"Manchmal muss man einfach etwas ausprobieren"

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Künstliche Intelligenz "Manchmal muss man einfach etwas ausprobieren"

Kanzleramtschef Helge Braun trifft Stephanie Kaiser, die ihre Erfahrung als IT-Unternehmerin in den Digitalrat der Bundesregierung einbringt. Wo liegen Chancen, wo Grenzen Künstlicher Intelligenz? Ein Gespräch aus "schwarzrotgold", dem Magazin der Bundesregierung.

5 Min. Lesedauer

Kanzleramtschef Helge Braun und IT-Unternehmerin Stephanie Kaiser gehen durch das Bundeskanzleramt.

Der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, mit IT-Unternehmerin Stephanie Kaiser: "Bürger müssen wissen: Wer macht da was mit meinen Daten?"

Foto: Florian Gaertner/photothek.net

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in Ihrem Leben?

Stephanie Kaiser: Das Erste, was mir da einfällt, ist das Gesichtserkennungsprogramm in meinem Handy.

Helge Braun: Neulich stand mal etwas in einer türkischen Zeitung über mich. Ich kann kein Türkisch und wollte wissen, was dort gesagt wird. Der KI-gestützte Algorithmus in meinem Übersetzungsprogramm hat mir geholfen. Und das ist doch großartig. Mithilfe von KI können ganz normale Menschen plötzlich Dinge, die bisher nur wenigen zur Verfügung stehen – sei es der Simultandolmetscher im Handy oder der Chauffeur für jedermann, den das autonome Fahren ermöglichen wird.

Warum muss sich die Bundesregierung um so etwas kümmern?

Stephanie Kaiser: Es geht um die Rahmenbedingungen. Zum Beispiel müssten die Kontrollmechanismen, die ja gut und wichtig sind, umgestellt werden. Medizinische Produkte müssen in Deutschland zertifiziert und vom TÜV geprüft werden. Aber KI und Softwareentwicklung können Sie so nicht kontrollieren. Software wird ja kontinuierlich weiterentwickelt. Die KI lernt selbst dazu. 

Helge Braun: Wir haben die Rahmenbedingungen im Blick. Wir wollen aber auch ganz praktisch unterstützen. Nehmen wir zum Beispiel ein Start-up-Unternehmen, das eine App zur Hautkrebserkennung entwickelt hat. Man fotografiert mit dem Handy die Hautveränderung, und die App erkennt anhand des Bildes, ob der Nutzer zum Arzt muss oder nicht. Tolle Anwendung. Um den Algorithmus dafür zu schreiben, brauchen die Unternehmen natürlich nicht die Hilfe der Bundesregierung. Was den Entwicklern aber fehlt, sind Daten – in diesem Fall ein Datenpool von, sagen wir, rund 70.000 Hautkrebsbildern. In unserem stark regulierten Gesundheitswesen fallen Millionen von Daten an, die wir diesem Start-up, der Forschung oder der Wirtschaft zur Verfügung stellen wollen.

Gerade Gesundheitsdaten sind sensibel. Wie stellen Sie sicher, dass das Hautkrebsfoto von Max Mustermann nicht irgendwann bei Facebook auftaucht?

Stephanie Kaiser: Natürlich wissen auch die Unternehmen, wie schützenswert diese Daten sind. Und wir tun alles, die Daten sicher zu verarbeiten. Einige Firmen stellen beispielsweise Hacker an und lassen die ganze Zeit das eigene System attackieren, um Sicherheitslücken zu finden. Ich würde mir da ein bisschen mehr Mut und Vertrauen wünschen.

Herr Braun, können wir dem Staat vertrauen? Schützen Sie unsere Daten?

Helge Braun: Wir sehen in Asien, dass der Staat die Daten seiner Bürger nutzt und sie damit auch versucht zu steuern. Wir sehen die starke Macht der Großkonzerne in den USA. Bei uns in Europa werden im Gegensatz dazu persönliche Freiheit und Selbstbestimmtheit großgeschrieben, auch über Daten. Das ist unser Wertesystem. Mit der Datenschutzgrundverordnung haben wir einen Rechtsrahmen geschaffen, der diese Werte schützt. Auch für Gesundheitsdaten brauchen wir einen transparenten Rahmen. Die Bürger müssen wissen: Wer macht da was mit meinen Daten?

Gibt es denn Bereiche, die Sie vor Künstlicher Intelligenz schützen wollen?

