Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,

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Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Herr Kollege Steinbrück, wir haben gut zusammengearbeitet in der Regierung der Großen Koalition. Ich habe ein Grundverständnis – das mag altmodisch sein – einer gewissen Solidarität zwischen Amtsvorgängern und Amtsinhabern.

Das macht es mir ein bisschen schwer, auf Sie einzugehen. Da ich Protestant bin, habe ich auch ein bisschen Mitleid. Das macht es mir darüber hinaus schwer, auf Sie einzugehen.

Was werfen Sie uns eigentlich vor? Im ersten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten alles falsch gemacht. Im zweiten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten nur das gemacht, was Sie gemacht haben. Entweder das eine oder das andere, aber doch nicht beides zusammen und das auch noch in einer Rede. Das geht doch nicht.

Natürlich sind Lehren zu ziehen aus der Finanz- und Bankenkrise, die ihren Ursprung übrigens in Amerika, bei Lehman Brothers, und nicht im Euro-Raum hatte. Daran muss man auch einmal erinnern. Natürlich ist das Ziehen der Konsequenzen mit dem Ziel einer besseren Regulierung des Finanzmarkts eine große Aufgabe, die übrigens nicht über Nacht bewältigt werden kann. Vielmehr müssen in einem langwierigen beharrlichen Prozess auf globaler, europäischer und nationaler Ebene die richtigen Konsequenzen gezogen werden.

Angesichts der Volatilität in den modernen Finanzmärkten geht es doch gar nicht anders. Ich kann hier jede Regel einführen, aber wenn mit einem Knopfdruck alle Aktivitäten aus Deutschland heraus verlagert werden, habe ich nichts erreicht. Infolgedessen geht es doch nicht so einfach, wie Sie es hier gesagt haben.

Es hat doch keinen Sinn, den Menschen, wie es die Linken in Ihrer Partei tun, mit uralten klassenkämpferischen Parolen einzureden, nur die Banken seien an allen Problemen schuld. Das haben wir schon 100 Jahre lang gehört, und das war schon immer falsch.

Das hat schon einmal Deutschland und Europa geteilt, und das ist überwunden. Das sind so alte Hüte, dass ich mich eigentlich wundere, dass Sie uns das hier vorgetragen haben.

Ursache der Euro-Krise ist, dass wir in der gemeinsamen europäischen Währungsunion unter-schiedliche -Finanzpolitiken in den Ländern haben. Das ist nicht nur im Euro-Raum, sondern überall in der Welt der Fall. Im Übrigen ist die Staatsverschuldung außerhalb des Euro-Raums höher als innerhalb des Euro-Raums. Großbritannien hat eine höhere Staatsverschuldung als der Durchschnitt des Euro-Raums. Die Vereinigten Staaten von Amerika will ich gar nicht erwähnen.

Ich füge hinzu, dass mir die Politik der neu gewählten japanischen Regierung ziemlich große Sorgen bereitet. Wir haben ein Übermaß an Liquidität in den globalen -Finanzmärkten. Dieses wird durch ein falsches Verständnis von Notenbankpolitik weiter geschürt. Das alles sind unsere Herausforderungen und unsere Aufgaben, denen wir uns stellen.

Wir haben ein unterschiedliches Maß an Wettbewerbsfähigkeit in den europäischen Volkswirt-schaften. Das ist in einer gemeinsamen Währungsunion natürlich ein Riesenproblem, das in Angriff genommen werden muss.

Natürlich haben wir den Fehler gemacht – wir alle, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition; ich war auch lange genug dabei –, zu glauben: Je weniger Regulierung, umso besser für den Finanzplatz Deutschland. Am Schluss hatten wir überall auf der Welt so wenig Regulierung, dass die Finanzmärkte begonnen haben, sich ohne Regeln und Grenzen selbst zu zerstören. So ist die Wirklichkeit, und das müssen wir ändern.

Es ist aber nicht getan mit einer einfachen Beschimpfung der Banken oder mit der Behauptung, dass die Finanzinstitute Infektionskanäle in die Staatshaushalte in Europa gelegt hätten. Das ist eine Verschwörungstheorie, die nun wirklich zum Himmel schreit, und zwar schreit sie nach Erbarmen.

