Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Sehr geehrter Herr Koch,
sehr geehrter Herr Präsident des Senats,
meine Herren,

ich danke herzlich für die Einladung. Es wurde am Anfang gesagt, ich hätte nicht gezögert. Das entspricht nicht 100 Prozent der Wahrheit. Aber nach einem Zögern habe ich mich, glaube ich, richtig entschieden. Denn ungeachtet der Tatsache, dass ich in Hamburg geboren worden bin, was hier vielleicht etwas stört, hat mich diese große Tradition, die ich schon in den letzten Stunden erleben durfte, sehr beeindruckt; vielleicht darf ich das als Ehrengast auch im Namen aller Gäste sagen.

Natürlich freue ich mich auch, dass ich hier heute als weiblicher Ehrengast teilnehmen darf. Ich danke deshalb noch einmal besonders für die Einladung. Ich glaube, Sie haben keinen Fehlgriff im Blick auf die zukünftigen 463 Schaffermahlzeiten getan. Sie sollten es vielleicht doch noch einmal oder mehrmals wagen.

Das gesellschaftliche Umfeld des Schaffermahls mag sich vielleicht in den vergangenen Jahrhunderten verändert haben. Aber eines ist geblieben: Das ist der soziale Zweck dieses Treffens – und das über Jahrhunderte. Ich glaube, es ist richtig und gut, dass es damals wie heute um die Unterstützung Bedürftiger geht und ganz besonders um die Unterstützung bedürftiger Seefahrer.

Dies ist Engagement im Sinne von Nachbarschaft und Bürgersinn. Es ist heute so wichtig in einer Welt, die sich dramatisch schnell ändert, in der viele Menschen gar nicht mehr wissen, wo ihre Wurzeln liegen, dass Sie ein großes Stück von Heimat und Sicherheit vermitteln. Das "Haus Seefahrt" und seine Schaffermahlzeit sind ein lebendiges und ein einzigartiges Zeichen für Bürgersinn, aber eben auch für Bremer Bürgersinn. Ich glaube, es ist etwas, was die Hansestadt Bremen von allen anderen unterscheidet – gerade in einer Welt, die immer ähnlicher wird, suchen Menschen ja auch nach Unterscheidungsmerkmalen –, und deshalb ist es eine wunderbare Tradition.

Gelebter Bürgersinn, das zeigt sich in einer Vielzahl von verschiedenen Aktivitäten, insbesondere in Stiftungen. Ich will daran erinnern, dass in Bremen inzwischen 270 Stiftungen tätig sind. Auch wenn heute schon in einer leichten Nebenbemerkung darauf hingewiesen wurde, dass in meiner Person qua Institution das Verständnis dafür, dass Menschen ihr Geld gern selber ausgeben und dass vielleicht sogar besser tun als der Staat, nicht vorhanden sei, möchte ich wenigstens noch einen Ansatz von Verständnis dafür entwickeln dürfen und das auch ein bisschen mit der Institution des Bundeskanzlers verbinden.

Das "Haus Seefahrt" ist hier in Bremen also in guter Gesellschaft, was bürgerschaftliches Engagement anbelangt. Ich will nur an einige Beispiele erinnern: Das Überseemuseum, die Kunsthalle wurde heute schon erwähnt, die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und die "Jacobs University", die einen Beitrag dazu geleistet hat, dass der vorhin schon einmal benannte Ho-Chi-Minh-Pfad, der ja jetzt auch an der Bremer Universität nicht mehr existiert, noch besser und schneller in Vergessenheit gerät, als dies nur mit der einen Bremer Universität der Fall gewesen wäre. Ich glaube, wir sollten noch daran erinnern, dass die "Jacobs University" eine Einzelspende von 200 Millionen Euro erhalten hat. Denn es ist die höchste Einzelspende für eine Universität in Europa. Ich möchte einfach zu den Bürgerinnen und Bürgern Bremens sagen: Wer hätte das gedacht, dass das gerade in Bremen passiert? Noch zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung hätte ich mir das nicht träumen lassen. Es ist ein wunderbares Beispiel für den Wandel in dieser Stadt.