Helge Braun: Zum Beispiel die Frage, ob und wie jemand nach dem Strafrecht belangt wird oder nicht, ist und bleibt eine hoheitliche Aufgabe. Wer eine Haftstrafe verbüßen muss, entscheidet ein Richter, kein Algorithmus. Da hat KI nichts zu suchen. In anderen Bereichen brauchen wir KI so schnell wie möglich: In Industrie und Landwirtschaft müssen wir sie breit einsetzen, auch um ökologischer und ressourcenschonender zu produzieren. Mithilfe von KI können Wege effizienter geplant und Mittel sparsamer eingesetzt werden. Das ist die KI--Künstliche Intelligenz, auf die die Leute sich freuen können. 

Stephanie Kaiser: Es gibt einfach Bereiche, da wird KI den Menschen niemals ersetzen können. Menschen haben Empathie. Computer nicht. Nehmen wir meine zweijährige Tochter. Außer "ja", "nein" und "Papa" verstehe ich kaum ein Wort von ihr. Trotzdem weiß ich in 95 Prozent der Fälle, was sie gerade will, wie sie sich fühlt. Das wird KI niemals können. Aber KI wird dazu führen, dass ich meinen Alltag besser organisiere und dadurch Zeit gewinne – Zeit für meine Tochter zum Beispiel.

Kanzleramtschef Helge Braun und IT-Unternehmerin Stephanie Kaiser im Gespräch

Kanzleramtschef Braun, IT-Unternehmerin Kaiser: "Computer sind nicht intelligent."

Foto: Florian Gaertner/photothek.net

Zeitersparnis klingt natürlich toll. Viele Menschen haben aber die Sorge, dass die KI sie ihren Arbeitsplatz kostet.

Helge Braun: Wenn wir uns erinnern, in den Fünfzigerjahren hieß es: "Die Fließbandarbeit vernichtet Arbeitsplätze." Am Ende kam das deutsche Wirtschaftswunder dabei heraus. So ähnlich könnte es sich jetzt mit der Digitalisierung entwickeln. Durch sie entstehen neue Arbeitsplätze, weil die Produkte zusätzliche Fähigkeiten gewinnen. Früher hatte der Mixer einen Knopf, und er konnte mixen. Und heute hat er ein Display, verrät mir Rezepte und hilft mir durch den gesamten Kochvorgang. Da arbeiten natürlich viel mehr Menschen dran als an dem alten Mixer. Und nicht jeder muss Nobelpreisträger sein, um daran mitzuarbeiten. 

Was passiert, wenn die KI so schnell und viel lernt, dass sie am Ende schlauer ist als der Mensch, und der Mensch die Kontrolle verliert?

Stephanie Kaiser: Der Begriff "Künstliche Intelligenz" führt leider völlig in die Irre. Es klingt ja so, als wäre ein Computer intelligent. Das ist er nicht. Ich zitiere Chris Boos, Digitalratsmitglied und KI-Experte: "Ein Computer versteht erstmal nichts." Ein Beispiel: Große neuronale Netzwerke haben vielleicht eine Million Knoten und brauchen dafür die Energie eines halben Atomkraftwerks. Ein durchschnittliches Gehirn hat 84 Milliarden Neuronen und kommt mit einem Butterbrot aus. Selbst wenn sich die Rechenleistung alle 18 Monate verdoppelt, gibt es keinen Grund zur Sorge. Wenn von etwas eine Gefahr ausgeht, dann eher von dem Menschen, der die Maschine steuert, und nicht von der Maschine selbst.

Hat jemand, der KI steuern kann, damit unkontrollierbare Macht?

Stephanie Kaiser: Darauf weiß ich keine Antwort. Das sage ich auch immer ehrlich. Aber ich möchte das Thema KI an dieser Stelle mal etwas entmystifizieren. Wir können nicht immer alle Probleme antizipieren und vorab lösen. Das erste iPhone zum Beispiel war nicht unbedingt das beste Telefon aller Zeiten. Es war halt die erste Version. Heute funktioniert es um einiges besser. Viele Iterationen später. Manchmal muss man einfach etwas ausprobieren, vielleicht mal hinfallen und dann daraus lernen. Das ist wirklich, wirklich wichtig. Wir als Digitalrat nennen es "Liebe zur Zukunft".

Helge Braun: Künstliche Intelligenz stellt doch unsere gewachsenen demokratischen Strukturen nicht in Frage. Es geht nicht um unkontrollierbare Macht, sondern darum, die enormen Potenziale für das Wohl der Menschen zu nutzen.