Rede des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt,

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Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Herr Präsident, Sie hatten die Freundlichkeit, darauf hinzuweisen, dass heute erwartungsgemäß der letzte Sitzungstag im zu Ende gehenden Jahr 2016 ist. Ich habe an diesem letzten Sitzungstag die Freude, den ersten Ernährungspolitischen Bericht der Bundesregierung – das ist eine Premiere – mit Ihnen debattieren zu dürfen. Die parlamentarische Beratung dieses Berichts zur Kernzeit unterstreicht die hohe Bedeutung, die der Deutsche Bundestag diesem Politikfeld zumisst. Das ist richtig so.

Die Bürgerinnen und Bürger, die gefragt werden, welches politische Thema sie in ihrem Alltag am meisten berührt, nennen nicht das, was sich bei den Nachrichtensendungen ab und an bei den Tagesmeldungen zwischen Platz eins und drei findet. Nein, sie nennen Ernährung und gesunde, sichere Lebensmittel, so eine Umfrage des Allensbacher Instituts.

Eine wachsende Gruppe von Verbrauchern definiert sich sogar über den Ernährungsstil. Mitunter hat man sogar den Eindruck, Ernährung sei für manche Menschen eine Art Ersatzreligion. Zumindest ist die Ernährung eine höchstpersönliche Angelegenheit, die deswegen auch nicht vollständig von der Politik besetzt werden darf. Hier haben ja manche ihre Erfahrungen mit der Vorstellung gemacht, man könne in die Details hinein regeln. Hier ist keine Verbotspolitik, keine Bevormundungspolitik gefragt. Sie müssen sich das leider anhören, Herr Markus Kurth. Die Kamellen sind an sich gut, jedenfalls die, die lebensmittelrechtlich geprüft sind. Ob das bei den Grünen immer der Fall ist, ist die Frage. – Aber es ist interessant, dass man sofort weiß, worum es geht: Der Kollege wollte daran erinnern, dass er mal in der Veggieday-Abteilung mit dabei gewesen ist, sich aber offensichtlich eines Besseren hat belehren lassen.

Die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen, lieber Kollege, ist doch, dass dies ein Bereich ist, in dem der Mensch sagt: Stopp! Staat, hier bist du nicht der, der mir bis auf den Teller vorschreibt, was ich zu essen und zu tun habe. – Wir sind nicht diejenigen, die wissen, was gut und böse ist. Ich sage das in aller Deutlichkeit. Hier ist Politik im modernen Gewand gefragt. Dazu lade ich Sie ein: keine Bevormundungspolitik, aber Politik, die die staatliche Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit wahrnimmt. In dieser Diskussion kommt viel zu kurz, dass die Lebensmittelsicherheit – das geht aus unseren Berichten hervor – so hoch und so gut ist wie noch nie. Durch die Schaffung von Transparenz und durch Hinweise zu einer gesunden Ernährung müssen wir allerdings darüber hinaus anregen und fördern. Wir müssen den Respekt vor der Entscheidung des Einzelnen damit verbinden, dass der Einzelne ein Rüstzeug dafür bekommt, eigene qualitative Entscheidungen zu treffen.

Vor diesem Hintergrund lege ich Ihnen den Ernährungspolitischen Bericht gerne vor. Er stellt dar, welche Maßnahmen wir in dieser Wahlperiode mit welchen Zielsetzungen und in welchen Bereichen der Ernährung und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ergriffen haben und was noch bevorsteht, was vor allem europarechtlich noch zu tun bleibt.

Mein Ansatz ist, dass alle Verbraucherinnen und Verbraucher durch Ernährungsbildung, Schutz vor Irreführung, verständliche Informationen und unterstützende Angebote der Ernährungsprävention und der Nachhaltigkeit im Konsum selbstbestimmt ihre Entscheidungen treffen können. Dazu gehört eine klare Kennzeichnung von Lebensmitteln – was draufsteht, muss auch drin sein. Seit Dienstag dieser Woche ist nun eine verständliche Nährwerttabelle bei allen verpackten Lebensmitteln Pflicht. Das ist gut so, und auf diesem Weg müssen wir weitergehen.