In Spanien haben wir eine Immobilienkrise, ausgelöst übrigens möglicherweise durch ein falsches Verständnis von Wachstumsförderung, indem man nämlich glaubt, dass man mit schulden-finanzierten Anreizprogrammen in den Immobiliensektor eingreifen kann. Das Entstehen der spanischen Immobilienblase können Sie doch exakt verfolgen. Diese wiederum hat den spanischen Sparkassensektor so infiziert, dass sich daraus weitere Probleme ergeben haben.

Irland ist ein Sonderproblem. Die spanische Immobilienkrise hat übrigens ziemlich viel Ähnlichkeit mit dem Entstehen der Subprimekrise in den Vereinigten Staaten von Amerika – um auch daran zu erinnern.

Ich sage noch einmal: Wir sind auf dem richtigen Weg, Schritt für Schritt. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg, die Vertrauenskrise in Bezug auf den Euro – denn aus all dem ist eine Vertrauenskrise entstanden – Schritt für Schritt zu lösen.

Die realen Zahlen um den Jahreswechsel belegen dies. Die Haushaltssituation in allen Ländern – mit Programm oder auch in solchen Ländern ohne Programm – hat sich verbessert. Die Unterschiede bei den Lohnstückkosten sind geringer geworden. Das betrifft das Thema Wettbewerbsfähigkeit und die zu großen Verzerrungen. Die Zinsdifferenzen werden geringer. Das Vertrauen in die Finanzmärkte kommt Schritt für Schritt zurück. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Aber eines dürfen wir nicht machen – und das ist der grundlegende Unterschied –: exakt die Fehler fortsetzen, die zu der Krise geführt haben. Sie haben einen richtigen Satz gesagt. Die Gretchenfrage jeder wirtschaftlichen Ordnung ist: Haftung und Entscheidung, Risiko und Chance dürfen nicht auseinanderfallen. Das ist im -Finanzsektor so – „too big to fail“, das kennen wir –, und das gilt natürlich auch für eine Politik der Vergemeinschaftung in Europa: keine Vergemeinschaftung von Haftung, wenn wir nicht auch eine Vergemeinschaftung der Entscheidung beschließen. Wer Schulden machen kann, für die andere das Risiko tragen, macht sie. Deswegen ist Ihr Weg der Vergemeinschaftung von Haftung ein Weg, der die Krise verschlimmert, statt sie zu lösen.

Ich habe mit dem Sachverständigenrat darüber diskutiert. Sie übernehmen ja den Vorschlag des Sachverständigenrates. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, setzt, um es rechtlich zu sagen, zumindest eine Vertragsänderung voraus, denn mit dem Bail-out-Verbot ist er nicht zu vereinbaren; dafür müsste man die Verträge ändern.

Aber unterstellen wir einmal, dass wir das Risiko der zusätzlichen Haftung – das sind über 60 Prozent der Gesamtverschuldung der Mitgliedsländer in der Euro-Zone – in einer Größenordnung des deutschen Bruttoinlandsprodukts zulasten der deutschen Wirtschaft übernehmen würden. Die unmittelbare Folge wäre, dass die deutsche Wirtschaft die Last nicht mehr tragen könnte, dass wir heruntergeratet werden würden und dass das Vertrauen in die Solidität der deutschen Wirtschaft zerstört würde. Damit zerstören Sie übrigens Europa; denn wir sind der Anker für Europa. Das dürfen wir schon aufgrund unserer Verantwortung für Europa nicht machen. Deswegen ist Ihr Vorschlag nicht zu verwirklichen.

Nächstes Beispiel. Sie schlagen in Ihrem Antrag einen europäischen Bankenfonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro vor, den die Banken schnell auflegen sollen. Sie wissen genau: Wenn die Banken zu den Anforderungen – zusätzliches Eigenkapital, Umsetzung von Basel III; wir sind ja in der Endphase der Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament; es geht in Europa halt nicht so schnell, wie ich mir das wünschen würde, aber das Parlament muss seine Rolle wahrnehmen – noch 200 Milliarden Euro zusätzliches Kapital aufbringen sollen, dann wird das eine dramatische Kreditverknappung für die gesamte europäische Wirtschaft zur Folge haben; das heißt, wir erleben einen weiteren wirtschaftlichen Absturz, und das, wo wir gerade dabei sind, uns aus der weltwirtschaftlichen Konjunkturdelle herauszubewegen. Das wäre das Dümmste, was man machen kann, völlig unver-antwortlich.

