staatsbesuch des bundespraesidenten in griechenland vom 23. bis 27. juni 1987

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der bundespraesident und freifrau von weizsaecker
statteten der griechischen republik vom 23. bis 27. juni 1987
einen staatsbesuch ab.

empfang im praesidentenpalast in athen

bundespraesident richard von weizsaecker hielt bei
einem abendessen, gegeben vom praesidenten der
griechischen republik, christos sartzetakis, im
praesidentenpalast in athen am 23. juni 1987 folgende
ansprache:

ihre liebenswuerdigen worte der begruessung und der
freundliche empfang, den sie uns im namen der griechischen
republik bereiten, beruehren mich sehr.
sie geben uns allen, die wir ihr unvergleichlich schoenes
land besuchen, das gefuehl, bei freunden zu sein, so wie es
der tradition unserer beziehungen entspricht. dafuer danke
ich ihnen herzlich.
wir verehren nicht nur die glanzvollen zeugnisse ihrer
grossen vergangenheit. wir sind freunde nicht nur der alten
griechen, die den abendlaendischen geist entscheidend
gepraegt haben. vielmehr sind wir den heutigen griechen in
gleicher weise verbunden.
vor allem bewundern wir ihren unbeugsamen willen zur
freiheit, ihre lebendige kultur und ihre gastfreundschaft
gegenueber dem fremden. ein deutscher kann lebhaft
nachempfinden, wie nikos kazantza'kis die unloesbare einheit
zwischen antiker und heutiger griechischer seele schildert
und wie er den zusammenhang der kultur mit der
landschaft griechenlands erklaert. so empfinde ich es auch heute
als ihr gast.
das griechische volk ist grossherzig. griechenland war das
erste aller mit uns im krieg befindlichen laender, das nach
dem ende des zweiten weltkrieges einen praesidenten der
bundesrepublik deutschland zum staatsbesuch einlud. in
dieser freundlichen gesinnung empfingen ihre landsleute
unseren ersten bundespraesidenten professor heuss 1956
in griechenland.
es war ausdruck des fuer ihr land typischen gefuehls, nicht
auf rache zu sinnen. kein ehemaliger gegner hat nach den
kriegsereignissen so wenige deutsche unter verfolgung
gestellt wie griechenland. mit ihrem herzen haben sich die
griechen dafuer eingesetzt, die wunden heilen zu lassen, die
ihnen krieg und besatzung grausam geschlagen hatten,
und dem gegner die hand zu reichen.
dies werden wir ihnen nicht vergessen.
heute leben wir zusammen in europa als freunde und
verbuendete. gemeinsam treten wir fuer den schutz der
freiheit ein. hand in hand mit unserer faehigkeit zu ihrer
verteidigung geht unser wille zur entspannung in
europa.
es gilt, die teilung europas, von der wir deutschen in
besonderer weise betroffen sind, durch eine langfristige
politik der verstaendigung und zusammenarbeit zu
ueberwinden und den grenzen ihren trennenden charakter fuer die
menschen zu nehmen.
ein erfolg der verhandlungen zwischen den vereinigten
staaten von amerika und der sowjetunion ueber
ruestungskontrolle und abruestung liegt in unser aller interesse.
jeder von uns kann aber auch selbst im bereih aller drei koerbe
der schlussakte von helsinki zu einem zustand des friedens
in europa beitragen, der die wuerde und die freiheit der
menschen foerdert und schuetzt.
fuer uns, die wir wie griechenland an einer nahtstelle
zwischen den beiden paktsystemen leben, ist es ermutigend zu
wissen, dass die griechische regierung sich aktiv an einer
politik der verstaendigung beteiligt.
das beduerfnis nach sicherheit verbindet unsere voelker. zur
staerkung des buendnisses und seiner solidaritaet leistet die
