Regierungspressekonferenz vom 12. Juli 2021

Im Wortlaut Regierungspressekonferenz vom 12. Juli 2021

Themen: Reise der Bundeskanzlerin nach Washington, Fall Julian Assange, Nord Stream 2, Nutzung der Relaisstation Ramstein für Drohneneinsätze des US-Militärs, Reise des Bundesaußenministers in die USA, COVID-19-Pandemie, Abschiebungen nach Afghanistan, afghanische Ortskräfte, EU-Militärmission in Mosambik, Nato-Großübung im Schwarzen Meer, Abendessen der Bundeskanzlerin mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Besuch des Präsidenten der Ukraine in Deutschland, Wissenschaftszeitvertragsgesetz, Finale der Fußball-Europameisterschaft, Belarus-Sanktionen, Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen Google durch das Oberlandesgericht Dresden, rechte Gewalt/Besuch der Bundeskanzlerin in Chemnitz im November 2018

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Montag, 12. Juli 2021

Sprecher: StS Seibert, Baron (BMWi), Sasse (AA), Gülde (BMG), Wede (BMI), Helmbold (BMVg), Kügele (BMBF), Leber (BMJV)


Vorsitzende Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.


StS Seibert: Einen schönen guten Tag auch von mir, meine Damen und Herren! Ich habe am Freitag gesagt, ich werde heute schon ein paar weitere Programmpunkte der Reise der Bundeskanzlerin nach Washington nennen können, und das ist auch so. Sie wissen, dass sie am Donnerstag auf Einladung des amerikanischen Präsidenten in Washington sein wird. Ich kann Ihnen sagen, dass im Anschluss an bilaterale Gespräche und eine gemeinsame Pressekonferenz der Präsident und die First Lady ein Abendessen im Weißen Haus zu Ehren der Kanzlerin ausrichten werden. An diesem Abendessen wird auch Professor Sauer teilnehmen. Außerdem erhält die Bundeskanzlerin bei einer Veranstaltung in Washington die Ehrendoktorwürde der Johns-Hopkins-Universität.

Weitere Programmpunkte, so sie sich noch ergeben werden, kann ich Ihnen dann noch nachreichen. Ein bisschen Zeit haben wir ja noch.

Frage: Herr Seibert, können Sie sagen, die wievielte Ehrendoktorwürde der Kanzlerin dies ist? Ich meine, es ist die 18.

StS Seibert: In der Tat hat Frau Demmer hier vor nicht allzu langer Zeit von 17 Ehrendoktorwürden gesprochen. Mit der Johns-Hopkins-Universität wären es dann 18.

Zusatzfrage: Es gibt einen Brief von etwa 120 Unterstützern von Julian Assange, die die Kanzlerin darum bitten, sich bei Herrn Biden dafür einzusetzen, dass Herr Assange freigelassen und nicht in die USA ausgeliefert wird.

Wird die Kanzlerin das Thema ansprechen, und wird sie sich für die Freilassung von Herrn Assange einsetzen?

StS Seibert: Sie wissen, dass wir zu offenen Briefen grundsätzlich keine Stellung nehmen, unabhängig von den Absendern und dem Thema des offenen Briefes. Insofern kann ich heute hier nur noch einmal die grundsätzliche Überzeugung der Bundesregierung wiederholen. Wir haben volles Vertrauen darin, dass in Großbritannien die rechtsstaatlichen Prinzipien und Garantien gewährleistet werden. Das ist unsere Haltung seit geraumer Zeit. Daran hat sich nichts geändert. Den Gesprächen in Washington greife ich hier nicht vor.

Zusatzfrage: Sie sagten eben, Sie wollten den Gesprächen nicht vorgreifen. Aber wird das ein Thema sein? Ist das vielleicht schon in den Vorbereitungen ein Thema gewesen?

StS Seibert: Ich kann mich dazu nicht äußern. Wir haben eine Reihe von Themen, eine Fülle von Themen, so könnte man sagen. Die Haltung der Bundesregierung zum Fall Julian Assanges ist hier mehrfach ausgedrückt worden, auch vom Auswärtigen Amt, und hat sich nicht verändert.

Frage: Herr Seibert, hat sich die Bundesregierung, hat sich die Kanzlerin bisher für die Freilassung von Julian Assange eingesetzt?

StS Seibert: Ich werde Ihnen gern noch einmal wiederholen, dass wir davon überzeugt sind, dass für Herrn Assange in Großbritannien die nötigen Rechtsmittel gegeben sind, auch um etwaige Beschwerden vorzubringen oder Verfahren zu rügen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen und gegebenenfalls Abhilfe. Wir haben Vertrauen in das rechtsstaatliche System Großbritanniens. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

Zusatzfrage: Das heißt, dass Sie auf einen fairen Prozess vertrauen, aber nicht die Freilassung von Julian Assange fordern. Damit haben Sie sich auch bisher nicht für die Freilassung eingesetzt. Korrekt?

StS Seibert: Ich habe das gesagt, was die Haltung der Bundesregierung ausdrückt.

Frage: Wie gut stehen die Chancen, dass der Streit um Nord Stream 2 bis zum Besuch im Weißen Haus am Donnerstag beigelegt sein wird?

StS Seibert: Nord Stream 2 ist ein Thema - das haben wir hier vielfach gesagt -, über das wir mit der US-amerikanischen Seite im Gespräch sind. Ich kann nur sagen, dass diese Gespräche andauern. Es ist ein Projekt der Wirtschaft. Was die politischen Aspekte dieses Projekts betrifft, haben wir uns hier vielfach geäußert. Die Position ist bekannt.

Frage: Kann die Pipeline, wenn sie fertig gebaut ist, sofort in Betrieb genommen werden, oder bedarf es noch irgendeiner Genehmigung? Vielleicht kann das Wirtschaftsministerium Ihnen dabei helfen.

Baron: Das müsste ich im Zweifel noch prüfen. Alle Genehmigungen für den Bau sind erteilt und bestehen oft bereits seit vielen Jahren. Was für die Inbetriebnahme gilt, müsste ich noch klären. Eventuell kann dabei auch die Bundesnetzagentur weiterhelfen. Aber ich versuche, das zu klären.

Frage: Wird das Thema der Drohnenangriffe via Ramstein Thema für die Kanzlerin sein, Herr Seibert? Wird die Kanzlerin Herrn Biden auffordern, diese zumeist völkerrechtswidrigen Angriffe via Ramstein zu unterlassen?

StS Seibert: Ich schlage vor, dass wir es wie bei jeder Reise machen. Es gibt eine Fülle von Themen. Im Anschluss werden die Bundeskanzlerin und der US-Präsident in einer Pressekonferenz berichten, worüber sie gesprochen haben. Ich werde hier jetzt nicht weiter auf kommende Gespräche eingehen.

