Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Kirgisistan und in der Ukraine vom 1. bis 6. Februar 1998 - Staatsbesuch in der Kirgisischen Republik - Staatsbankett in Bischkek

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Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Kirgisistan und in der Ukraine vom 1. bis 6. Februar 1998 - Staatsbesuch in der Kirgisischen Republik - Staatsbankett in Bischkek

  • Bulletin 13-98
  • 18. Februar 1998

Bundespräsident Roman Herzog stattete der Kirgisischen Republik vom 1. bis 3.
Februar 1998 und der Ukraine vom 3. bis 6. Februar 1998 einen Staatsbesuch ab.

Staatsbesuch in der Kirgisischen Republik

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei dem Staatsbankett, gegeben vom
Präsidenten der Kirgisischen Republik, Askar Akajewitsch Akajew, am 1. Februar
1998 in Bischkek folgende Ansprache:

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

für den herzlichen Empfang und die außerordentliche Gastfreundschaft, die Sie
mir und meiner Delegation bereitet haben, danke ich Ihnen sehr.
Gastfreundschaft, so heißt es schon in den ältesten Quellen, ist eine der
hervorstechendsten Tugenden der Kirgisen. Wir haben uns überzeugen können, daß
Sie in dieser Beziehung in der bewährten Tradition
des legendären Manas aus Ihrem großen Nationalepos handeln.

Ich bin auch beeindruckt von den guten Gesprächen, die wir hier führen. Sie
sind intensiv, und ich erfahre dabei viel über Kirgisistan und seine Politik.
Meine Delegation und ich lernen ein junges Land mit alten Wurzeln kennen,
einen dynamischen neuen Staat, der eine auf dem eigenen kulturellen Erbe
aufbauende Entwicklung anstrebt.

Heute haben die Völker Zentralasiens die Chance, die Erfahrungen des
sogenannten "great game", das sie zu Bauern auf dem Schachbrett
rivalisierender imperialer Mächte gemacht hatte, zu überwinden. Heute können
und wollen sie wieder sie selbst sein.

Auch Kirgisistan schreibt seine Geschichte neu. Sie wird auf dem Alten
aufbauen, denn nur das Alte macht die Bedingungen für die Zukunft verstehbar.
Unter den neuen Bedingungen werden die traditionellen Kraftquellen ihre
Wirkung entfalten. Wirtschaftliche Entwicklung und institutionelle
Modernisierung werden Kirgisistan nichts von seiner kulturellen Substanz
nehmen.

Im Gegenteil: Sie bedingen und ergänzen einander. Denken Sie an das
historische Muster der "Seidenstraße": Sie hat schon vor 2000 Jahren
vorweggenommen, was wir heute im Zeitalter der Globalisierung erleben, nämlich
die Überlagerung des "internationalen Systems" durch ein transnationales
System. Die Seidenstraße war ja ein frühes und perfektes Modell
transnationaler Kommunikation. Sie zeigt noch heute, wie grenzüberschreitende
Verkehrssysteme mit kultureller Eigenständigkeit und regionalem
Selbstbewußtsein vereinbart werden können. Dabei war die Seidenstraße niemals
eine reine Handelsstraße. Sie war stets auch ein Bindeglied zwischen den
Kulturen und eine Mittlerin zwischen Ost und West, Nord und Süd.

Dies ist der erste Staatsbesuch, den ein deutsches Staatsoberhaupt der
unabhängigen Kirgisischen Republik abstattet. Ich erwidere damit den
Deutschlandbesuch, den Sie, Herr Präsident, im April 1992 unternommen haben.
Kirgisistan ist für meine Landsleute und mich ein Symbol des erfolgreichen
Versuchs, eine an demokratischen, rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen
Kriterien orientierte neue Gesellschaft aufzubauen. Sie, Herr Präsident, haben
trotz aller wirtschaftlichen und politischen Probleme seit Beginn der
Unabhängigkeit am Reformkurs festgehalten, und Sie haben immer wieder
korrigierend eingegriffen, wenn die selbstgesetzten Ideale von
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsstandards gefährdet schienen.

Zu den wichtigsten Errungenschaften Ihres Landes in den Jahren der
Unabhängigkeit zähle ich, daß es Ihnen gelungen ist, Eintracht und Frieden
zwischen den verschiedenen Völkern Kirgisistans unter Bewahrung ihrer
nationalen Eigenarten zu erreichen. Ich hoffe, daß auf diese Weise auch an der
Zukunft Kirgisistans - wie an seiner Vergangenheit - kirgisische Bürger
deutscher Abstammung ihren Anteil haben werden.

