Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles,

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Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Uns allen ist bewusst: Wir stehen vor einer großen Herausforderung, vor wichtigen Fragen: Wer kann als Flüchtling bei uns bleiben? Wie organisieren und verbessern wir die Verfahren, die das klären? Wie schaffen wir es, dass wir die, die bei uns bleiben, rasch integrieren und in Arbeit bringen?

Wir haben bereits vieles auf den Weg gebracht, damit die Verfahren zur Aufnahme zügig und reibungslos laufen können. Erste Erfolge sind auch schon da. Die Zahl der vom BAMF getroffenen Entscheidungen zum Beispiel ist im November im Vergleich zum September um 60 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt sind es jetzt 1.600 pro Tag. Aber es bleibt noch viel zu tun, und das merken Sie auch an diesem Einzelplan 11, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Fast zwei Milliarden Euro sollen zusätzlich zur Verfügung stehen, damit die Menschen, die vor Terror und Gewalt fliehen, bei uns Fuß fassen können, Deutsch lernen, eine Ausbildung machen oder eine Arbeit finden, selbst für sich sorgen können. Das ist das Ziel. Ich danke an dieser Stelle allen für die gute Zusammenarbeit und die Unterstützung dafür, dass wir die finanziellen Mehrbedarfe jetzt im Haushalt mit Mitteln unterlegen können, besonders unseren Berichterstatterinnen und Berichterstattern, den Kolleginnen und Kollegen im Fach- und vor allem im Haushaltsausschuss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit allen Mitteln verhindern, dass aus Enttäuschung Radikalisierung entsteht und der Rückzug aus der Gesellschaft. Und ich will, dass auch die, die sich hier schon lange um Arbeit bemühen, sich nicht abgehängt fühlen, sondern eine neue Chance bekommen. Darum bündeln wir unsere Anstrengungen für die Flüchtlinge mit denen für Langzeitarbeitslose und richten unseren ganzen Einsatz darauf, ihnen allen einen Neustart zu ermöglichen.

„Neustart in Deutschland“, und zwar für alle – die, die neu hinzukommen, und die, die schon lange nach Arbeit suchen –, diese Initiative habe ich vor wenigen Wochen in NRW vorgestellt. Warum in Nordrhein-Westfalen? Dort werden die meisten Flüchtlinge aufgenommen, und dort haben die Städte bedauerlicherweise einen sehr hohen, verfestigten Anteil von Langzeitarbeitslosen. Dort kommt beides zusammen.

Wenn wir zu schnellen Entscheidungen über die Asylanträge kommen, heißt das, dass diejenigen, die bei uns bleiben können, auch als Arbeitslose gezählt werden, dass wir mehr Geld für die Grundsicherung brauchen, und das weist der Einzelplan 11 auch aus. Aber Hartz IV soll für niemanden in Deutschland eine Dauerlösung sein. Ich will, dass die Menschen, die zu uns kommen, bald für sich selbst sorgen können. Darum richten wir alle Anstrengungen darauf, sie schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Über die Hälfte der Asylantragsteller sind unter 25 Jahre alt. Wir müssen sie zügig in eine berufliche Ausbildung bringen, damit ihr Neustart hier gelingt. Andere haben schon eine Ausbildung und Erfahrung im Beruf. Trotzdem können sie nicht sofort ihren Platz in unserem hochspezialisierten deutschen Arbeitsmarkt finden. Aber oft genügt eben schon, dass sie Deutsch lernen und ihr Wissen und Können in einem Anerkennungsverfahren geprüft wird. Am schnellsten können wir Flüchtlinge mit Berufsaus-bildung oder einem Hochschulabschluss integrieren; denn die Nachfrage nach Fachkräften ist ungebrochen hoch. Wir haben eine Million offene Stellen, und in manchen Berufen und Regionen werden Fachkräfte händeringend gesucht.

Also geht es darum, schon in der Erstaufnahmeeinrichtung die Qualifikationen zu erfassen und die Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive so schnell wie möglich mit den zuständigen Stellen für die Anerkennung der Qualifikationen zusammenzubringen. Ich habe mir das in Köln vor Ort angeschaut und an einigen der Bewerbungsgespräche, wenn man das so nennen will, teilgenommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, das auch zu tun. Schauen Sie sich das ruhig einmal an; das ist eine wichtige Erfahrung. Da wird vor Ort eine sehr gute Arbeit gemacht von der BA in den Aufnahmeeinrichtungen.

Sooft und wo immer es geht – das halte ich wirklich für einen zentralen Punkt –, wollen wir berufsbezogene Deutschkurse mit der täglichen Erfahrung im Betrieb verbinden. Ich möchte nicht, dass wir aus berufsbezogenen Sprachkursen vor allem ein Beschulungsprogramm machen, sondern ich möchte die Kombination aus Praktika und Deutschkurs, aus ausbildungs- und berufsbegleitenden Angeboten und Deutschkurs, aus Jobs und Deutschkurs. Wir müssen es von Anfang an zusammenbringen: Anpassungsqualifizierung und Arbeitsvermittlung und Deutschkurs müssen eine Einheit bilden. Ich glaube, dass es so auch für die Flüchtlinge am leichtesten ist, weil sie dann schon Kontakt in den Betrieben bekommen und auch Verständnis dafür gewinnen, wie unsere Arbeitswelt hier in Deutschland überhaupt funktioniert. Ich glaube auch, dass sie so schneller Deutsch lernen können, weil es gleich anwendungsbezogen ist.