bundesrepublik deutschland ihren substantiellen beitrag.
wir betrachten die sicherheit griechenlands als einen
wichtigen, als einen integralen bestandteil unserer europaeischen
sicherheit im ganzen. unsere verteidigungshilfe fuer ihr land
dient auch der verteidigung derjenigen werte, die fuer alle
mitgliedstaaten des buendnisses gleichermassen
schuetzenswert und verbindlich sind.
die engen beziehungen zwischen unseren laendern haben
durch die gemeinsame mitgliedschaft in der europaeischen
gemeinschaft eine neue und besondere qualitaet erhalten.
die bundesrepublik deutschland, die den beitritt
griechenlands zur gemeinschaft von anfang an aktiv gefoerdert hat,
setzt auf eine politik ihres landes, sich am europaeischen
einigungswerk mit entschlossenheit zu beteiligen.
durch die suederweiterung hat die gemeinschaft neue
perspektiven erhalten. gemeinsam mit allen unseren partnern
haben wir uns in der einheitlichen europaeischen akte, die in
diesen tagen endlich in kraft treten kann, auf das ziel einer
europaeischen union verpflichtet.
der weg dorthin ist oft noch muehsam. jedes land hat seine
eigenen historischen eigenarten, seine erfahrungen und
vorlieben. die europaeischen nationen werden aber nur
dann eine nennenswerte, ihren traditionen entsprechende
selbstbestimmte geschichte haben, wenn sie ernsthaft und
entschlossen zusammengehen.
gemeinsame mitgliedschaft bedeutet auch gemeinsame
verantwortung im geiste der uebernommenen
verpflichtungen. hieran muessen wir uns alle messen lassen, auch
wenn es um die ausgestaltung der gemeinschaftsbeziehungen zu
weiteren, verstaendlicherweise interessierten
nachbarstaaten geht.
erlauben sie mir, herr praesident, in diesem zusammenhang
auch ueber die tuerkei zu sprechen, die in der historischen
entwicklung und in der gegenwart eine so grosse rolle fuer
sie spielt.
ich vertrete ein land, das sich, wie sie wissen, durch gute
und freundschaftliche beziehungen mit dem griechischen
und dem tuerkischen volk verbunden weiss. ich bin mir
dessen bewusst, dass wir deutschen nicht als wohlmeinende
dritte ratschlaege zu geben haben. vielmehr werden sie
selbst die nechbarschaftlichen beiehungen gestalten.
letzten endeae wird eine loesung der probleme nur durch
verstaendigung und verstaendnis fuereinander erreichbar sein.
hierfuer treten wir ein.
was ich in ankara gesagt habe, moechte ich auch hier in
athen wiederholen: moegen dialogbereitschaft,
verstaendigungswille und die faehigkeit zum kompromiss wieder ein
aehnlich gutes nachbarliches verhaeltnis dieser beiden
schluessellaender im oestlichen mittelmeer erlauben, wie es zu
beginn der dreissiger jahre von venizelos und atatuerk
begruendet worden war.
die beziehungen unserer laender und ihrer menschen, herr
praesident, sind durch eine ungewoehnliche vielfalt, dichte
und qualitaet gekennzeichnet. mit respekt und
bewunderung stehen wir vor der eindrucksvollen
wiederaufbauleistung ihres volkes nach den schweren schaeden von
krieg und buergerkrieg.
unsere beiden volkswirtschaften ergaenzen sich in
fruchtbarer weise. seit vielen jahren ist unser land der mit
abstand groesste abnehmer griechischer erzeugnisse.
umgekehrt nehmen deutsche waren unter den
griechischen importen den ersten platz ein.
wenn es uns auch kuenftig gelingt, die deutsch-griechische
zahlungsbilanz nahezu ausgeglichen zu halten - wozu nicht
zuletzt die ueber eine million deutscher besucher in ihrem
schoenen lande beitragen -, werden wir auch die
herausforderung des neuen technologischen zeitalters gemeinsam
