Der Autor der "wunderbaren Jahre" wieder in Greiz

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26. Januar 1990 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit Der Autor der "wunderbaren Jahre" wieder in Greiz

26. Januar 1990: Zum ersten Mal nach seiner Übersiedlung in den Westen ist der Schriftsteller Reiner Kunze wieder in Greiz. In der vollbesetzten Stadtkirche liest er aus seinem Buch "Die wunderbaren Jahre" und dankt den Greizern für ihren Beitrag zur Friedlichen Revolution.

2 Min. Lesedauer

Reiner Kunze beim Signieren eines Buches

Autor der "wunderbaren Jahre" wieder in Greiz

Foto: picture-alliance/akg-images

Im Visier der Stasi

Reiner Kunze, Bergarbeitersohn aus Oelsnitz im Erzgebirge, hat in Leipzig Philosophie und Journalistik studiert und bereits als Zwanzigjähriger erste Gedichte veröffentlicht. Vor Abschluss seiner Promotion muss er die Uni verlassen, weil man ihm vorwirft, "konterrevolutionäre Verbindungen" zu unterhalten. Kunze arbeitet zwei Jahre als Hilfsschlosser und lässt sich 1962 als freischaffender Schriftsteller in Greiz nieder.

Nach der gewaltsamen Niederschlagung des "Prager Frühlings" tritt Kunze aus der SED aus und gerät ins Visier der Stasi. Seine Bücher können – mit einer Ausnahme – nur noch in der Bundesrepublik erscheinen. So auch sein bekanntestes Werk, "Die wunderbaren Jahre", in dem er sich 1976 mit der Indoktrination junger Menschen in der DDR und den Ereignissen in der Tschechoslowakei auseinandersetzt.

Zur Ausreise genötigt

Der DDR-Schriftstellerverband schließt Kunze aus, was einem Berufsverbot gleichkommt, und die Stasi verschärft ihre Maßnahmen gegen ihn. Einer seiner engsten Vertrauten wirkt fleißig daran mit: Manfred "Ibrahim" Böhme , hauptamtlicher Kreissekretär des Kulturbundes in Greiz – und Stasi-Spitzel. Als Kunze Hinweise erhält, dass er inhaftiert werden soll, beantragt er für seine Familie und sich die Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft. Schon eine Woche später, am 13. April 1977, können die Kunzes ausreisen.

Das Foto von der Ausreise über die Grenzkontrollstelle Rudolphstein ist das letzte in den Stasi-Akten zum "Operativ-Vorgang Lyrik". Doch auch im Westen verfolgt die Stasi Kunze weiter: mit "politisch-operativen Maßnahmen zur Verunsicherung". Das SED-Regime will Kunzes Glaubwürdigkeit herabsetzen, weil es weiß, wie groß der Einfluss der "wunderbaren Jahre" ist; in der ganzen DDR kursieren Abschriften. Ein Satz verrät wie kein anderer, wie nervös man in Ostberlin ist: "Kommt Zeit, vergeht Unrat", sagt der Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, als Kunze den Georg-Büchner-Preis erhält.

"Wir bewundern Sie für Ihren Mut"

Nun also sind Reiner Kunze und seine Frau zum ersten Mal seit fast 13 Jahren wieder in Greiz. "Dass ich heute vor Ihnen stehe, ist für mich ein Lebenswunder", sagt er vor rund tausend Zuhörern. "Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und für alles, was Sie getan haben, damit wir ihr folgen konnten. Ich weiß nicht, ob Sie bei den ersten Demonstrationen hier in Greiz Angst gehabt haben. Wir, meine Frau, unsere Tochter und ich, haben Angst um Sie gehabt. Wir bewundern Sie für Ihren Mut."

Im Interview äußert sich Reiner Kunze zu seinen Empfindungen am 26. Januar 1990 in Greiz, zur Wirkung seiner "wunderbaren Jahre" und zu Stasi-Spitzel Böhme.

Seit 1995 ist Kunze Ehrenbürger der Stadt Greiz. Seine Werke sind in 30 Sprachen übersetzt, und er hat über 30 Auszeichnungen erhalten.