Warum Polizeiarbeit im Ausland wichtig ist

Interview zu internationalen Polizeimissionen Warum Polizeiarbeit im Ausland wichtig ist

Mit ihrem persönlichen Einsatz auf der Straße sichern Landes- und Bundespolizei tagtäglich das Leben der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Doch nur wenige Menschen wissen, dass rund 250 Polizeibeamtinnen und -beamte ihren Dienst auch im Ausland leisten. Die Polizistin Tamara Pfeuffer aus Bayern und der baden-württembergische Polizeioberrat Robert Nerud berichten im Interview von ihren Auslandsmissionen und erklären, warum ihre Einsätze die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in Deutschland auch ein Stück sicherer machen.

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Eine deutsche Polizistin trainiert mit afghanischen Männer in einem Trainingslager in Afghanistan.

Deutsche Polizistinnnen und Polizisten kümmern sich seit 2002 um die Polizeiausbildung in Afghanistan.

Foto: Photothek/Imo

Welche Aufgaben haben Sie bei Ihren Auslandseinsätzen wahrgenommen?

Robert Nerud: Die Ziele für meine Mission in Libyen waren vergleichsweise unbestimmt. Ich hatte die Gelegenheit mit der Mission EUBAM als Landespolizist in einem zunächst kleinen Planungsteam den möglichen Mandatsaufbau und zusätzlich die Bereiche der Polizei, organisierte Kriminalität, Terrorismusbekämpfung und Strafjustiz zu koordinieren. Das war Pionierarbeit.

EUBAM in Libyen findet im Rahmen der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union" statt. Das Mandat wurde bis Ende 2018 verlängert und findet derzeit ohne deutsche Beteiligung statt.

Inzwischen haben wir wieder eine Mission mit der Europäischen Union in Libyen, die auf Augenhöhe mit den Vereinten Nationen erfolgreich beim Aufbau einer Polizei und strafjustiziellen Strukturen mitarbeiten kann.

Was war die größte Herausforderung, die sich Ihnen dabei gestellt hat?

Robert Nerud: Die größte Herausforderung dabei war mit Sicherheit, dass wir nahezu im gesamten ersten Jahr nicht auf das libysche Staatsgebiet konnten und von Tunesien aus – also aus dem evakuierten Status heraus – agieren mussten. Das war eine schwierige Aufgabe, Mittel und Wege zu finden, wieder nach Libyen zu kommen. Das haben wir nach knapp einem Jahr erfolgreich geschafft.

Portraitbild von Robert Nerud mit Landkarte, auf der das Einsatzgebiet Libyen

Foto: Bundesregierung / Rene Bertrand (BMI)

In Libyen hatten wir eine sehr, sehr enge Bewegungsfreiheit. Alle Bewegungsräume in diesem Land mussten vorher durch Sicherheitskräfte aufgeklärt werden, sprich, wir waren also immer im Dienst. Aber das ist in einem Land wie Libyen unvermeidbar.

Sie persönlich sind erst später, nämlich im März 2016 nach Libyen gekommen. Die Mission EUBAM agierte bereits 2014 aus Tunesien heraus. Dennoch hatten Sie noch immer mit den anfänglichen operativen Schwierigkeiten im Land zu tun? 

Robert Nerud: Das stimmt. Meine Aufgabe war es vor allem 2016 die Mission wieder operativ zu stellen, da die Mission 2014 komplett im Land selber eingestellt werden musste. Wir mussten alle mit der Rückkehr verbundenen Maßnahmen selber entwickeln und aufbauen. Dazu gehörten Beratungsaufgaben; Strukturen und Verbindungen zu libyschen Partnern wieder herzustellen. Wir mussten unter anderem auch eine Sicherheitsfirma in Libyen finden, unter Vertrag nehmen und Rahmenbedingungen festlegen. Es war natürlich ein unvergesslicher Moment, nach einem Jahr harter Arbeit in das Land zurückkehren zu können, für das Sie entsandt worden sind.

Frau Pfeuffer, Sie waren von Mai 2017 bis Juni 2018 in Afghanistan. Kommt es Ihnen bekannt vor, was der Kollege Nerud von den begrenzten Möglichkeiten berichtet?

