Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil,

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden heute mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht nur über den größten Einzeletat des Bundes, sondern im Kern auch über die Zukunft der Arbeit und die Zukunft des sozialen Zusammenhalts in diesem Land. Im Gegensatz zu dem, was wir eben gehört haben, würde ich das gerne einmal mit Blick auf die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland tun und Sie an der einen oder anderen Stelle mit ein paar Begegnungen konfrontieren, die ich in der letzten Woche in der schönen Stadt Stuttgart hatte.

Ich war in der vergangenen Woche in Stuttgart bei Beschäftigten der Bosch GmbH. Die Firma Bosch in Feuerbach ist in überwiegendem Maße ein Automobilzulieferer. Ich habe dort mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesprochen, die sich bei allem Stolz auf ihre Leistungen durchaus ein bisschen Sorgen machen, wie es in ihrem Unternehmen weitergeht, weil sich dieses Unternehmen als Zulieferer beispielsweise sehr stark in der Dieseltechnologie engagiert – Sie alle kennen die aktuelle Debatte – und weil Digitalisierungsthemen in diesem Unternehmen eine große Rolle spielen. Die Beschäftigten in diesem Unternehmen verlangen von mir keinen höheren Regelsatz, sie verlangen von mir auch kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern sie erwarten, dass wir sie in diesem technologischen Wandel vor Arbeitslosigkeit bewahren, bevor sie entsteht.

Insofern haben wir in der nächsten Woche mit der Verabschiedung des Qualifizierungschancengesetzes die Möglichkeit, Unternehmen und Beschäftigte, bei denen Weiterbildung und Qualifizierung notwendig sind, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können, im Strukturwandel zu unterstützen. Das ist eine präventive, eine vorsorgende Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitslosigkeit verhindert, bevor sie entsteht. Das ist die erste und wichtigste Botschaft.

Nach dem Besuch bei Bosch war ich am selben Tag in einem Sozialkaufhaus in Stuttgart. Auch in Stuttgart, einer prosperierenden Region, gibt es langzeitarbeitslose Menschen, die seit vielen Jahren den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht gefunden haben. Ich habe dort mit langzeitarbeitslosen Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensbiografien und Lebensschicksalen gesprochen. Eine alleinerziehende Frau hat mir deutlich gemacht, wie schwierig es in den letzten Jahren für sie war, nachdem die Ehe auseinandergegangen war, wieder Zugang zur Arbeit zu finden. Ein Mann, der irgendwann einmal obdachlos war, hat sich aus der Situation herausgeholt und arbeitet jetzt in diesem Sozialkaufhaus. Die Botschaft in dieser Phase der deutschen Politik muss sein, sich trotz der schönen Zahlen für den Arbeitsmarkt nicht auszuruhen, sondern diese Menschen nicht zu vergessen.

Auch in diesem Bereich handeln wir als Koalition; denn wir haben in der vergangenen Woche den Sozialen Arbeitsmarkt auf den Weg gebracht. Im Gegensatz zu meinem Vorredner sollte man sich einmal mit den Leuten unterhalten, die die Chance haben, über diese Möglichkeit eine würdige Perspektive auf sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bekommen. Sie reden und quatschen darüber, aber haben keine Ahnung, was der Soziale Arbeitsmarkt für die Menschen wirklich bedeutet.

Ein paar Tage später, der Zufall wollte es so, war ich wieder in Stuttgart. Ich war eingeladen von Betriebsräten der Deutschen Post AG, DHL, 800 Betriebsräte aus ganz Deutschland. Auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines sehr erfolgreichen Unternehmens spüren, dass der Wandel der Arbeitsgesellschaft mit dem Wandel der Arbeitsbedingungen einhergeht. Wir wissen, dass gerade bei Paketdiensten im Logistikbereich eine große Konkurrenz herrscht und es zum Teil sehr schäbige Arbeitsbedingungen gibt. Dort arbeiten Menschen sehr hart. Mein Ziel ist, dass diese Menschen nicht nur bessere Löhne bekommen, sondern vor allen Dingen anständige Arbeitsbedingungen. Das sind fleißige Menschen in diesem Land, und auch in diesem Bereich machen wir etwas.

Wir werden zum Beispiel im kommenden Jahr dafür sorgen, dass viele dieser Beschäftigten, die oft sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse haben, eine Perspektive auf dauerhafte Beschäftigung bekommen. Ich will, dass wir die willkürliche Befristung in Deutschland endlich zurückdrängen. Das wird diese Koalition im nächsten Jahr auch schultern.

Warum erwähne ich diese drei Beispiele? Weil mir wichtig ist, an konkreten Beispielen darüber zu diskutieren, was ein moderner Sozialstaat in dieser sich verändernden Arbeitsgesellschaft zu leisten hat.

Wir führen derzeit eine leidenschaftliche Debatte über die Grundsicherung. Das ist auch gut so; denn es ist richtig, dass wir alle Jahre nachschauen, ob die Sicherungssysteme, die wir haben, zukunftsfähig und richtig sind und gut funktionieren. Bei der Grundsicherung gibt es Licht und Schatten. Wir haben in den letzten Jahren Erfolge gehabt, gar keine Frage. Aber wir erleben auch, dass viele Menschen den Sozialstaat in dieser Form als zu bürokratisch, manchmal auch als obrigkeitsstaatlich erleben. Ich will diese Debatte führen, aber vor allen Dingen mit Blick auf die Lebensrealität der Menschen in diesem Lande und mit Blick auf das, was in dieser Gesellschaft, in dieser sozialen Gesellschaft und an diesem Arbeitsmarkt notwendig ist.

