Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der virtuellen Bilanzveranstaltung zur Wohnraumoffensive am 23. Februar 2021 (Videokonferenz)

Lieber Horst Seehofer,
lieber Olaf Scholz,
liebe Frau Lambrecht,
lieber Regierender Bürgermeister Müller,
meine Damen und Herren,

ich erinnere mich noch gut an den Wohngipfel am 21. September 2018, als wir alle Akteure zusammengebracht haben. Ich finde es richtig, dass heute Bilanz gezogen wird. Bei allem, was noch zu tun ist, kann sich diese Bilanz aus meiner Sicht wirklich sehen lassen.

Die Frage des Wohnungsbaus und der Wohnungswirtschaft ist vielleicht ein Paradebeispiel für das Funktionieren oder das Nichtfunktionieren von Sozialer Marktwirtschaft. Denn es braucht auf der einen Seite die wirtschaftlichen Akteure, die Anreize haben müssen, aber wir brauchen mit Sicherheit auch Leitplanken. Deshalb will ich zu zwei Bereichen sprechen, die hier auch schon angeklungen sind – zum einen zu der Frage, welche investiven Impulse wir geben konnten, und zum anderen zu der Frage, wie wir Bezahlbarkeit sichern können.

Wir alle haben gerade auch in der Zeit dieser Legislaturperiode gesehen, wie viele Emotionen mit dem Thema Wohnen verbunden sind. Durch die Pandemiesituation hat sich das noch verstärkt. Wohnung ist im Grunde ein Rückzugsort, auf den viele jetzt angewiesen sind, weil sie nicht so viel rauskönnen. Das bedeutet, dass die Frage beengter Wohnverhältnisse und die Frage, wie zufrieden man mit seinem Wohnraum ist, natürlich eine ganz besondere Bedeutung bekommen.

Wir können uns jetzt kundig machen: Ich will hervorheben, dass das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sehr, sehr interessante Faktenblätter herausgegeben hat, aus denen man ersehen kann, was alles getan wurde, was aber auch noch zu tun ist. Ganz wichtig finde ich, was auch sehr schön deutlich wird, dass nicht nur sehr viele Wohnungen gebaut wurden – Horst Seehofer hat eben gesagt, dass das Ziel, in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen Wohnungen fertigzustellen, nicht außer Reichweite ist, sondern dass wir diesem Ziel sehr nahekommen können –, sondern auch dort gebaut wurde, wo Wohnraum gebraucht wird. Es ist ja wichtig, dass das bedarfsgerecht passiert.

Es ist eine gute Aussage, dass sich die Bauwirtschaft in dieser pandemischen Lage als Konjunkturmotor gezeigt hat. Die Pandemie hat also nicht dazu beigetragen, dass es hier einen Einbruch gab. Das heißt, dass die Branche sozusagen auch eine Stütze unserer augenblicklichen wirtschaftlichen Tätigkeit ist.

Alles, was wir erreicht haben, und zwar in allen Bereichen, konnte nur deshalb erreicht werden, weil es ein Gemeinschaftswerk vieler Akteure ist. Stellvertretend dafür stehen heute diejenigen, die hier auf diesem Gipfel auftreten. Dass diese Aufgabe eine permanente bleibt, dass wir damit nicht am Ende, sondern mittendrin sind und dass das auch ein großes Thema in der nächsten Legislaturperiode sein wird, das ist, denke ich, klar.

Wir können sagen – es ist hier schon gesagt worden; und auch mir ist das sehr wichtig –, dass wir den sozialen Wohnungsbau gestärkt haben. Das ist für den Bund alles andere als selbstverständlich. Wir haben noch einmal eine Grundgesetzänderung vorgenommen, weil wir gesehen haben, dass die Föderalismusreform des Jahres 2006 doch nicht die Wirkungen im sozialen Wohnungsbau gezeigt hat, die wir uns vorgestellt haben. Das heißt, dass es richtig ist, dass der Bund hier wieder eingestiegen ist. Das hat zum Bau vieler Sozialwohnungen geführt. Aber ich denke, dass wir hiermit noch lange nicht am Ende dessen sind, was gebraucht wird.