Zusatzfrage: Hat sich die Kanzlerin bisher gegen die Drohnenangriffe via Ramstein eingesetzt, Herr Seibert?

StS Seibert: Dazu haben wir hier, würde ich sagen, fast Dutzende Male Auskunft gegeben, darüber, dass wir über dieses Thema und über die Einhaltung aller rechtlichen Vorschriften und Standards mit der amerikanischen Seite im Gespräch sind und dass es dazu Garantien gibt. Deswegen habe ich Ihnen dazu heute überhaupt nichts Neues zu sagen.

Frage (zur Reise der Bundeskanzlerin nach Washington): Ich habe eine Frage zum Programm. Ich weiß nicht, ob Sie es sagen können, Herr Seibert. Wird sie auch die Vizepräsidentin Harris treffen?

StS Seibert: Ich habe gesagt, ich würde beizeiten über weitere Details der Reise informieren. Im Mittelpunkt der Reise steht natürlich der Austausch mit dem amerikanischen Präsidenten Biden.

Frage: Ich will gern noch einmal auf das Thema von Nord Stream kommen, da ein Treffen der Kanzlerin mit Herrn Selensky heute Abend bevorsteht. Auch dort dürfte das Thema eine Rolle spielen.

Wird die Bundesregierung oder wird die Kanzlerin heute Abend sozusagen ein Angebot unterbreiten, das mögliche Lieferausfälle oder Lieferkompensationen für Erdgas darstellt, vielleicht im Bereich der Wasserstofftechnologie?

StS Seibert: Wir kommen auf das zurück, was wir hier auch in der vergangenen Woche noch einmal gesagt haben. Für uns ist im Zusammenhang mit Nord Stream ganz klar und auch wichtig, dass die Ukraine Gastransitland bleibt. Dafür haben wir uns sehr eingesetzt. Wir haben, Gott sei Dank, zusammen mit der Europäischen Union zu einem Abschluss eines Gasvertrags zwischen der Ukraine und Russland beitragen können. Damit sind die Weichen gestellt. Dieser Vertrag läuft, wenn ich es richtig sehe, bis Ende 2024. Er sieht bereits vor, dass die Parteien die Möglichkeit prüfen, diesen Vertrag bis 2034 zu verlängern. Das ist unsere Haltung.

Dem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten würde ich jetzt auch nicht weiter vorgreifen wollen. Auch Präsident Selensky und die Bundeskanzlerin werden sich heute nach seiner Ankunft kurz vor der Presse äußern.

Frage: Herr Seibert, aber wie erfahren wir denn die Ergebnisse, wenn die beiden sich nur vor dem Treffen äußern?

StS Seibert: Wenn es etwas gibt, was die Öffentlichkeit anschließend noch wissen muss, dann wird es immer Möglichkeiten geben, darüber zu informieren. Aber ich sage Ihnen - das kann ich nur wiederholen -, dass die Haltung der Bundesregierung nicht nur der Öffentlichkeit und Ihnen, sondern auch der ukrainischen Seite bekannt ist. Deswegen habe ich hier noch einmal dargelegt, was für uns wichtig ist.

Frage: Hat die Bundesregierung auch Vertrauen in die amerikanische Rechtsprechung, inklusive der Möglichkeit der Todesstrafe in puncto Spionage beziehungsweise Landesverrats, wie im Fall von Assange oft spekuliert worden ist?

StS Seibert: Unsere Haltung zur Todesstrafe ist bekannt und immer wieder ausgedrückt worden. Sie betrifft übrigens alle Länder, in denen die Todesstrafe leider noch praktiziert wird. Ansonsten ist Herr Assange derzeit ein Fall für die britische Justiz, und wir haben unser Vertrauen in die britische Justiz und die rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die sie auch einem Angeklagten einräumt, ausgedrückt.

Frage: Wird es vor der USA-Reise noch ein Briefing für Journalisten und Journalistinnen hier geben? Dieses Mal ist es ja leider nicht möglich, die Kanzlerin auf ihrer Reise zu begleiten.

StS Seibert: Nein, hier in der Bundespressekonferenz wird es kein Briefing geben. Wir machen das, wenn ich das noch sagen darf, vor großen internationalen Gipfeln, G7, G20; wir machen es nicht vor jeder Auslandsreise.

Sasse: Ich darf Ihnen heute eine Reise von Außenminister Maas ankündigen. Außenminister Maas wird morgen ebenfalls zu einer Reise in die USA aufbrechen. Station der Reise wird zunächst der US-Bundesstaat Michigan, dort insbesondere Detroit, sein. Anschließend wird Außenminister Maas nach New York weiterreisen.

Im Fokus des bilateralen Reiseteils wird die transatlantische Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft und der Innovation unter anderem im Kampf gegen die Coronapandemie stehen. Außenminister Maas wird unter anderem die Produktionsstätte eines großen Impfstoffherstellers in Michigan besuchen. Auch Fragen des Wirtschaftswandels als gemeinsame Herausforderung in unseren Demokratien werden in diesem bilateralen Reiseteil eine Rolle spielen.

In New York wird es vor allem um multilaterale Themen gehen, insbesondere um unser Engagement für eine politische Lösung in Libyen, aber auch um weitere multilaterale Themen wie die Agenda für nachhaltige Entwicklung.

Frage: Frau Sasse, können Sie sagen, ob die Reise mit der der Kanzlerin abgestimmt ist? Ist es reine Koinzidenz, dass sich beide gleichzeitig in den USA befinden, sich dort aber nicht sehen werden, wenn ich es mit Blick auf die Ziele, die Sie genannt haben, richtig sehe?

Sasse: Wie Sie zu Recht anmerken, sind die Ziele unterschiedlich. Die Reisen sind selbstverständlich wie immer miteinander abgestimmt. Der Außenminister und die Kanzlerin stehen in engem direktem Austausch miteinander. Die Sicherheitsratssitzung zu Libyen am Donnerstag, den 15. Juli, ist natürlich auch unabhängig von den Reiseplanungen der Kanzlerin festgelegt worden. Zum bilateralen Reiseteil nach Michigan habe ich an dieser Stelle alles ausgeführt.

Zusatzfrage: Können Sie bitte noch sagen, um welchen Impfstoffhersteller es sich handelt?

Sasse: Ich kann Ihnen nur sagen, dass es ein großer deu-, dass es ein großer Impfstoffhersteller sein wird.

Frage: Wenn ich es richtig gehört habe, dann wäre Ihnen eben fast das Wort „deutscher“ oder die Formulierung „mit deutscher Beteiligung“ herausgerutscht. Wir vermuten das Unternehmen Pfizer. Korrigieren Sie es, wenn es falsch ist.