erfolgreich bestehen. die fuer das naechste jahr geplante
deutsch-griechische technologiewoche in athen wird dafuer
impulse und anregungen bieten.
neben den wirtschaftlichen beziehungen, darunter der
umfangreichen investition und produktion deutscher
unternehmen in griechenland, spielt die kultur auch heute eine
fuehrende rolle fuer das verhaeltnis unserer laender
zueinander.
als vor einem monat die stadt athen das 150jaehrige
jubilaeum ihrer universitaet feierte, wurde daran erinnert, dass bei
der gruendung auch namhafte deutsche wissenschaftler und
architekten das bild der jungen und alten griechischen
hauptstadt massgeblich mitgestaltet haben. bis heute setzt
sich diese tradition fort. fast 300 000 ihrer landsleute
leben heute unter uns in der bundesrepublik deutschland,
sie leisten einen hervorragenden beitrag im leben unserer
gesellschaft.
mehr als 6 000 junge griechen studieren zur zeit an
unseren universitaeten und technischen hochschulen.
zahlreiche bedeutende griechische wissenschaftler sind als
professoren und dozenten lehrend und forschend bei uns
taetig. fast 50 040 kinder unserer griechischen mitbuerger
besuchen schulen in der bundesrepublik deutschland.
heute sind sie bereits die lebendigen vorboten eines
vereinten europas, in dem nationale grenzen keine trennenden
graeben mehr sein werden. sie sind, wie schon heute ihre
eltern, eine menschliche bruecke zwisczen unseren beiden
voelkern.
das interesse von uns deutschdn an der entwicklung des
modernen griechenland ist gross und nimmt staendig weiter
zu. immer mehr werke griechischer schriftsteller
erscheinen in deutscher sprache. namen wie seferis und rtsos,
elytis und kazantzakis haben in deutschland laengst einen
hervorragenden klang.
die rolle der sprache, der griechischen wie der deutschen,
duerfen wir fuer die vertiefung unserer beziehungen auf allen
gebieten nicht unterschaetzen. sie ist ein schluessel zum
verstaendnis des anderen. gemeinsam sollten wir zu einer
vertiefung der sprachkenntnisse an schulen und
hochschulen beitragen. zuversichtlich hoffe ich, dass wir hierfuer
geeignete wege finden.
das von ihrer regierung erneuerte schliemann-haus hier
im herzen athens ist uns eine bleibende erinnerung der
deutschen anteilnahme am griechischen altertum.
nicht geringer ist die deutsche und europaeische
bewunderung fuer ihre unvergleichliche kultur der gegenwart. dies
beweist die von frau mercouri initiierte festspielreihe
"europaeische stadt und kultur". zu recht nahm sie 1985 in
athen ihren anfang. sie wurde ein grossartiger erfolg und ist
heute aus dem kulturellen antlitz europas nicht mehr
wegzudenken.
wir freuen uns, die gastfreundschaft athens schon im
naechsten jahr in berlin erwidern zu koennen.
griechenland bereitet sich auf ein grosses fest der voelker
vor, auf den 100. geburtstag der olympischen spiele der
neuzeit im jahre 1996.
mit besonderer freude werden wir deutschen die
jubilaeums-olympiade in athen unterstuetzen. sie wird uns an die
schwelle eines neuen jahrtausend fuehren.
dieser olympische geist des friedens und der freundschaft
soll alle menschen untereinander verbinden. in diesem
geiste, meine damen und herren, darf ich sie bitten,
zusammen mit mir ihr glas zu erheben auf das wohl des
praesidenten der griechischen republik, auf die herzliche
zuneigung zwischen griechen und deutschen und auf
eine glueckliche zukunft in der gemeinschaft aller voelker
europas, unter denen griechenland einen so hervorragenden
platz einnimmt.

