- Bulletin 116-87
- 6. November 1987
rede des hessischen ministerpraesidenten
der ministerpraesident des landes hessen, dr. walter
wallmann, hielt in der sitzung des deutschen
bundestages nachstehende rede:
herr praesident, meine sehr verehrten damen, meine herren!
es faellt, herr praesident, tatsaechlich schwer, unter dem
eindruck der zwei morde, begangen an zwei
polizeibeamten, die ihre pflicht getan haben, angesichts von trauer,
bestuerzung, zorn und empoerung, die wir empfinden, heute
miteinander zu diskutieren.
ich denke, herr praesident, es ist auch richtig, darauf
aufmerksam zu machen, dass wir noch nicht alles wissen. wir
haben erste erkenntnisse, die zahl der erkenntnisse ist
groesser geworden, aber wir wissen noch nicht alles.
meine damen und herren, am abend des 2. november
wurden zwei hessische polizeibeamte waehrend des
einsatzes an der startbahn 18 west des frankfurter flughafens
erschossen. der in der nachkriegsgeschichte der
bundesrepublik bisher einmalige fall, dass aus einer demonstration
heraus polizeibeamte durch schusswaffen getoetet wurden,
eroeffnet eine neue dimension der gewalttaetigen
auseinandersetzung in der folge einer fuelle von politischen
demonstrationen, die allzuhaeufig gewalttaetig geworden sind.
wir trauern um die beiden toten. unser mitgefuehl gehoert
ihren angehoerigen, der ehefrau, den drei kindern, den
eltern und den geschwistern. wir denken an die verletzten
polizeibeamten.
meine damen und herren, bevor ich kurz zu den politischen
konsequenzen stellung nehme, moechte ich ihnen eine
kurze darstellung der ereignisse geben, wie sie sich - ich
betone noch einmal - nach dem derzeitigen stand der
ermittlungen ergeben.
am vergangenen sonntag sollte der 300. sogenannte
waldspaziergang unternommen werden. auf grund der
bisherigen erfahrungen hatten sich die polizeikraefte verstaerkt. es
waren auf dem frankfurter flughafen 600 polizeibeamte
zusammengezogen. am tage darauf, am montag, war es
sechs jahre her, seit das sogenannte huettendorf geraeumt
worden war. auch deswegen waren die polizeibeamten
zusammengezogen, und sie wurden, nachdem es am
sonntag nicht zu schweren auseinandersetzungen gekommen
war, nicht etwa zurueckgeschickt, sondern man behielt sie im
einsatz auf dem flughafen.
an diesem montag abend, am 2. november, zwischen
20 uhr und 20.30 uhr war ein demonstrationszug unterwegs,
die polizei schaetzt zwischen 120 und hoechstens
200 personen. sie begaben sich in richtung startbahn
18 west, sie naeherten sich dem zaun. sie trugen schwarze
anzuege. die haelfte der teilnehmer war maskiert. wie wir
wissen, fuehrten sie waffen unterschiedlicher art bei sich.
es war gegen 20.30 uhr, meine damen und herren, als
etwa vier bis fuenf der vermummten molotowcocktails
auspackten, bereitlegten. wenn man das in dem von der polizei
aufgenommenen film nachverfolgt, dann ahnt man, was in
diesem augenblick bei den polizeibeamten vor sich
gegangen ist: dass sie gerne taetig werden wollten. aber die nicht
angemeldete demonstration, die deswegen auch gar nicht
genehmigt war, war bis dahin nicht verboten. nachdem es
aber zu diesen erkennbaren, unbezweifelbaren
vorbereitungshandlungen zu gewalttaetigkeiten kam, wurde die
versammlung aufgeloest. das wurde den teilnehmern dieser
demonstration ueber megaphon mitgeteilt. sie wurden
aufgefordert, sich sofort zu entfernen. sie taten es nicht.