Welcher Anlass besteht für den Außenminister, dorthin zu gehen? Er ist ja weder Wirtschaftsminister noch Gesundheitsminister.

Sasse: Zur Klarstellung: Es geht, wie ich dargestellt habe, um einen großen Impfstoffhersteller, der seinen Sitz im Bundesstaat Michigan hat.

Ich habe auch ausgeführt, dass es dem Außenminister unter anderem darum geht, im Kampf gegen die Coronapandemie deutlich zu machen, wie wir transatlantisch zusammenarbeiten. Dabei geht es natürlich unter anderem auch um Impfstoffe.

Zusatzfrage: Es ist bei einem Impfstoffhersteller nicht weiter verwunderlich, dass es um Impfstoffe geht. Aber noch einmal: Ist das Ziel dieses Besuches, zum Beispiel dafür zu werben, dass für COVAX oder andere Initiativen noch mehr Impfstoffe bereitgestellt werden, oder soll die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit noch weiter vertieft werden? Können Sie das bitte etwas genauer fassen?

Sasse: Natürlich wird es auch um Elemente wie COVAX gehen, ohne dass ich in dem Fall aber auf genauere Aspekte, die Sie in Ihrer Frage andeuten, eingehen kann oder will. Dass es um die transatlantische Zusammenarbeit geht, habe ich auch deutlich gemacht. Das heißt, dass es natürlich auch um ein Zusammenwirken Deutschlands mit der US-Regierung geht.

Frage: Herr Gülde, es geht zum einen um die mögliche Abkehr von den Inzidenzwerten als wichtigstem Indikator für die Coronapolitik. Wird es demnächst eine solche Abkehr und eine Ausweitung zum Beispiel um den Parameter der Hospitalisierung geben?

Gülde: In der Tat war die Inzidenz - das habe ich bereits vergangenen Freitag ausgeführt - nie der einzige Parameter, um das Pandemiegeschehen zu beurteilen. Wir haben eine Reihe von Indikatoren, die wir zur Beurteilung der epidemiologischen Lage anführen.

Aber richtig ist selbstverständlich, dass die Aussagekraft der Siebentageinzidenz mit zunehmender Impfung der Bevölkerung geringer wird. Insofern ist es wichtig, weitere Parameter, unter anderem eben die Hospitalisierung, mit hinzuzuziehen, um die epidemiologische Lage tatsächlich zu beurteilen.

Um es aber noch einmal deutlich zu machen: Das ist nicht als eine Abkehr von der Siebentageinzidenz zu verstehen. Die Siebentageinzidenz ist nach wie vor einer der hauptausschlaggebenden Parameter, weil sie unter anderem auch Aussagen über regionalisierte Ausbrüche zulässt. Sie lässt auch Trends erkennen. Insofern ist sie für uns weiterhin ein wichtiger Parameter.

StS Seibert: Ich möchte, wenn ich darf, noch ein paar Worte zur Gesamtlage, in der wir uns in der Pandemie derzeit befinden, hinzufügen. Wir sind dank der Impfungen, dank der Vorsichtsmaßnahmen, die Millionen von Menschen weiterhin Tag für Tag ergreifen, auch dank des weiträumigen Testens ja in einer recht guten Lage. Wir können bei Inzidenzen von heute etwas über sechs vieles genießen und vieles ausleben, was den Sommer schön macht. Die Wirtschaft und der Handel können arbeiten. Das Kulturleben kehrt zurück.

Das alles heißt aber nicht, dass wir schon in einer Situation der Normalität wären, wenn man mit „normal“ „vor der Pandemie“ meint. Diese Normalität wünschen wir alle uns zurück, aber wir haben sie noch nicht. Im Gegenteil macht ein Blick in Nachbarländer zu europäischen Freunden doch klar: Die niedrigen Fallzahlen können - das erleben diese Länder - schnell wieder explodieren. Auch wenn schon überall so wie bei uns das Impfen gut vorangeschritten ist, gehen mit solchen in die Höhe schießenden Fallzahlen Risiken einher. Mit Verzögerung können wieder mehr Menschen krank werden.

Natürlich hat das Impfen sozusagen die Gesamtrechnung verändert. Es macht glücklicherweise große Fortschritte. Aber wir sind noch nicht ausreichend gewappnet für den Fall, dass die Zahlen wieder wirklich stark ansteigen. Also lassen Sie uns alle zusammen einen erneuten steilen Anstieg der Fallzahlen verhindern, für die Gesundheit jedes einzelnen und auch, um das Risiko zu vermindern, dass aus vielen neuen Fällen dann doch wieder eine neue Virusvariante werden könnte, gegen die die bisherigen Impfstoffe weniger wirksam werden.

Deswegen die erneute Bitte an alle: Genießen Sie alles, was zurzeit wieder möglich ist, nur tun Sie es bitte mit einer gewissen Vorsicht! Das heißt: Maske tragen, wo Maske vorgeschrieben ist! Abstand halten, wo das geboten ist! Hygieneregeln einhalten, Tests nutzen und, sofern noch nicht geschehen, zum Impfen gehen, auch zur zweiten Impfung! Das ist eine Sache des medizinischen Selbstschutzes und der gesellschaftlichen Solidarität.

Frage: Auf welche Erkenntnisse stützt man sich, wenn die Inzidenz als Maß für die Alltagseinschränkungen aufgegeben wird?

Gülde: Da kann ich mich tatsächlich nur wiederholen: Wir geben die Inzidenz als Parameter zur Beurteilung der Lage nicht auf, sondern wir fügen mit der Zahl der Hospitalisierungen noch einen weiteren Indikator hinzu.

Frage: Kann man inzwischen von einem verfestigten Trend wachsender Inzidenzzahlen sprechen?

Gülde: Dass die Ausbreitung der Deltavariante dafür sorgen würde, dass sich immer mehr Menschen mit dem Coronavirus anstecken, war durchaus abzusehen. Noch sind aber die Zahlen auf einem niedrigen Niveau. Sie stagnieren. Wie Herr Seibert auch schon ausgeführt hat: Es liegt natürlich in unser aller Hand, dass das auch so bleibt.

Frage: Wie wird die Bundesregierung die Änderung der Strategie politisch umsetzen?

Gülde: Auch da kann ich mich nur wiederholen: Damit ist keine Änderung der politischen Strategie verbunden.

Frage: Wenn Sie sagen, dass die Zahlen stagnieren, ist das nicht eine etwas fälschliche Beschreibung der Lage? Denn wir sehen im Wochenvergleich einen Anstieg von fast täglich 30 Prozent. Wenn das so weitergeht, dann werden wir - das war dieses berühmte exponentielle Wachstum - wieder eine relativ schnelle Entwicklung haben; nicht jetzt im Moment, aber vielleicht in einer Woche oder in zwei Wochen.