Tamara Pfeuffer: Ja, das kommt mir sehr bekannt vor. Auch in Afghanistan (German Police Project Team , GPPT) konnte man sich nicht frei bewegen. Wir lebten in einem gesicherten Camp, aus dem wir agierten. Um sich mit afghanischen Counterparts – wie zum Beispiel mit afghanischen Polizeikollegen oder mit Mitarbeitern des afghanischen Innenministeriums - zu treffen, musste man immer ungesicherte Straßen passieren. Deshalb war auch immer eine sehr hohe Planung erforderlich.

Portrait von Tamara Pfeuffer mit Landkarte, auf der das Einsatzgebiert Afghanistan hervorgehoben ist

Foto: Bundesregierung / Rene Bertrand (BMI)

Wir mussten erst einmal in Erfahrung bringen, wie die Sicherheitslage aussah. Generell war es wie bei dem Kollegen Nerud auch so, dass wir uns nur in gepanzerten Fahrzeugen bewegen durften. Es herrschte schon immer ein Sicherheitsrisiko.

Die Bundespolizei entsendet seit 25 Jahren Fachkräfte ins Ausland. Gemeinsam mit den Polizeibeamten der Länder, des Bundeskriminalamtes und des Zolls liegt die deutsche Beteiligung bei Auslandseinsätzen derzeit bei ungefähr 250 Beamtinnen und Beamten. Dadurch sichern deutsche Polizisten nicht nur den Erhalt der inneren Sicherheit und Ordnung in Deutschland, sondern auch im Ausland.

Hatten Sie nicht die Bundeswehr an Ihrer Seite? Wie gestaltet sich überhaupt die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr bei solchen Missionen?

Robert Nerud: Ich kenne die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr noch aus meiner Zeit in Afghanistan. Wir haben aber leider die Bundeswehr nicht in allen Ländern vertreten, in denen wir als Polizisten auf Mission gehen. In Libyen beispielsweise war keine Bundeswehr vor Ort. Dort gab es überhaupt keine militärischen Strukturen. Wir konnten daher auch nicht auf die sonst so gute Zusammenarbeit und den militärischen Schutz zurückgreifen. Stattdessen mussten wir unseren Schutz durch unter Vertrag genommene Sicherheitsfirmen gewährleisten.

Tamara Pfeuffer: Im Fall von Afghanistan war die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr sehr gut. Unsere medizinische Versorgung und allgemein die logistische Unterstützung wurde durch die Bundeswehr bereitgestellt. Was allerdings unseren Personenschutz anbelangte, waren wir selbst verantwortlich. Wir waren auch nicht am selben Standort wie die Bundeswehr untergebracht. Unser Camp wurde von einer privaten Sicherheitsfirma beschützt.

Kann man Ihre Aufgaben in Afghanistan mit denen vom Kollegen Nerud im Libyen-Einsatz vergleichen?

Tamara Pfeuffer: Als komplett anders würde ich es nicht beschreiben. Es ging um den Aufbau einer stabilen und handlungsfähigen Polizeistruktur. Das wird erreicht durch Ausbildung von Polizeikräften und durch den Gebäudebau für Polizeieinsatztrainings. Dabei haben wir uns auch immer mit anderen internationalen Teams abgesprochen, wie man vorgehen sollte.

Wie wurden Sie auf Ihren Einsatz vorbereitet? Haben Sie sich länger mit der Entscheidung ins Ausland zu gehen, beschäftigt?

Tamara Pfeuffer: Wenn Sie als bayerische Landespolizistin tätig sind, können Sie sich nur für Auslandseinsätze im Kosovo oder in Afghanistan bewerben. Die bayerischen Auslandsbetreuer der Friedensmission haben uns im Vorhinein viele Informationen zur Verfügung gestellt und geduldig unsere Fragen beantwortet. Ansonsten habe ich mit Kollegen gesprochen, die bereits in Afghanistan und im Kosovo waren. Ich entschied ich mich letztendlich für Afghanistan. Außerdem wird man durch die Bundespolizei-Akademie in Lübeck gut vorbereitet. Dort gibt es ein vierwöchiges Vorbereitungsseminar, in dem man viel über Land und Leute lernt und auf welche Gefahren man sich einstellen muss.