es wurde, schon waehrend die aufloesungsverfuegung
verlesen wurde, aus der demonstration heraus mit
leuchtspurmunition und mit feuerwerkskoerpern auf die polizei
geschossen. reifen wurden in brand gesetzt. es bestand
die gefahr, dass die gewalttaetigen demonstranten jetzt
unmittelbar an den zaun herankommen wuerden, versuchen
wuerden - was schon oefter geschehen ist -1, ihn zu
zerstoeren, ein loch hineinzubrechen, auf das flughafengelaende
zu gelangen und dann alle moeglichen sicherheitsanlagen zu
zerstoeren.
deshalb gab der einsatzleiter den befehl, auszuruecken und
die teilnehmer zurueckzudraengen.
meine damen und herren, als diese einsatzkraefte zirka drei-
bis vierhundert meter in das angrenzende gelaende
- es handelte sich um ein wiesengelaende, mit bueschen
bewachsen - vorgedrungen waren und sich etwa siebzig bis
hundert meter vor einem wald befanden, kam ueber
megaphon aus den reihen der gewalttaeter die aufforderung,
nicht weiter vorzuruecken. gemeint war die polizei.
unmittelbar darauf wurde von zeugen aus dem wald das
kommando "scharfschuetzen: feuer" gehoert.
meine damen und herren, sie muessen sich die situation
vorstellen: es war in der nacht. im ruecken der
polizeibeamten war die erleuchtete startbahn 18 west. vor ihnen
waren heuballen zusammengetragen worden. sie waren in
brand gesetzt worden. es handelte sich um ein
wiesengelaende, begrenzt von waldstuecken. auf der wiese waren
buesche, die deckung fuer gewalttaeter boten.
die polizeibeamten waren mit weissen helmen ausgeruestet.
wie man im nachhinein voller bitterkeit und trauer sagen
muss: sie waren wirklich eine hervorragende zielscheibe fuer
diejenigen gewalttaeter, die dort im walde lauerten.
nachdem die polizeibeamten bereits auf dem rueckzug
waren, wurde auf die polizeibeamten geschossen, nachdem
das kommando "scharfschuetzen: feuer" zu hoeren war. es
wurde zuerst mit leuchtspurmunition geschossen und dann
mit der waffe.
dabei wurden hundertschaftsfuehrer polizeihauptkommissar
klaus eichhoefer, 44 jahre alt, eine ehefrau und drei kinder
hinterlassend, und der junge 23 jahre alte polizeimeister
thorsten schwalm durch bauchschuss toedlich verletzt.
insgesamt, meine damen und herren, sind elf
polizeibeamte verletzt worden, davon drei durch schuesse.
nach diesen ereignissen wurden umfangreiche polizeiliche
und strafverfolgungsmassnahmen eingeleitet. es wurde eine
ringalarmfahndung ausgeloest. im rhein-main-gebiet
wurden ueber fuenfzig personen vorlaeufig festgenommen,
wohnungen durchsucht und ueberprueft.
unter den festgenommenen befand sich eine person, die in
frankfurt am main wohnhaft ist und die nach den vorliegendenerkenntnissen
der militanten autonomen szene
zuzuordnen ist. sie werden selbst in den medien gestern und
heute morgen im einzelnen erfahren haben, was
bekanntgeworden ist.
bei der festnahme konnten in einem versteckten rucksack
eine pistole vom kaliber 9 mm mit einem gefuellten magazin,
ein leeres magazin, ein durchgeladenes abschussgeraet fuer
leuchtmunition, drei handfunkgeraete und eine
strumpfmaske sichergestellt werden.
die bei dem betroffenen aufgefundene schusswaffe wurde
am 8. november 1986 anlaesslich einer gewalttaetigen
ausschreitung bei der demonstration gegen die nuklearfirmen
in hanau einem eingesetzten kriminalbeamten geraubt.
meine damen und herren, sie wissen, dass auch bei dieser
gewalttaetigen demonstration der sogenannte schwarze
block anwesend war und sich im wahrsten sinne des
wortes handgreiflich beteiligt hat, dass es vermummte waren,
die polizeibeamte einkesselten, unter denen auch der
kriminalbeamte war, dem dann die waffe geraubt wurde.