Gülde: Möglicherweise ist Stagnation tatsächlich der falsche Ausdruck.

Aber es bleibt dabei: Wir befinden uns derzeit noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Selbstverständlich - das hatte ich ja auch ausgeführt und Herr Seibert auch - müssen wir diese Situation sehr aufmerksam im Blick behalten.

Frage: Herr Gülde, noch einmal eine Verständnisfrage: Es wird also auch in Zukunft - nach der Sommerpause - an den Inzidenzen gemessen werden, wann zum Beispiel eine Bundesnotbremse eintritt, wann die Rückkehr in die Schulen nicht mehr möglich sein wird? Das wird natürlich von den Ländern dirigiert; das ist klar. Aber in diesen Fällen wird auch künftig die Inzidenz der zentrale Wert sein? Ist das richtig?

Gülde: Zur Bundesnotbremse müsste gegebenenfalls Herr Seibert etwas sagen.

Ich kann jetzt generell nur etwas zur Einschätzung der epidemiologischen Lage sagen: Für die Maßnahmen, unter anderem Öffnung oder Schließung von Schulen, sind natürlich die Länder zuständig.

Grundsätzlich ist es aber so: Wenn wir die epidemiologische Lage beurteilen wollen, dann brauchen wir eine Reihe von Parametern. Der Siebentageinzidenzwert ist einer der hauptausschlaggebenden Kriterien dafür.

Gülde: Herr Seibert hat nichts zu ergänzen?

StS Seibert: Ich habe nichts zu ergänzen.

Frage: Die Krankenhäuser sagen ja jetzt schon, dass sie diesen neuen Indikator nicht richtig melden können, dass es da keine guten Strukturen und kein richtiges System gibt. Haben Sie da Vorkehrungen getroffen, wenn das der neue Leitindikator sein soll, dass Daten überhaupt vernünftig gesammelt werden können?

Gülde: Wir haben jetzt keine Hinweise darauf, dass diese Daten nicht gemeldet werden können.

Grundsätzlich ist es so: Die Daten, die abgefragt werden, werden ja auch seitens der Krankenhäuser erhoben. Die Krankenhäuser haben ein Meldesystem, mit dem sie an die Gesundheitsämter melden. Insofern haben wir jetzt keine Hinweise darauf, dass es da zu Problemen kommen könnte.

Frage: Gibt es angesichts steigender Inzidenzen eine Art Vorsichts- oder Vorplanungsregime für Regierungsmitglieder, wie sie bei welcher Inzidenz in welcher Situation agieren - auch vor dem Hintergrund einer allmählichen Normalisierung? Denn scheinbar spielen ja auch Vorbildfunktionen im öffentlichen Handeln eine Rolle.

StS Seibert: Ich bin jetzt nicht ganz sicher, was Sie mit Agieren meinen.

Zusatzfrage: Minister reisen. Regierungsmitglieder reisen und treffen sich mit anderen. Das kann physisch stattfinden. Das kann als Schalte stattfinden. Das kann man, je nachdem wie Inzidenzen und Gefahrensituationen eingeschätzt werden, so oder so realisieren. Gibt es da sozusagen ein Modell, ein Regime, oder wird das jeweils aus dem Moment heraus entschieden?

StS Seibert: Ich kann jetzt nur für die Bundeskanzlerin sprechen - aber ich glaube, das trifft für alle zu:

Wenn die Bundeskanzlerin wieder reist, beispielsweise jetzt nach Washington oder vor kurzem zum G7-Gipfel nach England, geschieht das unter strengsten hygienischen und pandemischen Sicherheitsvorkehrungen, mit Testung, mit Maske, mit großer Vorsicht - davon abgesehen, dass inzwischen auch die Doppelimpfung bei allen wirkt.

Das bleibt natürlich so. Wir alle in unseren Ministerien, im Kanzleramt und im Bundespresseamt arbeiten immer noch ganz überwiegend im Homeofficemodus. Da ist noch keine Rückkehr in großer Zahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Wir sind vorsichtig. Das wird auch weiter so sein.

Eine Reise einer Bundeskanzlerin ist eine andere Veranstaltung als eine touristische Reise, in der gesamten Art und Weise, wie sie abgewickelt und durchgeführt wird und unter welchen Bedingungen sie stattfindet. Das wird auf jeden Fall so sein.

Zusatzfrage: Sie sagten eben im Nebensatz, die Doppelimpfung wirke ja jetzt bei allen. Darf man daraus schließen, dass inzwischen alle Regierungsmitglieder doppelt geimpft sind? Könnte nachgeliefert werden, wenn das bei einem oder einer einzelnen noch nicht der Fall ist?

StS Seibert: Das bleibt grundsätzlich eine private Angelegenheit. Für die Bundeskanzlerin, weil es ja öffentlich ist, wissen Sie das. Das gilt auch für ihre Mitarbeiter.

Frage: Es gibt Berichte, dass Reisende aus dem Nicht-EU-Ausland an deutschen Flughäfen zurückgewiesen werden, weil sie nicht geimpft sind. Können Sie das kommentieren, und auf welcher Grundlage erfolgt die Rückweisung?

StS Seibert: Das wäre sicherlich eine Frage für das BMI.

Wede: Ich kenne diese Medienberichte nicht. Ich kann sie von hier aus auch nicht kommentieren. An unserer Praxis für den Schutz der Außengrenzen hat sich nichts geändert.

Frage: Es geht um das Impfen. Wolfram Henn, Mitglied des Deutschen Ethikrates, hat gefordert, eine Impfpflicht für Lehrende und Erziehende an Schulen, Kitas und Ähnlichem einzuführen. Wie steht das Bundesgesundheitsministerium, wie steht die Bundesregierung, dazu?

Gülde: Wir rufen grundsätzlich alle Menschen auf, unter anderem auch Lehrer und Erzieher, sich impfen zu lassen. Aber der Minister hat mehrfach betont: Es wird keine Impfpflicht geben. Dabei bleibt es.

Frage: Herr Seibert, ich muss noch einmal auf die Siebentageinzidenz zurückkommen und nachfragen, wie relevant sie künftig noch sein wird. Denn es gibt eine ganz konkrete Forderung des saarländischen Ministerpräsidenten, die Bundesnotbremse und eine mögliche Wiedereinführung nicht mehr an den Wert 100 zu knüpfen. Ist die Bundeskanzlerin auch dieser Meinung, dass man davon abrücken sollte oder will die Bundesregierung an dieser Zahl 100 festhalten?

StS Seibert: Zunächst einmal müssen wir einmal daran festhalten, dass die Bundesnotbremse seit Ende Juni nicht mehr in Kraft ist. Deswegen müssen wir jetzt hier nicht darüber spekulieren, dass sie wieder in Kraft gesetzt wird, was ja nur das Parlament könnte. Wir sollten jetzt, glaube ich, erst einmal alles daransetzen, dass unsere derzeit niedrigen Inzidenzen nicht wieder so stark ansteigen.