Das muss aus meiner Sicht zusammenkommen. Ich freue mich – im Übrigen verbinde ich das auch mit einem Dank an die deutschen Unternehmen – über die Unterstützung, die ich für dieses Konzept gefunden habe: Angebote, die Bereitschaft, das umzusetzen, und ganz konkrete Hilfe. Wir sind da in einem sehr guten Dialog.

Wir stellen in diesem Etat sehr viel mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung, sowohl im Etat von Herrn de Maizière, also dem Etat des Bundesinnenministeriums – für die Integrationskurse –, als auch für die berufsbezogene Sprachförderung, die wir über die BA anbieten. Knapp 300 Millionen Euro – und damit fünfmal so viel wie ursprünglich geplant – werden hier für den nächsten Haushalt zur Verfügung gestellt.

Auch für die Anerkennung der Qualifikationen verstärken wir die Mittel, beispielsweise für das Netzwerk IQ, weil es ganz wichtig ist. Außerdem, Kolleginnen und Kollegen, erhöhen wir auch die Mittel für die Arbeit der Jobcenter. Mehr als eine halbe Milliarde Euro steht hier zusätzlich zur Verfügung. Mir ist wichtig, dass wir auch für die Menschen, die hier Arbeit suchen, die nötigen Mittel bereitstellen. So werden auch im nächsten Jahr den Jobcentern zusätzlich 350 Millionen Euro Ausgabereste zur Verfügung stehen.

Die Jobcenter – ich denke, das muss allen klar sein – stehen in den nächsten Monaten und Jahren vor einer sehr großen Aufgabe. Ich betone: Es werden nicht nur Monate, sondern Jahre sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir sie von unnötiger Bürokratie befreien. Deswegen werde ich jetzt die Reform des SGB II zur Rechtsvereinfachung auf den Weg bringen. Es gab da einige, die da die Handbremse angezogen hatten. Die haben wir lösen können, so hoffe ich. Unnötige Bescheide wegfallen zu lassen, Anrechnungsregeln und Verfahren zu vereinfachen – das ist jetzt, gerade in dieser Situation, in der die Belastungen bei den Jobcentern zunehmen, eine der wichtigen Weichenstellungen, die wir vornehmen.

Es ist niemandem geholfen – nicht den Jobcentern, nicht denen, die wir in Arbeit bringen wollen –, wenn Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Deswegen sage ich hier ganz klar: Der Mindestlohn gilt für alle, egal welchen Pass jemand mitbringt.

Und eine weitere Sache ist mir wichtig: Wir dürfen auch die Menschen in unserem Land nicht vergessen, die keine Flüchtlinge sind. Deshalb müssen wir das, was wir zugesagt haben, auch einhalten, zum Beispiel bei Leiharbeit und Werkverträgen. Ich habe mich gefreut, dass die Kanzlerin vorgestern ihre Unterstützung noch einmal deutlich gemacht hat. Ja, das ist wichtig und richtig. Die Leiharbeit muss raus aus der Grauzone, aus der Schmuddelecke. Wir brauchen sie für die Flexibilität unserer Wirtschaft; davon bin ich fest überzeugt. Aber dann muss sie auch vernünftig geregelt werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag eine klare Vereinbarung: Nach neun Monaten gibt es gleichen Lohn, und nach 18 Monaten muss derjenige in dem Betrieb, in dem er eingesetzt wird, fest eingestellt werden. Ich sage aber auch ganz klar: Wo es einen Tarifvertrag gibt, da kann auch mehr Flexibilität möglich sein. Tarifpartnerschaft schafft mehr Flexibilität. Tarifflucht wollen wir allerdings verhindern. Das ist die Grundidee, die hinter diesem Gesetzentwurf steht.

Und bei den Werksverträgen werden wir Abgrenzungskriterien festlegen gegenüber Scheinselbstständigkeit auf der einen und Scheinwerkverträgen auf der anderen Seite. Das ist längst gängige Rechtsprechung. Diese Kriterien übernehmen wir jetzt. Wir kodifizieren das im BGB; denn bisher gibt es zwar Rechtsanwälten Arbeit, aber es belastet nur die Gerichte und führt zu Streit. Wir wollen das verhindern und die gängige Praxis der Rechtsprechung zu geltendem Recht machen.

Es ist schlicht falsch, wenn behauptet wird, wie in dieser Woche auf dem Arbeitgebertag, dass jedes einzelne Kriterium ein K.o.-Kriterium für Werkverträge sei. Nein, entscheidend ist die Gesamtbetrachtung: Weder wird ein bestellter Klempner zum Angestellten noch beschränken wir die Tarifautonomie auf drei Monate. Das ist vollkommener Unsinn. Das wissen diejenigen auch, die das behaupten, weil ich mit ihnen lange darüber geredet habe. Diejenigen legen dagegen wirklich die Axt an die Tarifautonomie, die Werkverträge als Deckmantel für Lohndumping nutzen. Das allerdings wollen wir nicht; denn das höhlt die Tarifautonomie aus. Wir haben in der Bundesregierung eine klare Linie: Wir wollen die Tarifautonomie stärken. Das haben wir bei der Tarifeinheit gemacht, und das machen wir auch bei Leiharbeit und Werkverträgen.