bei der obduktion der getoeteten polizeibeamten wurden
zwei projektile kaliber 9 mm parabellum, entsprechend
dem kaliber der aufgefundenen waffe, sichergestellt. alles
ist ballistisch untersucht worden, und es besteht die hohe
wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der waffe, die der taeter
oder die taeter - wir koennen es immer noch nicht
abschliessend sagen - benutzt haben, genau um jene waffe handelt,
die damals in hanau geraubt worden ist.
die auswertung der sichergestellten gegenstaende und die
vernehmungen dauern zur zeit noch an. weitere
massnahmen der polizei konzentrieren sich auf die intensive
absuche des tatortbereichs. die kriminaltechnischen
untersuchungen der sichergestellten gegenstaende werden
durch das bundeskriminalamt vorgenommen.
der generalbundesanwalt hat noch in der nacht vom
montag auf den dienstag die ermittlungen an sich gezogen
und das hessische landeskriminalamt mit der
ermittlungsfuehrung beauftragt.
meine sehr verehrten damen und herren, ich sage auch bei
dieser gelegenheit das, was ich schon am abend und in der
nacht, als jene grauenhafte tat begangen worden war, zum
ausdruck gebracht habe: wir werden mit sorgfalt, mit
augenmass und mit verantwortungsbewusstsein alles pruefen
und bewerten.
mehr als einmal ist - sozusagen vorwurfsvoll - an mich
die frage gerichtet worden: warum hat sich eigentlich die
polizei zurueckgezogen, warum hat sie nicht - wie die
fachleute es ausdruecken - nachgesetzt, warum hat sie sich
nicht darum bemueht, aus der gruppe der gewalttaetigen
taeter heraus weitere festnahmen zu erreichen?
meine damen und herren, ich habe ihnen die situation
geschildert, und ich moechte, herr praesident, auch hier vor
diesem hohen hause, vor dem deutschen bundestag, zum
ausdruck bringen: ich stelle mich ausdruecklich vor die
polizeifuehrung. denn die beamten, die dort eingesetzt
worden sind, waren angesichts der furchtbaren
gewalttaetigkeiten seit monaten und jahren an leib und leben
gefaehrdet.
vergessen wir bitte nicht: nicht erst seit dem vergangenen
montag abend, nicht erst seit geschossen worden ist,
sondern schon vorher gab es diese gefahr fuer leib und leben.
wer sich das arsenal der waffen - angefangen mit
stahlkugeln ueber molotowcocktails bis hin zu leuchtspur-
munition - angeschaut hat, der weiss, wovon ich rede.
meine damen und herren, noch etwas muss gesagt werden:
die zahl der verletzten polizeibeamten hat auf geradezu
erschuetternde weise zugenommen - von 130 bei solchen
gelegenheiten verletzten polizeibeamten vor drei jahren
ueber 230 jetzt auf ueber 800 verletzte beamte.
dies ist der schlichte und einfache und zugleich traurige
hintergrund, vor dem wir nun miteinander, so denke ich, die
frage zu eroertern haben, welche konsequenzen wir zu
ziehen haben. welche konsequenzen haben die politiker zu
ziehen, wo immer sie verantwortung tragen, sie, meine sehr
verehrten damen und herren abgeordneten, die
abgeordneten der landtage und diejenigen, die sich in der
regierungsverantwortung befinden?
ich sage noch einmal, und auch wenn wir zorn und
empoerung und abscheu und trauer empfinden - dieses, meine
sehr verehrten damen und herren, sage ich fuer mich in aller
offenheit, in aller ehrlichkeit, ich kann hier nicht akademisch
distanziert ueber diesen sachverhalt bleiben, und trotzdem
sage ich es: wenn es doch wohl der ueberwaeltigenden
mehrheit unserer menschen so geht, dann duerfen uns diese
gefuehle gegenueber den opfern und ihren angehoerigen und
auch das entsetzen ueber diesen heimtueckischen, gemeinen,
hinterlistigen mord, an unschuldigen begangen, nicht daran
hindern - ich sage es noch einmal -, besonnen und
ueberlegen jetzt zu reagieren.
