Bürgerrechtler kämpfen um die Stasi-Akten

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4. September 1990 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit Bürgerrechtler kämpfen um die Stasi-Akten

4. September 1990: Gut zwanzig Bürgerrechtler besetzen die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Sie wollen verhindern, dass die Stasi-Akten nach der Wiedervereinigung vernichtet werden oder für Jahrzehnte im Bundesarchiv verschwinden. Nach 24 Tagen endet die Aktion erfolgreich.

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Der Streit um die Hinterlassenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit

Der Streit um den Umgang mit den Akten hat bereits im Frühjahr begonnen. Die frei gewählte DDR-Volkskammer hat sich mehrheitlich für die Öffnung der Akten ausgesprochen. In den Regierungen der beiden deutschen Staaten ist das allerdings auf wenig Gegenliebe gestoßen. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière hat die Gefahr von „Mord und Totschlag“ gesehen, wenn die Bürger Einsicht in die Akten erhielten.

Am 7. Juni 1990 hat die Volkskammer eine "Sonderkommission zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit" unter Leitung von Joachim Gauck gebildet. Am 24. August 1990 haben die Volksvertreter einem Gesetzentwurf zur politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zugestimmt. Doch die Bundesregierung möchte dieses Thema aus dem Einigungsvertrag ausklammern und die Stasi-Akten dem Bundesarchiv in Koblenz überantworten. Die Volkskammer droht daraufhin sogar, den Einigungsvertrag platzen zu lassen.

"Den Menschen nicht die Vergangenheit klauen"

Für die Bürgerrechtler, die sich am 4. September im ehemaligen MfS-Gebäude verbarrikadieren, ist es ein Unding, dass die Akten jahrzehntelang unzugänglich bleiben sollen. Sie wollen nicht nur eine grundlegende Aufarbeitung, sondern auch eine freie Akteneinsicht für die Stasi-Opfer.

Die freie Akteneinsicht für Opfer sei für ihn persönlich der Hauptgrund gewesen, sich an der zweiten Stasi-Besetzung in Berlin zu beteiligen, sagt der ehemalige Bürgerrechtler Frank Ebert.

Die Besetzer verlangen deshalb, dass der Umgang mit den Stasi-Akten im deutsch-deutschen Einigungsvertrag Berücksichtigung findet. Am zweiten Tag der Besetzung wenden sie sich mit ihren Forderungen in einem offenen Brief an die DDR-Volkskammer, die Parteien und auch den Deutschen Bundestag.

Unter den Besetzern sind Mitglieder des Neuen Forums , der Vereinten Linken und der Umweltbibliothek. Prominente Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley, Reinhard Schult und Ingrid Köppe beteiligen sich. Auch der Musiker Wolf Biermann schließt sich ihnen an. Man dürfe den Menschen "nicht ihre Vergangenheit klauen", sagt der Liedermacher, als er in dem besetzten Gebäude eintrifft .

Großes Interesse und Solidarität

Die Besetzer hängen Transparente aus den Fenstern: "Die Akten gehören uns", "Volksentscheid: Aushändigung der Personenakten", "Aktenopfer aller Länder, vereinigt euch."

Schnell werden die Medien auf die friedliche Aktion aufmerksam. Täglich strahlt das Fernsehen Pressekonferenzen aus, eine Welle der Solidarität breitet sich aus. Kurz nach der Besetzung versammeln sich weitere DDR-Bürger vor dem MfS-Gebäude zu einer Mahnwache. Auch in anderen Städten schließen sich Menschen zu Mahnwachen zusammen.

Ein Zusatz zum Einigungsvertrag

Joachim Gauck gelingt es, mit der Bundesregierung eine Lösung auszuhandeln: Die Akten sollen nach der Wiedervereinigung von einer eigenen Bundesbehörde verwaltet werden, und der Deutsche Bundestag soll über den Umgang mit ihnen entscheiden. Am 18. September 1990 stimmt die Volkskammer einem entsprechenden Zusatz zum Einigungsvertrag zu.

Am 28. September verlassen die Besetzer die ehemalige Stasi-Zentrale. Sie haben ihr Ziel erreicht. Die Stasi-Unterlagenbehörde entsteht mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Ihr erster Leiter: Joachim Gauck. Ein Jahr später, im Dezember 1991, beschließt der Deutsche Bundestag das "Stasi-Unterlagengesetz".