„Es kann keinen Schlussstrich geben“

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Newsletter und Abos  

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Holocaust-Gedenken im Bundestag „Es kann keinen Schlussstrich geben“

Der Bundestag hat am internationalen Holocaust-Gedenktag der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht. Das Gedenken widmete sich dieses Jahr besonders den Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität unter Verfolgung litten. Auch Bundeskanzler Scholz nahm an der Gedenkstunde teil.

3 Min. Lesedauer

Blick ins Plenum des Bundestages während des Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus.

Gemeinsam mit Repräsentanten aller Verfassungsorgane gedachte der Bundestag den Opfern des Nationalsozialismus.

Foto: Bundesregierung/Denzel

Vor 78 Jahren wurde am 27. Januar 1945 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Auschwitz steht stellvertretend für die vielen Orte, an denen Millionen von Menschen - meist jüdischen Glaubens - während der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft misshandelt und ermordet wurden. Auch Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen und sexuelle Minderheiten wurden verfolgt und getötet.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas eröffnete die Gedenkstunde und hob hervor, dass Deutschland eine lebendige Erinnerungskultur brauche. „Es kann keinen Schlussstrich geben“ sagte Bärbel Bas. Sie sei beunruhigt über Versuche, die Einzigartigkeit des Holocausts zu relativieren, „das müssen wir entschieden zurückweisen“, so Bas. Die Bundestagspräsidentin bedauerte, dass Menschen, die von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt wurden, lange für ihre Anerkennung als Opfer kämpfen mussten. Es sei wichtig, über die Schicksale derer zu sprechen, die wegen ihrer Homosexualität verurteilt und in Konzentrationslager deportiert worden seien.

Der Zwang, die eigene Identität zu verstecken

Die Gedenkrede hielt Rozette Kats, die 1942 in einer jüdischen Familie geboren worden war. Sie überlebte den Holocaust bei einem nichtjüdischen Ehepaar in Amsterdam, während ihre leiblichen Eltern in Auschwitz ermordet wurden. Rozette Kats schilderte sehr eindrücklich, wie leidvoll für sie die ständige Unterdrückung ihrer jüdischen Identität gewesen ist. Ihr sei es daher ein großes Anliegen, dass auch derjenigen Opfer des Nationalsozialismus angemessen gedacht werde, die damals ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht offen zeigen konnten, ohne um ihr Leben zu fürchten zu müssen.

Der Vorwurf einer sexuellen „Anormalität“ führte ins KZ

Im Anschluss wurden die Schicksale zweier Menschen gewürdigt, denen die Nationalsozialisten eine „verwerfliche“ sexuelle Orientierung zum Vorwurf gemacht hatten.
Die Schauspielerin Maren Kroymann verlas einen biographischen Text zu Mary Pünjer. Mary Pünjar war Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg. 1940 wurde sie als verheiratete Frau unter dem Vorwand der „Asozialität“ als „Lesbierin“ verhaftet und verurteilt. Sie wurde in das KZ Ravensbrück deportiert und im Frühjahr 1942 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Bernburg (Saale) ermordet.

Der Schauspieler Jannik Schümann trug einen Text über Karl Gorath vor. Karl Gorath wurde 1934 zum ersten Mal nach Paragraph 175 Strafgesetzbuch verurteilt, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Nach erneuter Anzeige 1938 erfolgte eine Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus. Nach deren Verbüßung wurde er 1943 ins Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg in „polizeiliche Vorbeugungshaft“ genommen und von dort im Juni 1943 in das KZ Auschwitz deportiert. Nach seiner Befreiung im KZ Mauthausen wurde er 1946 in Bremen von demselben Richter verurteilt, der ihn bereits 1938 bestraft hatte. Der Paragraph 175 Strafgetzbuch wurde erst 1969 abgeschwächt und erst 1994 ersatzlos gestrichen.

Heute gilt es, geschlechtliche Identität zu achten

Den Abschluss der Gedenkstunde bildete eine Ansprache von Klaus Schirdewahn, der selbst im Jahr 1964 aufgrund von Paragraph 175 Strafgesetzbuch verhaftet wurde. Schirdewahn sprach über die Bedeutung des Gedenkens an die im Nationalsozialismus verfolgten sexuellen Minderheiten. Auch heute noch sei es für viele schwierig, ihre geschlechtliche Identität frei zu leben.

Den musikalischen Rahmen der Gedenkstunde gestalteten die Sängerin Georgette Dee und der Pianist Tobias Bartholmeß, die Stücke von Bertholt Brecht und Friedrich Hollaender zu Gehör brachten.

Erneuerung für das Erinnern

Um das aktive Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus an die jüngere Generation weiterzugeben, veranstaltet der Bundestag eine Jugendbegegnung. In diesem Ramen besichtigen die Jugendlichen die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und nehmen an Diskussionen und Workshops teil. Außerdem zeigt der Bundestag in einer Ausstellung Gegenstände von Menschen die vor dem Terror der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fliehen mussten.

1996 wurde der 27. Januar vom damaligen Bundespräsident Roman Herzog als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eingeführt. Seit 1996 findet jährlich eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag statt. 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Tag zum Gedenken an die Opfer des Holocausts. Unter dem Hashtag #WeRemember bringen weltweit Menschen ihr Engagement für die Erinnerung an den Holocaust zum Ausdruck.