wir werden nicht mit den mitteln der feinde des
rechtsstaats die feinde des rechtsstaats bekaempfen koennen, und
wir wollen es auch nicht.
aber ich sage, auch wenn dieses wort kritisiert worden ist:
wir werden mit aller haerte und entschlossenheit, die der
rechtsstaat nicht nur zulaesst, sondern gebietet, diejenigen
verfolgen, die hier schuldig geworden sind, und gegen alle
vorgehen, die hass und gewalt ueben. wir alle sind davon
betroffen.
aber, meine damen und herren, wir haben auch antworten
zu geben, wie wir in zukunft diesen ausbruechen von gewalt
und politischem terror begegnen koennen, wie wir sie
verhindern koennen.
damit kein missverstaendnis entsteht: kein mensch, denke
ich, redet hier von vorschnellen reaktionen, von
kurzatmigem aktionismus. nein, in diesem augenblick sind, so
schwer dies im einzelnen unter dem unmittelbaren eindruck
dieser mordtaten auch fallen mag - ich sage es noch einmal -,
besonnenheit und nachdenklichkeit gefordert, auch
augenmass, sorgfaeltige bewertung des sachverhalts, um dann das
sachlich gebotene zu entscheiden und durchzusetzen. auch
verharmlosungen sind nicht gestattet, sondern die ganze
wahrheit ist zu schildern und dann zu bewerten.
es darf nicht den leisesten zweifel an unserer
entschlossenheit geben, nicht einfach zur tagesordnung ueberzugehen.
meine sehr verehrten damen und herren, der bundeskanzler
hatte den stellvertretenden ministerpraesidenten
dr. gerhardt, den innenminister milde, den frankfurter
oberbuergermeister brueck und mich eingeladen, gestern
gemeinsam mit dem bundeskabinett die situation zu
eroertern. wir haben das getan, gruendlich. wir hatten gelegenheit,
die situation zu schildern und aus unserer sicht erste
bewertungen vorzunehmen.
wir sind gemeinsam mit der bundesregierung
uebereingekommen, bis anfang dezember eine entscheidung
herbeizufuehren. es geht dabei um die ganze palette, die in betracht
kommt: von polizeitaktischen massnahmen bis hin zu
gegebenenfalls gesetzesaenderungen.
ich bin dankbar dafuer, herr bundeskanzler, dass wir diese
gelegenheit gehabt haben. sie koennen sicher sein, dass
auch wir als hessische landesregierung mit den fachleuten
sorgfaeltig und eingehend sprechen werden. wir werden
nach diesen gespraechen unsere voten abzugeben haben.
meine damen und herren, der streit ueber den richtigen weg
ist immer der kern einer demokratischen
auseinandersetzung, ganz besonders in dieser situation. ich sage in
aller offenheit: dieser streit kann, wenn er offen und ehrlich
gefuehrt, wenn er fair ausgetragen wird, fruchtbar sein. nur,
ich sage noch einmal: er darf nicht zur
handlungsunfaehigkeit fuehren.
unsere buerger, die polizeibeamten, ihre angehoerigen
erwarten von uns mehr als betroffenheit. mit recht werden
von uns konsequenzen erwartet, die wohlueberlegt,
wohlbedacht sind und die dann durchgesetzt werden.
jeder muss an seiner stelle die verantwortung wahrnehmen.
ueber die bereits vorgesehene erhoehte personalausstattung
der hessischen polizei hinaus werden wir in hessen
zum beispiel weitere 100 polizeibeamte einstellen. und wir
werden in den kommenden wochen ueber alle in frage
kommenden polizeitaktischen wie gesetzlichen massnahmen
noch einmal gruendlich und sorgaeltig beraten.
es ist selbstverstaendlich, meine damen und herren: was
wir tun, muss wirkungsvoll, muss rechtsstaatlich zweifelsfrei
sein. ich sage das mit allem nachdruck, damit nichts falsch
verstanden werden kann.