Deswegen will ich Ihnen vor dem Hintergrund des Bundeshaushaltes die Reihenfolge erläutern, wie wir diese Debatte führen werden. Ich habe es vorhin am Beispiel Bosch gesagt. Das Erste und Wichtigste ist angesichts der guten Lage am Arbeitsmarkt und einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft, in der wir gleichzeitig digitalen Wandel und Fachkräftebedarf haben, dafür zu sorgen, dass wir in Beschäftigungsfähigkeiten investieren. Mit dem Qualifizierungschancengesetz gehen wir den ersten Schritt, die Bundesagentur für Arbeit zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln, Arbeitslosigkeit zu verhindern, bevor sie entsteht, indem wir Unternehmen und Beschäftigte bei der Qualifizierung unterstützen. Wir müssen verhindern, dass das Kind in den Brunnen fällt, indem wir dafür sorgen, dass Menschen in Arbeit bleiben können und sozial aufsteigen können in ihrer Beschäftigung. Das ist die erste Priorität.

Die zweite Priorität ist, darüber zu diskutieren, wie wir es schaffen angesichts des Wandels und der durchaus vorhandenen Abstiegsängste vieler Beschäftigter in Deutschland, die notwendigen sozialen Sicherungssysteme wieder enger zu knüpfen. Da geht mein erster Blick nicht so sehr auf die Grundsicherung, sondern auf die Arbeitslosenversicherung in Deutschland. Wir werden in der nächsten Woche das Qualifizierungschancengesetz verabschieden. Hier ist auch ein Element dabei, mit dem wir dafür sorgen, dass das Sicherungssystem der Arbeitslosenversicherung ein Stück verlässlicher wird.

Ein konkretes Beispiel sind die kurzzeitig Beschäftigten in Deutschland. Das sind Menschen, die immer in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aber deren Anwartschaftszeiten und Rahmenfrist nicht so zusammenpassen, dass sie je Leistungen erhalten. Dass wir die Rahmenfrist bei der Arbeitslosenversicherung für diese Beschäftigten ein bisschen enger knüpfen, ist ein Beitrag gegen Abstiegsängste in diesen Zeiten des Wandels.

Ja, und dann reden wir auch über Reformen in der Grundsicherung und die Weiterentwicklung der Grundsicherung. Aber wir reden nicht nur. Wir haben bereits mit der Weiterentwicklung des Sozialen Arbeitsmarktes und der Grundsicherung begonnen. Im Gegensatz zu dem, was der Kollege vor mir gesagt hat, geht es nicht um irgendein Programm. Es geht beim Sozialen Arbeitsmarkt um Regelinstrumente im Sozialgesetzbuch II. Es geht um dauerhafte und strukturelle Veränderungen. Das haben wir gemeinsam beschlossen.

Wir werden aber auch darüber reden, wie wir den Sozialstaat unbürokratischer organisieren können. Ich sage das mit Blick darauf, was für Kinder und Jugendliche, die im SGB-II-Bezug, in Hartz IV sind, notwendig ist. Mein Ziel ist es aber nicht nur, dafür zu sorgen, dass das als würdiger und unterstützender empfunden wird. Wir werden mit Franziska Giffey, der Familienministerin, den Kinderzuschlag reformieren und beispielsweise auch das Schulbedarfspaket ausbauen. Das haben wir uns in der Koalition vorgenommen. Das hilft konkret.

Mein Ziel ist es nicht, möglichst viele Menschen in der Grundsicherung zu verwalten, sondern – wo immer es geht – Menschen aus der Grundsicherung herauszuholen. Das ist der Unterschied in dieser Debatte.

Woran bemisst sich die Qualität eines modernen Sozialstaats? In erster Linie an der Frage, wie wir es schaffen, Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen, und zwar durch Teilhabe an Arbeit, weil Arbeit mehr ist als Broterwerb.

Bei all diesen Debatten habe ich von keinem Menschen – weder in Stuttgart bei Bosch noch im Sozialkaufhaus oder von den Beschäftigten der Post AG – gehört, dass er ein bedingungsloses Grundeinkommen will. Ich sage Ihnen: Es gibt viele Menschen in diesem Land, die möglicherweise die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Idealismus führen, weil sie das Gefühl haben, dieser Gesellschaft geht die Arbeit aus. Das ist nicht der Fall; es wird andere Arbeit sein. Aber vor allen Dingen unterschätzen Menschen, die das vertreten, die Bedeutung von ordentlicher Erwerbsarbeit für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Für die meisten Menschen ist Arbeit mehr als Broterwerb.

Diese Bundesregierung nimmt die Zukunft der Arbeit und die Lebensrealität der Beschäftigten in Deutschland in den Blick, und wir sorgen für sozialen Zusammenhalt und soziale Sicherheit.

Es gibt einige, die sagen: "Der Etat ist zu hoch; wir geben zu viel für Soziales aus." Ich gebe zu: Die Höhe eines Etats sagt noch nichts über die Qualität des Sozialstaats aus. Aber wer Investitionen in den sozialen Zusammenhalt als Kokolores diffamiert, der unterschätzt, dass wir eine Soziale Marktwirtschaft und ein sozialer Rechtsstaat mit sozialen Bürgerrechten sind. Für genau den arbeitet allerdings diese Bundesregierung, und darauf bin ich stolz.