Robert Nerud: Für Afghanistan kann ich das bestätigen. Bei meiner zweiten Mission in Libyen war es dann anders. Der Unterschied der Missionen in Afghanistan und Libyen besteht zudem darin, dass für die EU-Mission in Libyen ein Bewerbungsverfahren notwendig ist. Zwischen meinem ersten Telefonat und meiner Ausreise lagen etwa drei Wochen. Das war der Tatsache geschuldet, dass in manchen Einsatzgebieten ein schnelles Eingreifen notwendig ist.

Deutschland verfügt über einen Pool von qualifizierten Polizeibeamten des höheren Dienstes, die auch für kurzfristige Entsendungen in Krisengebiete vorgesehen sind. Ich gehöre einem dieser Pools an und war daher darauf gefasst, dass der Anruf kommt und dass ich mich auf eine schnelle Ausreise vorbereiten muss.

Deutsche Bundespolizisten unterstützen auch andere Mitgliedsstaaten beim Schutz der Schengen-Außengrenze, wie etwa in Frontex-Einsätzen oder durch die Entsendung von "Grenzpolizeilichen Unterstützungsbeamten Ausland" (GUA).

Trotz aller guten Vorbereitung bleibt die Lage vor Ort dennoch schwer einzuschätzen. Was hat Sie am meisten überrascht oder vielleicht auch erschreckt?

Robert Nerud: Von vielen Dingen vor Ort haben Sie bereits im Vorfeld gehört. Sie müssen sich aber vorstellen, Sie kommen in ein Land, in dem es vierzig Jahre zuvor zumindest wirtschaftlich wenig Probleme gab und das nun seit sechs oder sieben Jahren in Nachrevolutionswirren liegt. Sie treffen trotzdem einheimische Kollegen in diesem Einsatzland, die eigentlich allen guten Grund hätten, mit ihrer Familie ins sichere Ausland zu fliehen. Aber stattdessen halten sie entschlossen an ihrer Aufgabe fest, mitzuwirken, das Land wieder aufzubauen.

Dieser Durchhaltewille, dieses klare Bekenntnis zum Heimatland macht mich auch demütig. Es hat mich unglaublich beeindruckt und umso mehr war es mir ein großes Anliegen, meinen Beitrag dazu zu leisten, damit genau diese Motivation dieser Kollegen weiter erhalten bleibt. Es bedarf angemessener Sicherheitsstrukturen, die Menschenrechte berücksichtigen, damit es mit dem Land wieder aufwärts geht und nicht der Mann mit der Waffe in der Hand regiert.

Ist es dann auch das Engagement und der Kampf der einheimischen Bevölkerung, die Sie motivieren, sich einzusetzen und sogar Ihr Leben zu riskieren?

Tamara Pfeuffer: Wir fühlen uns in Deutschland immer noch sehr, sehr sicher. Aber jeder Polizist hier in Deutschland ist auf der Straße einem unkalkulierbareren Risiko ausgesetzt. Ich denke, dass die Kollegen hier auf der Straße von unvorhersehbaren und gefährlichen Situationen ganz anders getroffen werden als in Afghanistan. Dort haben Sie täglich im Hinterkopf, es könnte ein Anschlag passieren.

Robert Nerud: Als Polizisten sind wir ja grundsätzlich entsprechende Risiken gewohnt, und sind ausgebildet, Risiken einzuschätzen und zu kalkulieren. Auch hier kann jeder Kollege jederzeit Opfer eines Verbrechens werden und hat möglicherweise noch weniger Mittel zur Verfügung, Risiken angemessen zu begegnen. Allerdings ist durch das ständige Bewusstsein einer drohenden Gefahr das Leben dort unten ganz besonders. Mir fällt beim Heimkommen immer wieder auf, wie achtsam man geworden ist. Mit wieviel weniger Menschen in anderen Ländern auskommen müssen und trotzdem versuchen, ein frohes Leben zu führen. 

Die meisten Landes- und Bundespolizisten sind derzeit im Rahmen von GPPT in Afghanistan und der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA in Mali eingesetzt. Bei der Mission in Afghanistan geht es um die bilaterale Unterstützung beim Polizeiausbau. In Mali bilden deutsche Polizeikräfte die malischen Sicherheitsbehörden aus.

Was wünschen Sie sich seitens der Gesellschaft und seitens der Politik? Es ist sicherlich ein riesiges Engagement ins Ausland zu gehen, aber die Polizeiarbeit hier im Land ist ja nicht unbedingt einfacher. 