und da wir uns, herr bundeskanzler, im bundeskabinett
vorgenommen haben, dass wir miteinander und mit den
fachleuten bis zum 2. dezember eingehend diskutieren
wollen, und da wir anfang dezember - vermutlich am
2. dezember - zu ersten oder abschliessenden
entscheidungen kommen wollen, will ich hier heute keine
abschliessenden und kategorischen persoenlichen meinungen vortragen.
es haette ja auch keinen zweck, miteinander zu reden, wenn
man die meinung so abschliessend und so kategorisch
festgelegt haette, dass dann fuer den wirklichen dialog und diskurs
anschliessend in gespraechen im grunde genommen
ueberhaupt kein raum mehr waere.
aber, meine damen und herren, einiges will ich hinzufuegen,
ich ganz persoenlich, auch auf grund meiner persoenlichen
erfahrungen, die ich frueher als frankfurter
oberbuergermeister und auch vor dem hintergrund meiner richterlichen
taetigkeit gemacht habe.
meine damen und herren, ich habe gesagt: wir duerfen die
polizeibeamten nicht allein lassen. wir duerfen nicht
zulassen, dass repraesentanten dieses staates, der staat selbst,
die gesellschaft bekaempft, dass sie gedemuetigt werden. wir
muessen begreifen, dass nicht von der polizei, sondern von
der politik verantwortlich definiert werden muss, wo die
grenzen zur gewalttaetigkeit ueberschritten werden. das erwarten
die buerger von uns. dies ist nicht nur unser recht, dies ist
vor allem unsere pflicht, der wir uns zu stellen haben.
mich bewegt - ich sage das in aller offenheit - bei der
ganzen palette der in betracht kommenden gesetzlichen
tatbestaende und rechtsgebiete in erster linie das thema
des vermummungsverbotes. ich sage das in aller offenheit.
ich stehe auf dem standpunkt, dass die vermummung als
vergehenstatbestand in unserem strafgesetzbuch
festgeschrieben werden muss.
meine damen und herren, es ist nach diesen furchtbaren
ereignissen am frankfurter flughafen gesagt worden, dass
ein vermummungsverbot, wenn es denn schon ein
vergehen gewesen waere, in diesem konkreten fall am 2.
november den mord an den beiden polizeibeamten nicht verhindert
haette.
es ist weiter gesagt worden, dass alle handlungen, die von
kriminellen an diesem abend begangen worden sind, mit
hohen strafen bedroht sind und dass sich moerder durch ein
sogenanntes strafbewehrtes vermummungsverbot von
ihrem brutalen tun nicht haetten abbringen lassen.
meine damen und herren, das will ich alles gar nicht
bestreiten. wer waere denn imstande, eine so gesicherte
aussage zu machen? wer wuerde es wagen? darueber will
ich ueberhaupt nicht streiten. aber, meine sehr verehrten
damen und herren, wir haben ein strafgesetzbuch. und in
diesem strafgesetzbuch sind strafdrohungen bis hin zu
hoechsten strafen ausgeschrieben, bei kapitalverbrechen
lebenslang.
ich bitte sie nur, einen einzigen augenblick mit mir darueber
nachzudenken. gleichwohl, obwohl dieses strafgesetzbuch
und andere strafvorschriften vorhanden sind, gibt es
straftaten, werden kapitalverbrechen veruebt.
will irgendeiner meinen, einen straftatbestand duerfe man
nur dann formulieren, wenn man sicher sei, dass das, was
damit verhindert werden soll, in zukunft nicht mehr eintrete?
nein, meine damen und herren, straftatbestaende haben
laengst nicht mehr allein den sinn und das ziel der suehne. es
ist nicht mehr so, wie hegel es formuliert hat, dass es um die
negation der negation des rechtes gehe, sondern es geht
vor allem darum, abzuschrecken, um die
generalpraevention.
meine damen und herren, niemand von uns kann belegen,
wie viele moegliche straftaten nicht geschehen sind, weil es
strafandrohungen gibt. nur, meine damen und herren, dass
es diese wirkung gibt, wird doch niemand ernsthaft
bestreiten wollen. es ist so: je hoeherwertig das rechtsgut, desto
hoeher die strafandrohung. das ius puniendi, das recht des
staates zu strafen, rechtfertigt sich ausschliesslich von
dorther.