Sehr wichtig und ein Signal an Familien ist das Baukindergeld. Durch das Baukindergeld ist es gelungen, 310.000 Familien beim Wohneigentumserwerb zu unterstützen. Das Programm wurde nachgefragt, woran man sieht, dass es hier einen Bedarf gibt. Ich will auch die Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau, den Mitarbeiterwohnungsbau im öffentlichen und privaten Sektor und die Wohnungsbauprämie nennen, die dazu beigetragen haben, dass mehr Wohnungen gebaut werden konnten.

Wichtig ist aber, dass wir nicht einfach irgendwie bauen, sondern dass wir die Anforderungen berücksichtigen, die im 21. Jahrhundert an das Bauen gestellt werden. Das Thema Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudesektor spielt eine große Rolle. Wir haben das Energiesparrecht vereinheitlicht und durch bessere Förderbedingungen wirklich eine Sanierungswelle beim Bestand ausgelöst. Dass im Wärmemarkt oder bei der Bundesförderung für effiziente Gebäude, in der wir die Dinge zusammengefasst haben, Hunderttausende von Anträgen gestellt werden, ist Ausdruck dessen, dass auch hier ein großer Bedarf besteht. Wir haben Mieterstrommodelle attraktiver gestaltet und insgesamt nachhaltiges Bauen gefördert. Das sind Investitionen in die Zukunft, die wichtig sind.

Wir haben eine große Aufgabe vor uns – und da sind wir noch längst nicht am Ende dessen, was notwendig ist –, und zwar im Hinblick auf das altersgerechte Umbauen, das sichere Bauen – gemeint ist hier die Einbruchssicherung – und auch die Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Wohnens. Auch hierbei ist etliches geschehen. Natürlich geht es auch immer um die Frage des Wohneigentumsrechts. Dass wir am 1. Dezember 2020 ein Wohneigentumsmodernisierungsgesetz in Kraft setzen konnten, ist Ausdruck dessen, was wir hier machen. Es geht auch noch um Fragen der energetischen Sanierung, um die Förderung von Elektromobilität und um Einbruchsschutz. All das wird mit diesem Gesetz erleichtert; und ich hoffe, dass das auch wirklich in Anspruch genommen wird.

Von zentraler Bedeutung ist natürlich das Thema Städtebauförderung. Dieses Thema wird uns auch nach der Pandemie noch intensiv beschäftigen; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Deshalb ist es gut, dass das Förderniveau der vergangenen Jahre verstetigt werden konnte und dass wir uns vor allen Dingen auch mit der Revitalisierung von Stadt- und Ortskernen beschäftigen. Daran wird man in den nächsten Jahren sicherlich weiter arbeiten müssen. Wir müssen uns nach der Pandemie anschauen, wo wir stehen und was dann notwendig sein wird. Das Thema ist jedenfalls ein großes.

So viel zum Thema Investieren in den Wohnungsbau und zu der Frage, was wir an rechtlichen Voraussetzungen geschaffen haben, um das Investieren leichter zu machen und besser auf die Nachhaltigkeitsziele auszurichten.

Der zweite große Bereich ist die Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens. Dazu haben Horst Seehofer und Olaf Scholz schon einiges gesagt. Wenn man sich einmal anschaut, wie die Spannbreite der Mietpreise in Deutschland aussieht – das kann man auch in den Faktenblättern sehen; ich habe mir das angeschaut –, dann sieht man: Die Nettokaltmiete für eine Erst- oder Wiedervermietung variiert in Deutschland im Jahr 2020 zwischen 4,69 Euro pro Quadratmeter in Lüchow-Dannenberg und 19,21 Euro in München. Das zeigt, dass die Frage der Miete eine riesige Auswirkung auf die Lebenssituation von Menschen und Familien – natürlich auch älteren Menschen – hat. Nun kann man immer anführen, was der ländliche Raum oder der städtische Raum jeweils an Vorteilen hat; das weiß ich alles. Aber die Spannbreite ist schon immens.