Aus all dem, wird aber noch viel mehr deutlich: Das zeigt nämlich, dass die Wirtschaft in ihrem täglichen Tun, in ihrem Bestreben, natürlich Gewinn zu ermitteln, für wesentlich mehr als nur für Gewinnerzielung steht. Das Stiftungswesen ist dafür ein klarer Beleg. Und das Schaffermahl bringt das auch zum Ausdruck.

Die Rahmenbedingungen für private Stiftungen sind – ich möchte das einmal im norddeutschen Understatement sagen – nicht schlecht; aber sie können noch verbessert werden. Deshalb wird die Bundesregierung auch noch einmal einen Anlauf unternehmen, um bürgerschaftliches Engagement insgesamt besser zu fördern. Ich denke, das ist in unserer Gesellschaft ganz wichtig. Denn was soll, was kann der Staat tun? Er soll sich nicht in das einmischen, wofür Menschen sich engagieren. Aber er soll schon die Anreize dafür setzen, dass Menschen sich für bestimmte Werte einsetzen, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft überhaupt erst möglich machen. Dazu gehören Solidarität und Gerechtigkeit. Solidarität und Gerechtigkeit sind ohne die Freiheit, ohne den Glauben daran, dass der Mensch selber etwas bewegen kann, nicht möglich. Aber Freiheit ist eben auch nicht die Freiheit, die frei von allem ist, sondern Freiheit ist die Fähigkeit des Menschen, sich für etwas zu engagieren und Verantwortung für den Nächsten zu übernehmen. Deshalb gibt es ein Miteinander von wirtschaftlicher Prosperität auf der einen Seite und Engagement im bürgerschaftlichen Sinne auf der anderen Seite. Nur so können die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gelebt werden.

Eigenverantwortung und Leistung, das ist etwas, wofür Bremen schon seit vielen Jahrhunderten bekannt ist. Dafür ist es nicht nur um die Ecke bekannt, sondern weltweit. Es ist auch heute wieder gesagt worden, dass wir an vielen Beispielen sehen können, welche bedeutende Rolle Bremen auch heute noch spielt.

Der Auslandsanteil am Gesamtumsatz der Bremer Industrie liegt mit 50 Prozent an der Spitze aller Bundesländer. Der Umschlag der bremischen Häfen erreicht immer wieder Bestmarken. Im letzten Jahr wurde ein Zuwachs von 20 Prozent erzielt – das sind Dinge, die in ganz Deutschland gar nicht so bekannt sind. Sie könnten darüber durchaus einmal wieder sprechen. Aber immerhin ist heute schon der bayerische Finanzminister hier und nicht nur der niedersächsische Wirtschaftsminister. Also, es wird sich jetzt durch die Republik herumsprechen. Ich glaube, es war eine kluge Entscheidung.

100.000 Arbeitsplätze sind hier in der Weser-Region direkt oder indirekt von der Seehafenwirtschaft abhängig. Wenn man sich einmal den internationalen Wettbewerbsdruck vor Augen führt, der in diesen Bereichen herrscht, dann ist das auch ein Zeichen dafür, dass wir in Deutschland nicht etwa denken sollten: Die maritime Wirtschaft hat keine Zukunft. Sie hat eine Zukunft. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich es für eine kluge Entscheidung halte, dass Bremen sich an der Entwicklung von Wilhelmshaven mit beteiligt; auch wenn Sie sonst manchmal etwas über das deutsche Steuersystem schmollen.

Natürlich brauchen wir den Ausbau der land- und seeseitigen Zufahrten. Deshalb gehört auch das zu den Prioritäten der deutschen Verkehrspolitik. Und auch da ist wieder eine kluge Einladung erfolgt. – Ich muss jetzt einmal aufpassen – zu meinem Wahlkreis gehört Stralsund –, dass jetzt nicht alles westlich wegfließt; ich werde darauf ein Auge haben, lieber Kollege Tiefensee. – Der Neubau der Autobahn A 281, Eckverbindung Bremen, ist ein Investitionsschwerpunkt des Bundes. Ich glaube, damit leisten wir auch einen wichtigen Beitrag. Diese wichtige Verkehrsader soll auch schnell fertiggestellt werden und nicht erst am St. Nimmerleinstag. Wir wissen, dass wir Vertiefungen an der Außenweser vornehmen müssen. Wir investieren dafür 30 Millionen Euro. Vieles muss auch an der Unterweser geschehen.

