Grußwort des Bundesministers des Auswärtigen, Heiko Maas,

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Sehr geehrte Damen und Herren Minister und Gouverneure,
lieber Achim Steiner,
sehr geehrter Sir Mark Lowcock,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

herzlich willkommen zur Tschadsee-Konferenz in Berlin! Wir – die Regierungen von Deutschland, Nigeria, Norwegen und die Vereinten Nationen – freuen uns über das große Interesse, das diesem Thema und dieser Konferenz entgegengebracht wird.

Ich erinnere mich noch gut an die Bilder, die 2014 um die Welt gingen: Über 200 Schülerinnen aus dem nordostnigerianischen Chibok von Terroristen der Boko Haram entführt, gedemütigt, teilweise zwangsverheiratet. Das Leiden dieser Mädchen, die Verzweiflung der Eltern, das hat weltweit die Menschen ins Herz getroffen – und ich glaube, das ging uns allen so.

Die Mädchen von Chibok haben einem Konflikt ein Gesicht gegeben, der schon vor 2014 begonnen hatte – und der leider auch heute noch nicht vorüber ist. Er ist nur aus den Medien zum großen Teil verschwunden. Es gibt nach wie vor Menschen, die unter diesem Konflikt unglaublich leiden. Menschen wie Mbokoye, den Fischer ohne Boot, oder Hawa, die jeden Tag dafür kämpft, dass ihre neun Kinder satt werden.

Eines aber hat sich inzwischen verändert: Es gibt auch wieder Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Abwärtsspirale aus Hunger und Armut, aus Flucht und Vertreibung, aus Radikalisierung und Terrorismus doch gestoppt werden kann.

Was also war der "game changer"? Ich glaube, dass das zweierlei gewesen ist. Allem voran der Entschluss der Länder der Region, gemeinsam gegen den grenzüberschreitenden Terror vorzugehen als "Multinationale Eingreiftruppe". Boko Haram konnte dadurch zurückgedrängt werden. Statt eines Gebiets von der Größe Belgiens kontrollieren die Terroristen heute nur noch zersplitterte Teile davon.

Der zweite "game changer" bestand in der Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Anders als bei vielen anderen Krisen hat sie die Länder der Region und deren Zusammenarbeit von Anfang an unterstützt. Anfang 2017 haben wir uns in Oslo getroffen und 672 Millionen Dollar für humanitäre Hilfe und zivile Stabilisierung zugesagt. Hilfe, die bei den Menschen ankommt – dank der mutigen Arbeit vor allem so vieler Hilfsorganisationen. Für diese Arbeit will ich mich ganz herzlich bedanken!

Doch die dadurch erzielten Fortschritte sind nicht unumkehrbar: Gerade in letzter Zeit häufen sich die Anschläge auf Sicherheitskräfte, auf Märkte, Moscheen und Kirchen. Große Gebiete außerhalb der Städte sind immer noch unsicher. Und nach wie vor sind über zehn Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

"We all share responsibility for each other’s security. Only by working to make each other more secure can we hope to achieve lasting security for ourselves." Kofi Annan hat dies getweeted – am 3. Juli, wenige Tage vor seinem Tod. Er wusste: Ohne Sicherheit gibt es keine Entwicklung, keinen Zugang für humanitäre Helfer. Und Sicherheit funktioniert nur gemeinsam.

Deshalb ist es so wichtig, dass von hier, aus Berlin, heute die Botschaft ausgeht: Wir halten Kurs. Wir stehen zusammen, damit die Tschadsee-Region – eigentlich wirtschaftliche Drehscheibe zwischen Nord- und Subsahara-Afrika – nicht zum Drehkreuz für Terrorismus, Kriminalität und Menschenschmuggel wird.

Daher unterstützen wir als internationale Gemeinschaft den Anti-Terror-Kampf der Tschadsee-Staaten. Und deshalb hat Deutschland die nigerianischen Sicherheitskräfte mit Bodenradaren, Minensuchgeräten und einem Feldlazarett ausgestattet.

Entscheidend aber bleibt die regionale Zusammenarbeit. Im Mai dieses Jahres hat in Borno erstmals ein Forum von Gouverneuren aus allen vier Tschadsee-Anrainerstaaten getagt. Zum ersten Mal sind damit diejenigen zusammengekommen, die vor Ort die Verantwortung tragen für Sicherheit, Entwicklung und die humanitäre Versorgung der Menschen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und Deutschland haben dies unterstützt, weil wir überzeugt sind: Der Terrorismus wird nur zu besiegen sein, wenn regionale Zusammenarbeit auf allen Ebenen funktioniert.

Stellvertretend für alle beteiligten Gouverneure möchte ich dem Gouverneur von Borno danken, der heute hier bei uns ist. Lieber Herr Shettima, wir stehen bei der Stabilisierung Ihrer Region weiter an Ihrer Seite! Auch das ist ein Signal, das von heute hier ausgeht.

Erst letzte Woche haben die Tschadsee-Anrainer zusammen mit der Tschadseebecken-Kommission und der Afrikanischen Union ihre eigene Stabilisierungsstrategie verabschiedet. Der Austausch darüber wird heute sicherlich eine große Rolle spielen. Eines aber kann ich jetzt schon sagen: Dieses Bekenntnis zu noch engerer Zusammenarbeit stärkt unser Vertrauen in die Zukunft der Region. Und ich hoffe, es motiviert viele von uns hier, weiter in ihre Stabilisierung und Entwicklung zu investieren.

Unser Land, Deutschland, ist dazu auf jeden Fall bereit. Die 100 Millionen Euro, die wir in Oslo an humanitärer Hilfe zugesagt haben, sind bereits vollständig in Projekte geflossen. Bis 2020 werden wir deshalb weitere 100 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in der Tschadsee-Region bereitstellen. Für 2018/2019 sagen wir im Bereich Stabilisierung und Prävention weitere 40 Millionen Euro zu.

Auch für Entwicklungsperspektiven in der Tschadsee-Region engagieren wir uns und setzen gegenwärtig Programme im Umfang von rund 220 Millionen Euro um, neue Vorhaben sind in Planung. Und als Vize-Vorsitz der Peacebuilding Commission und nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab 2019 werden wir ein offenes Ohr für Afrika haben – das haben wir auch versprochen, auch und gerade für die Staaten der Tschadsee-Region.

Wir tun dies, weil wir wissen, dass Sicherheit nur gemeinsam funktioniert. Weil wir als Europäer überzeugt sind, dass regionale Kooperation, wie sie rund um den Tschadsee gerade entsteht, unsere volle Unterstützung verdient. Und wir tun dies, weil uns die Menschen vor Ort, Menschen wie Mbokoye und Hawa, nicht gleichgültig sind.

Ich glaube, Kofi Annan wäre zufrieden, wenn er uns heute sehen könnte: Länder aus seinem Heimatkontinent, die ihre Kräfte zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bündeln, und Partner aus der ganzen Welt, die Unterstützung anbieten und ihre Hilfe miteinander und mit den Handelnden vor Ort abstimmen.

Und deshalb vielen Dank dafür an Sie alle und vielen Dank dafür, dass Sie heute nach Berlin gekommen sind! Noch einmal herzlich willkommen.