Robert Nerud: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Das wird sicherlich auch sehr individuell empfunden. Aber was uns sicher alle eint, ist der Wunsch nach Wertschätzung – und zwar nicht nur seitens der politischen Entscheidungsträger, sondern auch der Bevölkerung. Zu Beginn meiner dienstlichen Laufbahn vor über 20 Jahren war die Anerkennung der Polizeiarbeit noch eine ganz andere. Anfeindungen, Aggressionen und Distanzlosigkeit seitens der Bevölkerung habe ich damals nicht so stark empfunden wie heute. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die gleiche Anerkennung und Wertschätzung für unsere Arbeit im In- und Ausland bekommen würden, wie sie anderen Berufen auch entgegengebracht werden.

Tamara Pfeuffer: Auch zu Beginn meiner Ausbildungszeit und meines Berufseinstiegs waren der Respekt und die Anerkennung eine ganz andere. Ich würde mir von der Bevölkerung wünschen, dass sie uns auch mal wieder als Menschen betrachtet - eine Polizei, die hilft, aber auch respektvoll behandelt werden möchte.

Robert Nerud: Was unsere Auslandseinsätze betrifft, würde ich mir wünschen, dass allgemein mehr Menschen bewusst ist, dass nicht nur die Bundeswehr im Auslandseinsatz ist, sondern dass wir auch hunderte Polizisten im Ausland hatten und haben.

Gibt es für Sie praktische Beispiele, wo Sie sich mehr Unterstützung seitens der Politik und der Bevölkerung wünschen?

Robert Nerud: Da fällt mir eine ganze Reihe von Beispielen ein. Von konsequenter Aburteilung von Straftätern und auch Straftaten gegenüber Polizeikräften, wie Körperverletzung, Beleidigungsdelikte und auch Widerstandsdelikte. Auch die Öffentlichkeitsarbeit könnte zukünftig noch mehr dazu beitragen. Vielen Menschen ist möglicherweise gar nicht bewusst, was wir wirklich leisten und welche schwierigen Konfrontationen wir auch persönlich aushalten müssen. Natürlich sind wir alle Staatsbürger in Uniform und haben selbstverständlich auch politische Meinungen. Nicht jeder Einsatzanlass und Auftrag entspricht der eigenen Meinung, jedoch muss sich der Dienstherr auf seine Polizisten verlassen können. Auch das macht einen stabilen Rechtsstaat aus.

Tamara Pfeuffer: Genau, vor allem bei Demonstrationen sollte die Bevölkerung sehen, dass es unsere Arbeit ist, eine Demonstration geordnet ablaufen zu lassen und für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Damit machen wir uns den Demonstrationsanlass nicht zu eigen.

Robert Nerud: Seit 2015 begleitet uns die Flüchtlingswelle, die nach Deutschland schwappt. Damit verbunden sind unglaublich tragische Schicksale, die Menschen auf ihrer Flucht nach Deutschland erleiden mussten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es mit zu unseren Aufgaben als Polizisten und Polizistinnen gehört, nicht nur die Migration hier in Deutschland mit zu managen. Sondern wir müssen auch an der Bekämpfung von Fluchtursachen mitarbeiten, die - nach meiner persönlichen Erfahrung - Hunger, gesundheitliche Probleme, finanzielle Not und vor allem das Leben in Unsicherheit sind.

Ich bin fest davon überzeugt, dass alleine eine Kollegin und ein Kollege im Auslandsdienst, die Arbeit von sicherlich zehn Kollegen in Deutschland zu migrationsbegleitenden Problemen deutlich erleichtert. Und außerdem können wir dazu beitragen, unglaubliches Leid und Tragödien zu verhindern.

Würden Sie also sagen, dass Ihr Auslandseinsatz mit zur Sicherheit in Deutschland beiträgt?

Tamara Pfeuffer: Ja, ganz bestimmt. Genau deshalb wäre es auch wichtig,  dass die Öffentlichkeit auch mehr über die Hintergründe der Einsätze, wie in Libyen und Afghanistan, erfährt. Ich wurde sehr oft mit der Frage konfrontiert – auch von Kollegen: "Was machst du als deutsche Polizeibeamtin im Ausland? Hast du hier nicht genügend Aufgaben in Deutschland?"