Sie müssen sich inzwischen schon so weit nach links bewegen, dass Sie von Herrn Trittin rechts überholt werden. Selbst Herr Trittin hat gesagt, es wird einige Zeit dauern, bis die 200 Milliarden Euro aufgebracht werden können. Daraufhin haben Sie einen noch intelligenteren Vorschlag gemacht. Sie haben gesagt: Der europäische Bankenfonds soll für diese 200 Milliarden Euro Anleihen ausgeben. Wer nimmt die? Wie werden sie refinanziert? Durch die EZB. Sagen Sie doch gleich: Wir lösen die Probleme, indem wir die Banknotenpresse anwerfen und so viel Geld drucken, wie wir brauchen. Sie untergraben jedes Vertrauen in die Stetigkeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Exakt deswegen werden wir das nicht machen.

Das ist ein grundlegender Unterschied. Darüber werden wir noch öfter streiten. Wenn Sie wollen, dass die Notenbank nicht nur für die Stabilität des Geldes, in erster Linie für die Preisstabilität, verantwortlich ist, sondern wir mit der Banknotenpresse alle unsere wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und sonstigen Probleme lösen, dann schaffen Sie Inflation als Grundlage aller politischen Entscheidungen.

Aus genau diesem Grund haben wir schon vor 60 Jahren, zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland, den politischen Mehrheiten die Banknotenpresse entzogen, die Unabhängigkeit der Notenbank beschlossen und eine Beschränkung auf das eng ausgelegte geldpolitische Mandat vorgenommen. Dabei hat uns die Erkenntnis geleitet, dass politische Mehrheiten lieber Geld ausgeben, als den Bürgern die Rechnung für die Ausgaben zu präsentieren.

Wenn Sie das ändern wollen, können wir darüber streiten. Ich sage Ihnen: Die große Mehrheit der Deutschen weiß, dass Inflation die schlimmste soziale Ungerechtigkeit ist und wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum nur auf der Grundlage von Stabilität erreichen.

Jeder internationale Vergleich belegt doch inzwischen, dass die Länder, die eine einigermaßen verantwortliche Finanzpolitik betreiben, wirtschaftlich sehr viel besser dastehen als die anderen. Warum lassen Sie sich durch diese Tatsache nicht belehren?

Wir wissen inzwischen – das hat selbst der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Herr Rogoff, nachgewiesen –, dass ab einer bestimmten Höhe der Staatsverschuldung eine weitere Erhöhung der Staatsverschuldung Wachstum nicht mehr fördert, sondern mittelfristig behindert. Genau deswegen machen wir das nicht. Weil wir das nicht machen, sind wir im europäischen Vergleich diejenigen mit den besten Stabilitäts-erfolgen und den besten nachhaltigen Wirtschaftserfolgen. Genau diese Politik werden wir fortsetzen.

Sie wollen das nicht hören. Wir hören uns Ihre Auffassungen doch auch mit großer Ruhe an. Wir hören aufmerksam zu, setzen uns damit auseinander und sagen, warum wir Ihre Auffassungen für falsch halten. Das ist der Sinn einer parlamentarischen Debatte. Es ist nie angenehm, wenn man gesagt bekommt, dass ein anderer nicht die eigene Meinung teilt. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir können mit realen ökonomischen Zahlen und mit Erfolgen belegen, dass unser Weg zwar anstren-gend ist, er uns aber Schritt für Schritt voranführt. Das ist auch in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht sichtbar geworden. Deswegen wer-den wir exakt diesen Weg weitergehen.

Wir haben jetzt einen einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus für die systemrelevanten Institute geschaffen. Dieser Mechanismus macht aber nur Sinn, wenn die Bankenaufsicht mindestens die gleiche Qualität wie die in Deutschland hat. Natürlich gibt es Länder in Europa, in denen die Bankenaufsicht nicht die Qualität unserer Bankenauf-sicht erreicht. Deswegen sage ich Ihnen: Der Mechanismus einer europäischen Bankenaufsicht ist mit Blick auf grenzüberschreitende Problematiken richtig, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bankenaufsicht so gut ist wie die, die wir haben. Es kann nicht sein, dass wir auf europäischer Ebene ein schlechteres Niveau haben. Das ist auch die Position der Europäischen Zentralbank. Daher müssen die Regeln für die Trennmauer zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht so streng wie möglich sein. Wir haben auf der Grundlage der gelten-den Verträge – das haben Sie anerkannt – das Bestmögliche, das Optimale herausgeholt. Deswegen werden wir das Schritt für Schritt umsetzen.

