Stufen mit differenzierten Anforderungen und Förderungen anbieten. Wenn die komplette Sanierung eines Einfamilienhauses gleich 50.000 Euro kostet, schreckt das die Leute ab. Wir brauchen verbesserte Möglichkeiten für den Einstieg in eine schrittweise Sanierung.

taz: Sie könnten den Klimaschutz auch im Verkehr vorantreiben. Was halten Sie von einem Tempolimit bei 130 km/h?

Barbara Hendricks: Dazu steht nichts im Koalitionsvertrag. Aber auch persönlich kann ich nicht dafür plädieren. Sowohl privat als auch mit dem Dienstwagen bin ich gelegentlich schneller unterwegs. Da wäre es unehrlich, wenn ich für ein Tempolimit von 130 eintreten würde.

taz: Viel Streit gibt es auch beim Thema Biosprit. Die EU strebt bisher einen Anteil von 10 Prozent an; die Bundesregierung plädierte bisher für 7 Prozent. Soll es dabei bleiben?

Barbara Hendricks: Ich finde das zu hoch, und wir werden das ändern. Der Biosprit-Anteil sollte bei 5 Prozent gedeckelt werden. Es gibt ernste Hinweise darauf, dass Biokraftstoffe am Ende zu einer schlechteren Ökobilanz führen. Und wir haben weltweit auch nicht genügend Flächen dafür. Ich halte sie insgesamt nur für eine Übergangslösung.

taz: Eine solche Absenkung hören Länder wie Polen oder Ungarn nicht gern, die ihre Agrarprodukte exportieren. Was tun Sie, um die östlichen Länder beim Klimaschutz wieder an Bord zu bekommen?

Barbara Hendricks: Wir überlegen, wie wir den osteuropäischen Ländern entgegenkommen können. Wir wollen sie ja nicht beim Emissionshandel mit Mehrheit überstimmen. Polen ist sehr an seiner Versorgungssicherheit interessiert und sehr von der Kohle abhängig. Aber das Land importiert auch Kohle. Mindestens diesen Teil könnte man durch erneuerbare Energien ersetzen, ohne der Volkswirtschaft einen Schock zu verpassen.

taz: Deutschlands Polen liegt ja in Nordrhein-Westfalen, Ihrem Heimatland. Sind Sie ins Kabinett geschickt worden, um die Interessen der Kohlelobby zu sichern?

Barbara Hendricks: Ich komme vom Niederrhein, wo es keine Kohle gibt. Nordrhein-Westfalen lebt nicht nur von der Kohle. Jeder dort weiß, dass die Kohleverstromung eine Übergangstechnologie ist. Aber dass wir Kohle noch für eine gewisse Zeit brauchen, liegt auch auf der Hand. Wir planen bis 2050 mit mindestens 80 Prozent Erneuerbaren. Auf dem Weg dahin wird es einen gewissen Restbedarf für fossile Energieträger geben. Damit Gas dabei die größere Rolle spielt als Kohle, müssen wir den Emissionshandel reformieren. Die EU plant das bis 2020, ich will es bereits bis 2016 erreichen.

taz: Sie könnten auch ein Gesetz erlassen, das den Kohleausstieg vorschreibt.

Barbara Hendricks: Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Wir brauchen Energiesicherheit ohne Atom und Kohle, dafür ist das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels am besten geeignet.

taz: Wenn Sie das Klimaziel verfehlen, liegt das auch daran, dass Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien deckeln. Warum hat sich die SPD auf so niedrige Ziele eingelassen?

Barbara Hendricks: Wir wollten in der SPD tatsächlich etwas mehr haben. Aber jetzt liegen wir doch ziemlich nahe bei der Ausbaugeschwindigkeit der letzten Jahre an. Es geht ja auch darum, den Ausbau auch realistisch voranzutreiben.

taz: Das SPD-Wahlprogramm hat einen viel schnelleren Ausbau gefordert. War das unrealistisch?

Barbara Hendricks: Wir haben unsere Forderungen nicht geändert. Aber wir haben ja auch noch nicht die notwendigen Leitungskapazitäten.

taz: Deutschland produziert derzeit viel mehr Strom, als gebraucht wird. Könnte man den Atomausstieg beschleunigen?

Barbara Hendricks: Ich habe keine Planungen, die dazu führen, dass es schneller geht mit dem Ausstieg. Es kann aber sein, dass es aus wirtschaftlichen Gründen trotzdem geschieht.

taz: Eine Verlängerung der Brennelemente-Steuer über 2018 hinaus könnte dabei helfen.

Barbara Hendricks: Eine solche Initiative ist nicht geplant.

taz: Bei der Zwischenlagerung des Atommülls, den Deutschland noch zurücknehmen muss, sind Sie auf die Zustimmung der Bundesländer angewiesen. Doch ausgerechnet jene, die am stärksten auf Atomkraft gesetzt haben, blocken das jetzt ab. Wünschen Sie sich mehr Engagement etwa von Bayern?

Barbara Hendricks: Ich will jetzt nicht einzelne Länder ansprechen. Aber es ist schon richtig, dass manche Länder bei der Atomkraft sehr viel euphorischer waren als andere. Die sollten dann selber daraus ihre Schlüsse im Rahmen ihrer Verantwortung ziehen.

taz: Warum machen Sie nicht mehr Druck? Atomrecht ist doch Bundesrecht, Sie können den Ländern Weisungen erteilen.

Barbara Hendricks: Im Rahmen des Endlager-Konsenses hat die alte Bundesregierung im letzten Jahr mit den Ministerpräsidenten vereinbart, dass neben den von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angebotenen Standorten ein drittes Zwischenlager genutzt werden soll und dass dies nicht gegen das betreffende Bundesland durchgesetzt werden soll. Ich bin zuversichtlich, dass es bis Ostern eine Lösung gibt.

taz: Viel Streit gab es gleich zu Beginn der Großen Koalition auch beim Thema Gentechnik. Die Bundesregierung sagt auf EU-Ebene, wir verhindern nicht, dass ein neuer Genmais zugelassen wird. Und dann will sie ihn national verbieten. Eine schizophrene Haltung.

Barbara Hendricks: Die Enthaltung ist zustande gekommen, weil die Ministerien sich auf Fachebene nicht einig waren. Umwelt, Landwirtschaft und Wirtschaft waren gegen die Zulassung, Gesundheit, Forschung und Kanzleramt dafür. Ich finde aber, dass man das bei einer hochpolitischen Frage nicht noch einmal so machen darf. Bei der nächsten Entscheidung über die Möglichkeit regionaler Anbauverbote brauchen wir eine politische Entscheidung, möglicherweise sogar im Koalitionsausschuss.

Das Interview führten Malte Kreutzfeldt und Bernhard Pötter für die