Deutschland gehört zu den ersten Ländern, die diplomatische Beziehungen mit
dem unabhängigen Kirgisistan aufgenommen haben. Schon frühzeitig haben wir die
Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern auf eine vertraglich fundierte
und erprobte Basis gestellt. Zwischen den Bürgern unserer Länder, den
gesellschaftlichen und politischen Organisationen, den Parlamenten und den
Regierungen hat sich in den letzten sechs Jahren ein Geflecht von Beziehungen
entwickelt, das schon sehr gut hält und das vor allem ausbaufähig ist. Das
gilt auch für den Bereich der Wirtschaft, wo sich die bisherigen
Kooperationsergebnisse durchaus sehen lassen können. Die deutschen
Kulturwochen in Bischkek im Herbst 1996 und die kirgisische Kulturwoche in
Deutschland vor einem Jahr haben noch einen weiteren wichtigen Beitrag zum
gegenseitigen Kennenlernen unserer Völker und ihrer Traditionen geleistet.

Das unabhängige Kirgisistan hat unter Ihrer Führung, Herr Präsident, auch den
Schritt in den Kreis der internationalen Organisationen getan. Sie knüpfen
sich auch hier immer enger in das internationale Beziehungsgeflecht ein. Wir
Deutschen sind Kirgisistan für die Freundschaft und Unterstützung dankbar, die
wir bei unseren Anliegen in den Vereinten Nationen finden.

Herr Präsident, Sie haben ein schweres Erbe angetreten, als es galt, alte
Strukturen und altes Denken zu überwinden. Transformation ist ein
schmerzhafter Prozeß, aber ein schmerzfreier Übergang ist nach meiner
Überzeugung nicht möglich. Trotz Unsicherheit, trotz sozialer Härten gibt es
zum Prozeß der demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen keine
Alternative.

Sie sollen wissen: Deutschland will Ihnen dabei ein verläßlicher Freund und,
soweit Sie es wünschen, ein beratender Partner sein. Wir haben selbst in der
jüngeren deutschen Geschichte zweimal solche Umbruchsituationen erlebt. Einmal
nach dem Zweiten Weltkrieg und ein zweites Mal beim Übergang der ehemaligen
DDR vom Totalitarismus zur Freiheit. Wir können deshalb ermessen, wie
schwierig es ist, Strukturen grundlegend zu verändern, ein Gemeinwesen auf
rechtsstaatlicher Grundlage zu schaffen, die Wirtschaft so umzustellen, daß
sie den Spielregeln des Marktes folgen kann, und dabei das Wohl und die Rechte
der Bürger zu sichern.

Aber Ihr Land stellt sich diesen Herausforderungen. Auch deshalb setzen wir
auf den Erfolg der Reformen in Kirgisistan. Und ein Erfolg bei Ihnen wird
ähnliche Prozesse anderswo stützen. Selbsttragende Stabilität ist nicht nur
wichtig für die Staaten selbst. Sie hat auch Einfluß auf das regionale Gefüge
insgesamt.

Es gibt eine fesselnde Vision: Die Vision freier Gesellschaften vom Schwarzen
Meer bis zum Pamir. Um diese Vision Realität werden zu lassen, braucht es vor
allem auch gut ausgebildete, verantwortungsbewußte junge Menschen. Sie sind
für die Entwicklung eines Landes und einer Region ausschlaggebend.
Demokratische Freiheit, wirtschaftliche Entwicklung und Bildung gehen Hand in
Hand. Nur in offenen Gesellschaften können diese Kraftquellen voll erschlossen
werden.

Deshalb ist es mir eine große Freude, im weiteren Verlauf meines Besuchs den
deutschen Lesesaal in der Nationalbibliothek einzuweihen. Auch werde ich
Gelegenheit haben, mit jungen kirgisischen Studenten zu diskutieren. Ich
erwähne das hier ausdrücklich, weil es wohl kaum stärkere Bindungen zwischen
den Völkern gibt, als Wissenschaft und Kultur sie schaffen können.

Herr Präsident, ich möchte mein Glas erheben auf eine glückliche und
friedliche Zukunft Kirgisistans, auf seine Bürger, denen ich wünsche, daß sie
in demokratischer Selbstbestimmung ohne wirtschaftliche Sorgen leben können,
und auf Ihr persönliches Wohl und das Ihrer Familie.

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