Wir müssen einen Weg finden, um einerseits eine zu hohe Regelungsdichte, ein Dickicht zu verhindern und andererseits eine Kennzeichnung zu ermöglichen, die den Einzelnen nicht überfordert. Wir haben bei den Begrifflichkeiten etwas zu ändern; wir reden über „vegan“ und „vegetarisch“ und über die Frage, ob entsprechende Produkte mit Fleischbegriffen bezeichnet werden sollten. Wir hatten ja schon vor einigen Jahren den sogenannten Analogkäse, der außer mit dem Wort „Käse“ überhaupt nichts mit Käse zu tun hatte, sondern ein industriepolitisches Mischmasch gewesen ist. Es geht darum, dass wir ihn als das bezeichnen, was er ist.

Die Gewährleistung von Rückstandsfreiheit und entsprechende Grenzwerte bedürfen der rechtlichen Regelung. Aktuell wird über Ethoxyquin diskutiert, dass Fischmehl zur Verhinderung der Selbstentzündung während des Transports beigegeben wird. Wir brauchen europaweite Grenzwerte auch für Fisch, um gesundheitliche Bedenken auszuschließen. Ich dränge seit längerer Zeit – in diesem konkreten Punkt ganz aktuell – darauf und habe die Hoffnung beziehungsweise erwarte, dass die EU-Kommission die Vorschläge nun umsetzt. So wie es aussieht, hat das auch Erfolg.

Auch in anderen Bereichen sind europäische Regelungen notwendig. Ich habe bereits im Sommer in einem Brief an Kommissar Andriukaitis gefordert, dass wir am Bezeichnungsschutz für Lebensmittel tierischen Ursprungs arbeiten. Als weiteren Bereich will ich das Thema der Information ansprechen. Auch bei der Verhinderung von Transformationen im Bereich von Verpackungen müssen wir weiter vorankommen. Hier ist die Situation allerdings so, dass wir zunächst nationale Regelungen auf den Weg bringen werden. Die Adventskalender sind in die Diskussion gekommen, weil in der Schokolade Altöl nachgewiesen wurde. Altöl hat in Adventskalendern nichts zu suchen. Altöl muss raus aus den Adventskalendern. Dazu brauchen wir die entsprechenden rechtlichen Vorgaben.

Ich danke den Koalitionsfraktionen, dass sie mir mit ihrem Antrag Rückenwind geben, um Klarheit und Wahrheit auch für vegetarische und vegane Lebensmittelangebote zu erreichen. Darüber hinaus müssen wir weitere Informationen für den Einzelnen zugänglich machen, zum Beispiel durch das Verbraucherportal, das die Verbraucherschützer mit unserer Unterstützung sehr verantwortungsvoll und sehr informativ führen.

Wir müssen die Themen im Bereich Ernährung neu ordnen und zusammenführen. Deswegen wird zu Beginn des neuen Jahres mein neu geschaffenes Bundeszentrum für Ernährung seine Arbeit aufnehmen. Das Bundeszentrum wird die Informationen neu ordnen und eine vernetzte Ernährungskommunikation sicherstellen. Das Bundeszentrum wird wissenschaftsbasierte, objektive und transparente Informationen rund um das Thema Ernährung bieten. In diesem Zentrum werden die Ernährungsinformationen und Bildungsmöglichkeiten gebündelt. Dazu gehören didaktische Materialien, Infoportale und Apps. Damit stärken wir die Grundlagen für Konsumentscheidungen.

Im Fokus der Politik muss dabei die gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen stehen; denn Kinder und Jugendliche sind alleine nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Wir müssen sie aber dahin bringen, dass sie als Erwachsene auf einer guten Informationsgrundlage aufbauend Entscheidungen treffen können. Ich bin mir mit dem Parlament einig, dass diese Aufgabe besser abgebildet werden muss. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang für die Unterstützung bedanken.

