Das nächste Kernkraftwerk ist vom Netz

Energiewende Das nächste Kernkraftwerk ist vom Netz

Seit vergangenem Wochenende speist das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld kein Strom mehr ins Netz. Doch was geschieht mit dem Gebäude, den baulichen Anlagen und dem Inventar des dienstältesten Kernkraftwerks in Deutschland.

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Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern

Am 27. Juni 2015 abgeschaltet: das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern

Foto: picture alliance / blickwinkel

Für das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld erlischt die Berechtigung zum Leistungsbetrieb spätestens zum 31. Dezember 2015. Das sieht das Atomgesetz vor. Dann muss es endgültig abgeschaltet sein. Jedoch kann der Betreiber das Gebäude und seine Anlagen wie jedes Kernkraftwerk nicht einfach abschließen. Da auch "nach Betriebsende von einer kerntechnischen Anlage noch eine Gefährdung von Mensch und Umwelt ausgehen kann", muss sie "geordnet stillgelegt" werden. Was heißt das genau?

Geordnete Stilllegung

Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff "Stilllegung" alle Maßnahmen, die nach der Erteilung der Genehmigung zur Stilllegung durchgeführt werden, bis eine behördliche, das heißt eine atomrechtliche Überwachung nicht mehr notwendig ist. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür ergeben sich aus dem Atomgesetz.

Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld liegt südlich von Schweinfurt beim unterfränkischen Grafenrheinfeld. 1974 war Baubeginn. Das Kraftwerk ging am 9. Dezember 1981 in Betrieb, im April 1982 brachte es erstmals 100 Prozent Leistung. Der Druckwasserreaktor der dritten Generation hatte eine elektrische Bruttoleistung von 1.345 Megawatt. Er produzierte jährlich zirka zehn Milliarden Kilowattstunden Strom.

Die Stilllegung kerntechnischer Anlagen muss ein strenges Genehmigungsverfahren durchlaufen. Um Mensch und Umwelt vor unzulässigen Strahlenbelastungen zu schützen, wird die Öffentlichkeit in den Prozess der Stilllegung miteinbezogen. Bürgerinnen und Bürgern können beispielsweise die Unterlagen zum Genehmigungsverfahren zur Stilllegung nach Veröffentlichung bei der entsprechenden Genehmigungsbehörde einsehen und Einwände innerhalb einer bestimmten Frist einreichen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist ebenfalls Teil des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens.

"Grüne Wiese" ist das Ziel

Deutschland verfolgt zwei Strategien zur Stilllegung eines Kernkraftwerks:

  • Direkter Abbau:
    Hierbei wird eine kerntechnische Anlage unmittelbar nach der endgültigen Abschaltung beseitigt. In der Regel bedeutet dies: Alle Gebäudeteile müssen entfernt und der natürliche Ausgangszustand in Form der sogenannten "Grünen Wiese" wiederhergestellt sein.
  • Sicherer Einschluss:
    Bei dieser Stilllegungsstrategie erfolgt der Abbau einer kerntechnischen Anlage erst nach einer Periode des sogenannten "sicheren Einschlusses". In diesem Zustand verbleibt die Anlage für eine bestimmte Zeit (beispielsweise 30 Jahre), um anschließend abgebaut zu werden. In Deutschland wurde der sichere Einschluss als Stilllegungsstrategie bisher selten angewandt und ist derzeit bei keiner stillzulegenden Anlage beabsichtigt.

Beide Strategien haben allerdings gemeinsam, dass zwischen der endgültigen Abschaltung und dem Beginn der eigentlichen Stilllegung die sogenannte "Nachbetriebsphase" liegt. Erfahrungsgemäß kann die Nachbetriebsphase mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Auch wenn nach der Abschaltung des Kernkraftwerks die Anlage drucklos bei niedriger Temperatur läuft und es keine Kernspaltung mehr gibt, müssen die Brennelemente noch einige Jahre weiter abkühlen.

Betreiber trägt Kosten für den Rückbau

Zuständig für den Rückbau eines nicht mehr betriebenen Kernkraftwerks ist – dem Verursacherprinzip entsprechend der Betreiber. In der Nachbetriebsphase entwickelt der Betreiber ein Stilllegungskonzept und beantragt eine Abbaugenehmigung nach Paragraph 7 Absatz 3 des Atomgesetzes bei der zuständigen atomrechtlichen Landesbehörde.

Die Bundesländer handeln dabei im Auftrag des Bundes ("Bundesauftragsverwaltung"). Sie unterliegen der Aufsicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Das Ministerium wird hierbei von der Entsorgungskommission (ESK), der Reaktorsicherheitskommission (RSK) sowie der Strahlenschutzkommission (SSK) beraten.

Erst nachdem diese Genehmigung erteilt ist, beginnen die konkreten Stilllegungs- und Abbautätigkeiten. Die Kosten des Rückbaus trägt grundsätzlich der Betreiber. Diese kommen aus den betrieblichen Rückstellungen und setzen sich aus der gesamten Vermögensmasse der betreffenden Unternehmen zusammen.