Es ist vom Kollegen aus dem Gesundheitsministerium ausgeführt worden, dass die Inzidenzen natürlich weiterhin eine ganz wichtige Anzeige sind.

Wie viele Fälle gibt es denn? Wir wissen: Je größer die Zahl der Fälle, desto mehr kann sich das Virus ausbreiten, desto größer wird das Risiko - ich habe es vorhin versucht zu sagen -, dass sich eine neue Mutation bildet, möglicherweise sogar eine, mit der die Impfstoffe dann nicht mehr zurechtkommen. Das heißt, wir haben ein Interesse daran, die Inzidenzen niedrig zu halten.

Der Zusammenhang zwischen Fallzahl, also Inzidenz, und Hospitalisierung oder Eintreten von wirklich ganz schweren und schwersten Verläufen hat sich möglicherweise - wahrscheinlich - in dem Maße geändert, in dem jetzt fast 60 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung und, ich glaube, an die 38 oder 40 Prozent auch die Zweitimpfung hatten.

Natürlich ist das gekoppelt, aber in einer neuen Weise. Jetzt müssen wir natürlich die Medizin, die Wissenschaft, fragen, was sie an neuen Erkenntnissen über die Wirkung der Deltamutation hat. Da kann ich Ihnen heute das medizinische oder virologische Ergebnis noch nicht geben. Aber das wird man im Auge haben müssen.

Zusatzfrage: Es gibt also keinen Automatismus bei steigenden Zahlen, dass diese Zahl wieder als Schwelle für die Wiedereinsetzung der Bundesnotbremse gilt?

StS Seibert: Im Moment haben wir die Bundesnotbremse nicht. Alles Weitere ist abhängig von der Entwicklung der Fallzahlen, von dem Fortschritt der Impfkampagne und von dem, was uns die Wissenschaft und die Praktiker in den Krankenhäusern sagen über den Zusammenhang zwischen Deltainfektionen und Zahlen der Hospitalisierungen und der belegten Intensivbetten.

Insofern gibt es keine Automatismen, sondern das alles wird miteinander in Abwägung gebracht werden müssen.

Frage: Müssten beim Impfen nicht verstärkt andere Wege gegangen werden, um Menschen unkompliziert abzuholen, etwa an Orten wie Einkaufszentren?

Gülde: Das haben wir ja auch wiederholt deutlich gemacht: Es braucht niedrigschwellige Angebote, um mehr Menschen vom Impfen zu überzeugen. Wir fahren da im Grunde genommen zweigleisig: Zum einen bieten wir eine Menge Informationen an. Für die Impfkampagne ist der Bund tatsächlich auch zuständig. Für die Durchführung der Impfungen sind die Länder zuständig. Sie verfolgen ja auch bereits sehr konstruktive und kreative Wege, um Menschen zu Impfungen zu bewegen. Es gibt da unterschiedliche Beispiele: Es gibt mobile Impfteams, die zum Beispiel vor Supermärkten impfen. Es gibt Impfteams, die in die Hochschulen gehen. Das begrüßen wir natürlich ausdrücklich.

Frage: Welche Auswirkungen für den Verlauf der Pandemie in Europa erwarten Sie von den steigenden Fallzahlen in anderen Ländern, auch in Großbritannien, wo man gestern mehr als 60 000 Menschen dicht an dicht ohne Maske im Wembley-Stadion gesehen hat?

StS Seibert: Das sind die Dinge, die man ganz genau wird betrachten müssen. Ich weiß, dass die britischen Behörden das tun, die niederländischen, die portugiesischen und die spanischen - überall dort, wo die Inzidenzen jetzt wieder stark angestiegen sind. Aus diesen Erkenntnissen werden natürlich auch wir in Deutschland, die wir jetzt im Moment noch das Glück einer Inzidenz von nur knapp über 6 haben, Nutzen ziehen.

Frage: Frau Baron, es gibt ein Bundesprogramm zur Förderung von Luftfiltern in den Schulen. Nun hat Herr Laschet gestern im Sommerinterview gesagt, man denke darüber nach, das auch auf mobile Anlagen auszuweiten, da es bisher wohl nur auf feststehende Anlagen zutrifft. Wird es da eine rasche Entscheidung geben? Stimmt das?

Baron: Es ist in der Tat so, dass es dieses Programm für Luftfilteranlagen schon gibt. Es wurde auch schon mehrfach angepasst. Jüngst wurde es so angepasst, dass Innenraumlufthygienegeräte auch für Einrichtungen für Kinder unter zwölf Jahren zur Verfügung gestellt werden können.

Ja, es ist richtig. Es laufen aktuell Gespräche zum Thema mobile Luftfiltergeräte. Diese Gespräche sind noch nicht abgeschlossen.

Zusatzfrage: Weil jetzt die Sommerferien sind - das muss ja rasch gehen -, die Frage: Ist eine Entscheidung dazu in den nächsten Tagen oder in der nächsten Woche geplant?

Baron: Klar, wir sind uns über den Zeitdruck und die Relevanz der laufenden Sommerferien und das Ende der Sommerferien bewusst. Deshalb wollen wir die Gespräche zügig abschließen. Aktuell kann ich aber noch nicht über ein Ergebnis dieser Gespräche berichten.

Frage: Herr Seibert, nach Taiwan sollen direkt aus Deutschland 10 Millionen Impfdosen von BioNTech geliefert werden. Begrüßt die Bundesregierung, dass aus Deutschland heraus diese 10 Millionen Dosen an Taiwan geliefert werden?

Baron: Ich kann zu diesen einzelnen Meldungen keine Stellung nehmen. Da muss ich um Verständnis bitten, dass ich zu Meldungen über Mengen oder Größenordnungen keine Auskunft geben kann.

Zusatzfrage: Dann möchte ich allgemeiner fragen - denn mir ging es ein bisschen um die politische Einschätzung - und die 10 Millionen jetzt weglassen. Ist es aus Sicht der Bundesregierung begrüßenswert, dass aus Deutschland Impfdosen an Taiwan geliefert werden?

Baron: Zu einzelnen Lieferbeziehungen kann ich keine Stellung nehmen. Sie kennen ja die Instrumente, die die Bundesregierung im Rahmen der COVAX-Initiative hat, die die Kollegen ja mehrfach angesprochen haben. Aber zu einzelnen Ländern kann ich hier keine Stellung nehmen.

StS Seibert: Meine aufmerksamen Kollegen sagen mir gerade, dass ich den Stand der Impfungen in Deutschland zu bescheiden dargestellt habe. Also es sind - Stand Sonntag - 42.6 Prozent der Bürger voll geimpft.