Wir müssen unsere Kompetenzen bündeln. Das Nationale Qualitätszentrum für Kita- und Schulverpflegung wird künftig vernetzt im Rahmen des Bundeszentrums für Ernährung arbeiten. Mein Ziel ist, dass wir bundesweit verpflichtende Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule anpeilen. Ich habe die Möglichkeit, ein neues Forschungsinstitut für Kinderernährung mit Unterstützung des Deutschen Bundestages und den Planstellen beim Max-Rubner-Institut einzurichten. Die Arbeiten des Instituts sollen unter anderem ernährungsphysiologisch fundierte Empfehlungen für die Ernährung von Kindern und Jugendlichen liefern. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, diese Maßnahmen zu ergreifen.

Aber ich sage auch: Das ist nur ein erster Schritt. Wir brauchen ein Schulfach Ernährungsbildung. Wir müssen die Ernährungsbildung dauerhaft und strukturiert in den Lehrplänen verankern. Ich bin mit der Kultusministerkonferenz über die Einführung eines Schulfachs Ernährungsbildung in einem guten Dialog. Ich denke, dass wir auch unsererseits mit der großen Studie über die Ernährungsbildung in der Lehrerausbildung, die ich in Auftrag gegeben habe, den Ländern eine hilfreiche Unterstützung bei der Vernetzung geben können.

Ein erster Ansatzpunkt für Verbesserungen ist das EU-Schulprogramm. Das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm wurde mit dem EU-Schulmilchprogramm zusammengeführt, um Kinder für das Thema Ernährung zu sensibilisieren. Der Ernährungsführerschein in der dritten Klasse – bei der Gelegenheit danke ich vor allem den Landfrauen für ihre Unterstützung als ehrenamtliche Lehrkräfte – bringt den Ansatz dorthin, wo er nötig ist.

Wir hatten uns weitere Themen vorgenommen. Es geht um die Bekämpfung von Transfetten, in Rezepturen ist zu viel Salz oder Zucker. Hier brauche ich die Unterstützungsbereitschaft der Nahrungsmittelwirtschaft. Ich will durch nachverfolgbare und transparente Verhaltensweisen ohne Regelungen auskommen, die immer schwer umzusetzen sind, weil ich nicht jedes Kochrezept als Gesetz beschließen lassen kann.

Aber ein klarer Hinweis: Falls die Wirtschaft diesen Weg nicht konsequent mitgehen sollte, dann werden gesetzliche Regelungen das Mittel der Zielerreichung sein müssen. Das gilt auch für eine Reihe weiterer Punkte. Nicht an den Erklärungen, sondern an der Umsetzung derselben müssen wir alle in der Wertschöpfungskette messen. Wir werden das auch tun. Wir werden die Umsetzung der entsprechenden Regelungen einfordern.

Wir haben Fragen, die von der Wertschätzung von Lebensmitteln, Stichwort „Vermeidung von Lebensmittelabfällen“, bis hin zur Neudefinition des Mindesthaltbarkeitsdatums reichen, das sich zum Teil vom Mindesthaltbarkeitsdatum als Ernährungsinformation zu einem Umschlagdatum am Ladenregal – dafür war es nicht gedacht, und dafür soll es auch nicht herhalten – verändert hat. Das sind Fragen, die wir im Rahmen der G20-Präsidentschaft mit dem Thema Ernährungssicherung in einen größeren Rahmen stellen. Ich freue mich, dass der Bundesernährungsminister mit seinen Ministerkollegen der erste ist, der bereits im Januar die G20-Konferenzreihe eröffnet. Wir werden das zum Anlass nehmen, gerade zur Frage von guter und gesunder Ernährung und den Grundlagen derselben mit einer nachhaltigen Wirtschaft zu arbeiten.

Herr Präsident, dieser Satz beendet meine Ausführungen. Ich möchte aber nicht enden ohne meinen Wunsch nach einer ruhigen Weihnachtszeit für alle und einem guten Gänsebraten im Ofenrohr. Schon Paracelsus lehrte uns, Herr Präsident, dass nicht in der Qualität allein, sondern auch in der Quantität des Konsums der entscheidende Schlüssel für eine gesunde Lebensweise liegt.