meine sehr verehrten damen und herren, verzeihen sie,
wenn ich das sage - auch denen, die anderer meinung
sind -: wer jene argumentationskette, die ich soeben kurz
skizziert habe, aufbaut, trifft nach meiner meinung nicht
den kern des problems.
auch diejenigen, die sagen: wir haben doch - jedenfalls im
anfangsstadium - ein verbot oder - korrekter gesagt - eine
strafbewehrung, naemlich eine ordnungswidrigkeit, und erst
dann - nach aufforderung und dergleichen - schlaegt das
ganze um in die qualitaet eines vergehens, fordere ich auf:
meine sehr verehrten damen und meine herren kollegen,
ueberlegen sie bitte einen augenblick mit mir, wie oft wir
miteinander ueber die frage der verhaeltnismaessigkeit der
mittel gesprochen haben. was aber haben wir gerade nach
wackersdorf erlebt ?
glaubt wirklich irgend jemand unter uns ernsthaft, wegen
einer solchen ordnungswidrigkeit - wenn es sich weiterhin
um eine ordnungswidrigkeit handelt, die mit bis zu
1 000 dm geldbusse geahndet wird - koennte eine festnahme
gerechtfertigt werden?
ich sage nein. es wird vor keinem gericht bestand haben.
die richter werden uns vielmehr sagen: ihr politiker, schafft
dann bitte eindeutige gesetzliche vorschriften. ich bitte sie
herzlich, mit mir darueber nachzudenken.
eine letzte bemerkung. ich sage sehr, sehr selbstkritisch
- nicht nur an andere, sondern an uns, an jeden einzelnen
von uns gerichtet -: meine damen und herren, unser
politisches versagen liegt nach meiner ueberzeugung darin, dass
wir es in den vergangenen jahren zugelassen haben, dass
sich in unserer gesellschaft ganz allmaehlich, immer mehr
ein rechtsfreier raum gebildet hat, in dem maskierte mit
randale angefangen haben, und jetzt sind wir beim mord
angelangt. berlin, schwandorf, frankfurter flughafen,
hamburg sind nur einige namen fuer meilensteine auf diesem
weg.
meine damen und herren, wer demonstriert, soll sein
gesicht zeigen, denn das ist sinn und inhalt friedlicher
demonstrationen, sich auch zu bekennen.
weil dies so ist, koennen wir es nicht den polizeibeamten
ueberlassen zu entscheiden, ob die maskierung vorbereitung
zu strafbarem tun oder nur mummenschanz ist.
der stellvertretende ministerpraesident der hessischen
landesregierung, mein kollege dr. gerhardt, hat zu recht
gesagt: hier geht es nicht um ideologische festlegungen
nach dieser oder jener seite. er hat zu recht ausgefuehrt: es
geht nicht darum, jetzt mit gewalt sozusagen die ganze
rechtsmaterie in aufruhr zu bringen und
totalveraenderungen vorzunehmen.
meine damen und herren, es geht darum, der polizei die
moeglichkeit zu geben, wirkungsvoll gegen gewalttaeter
vorzugehen. es geht auch darum - darauf haben sie, herr
bundesinnenminister, gestern hingewiesen -, das
allgemeine rechtsbewusstsein herzustellen, dass derjenige, der
sich vermummt, das grundgesetzlich geschuetzte recht auf
friedliche demonstration, das wir schuetzen wollen -
machen wir nicht noch falsche graeben auf, wir alle wollen es
schuetzen, damit dieses grundrecht nicht in gefahr geraet -,
nicht fuer sich beanspruchen kann.
meine damen und herren, ich sehe - ich sagte es zu beginn -
in dieser tragischen, furchtbaren, traurigen situation
auch eine chance fuer uns, innezuhalten, nachzudenken,
richtig zu bewerten, das gebotene zu entscheiden und
durchzusetzen.