Das kann uns immer noch nicht reichen. Aber das ist bisher ein sehr schönes Ergebnis.

Frage: Ich habe eine Frage zum Thema Afghanistan: Am Wochenende hat die afghanische Regierung an die europäischen Staaten appelliert, die Abschiebungen aufgrund der Gefährdungslage auszusetzen. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Wede: Wenn ich jetzt für das BMI antworten darf: Es ist zutreffend, dass wir von der afghanischen Regierung diese Bitte bekommen haben, die Rückführung für drei Monate auszusetzen. Es handelt sich also nicht um einen Abschiebestopp, sondern um eine temporäre Aussetzung. Diese Bitte ist auch bei uns in Deutschland eingegangen, und wir prüfen das jetzt.

Zusatzfrage: Wie lange wird diese Prüfung dauern, und wird das eventuell auch von einem neuen Lagebericht des Auswärtigen Amts abhängen?

Wede: Wir werden da zeitnah ein Ergebnis für uns finden. Dann ist das nächste Vorgehen, dass wir dazu auch mit unseren europäischen Partnern sprechen werden.

Wie gesagt: Diese Bitte ist ja nicht nur bei uns eingegangen, sondern auch bei unseren europäischen Partnern. Es ist also auch ein Thema, über das wir uns mit der EU-Kommission und auch den anderen Mitgliedstaaten austauschen werden. Danach werden wir sehr zeitnah das Gespräch mit der afghanischen Seite suchen.

Frage: Ändert sich damit die bisherige Bewertung des Auswärtigen Amtes zu den Abschiebungen? Warum beziehungsweise warum nicht?

Sasse: Ich möchte auf die Frage von Frau Vates und auch auf Ihre Frage zum Asyllagebericht eingehen:

Er wird ja jährlich neu erstellt. Der letzte Bericht wurde im Juli 2020 veröffentlicht und an die zuständigen Stellen übersandt. Wir haben seitdem natürlich die Lage, wie an dieser Stelle mehrfach ausgeführt, genau beobachtet und im Blick behalten. Derzeit arbeiten wir an einem neuen Bericht, der voraussichtlich turnusgemäß im Laufe dieses Monats fertiggestellt wird.

Frage: Wird denn die Bitte der afghanischen Regierung noch in diesen Asyllagebericht einfließen, wenn er jetzt aktuell herauskommen soll? Wie lange wird die Prüfung dieser Bitte der afghanischen Regierung dauern? Das kann ja jetzt nicht drei Monate dauern, so wie sich die afghanische Regierung wünscht, dass die temporäre Aussetzung dauert?

Sasse: Was die Bitte der afghanischen Regierung angeht, hat der Kollege aus dem BMI ja schon ausgeführt. Ich würde an ihn verweisen, wenn es um die Prüfung an sich geht.

Zusatz: Das war auch die Frage an ihn.

Sasse: Was den Asyllagebericht angeht, kann ich Ihnen sagen: Darin fließen alle Aspekte ein, die für diesen Bericht eine Rolle spielen. Inhalte des Berichtes sind wie immer vertraulich.

Zusatzfrage: Ich hatte ja an das BMI die Frage gestellt.

Herr Seibert, hält die Kanzlerin es immer noch für richtig, Menschen nach Afghanistan abzuschieben?

Wede: Herr Kollege, ich habe dem, was ich eben gesagt habe, nichts hinzuzufügen. Wir prüfen das jetzt und sind dazu auch im Gespräch mit unseren europäischen Partnern. Wir haben ein Interesse daran, dass wir zeitnah zu einem Ergebnis kommen. Aber eine feste Dauer unserer Prüfung und unserer Gespräche auch innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten kann ich Ihnen hier nicht nennen.

StS Seibert: Ich kann dazu eigentlich nur wiederholen, was wir hier immer gesagt haben: Diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen, sollen unser Land auch wieder verlassen. Es gibt Asylverfahren, durchgeführt durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dort wird in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft, ob Anspruch auf Schutz in Deutschland besteht - Asyl, Flüchtlingsschutz nach der Genfer Kommission, subsidiärer Schutz - und ob gegebenenfalls ein Abschiebungsverbot greift.

Wenn es in Deutschland oder aus Deutschland heraus zu Abschiebungen kommt, wie auch in den vergangenen Monaten, dann geschieht das auf der Basis einer immer wieder aktualisierten, sehr genauen Beobachtung der Lage in Afghanistan, wobei auch regional unterschieden wird. Auf dieser Basis hatte es seine Richtigkeit, dass Deutschland so vorgegangen ist, wie es jetzt vorgegangen ist. Wir werden jetzt wieder - wir haben es gerade gehört - neue Lageeinschätzungen vornehmen, in die alle Aspekte hineinfließen, und auf dieser Basis muss man dann entscheiden, wie es weitergeht.

Frage: Berichten aus Afghanistan zufolge ist es ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr nicht mehr möglich, Masar-e Scharif zu verlassen, um in Kabul Visa auf den Weg zu bringen oder zu empfangen. Was sind die Erkenntnisse der Bundesregierung zur Lage vor Ort?

Helmbold: Dazu würde ich erst einmal das AA bitten, die Federführung zu übernehmen, weil wir vor Ort nicht mehr zugegen sind.

Sasse: Wir hatten in der vergangenen Woche das Thema Afghanistan und Ortskräfte schon mehrfach angesprochen. Ich glaube, es ist auch deutlich geworden, dass uns durchaus bewusst ist - und das gilt für alle Ressorts -, dass die Lage in Afghanistan schwierig ist. Sie ist durch den Abzug oder nach dem Abzug natürlich nicht leichter geworden. Das betrifft auch die Frage, wie mit den Ortskräften umzugehen ist, die aus Afghanistan ausreisen wollen.

Mein Kollege Herr Breul hat in der vergangenen Woche das Verfahren noch einmal im Detail dargestellt. Wir haben auch dargestellt, dass es möglich ist, von Masar aus beispielsweise per Email die Gefährdungsanzeige zu übermitteln, die ja dann auch Grundlage für die Aufnahmezusage ist, und dass die Visumserteilung dann sozusagen in einem zweiten Strang erfolgt. Diesen Ausführungen habe ich im Moment nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Wird man auf die Forderung nach bezahlten Ausreiseflügen eingehen, die Boris Pistorius aus Niedersachsen ins Gespräch gebracht hat?