Abbau "von außen nach innen"

Für das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ist der direkte Abbau (Rückbau) vorgesehen. Das erfolgt in mehreren Schritten. Grundsätzlich geht man hierbei nach dem Prinzip "von außen nach innen" vor. Das bedeutet, zunächst Gebäudeteile mit geringer Strahlenbelastung (Kontamination) zu entsorgen, bevor Bereiche mit entsprechend höherer Kontamination erreicht werden.

In der Regel hängt der Beginn der eigentlichen Rückbaumaßnahmen im Wesentlichen davon ab, wann die sogenannte "Kernbrennstofffreiheit" erreicht ist: Um das rückzubauende Reaktorgebäude kernbrennstofffrei zu machen, sind die im Kernbrennstoff enthaltenden Brennelemente aus dem Reaktorkern in das sogenannte "Abklingbecken" zu befördern.

Es kann allerdings mehrere Jahre dauern, bis das verstrahlte Material soweit abgekühlt ist, dass es in Castoren umgeladen und in ein Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände transportiert werden kann. Dort lagern und trocknen die abgekühlten Brennelemente für weitere Jahre.

Unter Kernbrennstofffreiheit einer Anlage beziehungsweise eines Anlagenteils wird der Zustand verstanden, bei dem Kernbrennstoff nur noch in so geringen Mengen vorhanden ist, dass eine Kritikalität ausgeschlossen werden kann (Quelle: Leitlinien zur Stilllegung kerntechnischer Anlagen vom 11. November 2010).

Anlagenteile, wie beispielsweise die Kühltürme, könnten nach entsprechender Genehmigung schon eher abgerissen werden.

Als letzte Maßnahme werden radioaktive Verunreinigungen von der Gebäudestruktur entfernt ("dekontaminiert") und nochmals auf verbleibende Strahlenbelastung geprüft. Erst wenn die Dekontamination erfolgreich war, erfolgt die "Freigabe" und das Gebäude fällt aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes heraus. Und ist dann endgültig stillgelegt.

Sicherheit und Schutz vor Strahlung von zentraler Bedeutung

Um das Betriebspersonal des Kernkraftwerks, aber auch die Bevölkerung und die Umwelt jederzeit während des Rückbaus vor unzulässigen Strahlenbelastungen zu schützen, sind eine Reihe von technischen und administrativen Maßnahmen durchzuführen.

Dieser Schutz umfasst alle Arbeiten, die mit der Stilllegung verbunden sind, beispielsweise Einschluss des radioaktiven Inventars in Systemen und Räumen, geeignete Abschirmmaßnahmen zur Reduzierung der Strahlenbelastung am Arbeitsplatz, individuelle Schutzmaßnahmen für das Personal (spezielle Schutzanzüge, Handschuhe, Überschuhe, Atemschutzmasken), Filterung der Abluft, Reinigung der Abwässer.

Darüber hinaus muss dieser Schutz auch bei Störfällen greifen. Weitere Sicherheitsaspekte sehen den für Industrieanlagen vorgesehenen Arbeitsschutz beim Umgang mit Chemikalien sowie die Unfallverhütung vor.

Wohin mit dem radioaktiven Abfall?

Zu den Rückbaukosten gehören auch die Kosten für die Entsorgung der bestrahlten Brennelemente und der radioaktiven Abfälle einschließlich deren Endlagerung. Die "Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe", die der Deutsche Bundestag 2014 nach Inkrafttreten des sogenannten "Standortauswahlgesetzes" eingesetzt hat, entwickelt gegenwärtig Vorschläge und Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber, um einen geeigneten Endlagerstandort zu finden. Geplant ist, dieses Verfahren bis zum Jahr 2033 abzuschließen. Voraussichtlich ab 2050 soll der Atommüll am endgültigen Standort eingelagert werden.

Der Ausstieg aus der Kernkraft
Die nukleare Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 machte deutlich: es gibt unabsehbare Restrisiken bei der Kernkraft. Eine Neubewertung der Gesamtsituation war erforderlich. Die im gleichen Jahr von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" kam zum Ergebnis, dass sich die Kernkraft durch risikoärmere Technologien ökologisch, wirtschaftlich und sozial verträglich ersetzen lässt. Der Deutsche Bundestag hat hierzu am 30. Juni 2011 das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes verabschiedet. Das Gesetz ist am 6. August 2011 in Kraft getreten.

Im Zuge dieses parteiübergreifenden Konsenses ist die Berechtigung zum Leistungsbetrieb für die sieben ältesten Kernkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel erloschen. Sie gingen sofort vom Netz. Deren Produktionskapazitäten ließen sich durch bestehende Reserven ersetzen.

Für die drei jüngsten Anlagen (Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2) erlischt gemäß Paragraph 7 Absatz 1a Atomgesetz die Genehmigung zum Leistungsbetrieb spätestens im Jahr 2022; für die übrigen Anlagen (Kernkraftwerke Grafenrheinfeld, Gundremmingen B, Philippsburg 2, Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf) gestaffelt bis spätestens 2015/2017/2019/2021.

Im Vergleich mit den erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind und Co., verliert die Kernenergie an Bedeutung: Ihr Anteil am gesamten Energiemix sank von 17,6 Prozent 2011 auf 15,8 Prozent Ende 2014. Die erneuerbaren Energien decken heute schon fast 28 Prozent des Bruttostrombedarfs ab.