Deshalb ist es richtig, dass wir uns gerade auch den Wohnkosten in Ballungsgebieten zugewandt haben. Ich sage ganz offen: Für jemanden, der wie ich CDU-Politikerin ist, ist das Wort Mietpreisbremse sozusagen keines gewesen, das mir mit meiner politischen Bildung schon in die Wiege gelegt worden ist. Aber ich glaube, es war richtig, dass wir uns dem zugewandt haben. Es gibt eine sich abflachende Mietdynamik. Man muss natürlich auf der einen Seite immer das Bauen von mehr Wohnungen sehen, auf der anderen Seite aber eben auch die Spekulation im Rahmen halten; und dazu kann die Mietpreisbremse einen Beitrag leisten. Ich glaube, es ist auch richtig, dass wir den Mietspiegel zu einem qualifizierten Mietspiegel reformieren, was sich ja im Moment noch im parlamentarischen Verfahren befindet.

Ich würde sagen, richtig bedeutend ist auch die Wohngeldreform. Das gab es noch nie, dass das Wohngeld sozusagen nicht mehr nach Kassenlage reformiert wird, sondern dass es dynamisiert wird und verlässlich dynamisiert wird. Wir haben in dieser Legislaturperiode also nicht nur das Wohngeld erhöht, sondern wir haben auch eine Verlässlichkeit für die Zukunft geschaffen. Das ist, finde ich, etwas ganz, ganz Wichtiges. Ich kann mich daran erinnern, dass in den vielen Jahren meiner politischen Tätigkeit seit den 90er Jahren immer wieder darum gekämpft und geschaut werden musste, dass es gerade einmal passt. Damit ist es vorbei. Das ist ein ganz entscheidender Schritt.

Derzeit befindet sich noch das Gesetz zur Baulandmobilisierung, also die Novelle des Baugesetzbuchs, in den parlamentarischen Beratungen. Diese verlaufen auch nicht völlig spannungsfrei, um es einmal vorsichtig zu umschreiben. Aber ich habe heute früh noch einmal mit Horst Seehofer gesprochen. Wir gehen davon aus, was wir als Bundesregierung auch wollen, dass dieses Gesetz verabschiedet wird. Das ist wichtig. Ansonsten würde etwas ganz Wesentliches in unserer Wohnraumoffensive fehlen.

Auf die verbilligte Abgabe von öffentlichen Liegenschaften und anderes hat Olaf Scholz schon hingewiesen. Ich will noch zwei Punkte nennen, die mir sehr wichtig sind – zum einen, dass ich das serielle und das modulare Bauen für ganz wichtig halte. Wir müssen das Rad nicht permanent neu erfinden. Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren. Und dabei sind serielles und modulares Bauen natürlich auch wichtig. Dadurch können auch architektonisch spannende, gute Lösungen gerade für Innenstädte entstehen; und das sollten wir weiter fördern.

Die Fachkräftesicherung für die Zukunft ist ganz wichtig. Ich glaube, dass das für die Bauwirtschaft nicht nur sozusagen eine Ein-Legislaturperioden-Fliege ist, sondern dass das eine permanente Aufgabe auch zukünftiger Bundesregierungen sein wird, weil es beim Bauen um einen Kernbestand von gutem Leben geht. Deshalb ist es erfreulich, dass der Umsatz der Bauwirtschaft 2020 sechs Prozent über dem entsprechenden Vorjahreswert lag. Aber investieren Sie auch in Menschen! Infolge des demografischen Wandels wird es eine große Auseinandersetzung um junge Menschen im Erwerbsbereich geben. Wir haben das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet – nutzen Sie das, machen Sie davon Gebrauch! Das ist meine Bitte.

Abschließend ein ganz herzliches Dankeschön an alle Akteure! Natürlich ist es ein ständiger Akt des Ausgleichs von völlig verschiedenen Interessen; das ist klar. Aber ich glaube, auf diesem Weg haben wir doch einiges zustande gebracht. Und dass noch etwas zu tun bleibt, ist ja auch eine gute Nachricht für alle, die in der Bauwirtschaft tätig sind. Herzlichen Dank!