Wede: Wenn ich die Frage für das BMI beantworten darf: Es ist so, dass wir die Lageentwicklung in Afghanistan, wie hier schon mehrmals gesagt wurde, sehr genau beobachten. Derzeit sind keine Änderungen in dem Sinne geplant, dass wir jetzt die Reisekosten übernehmen. Wir bleiben bei dem Verfahren, wie wir es in der letzten Woche und auch darüber hinaus hier beschrieben haben. Uns ist aber ganz wichtig: Wir stehen zu unserer Verantwortung für die afghanischen Ortskräfte. Das haben wir in den letzten Jahren gemacht und das tun wir auch jetzt. Wir behalten die Lage als Bundesregierung sehr eng im Blick.

Frage: An das Verteidigungsministerium: Die EU hat eine Militärmission für Mosambik beschlossen. Bleibt es dabei, dass die Bundeswehr nicht teilnehmen wird?

Helmbold: Mit jetzigem Stand ja.

Frage: Zu der Großübung im Schwarzen Meer mit mehr als 30 Schiffen: Sind die Kommunikationskanäle zwischen Nato und dem potenziellen Feind Russland als Vorkehrung für Zwischenfälle intakt?

Helmbold: Dazu müssten Sie sich an die Nato wenden.

Frage: Herr Seibert, zum Abendessen der Kanzlerin mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts: Können Sie freundlicherweise mitteilen, wann und vom wem dieses regelmäßig stattfindende Institut eines gemeinsamen Abendessens der Verfassungsrichter mit dem Bundeskanzler beziehungsweise der Bundeskanzlerin eingeführt worden ist?

StS Seibert: Nein, das kann ich aus dem Stand nicht. Ich kann sagen, dass es solche Begegnungen zwischen den beiden Verfassungsorganen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht - meist in Form eines Abendessen - 2012, 2015, 2018 und 2019 gab. Das hat also Tradition.

Ich kann noch hinzufügen, dass diese Gespräche dem allgemeinen Austausch von Gedanken und Erfahrungen dienen und dass niemals anhängige Gerichtsverfahren Gegenstand dieses Gedankenaustauschs sind. Beide Verfassungsorgane, die Bundesregierung wie auch das Bundesverfassungsgericht, sind sich ihrer hohen Verantwortung bewusst.

Frage: Wie reagiert die Kanzlerin auf die Kritik, dieses Abendessen mit den Verfassungsrichterin erwecke den Eindruck, deren Unbefangenheit sei beeinträchtigt?

StS Seibert: Dazu verweise ich auf meine Antwort an den Kollegen.

Frage: Eine kurze Terminfrage: Warum wurde der heutige Termin im Verteidigungsministerium mit Selensky abgesagt?

Helmbold: Das angesprochene Treffen war ja ein Teil eines größeren Besuchsprogramms bei der Bundesregierung. Hier hat es eine Umstellung gegeben. Das geplante Treffen mit der Verteidigungsministerin findet nicht statt. Weitere Informationen hierzu habe ich für Sie heute aber nicht.

Frage: Noch einmal zu #IchBinHanna beziehungsweise zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Herr Seibert, Sie hatten dazu etwas nachgereicht und sagten, wichtig sei, dass nun die Wirksamkeit der Gesetzesänderung entsprechend überprüft werde, und hierfür sei eine Evaluation vorgesehen. Sie sagen ja selbst, dass das Gesetz seit März 2016 in Kraft ist. Ist die Wirksamkeit damit nicht schon seit fünf Jahren zu beobachten? Ist der Aufschrei der Betroffenen jetzt nicht das Zeichen für die Bundesregierung, dass das Gesetz eben nicht wirksam ist beziehungsweise gescheitert ist?

StS Seibert: Ich denke, es ist das Sinnvollste, wenn der Vertreter des zuständigen Ressorts sich dazu äußert.

Zusatz: Die Haltung des Forschungsministeriums ist bekannt, Herr Seibert. Ich möchte von der Kanzlerin und dem Kanzleramt wissen - - -

StS Seibert: Deswegen haben wir Ihnen ja eine Nachreichung gegeben. Die Kanzlerin nimmt den Hintergrund dieser Diskussion sehr ernst. Sie hat ein großes Interesse daran, dass junge Menschen in die Wissenschaft gehen und dass sie in der Wissenschaft gute Berufsperspektiven haben. Natürlich ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Gesetz der Bundesregierung, es wird aber durch die Bundesforschungsministerin und ihr Ministerium fachlich betreut. Deswegen ist es sinnvoll, dass beispielsweise solche Fragen über Evaluierungen dann auch dort platziert werden.

Kügele: Vielleicht kann ich das für das Bundesforschungsministerium kurz ergänzen. Konkret zu Ihrer Frage der Evaluierung: Die Evaluierung geht ja zurück auf den gesetzlichen Auftrag, der im WissZeitVG steht. Danach sind die Auswirkungen des Gesetzes im Jahr 2020 zu evaluieren. Die Evaluation haben wir vonseiten des BMBF im August 2019 an ein wissenschaftliches Konsortium gegeben, das genau rechtzeitig am 1. Januar 2020 begonnen hat. Die Evaluation läuft über zwei Jahre. Das ist auch angemessen, weil wir eine ausreichend repräsentative und aussagekräftige Datengrundlage brauchen.

Aufgrund der Coronapandemie haben die Hochschulen und Forschungseinrichtungen dann darum gebeten, die Evaluation um drei Monate zu verlängern, weil sie während der Pandemie noch nicht die notwendigen Daten liefern konnten. Die Ergebnisse der Evaluation erwarten wir für das Frühjahr 2022. Dieser Verlängerung der Evaluation um drei Monate hat auch der Beirat zugestimmt, der dafür eingerichtet wurde und in dem auch Gewerkschaften und Beschäftigtenvertreter vertreten sind.

Zusatzfrage: Herr Seibert, Sie schrieben auch, mit Dauer und Anzahl von befristeten Beschäftigungsverhältnissen müsse man verantwortungsvoll umgehen. Können Sie sagen, was das bedeuten soll? Geht es da um einen Monat, drei Monate oder zehn Monate? Was sind verantwortungsvolle befristete Beschäftigungsverhältnisse? Sind das Ihre Antworten, Herr Seibert?

StS Seibert: Für die Bundesregierung, natürlich.

Kügele: Dazu würde ich sagen: Ich weiß jetzt nicht, ob das genau Wort „verantwortungsvoll“ oder „verantwortungsbewusst“ ist. Ich würde es auch mit „angemessen“ beschreiben. Befristungen müssen also angemessen sein. Genau das ist ja der Zweck des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes; denn das Gesetz regelt ja, wo die Grenzen der Befristung sind. Es sagt, dass Verträge so gestaltet sein müssen, dass die Zeit für die angestrengte Qualifizierung reicht, also etwa für eine Promotion. Bei Projektstellen muss die Vertragslaufzeit der Dauer des Projektes entsprechen. Die Novelle aus dem Jahre 2016 diente ja genau dazu, unsachgemäße Kurzbefristungen zu unterbinden.