Im Übrigen bleibt es dabei: Die Interpretation der Beschlüsse zur direkten Bankenrekapitalisierung war falsch, Herr Steinbrück. Auch in der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs vom frühen Morgen des 29. Juni 2012 – ich habe den Tag noch gut in Erinnerung – steht ausdrücklich:

Wenn eine europäische Bankenaufsicht die Arbeit aufgenommen hat, unter Beteiligung der EZB, dann können die Banken bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des ESM-Vertrages direkt Kapital bekommen. Die übrigen Voraussetzungen sind: Der ESM bleibt Lender of Last Resort, das heißt subsidiär. Nur wenn die Banken sich das Kapital nicht selbst besorgen können und auch der Mitgliedstaat das Kapital nicht besorgen kann, kann der Mitgliedstaat beim ESM einen Antrag stellen.

Dann muss ein Anpassungsprogramm vereinbart werden, ein Memorandum of Understanding. Nur so und nicht anders geht es. Würden wir es anders machen, wäre der ESM innerhalb von vier Wochen völlig leergelaufen. Damit würden wir alles vergemeinschaften. Das wäre exakt der falsche Weg; es wäre eine Fehlinterpretation der Beschlüsse. Es gibt manche in Europa, die das wollen. Deswegen muss ich hier klarstellen: Wir werden es nicht machen. Die Verträge sind völlig anders zu verstehen.

Ein letztes Wort, weil Sie auch in dieser Debatte noch auf das Thema der Steuerhinterziehung zu sprechen gekommen sind. Herr Kollege Steinbrück, Steuerhinterziehung ist – das wissen Sie – ein Riesenproblem. Auch Sie haben in Ihrer Amtszeit – das habe ich Ihnen nie vorgeworfen – an der Wirklichkeit nicht sehr viel ändern können. Die moderne Verflechtung der Wirtschaft bringt unglaubliche Möglichkeiten mit sich. Denken Sie an die Mehrwertsteuer. Für die organisierte Kriminalität ist die Ausnutzung der Tatsache, dass wir die Mehr-wertsteuer notwendigerweise nach vereinbarten Entgelten erheben, ein unglaubliches Geschäftsmodell. Denken Sie daran, dass mit der großen Mobilität der Geschäftsaktivitäten im Internet – ich habe das Thema zum ersten Mal aufgegriffen und auf die G-20-Ebene gehoben – eine starke Erosion der Steuerbasis verbunden ist.

Ich muss jetzt aber noch etwas zur Schweiz sagen. Das Abkommen ist gescheitert; es konnte nicht zum 1. Januar in Kraft treten. Sie haben dazu aber schon wieder etwas gesagt, was mit meinem Respekt vor Ihnen einfach nicht zu vereinbaren ist. Sie sagen etwas, von dem ich nicht glaube, dass das von dem „richtigen Steinbrück“ stammt. Sie waren federführend dafür zuständig und verantwortlich, dass bei der Besteuerung von Kapitalerträgen eine Abgeltungsteuer eingeführt wurde. Wenn ein deutscher Steuerpflichtiger bei deutschen Banken und Sparkassen beziehungsweise Raiffeisenbanken Kapitalerträge erzielt, behalten diese von den Kapitalerträgen – von den Zinsen, Dividenden etcetera – die Kapitalertragsteuer ein und führen sie an das Finanzamt ab. Gäbe es das Abkommen, dann hätten wir seit dem 1. Januar in der Schweiz exakt dieselbe Praxis; dann würden auch Schweizer Banken das machen. Wir haben das Abkommen jetzt aber nicht. Sie haben es blockiert und verhindert. Deswegen sind wir seit dem 1. Januar darauf angewiesen, dass uns die Schweizer Banken freiwillig die Daten nennen – oder auch nicht.

Wenn Sie Steuerhinterziehung bekämpfen wollen, müssen Sie zu internationaler Kooperation bereit sein. Internationale Kooperation kann nur heißen, dass die Regeln, die bei uns gelten, auch im Nachbarland gelten. Das genau haben Sie zerstört.

Es gibt nur einen Grund dafür: parteipolitisch motivierten Missbrauch.

Herzlichen Dank.