Die Krisenanalyse des DDR-Chefplaners

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Deutsche Einheit

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

30. Oktober 1989 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit Die Krisenanalyse des DDR-Chefplaners

30. Oktober 1989: Eine fünfköpfige Expertengruppe unter Leitung von DDR-Chefplaner Gerhard Schürer legt dem SED-Politbüro ein deprimierendes Dokument vor: Das "Schürer-Papier" besagt, dass die DDR so gut wie pleite ist und dringend eine Wirtschaftsreform braucht.

2 Min. Lesedauer

Der Kandidat des Politbüros des ZK der SED, Gerhard Schürer, aufgenommen am 16. April 1981.

DDR-Chefplaner Gerhard Schürer

Foto: picture-alliance/dpa

Eine schonungslose Bilanz

Seit 13 Tagen ist Egon Krenz der neue SED-Generalsekretär, seit einer Woche auch Staatsratsvorsitzender. Nun erhält er von Gerhard Schürer und vier anderen Ökonomen eine schonungslose Analyse der finanziellen und wirtschaftlichen Lage in der DDR. Die "Geheime Verschlusssache b5 – 1158/89" zeigt detailliert auf, warum und wie stark die DDR überschuldet ist. "Allein ein Stoppen der Verschuldung", so heißt es, "würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25-30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen."

Zu den Ursachen der mangelhaften wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zählt für die Autoren der katastrophale Zustand der Produktionsanlagen. Im Jargon des Papiers: "In bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft sind die Ausrüstungen stark verschlissen, woraus sich ein überhöhter und ökonomisch uneffektiver Instandhaltungs- und Reparaturbedarf ergibt. Darin liegt auch eine Ursache, dass der Anteil der Beschäftigten mit manueller Tätigkeit in der Industrie seit 1980 nicht gesunken ist, sondern mit 40 Prozent etwa gleichblieb."

Ernüchternd auch diese Feststellung: "Die Leistungsentwicklung blieb hinter den Planzielstellungen zurück. Demgegenüber wurden die Ziele auf den Gebieten der Konsumtion, des Wohnungsbaus und der Sozialpolitik übererfüllt."

Forderung nach Reformen

Um die DDR vor dem Untergang zu bewahren, fordern die fünf Fachleute "eine grundsätzliche Änderung der Wirtschaftspolitik", verbunden mit einer Wirtschaftsreform. Dazu gehört auch "eine Umstrukturierung des Arbeitskräftepotentials", um "das Missverhältnis zwischen produktiven und unproduktiven Kräften in der gesamten Wirtschaft und im Überbau zu beseitigen". Im Klartext: Es gibt in der DDR viel zu viele Arbeitskräfte, die nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Deshalb fordern Schürer und seine vier Genossen einen "drastischen Abbau von Verwaltungs- und Bürokräften sowie hauptamtlich Tätiger in gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen".

Keine Wiedervereinigung, aber mehr Kredite

Einer Wiedervereinigung oder Konföderation mit der Bundesrepublik erteilen die Autoren eine klare Absage. Stattdessen plädieren sie dafür, "ein konstruktives Konzept der Zusammenarbeit mit der BRD und mit anderen kapitalistischen Ländern wie Frankreich, Österreich, Japan, die an einer Stärkung der DDR als politisches Gegengewicht zur BRD interessiert sind, auszuarbeiten und zu verhandeln".

Aber auch wenn alle Reformvorschläge umgesetzt seien, brauche die DDR zusätzliche Kredite aus dem Westen, müssen die Ökonomen einräumen. Zur "Sicherung der Zahlungsfähigkeit" sei es 1991 unerlässlich, "zum gegebenen Zeitpunkt mit der Regierung der BRD über Finanzkredite in Höhe von 2 - 3 Milliarden VM über bisherige Kreditlinien hinaus zu verhandeln". (VM steht für Valuta-Mark, im Politdeutsch der SED die Bezeichnung für die D-Mark.)