Frage: Hat Angela Merkel gestern das Finale der Fußball-Europameisterschaft gesehen? Hat es ihr gefallen?

StS Seibert: Ich kann für die Bundeskanzlerin und für die Bundesregierung erst einmal einen herzlichen Glückwunsch an die italienische Mannschaft und an ganz Italien, wenn Sie so wollen, zu einem wirklich fabelhaften Turnier und zu einem weiteren großen Titel für diese Mannschaft, die schon so viele große Titel gewonnen hat, aussprechen. Ich möchte auch Respekt für die Engländer ausdrücken, denen am Ende das Glück gefehlt hat, aber die eine tolle Mannschaft haben, mit der sie nach langen Jahren wieder um solche großen Titel mitspielen.

Frage: Ich möchte noch einmal auf das Thema Coronahilfen zurückkommen: Sind eigentlich die im November und Dezember beantragten Hilfen, bei deren Auszahlung oder Bescheid es Verzögerungen gegeben hat, inzwischen zu hundert Prozent ausgezahlt, oder sind zumindest hundert Prozent aller Anträge in irgendeiner Weise beschieden worden? Können Sie da Vollzug melden?

Baron: Wir veröffentlichen die aktuellen Zahlen ja auf unserer Webseite; da können Sie den fast täglich, aber mindestens einmal wöchentlich aktualisierten Stand sehen. Die Zahlungen fließen, und sie fließen unproblematisch. Wir sind in Summe bei 111 Milliarden Euro an Coronahilfen, die insgesamt ausgezahlt wurden. Hinzu kommt das Kurzarbeitergeld.

Bei der Überbrückungshilfe III, die Sie ja auch ansprechen, bei der es Anfang Verzögerungen gab, liegen wir jetzt bei 13,9 Milliarden Euro, also fast 14 Milliarden Euro, die ausgezahlt sind. Es sind natürlich noch Dinge in der Prüfung und im Verfahren. Das ist aber auch normal, denn die Überbrückungshilfe III ist ja am 30. Juni 2021 ausgelaufen, und man konnte fast bis zum Schluss noch Anträge stellen, sodass diese natürlich noch geprüft wurden. Diese Prüfungen laufen nach meiner Kenntnis ohne Probleme. Ich habe jedenfalls keine Hinweise, dass es da irgendwelche Verzögerungen gibt.

Zusatzfrage: Danke für den Quellenhinweis. Vielleicht ist es Ihnen dennoch möglich nachzuliefern, zu wie viel Prozent die bisherigen Anträge mittlerweile beschieden worden sind? Das ist ja eine andere Dimension als die absoluten Summen; die kann ich mir jetzt auch nicht erschließen.

Baron: Ich versuche, das zu machen. Wie Sie wissen, liegen die vollständigen Auszahlungen in der Zuständigkeit der Bundesländer. Wir haben immer die Abschlagszahlungen mitgeteilt, die über die Bundeskasse, also in der Verantwortung des Bundes laufen. Diese Abschlagszahlungen waren in den letzten Wochen zu 93 Prozent vollständig erfüllt. Was die Zahlungen der Länder betrifft, so müsste ich Sie an die Länder verweisen. Ich weiß nicht, ob wir dazu Überblicksdaten haben, weil, wie gesagt, die Länder für die vollständigen Auszahlungen zuständig sind.

Frage: An das Auswärtige Amt zum Thema Belarus und weiteren Sanktionen. Litauen hat jetzt gefordert, dass die EU neue Sanktionen gegen Belarus verhängen sollte, weil Belarus wiederum Migranten über die Grenze in die EU schickt. Ist die Bundesregierung und das Auswärtige Amt auch der Meinung, dass die Sanktionen verschärft werden sollten?

Sasse: Wir haben diese Meldungen natürlich zur Kenntnis genommen. Sie wissen, Herr Kollege, dass sich die Außenminister heute in Brüssel zu ihrem monatlichen Treffen zusammengefunden haben. Da wird definitiv auch das Thema Belarus wieder zur Sprache kommen.

Grundsätzlich haben wir in der Vergangenheit unsere Haltung zum Thema Belarus sehr deutlich gemacht, nämlich dass wir erwarten, dass Herr Lukaschenko den Kurs der Repressionen und der Unterdrückung seines eigenen Volks ändert. Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir bereit sind, diesen Druck, den wir durch unsere Sanktionspakete auf Herrn Lukaschenko und seine Verbündeten ausüben, auch weiter zu steigern. Was die genauen Forderungen von Litauen angeht, muss ich Sie allerdings auf die Gespräche in Brüssel verweisen.

Zusatzfrage: Was ist die deutsche Haltung zu diesem neuen Aspekt? Da geht es jetzt ja nicht so sehr um die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, sondern eher um das politische Machtmittel, Migranten über die Grenze zu schicken. Was wäre da die deutsche Position?

Sasse: Dazu kann man, glaube ich, sehr deutlich sagen, dass es aus unserer Sicht zynisch und menschenverachtend ist, die Not von Menschen als weiteres politisches Druckmittel einzusetzen, wie es Herr Lukaschenko tut.

Frage: Gegen Google/YouTube wurde vom Oberlandesgericht Dresden ein Ordnungsgeld von 100 000 Euro verhängt, weil es dessen Beschluss gegen eine Videolöschung ignorierte. Für den Konzern ist der Betrag nicht relevant. Was plant die Bundesregierung, um zu verhindern, dass Strafen für Gesetzesverstöße von Internetgiganten für diese nicht als schmerzlos verpuffen?

Leber: Vielen Dank für die Frage. Wie Sie wissen, können wir aus Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz Gerichtsurteile nicht im Einzelnen kommentieren. Das möchte ich auch in diesem Falle so beibehalten.

Vielleicht nur am Rande sei bemerkt, dass diese Entscheidung auf der Basis von hauseigenen Community-Standards getroffen wurde. Auch die können wir nicht im Einzelnen beurteilen. Von daher bleibe ich dabei, dass wir das Urteil nicht im Einzelnen kommentieren.

Frage: Herr Seibert, Mitte November 2018 traf sich die Bundeskanzlerin mit einem Restaurantbesitzer in Chemnitz, weil er nach damaligem Kenntnisstand Opfer eines rechten Brandanschlags wurde. Nun wurde das vermeintliche Opfer wegen des Verdachts der Brandstiftung in der Sache festgenommen. Verfolgt die Bundeskanzlerin den Fall? Bereut sie, mit ihrer Reaktion voreilig gewesen zu sein?

StS Seibert: Ich habe das nicht zu kommentieren. Wenn es da jetzt ein juristisches Vorgehen gibt, dann muss man sich über den Sachstand erkundigen. Ich habe das hier nicht zu kommentieren. Ein Zeichen gegen Antisemitismus ist nie falsch.