besuch der gedenkstaette kaessariani

bundespraesident richard von weizsaecker hielt an
der gedenkstaette kaessariani am 24. juni 1987
nachstehende ansprache:

bewegten herzens stehe ich heute an diesem orw. dss sie
zusammen mit mir hierherzukommen, dafuer
bin ich ihnen aufrichtig und dankbar verbunden.
diese gedenkstaette"ist unloesbar mit der geschichte ihres
und meines volkes verknuepft. es waren fluechtlinge, die den
vorort von athen erbauten und diese staette "opferplatz der
freiheit" tauften. fluechtlinge, das wissen wir auch aus
eigener erfahrung, haben ein besonders waches gespuer fuer die
bedeutung und den wert der freiheit.
kein mensch, zumal kein deutscher, kann hier stehen, ohne
von der botschaft dieses ortes tief beruehrt zu sein. die
gedanken gehen in die vergangenheit. im westen ihres
landes verkuendet noch heute ein marmorner epitaph die
namen jener deutschen, die vor 160 jahren ihr junges
leben fuer den freiheitskampf der griechen einsetzten.
ein gutes jahrhundert spaeter kamen wieder deutsche in ihr
land, diesmal aber nicht im namen dur freiheit, sondern als
unterdruecker. das beruehmte "ochi" machte geschichte. es
war die antwort griechenlands auf den beginn fremder
besetzung.
es war der entscheidende ausdruck fuer die freiheitsliebe
und deo widerstandswillen ihres volkes. wir alle kennen die
grausamen folgen fuer viele griechische patrioten.
in erinnerung an toedliche finsternis schrieh odysseas
elytis:
geistig wahrnehmbare sonne der gerechtigkeit
und du, lobpreisende myrte,
ich bitte euch, vergesst nicht,
vergesst nicht mein land.
viele haben ihr leben geopfert, auch jene, die hier
begraben sind. vor ihrem andenken verneige ich mich.
meine gedanken gehen von hier auch hinaus ins land
-ach kalavryta,
-ach distomo und klissusa,
-ach kommeo und lyngiades,
-ach kandanos auf kreta
-und zu allen anderen orten und zeugen dieses
widerstandsgeuegtes.
mein gedenken, als deutscher auf griechischem boden,
schliesst die opfer des holocaust aus jenen tagen mit ein,
als viele tausende juedischer buerger und buergerinnen dieses
landes, vor allem
-aus thessaloniki und athen,
-aus rhodos, ioannina und kastoria
das schreckliche schicksal des juedischen volkes im uebrigen
besetzten europa teilten.
es gereicht dem land und volk der griechen zur ehre, dass
sie in diesen dunklen zeiten das licht der humanitaet vor
dem erloeschen bewahrten. viele griechen nahmen damals
grosse persoenliche risiken auf sich, um tausende ihrer
juedischen mitbuerger vor dem zugriff einer verblendeten
ideologie und machtwillkuer zu retten.
der entschlossene, von vielen griechischen persoenlichkeiten
mitunterzeichnete appell des athener erzbischofs
damaskinos von 1943 an die damaligen machthaber, die
menschenrechte und das recht auf leben der juedischen
buerger griechenlands zu achten, ist ein besonders
eindrucksvolles historisches beispiel dafuer.
dieses dokument war von dem gleichen geist beseelt, wie
der letzte brief eines der fuehrenden maenner des deutschen
widerstandes gegen hitler, der unmittelbar vor seiner
hinrichtung an seine frau schrieb, er habe dazu beitragen
wollen, das bild und die wuerde des menschen in den
herzen der menschen wieder aufzurichten.
heute wissen wir: die freiheit ist nicht untergegangen. sie
wird auch in zukunft leben, solange es menschen gibt, die
fuer ihre ideale den hoechsten preis einzusetzen bereit sind,
naemlikh ihr eigenes leben.
es ist diese ueberzeugung, die unsere beiden voelker heute
vereint. in diesem geiste ehren wir zusammen ihre toten.
ihr opfergang ist unterpfand und verpflichtung fuer unseren
gemeinsamen weg in die zukunft.