Ich will an dieser Stelle, obwohl es vielleicht nicht direkt zusammenpasst, einfach sagen: Uns ist in der Bundesregierung klar, dass Zeit heute auch Geld ist. Das heißt, dass es nicht egal ist, wie lange solche Infrastrukturprojekte dauern. Wir haben deshalb ein neues Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz für die gesamte Bundesrepublik verabschiedet, das ein Nachfolger des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ist, das nur für die neuen Bundesländer galt. Sie sehen schon an dem Wandel von "Verkehrswege" zu "Infrastruktur", dass wir jetzt über einfache Verkehrswege hinausgehen, die wir vor allen Dingen in den neuen Bundesländern brauchten, sondern wir jetzt auch an Hochspannungsleitungen und viele andere Infrastrukturprojekte denken, bei denen wir die Planungszeiten beschleunigen wollen. Denn wenn wir uns in der Welt umsehen, dann wissen wir, wie schnell andere ihre Projekte beenden.

Wir haben aber nicht nur maritime Wirtschaft in Bremen, sondern es ist hier auch schon über den Fahrzeugbau gesprochen worden. Aus aktuellem Anlass möchte ich vielleicht hinzufügen, dass es ja hier eine Diskussion im Zusammenhang mit dem Klimaschutz gibt. Wir haben für Deutschland sehr deutlich gemacht, dass wir die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen wollen. Wir wissen aus langjährigen Diskussionen der Politik mit der deutschen Wirtschaft – manchmal waren es auch etwas schwierige Erfahrungen –, dass ab und an sogar der politische Druck die Wirtschaft "in ein gutes Fahrwasser geführt hat", um das maritim auszudrücken. Denn die Geschichte des verpflichtenden Einbaus des Katalysators war eine Erfolgsgeschichte des deutschen Automobilbaus, aber keine freiwillige. Ohne den politischen Druck wäre das so nicht gekommen. Deshalb geht es um ein gutes Miteinander.

Es sitzt hier der niedersächsische Wirtschaftsminister, der einmal Staatssekretär im Bundesumweltministerium war, als ich Umweltministerin war. Insofern wissen wir, wovon wir sprechen, wenn wir sagen: Wir brauchen in Europa das Denken, dass verschiedene Autotypen auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Wir wollen Vielfalt, aber wir wollen für alle Sektoren der Automobilindustrie eine Reduktion der CO2-Emissionen. Ich bin ganz sicher, dass das Deutschland auf dem Weg in eine zukunftsfähige Automobilindustrie helfen wird.

Wir haben in Deutschland fast unbeachtet ab dem 1. Januar eine verpflichtende Beimischung von 7,5 Prozent Biokraftstoffen in das normale Benzin. Das ist ein Schritt in eine völlig neue Technologie, die in einem nächsten Schritt auch zu den so genannten Biokraftstoffen der zweiten Generation führen wird – einer neuen Möglichkeit auch für die landwirtschaftliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Das Ganze – einmal ein Stück weiter gedacht – wird dazu führen, dass wir in den nächsten zehn Jahren schrittweise aus der subventionierten Landwirtschaft herauskommen und in ganz neue Nutzungen der Landwirtschaft eintreten werden. Damit werden wir gerade auch in der Europäischen Union in der Zukunft die Fähigkeit haben, wieder mehr in die Forschung zu investieren als wir das heute tun, da natürlich auch die gemeinsame Agrarpolitik viele Reserven in Anspruch nimmt.

Wenn wir über Bremen sprechen, dann sprechen wir auch über Airbus. Airbus ist im Augenblick ein wichtiges Thema. Airbus ist auf der einen Seite eine Erfolgsgeschichte – übrigens auch eine Erfolgsgeschichte, die ohne die Politik nicht denkbar gewesen wäre, genauso wenig, wie sie ohne die Wirtschaft denkbar gewesen wäre –, aber auf der anderen Seite hat Airbus Probleme. Wir müssen jetzt schauen, dass wir diese Probleme im Sinne der Menschen, die ihren Arbeitsplatz bei Airbus haben, möglichst vernünftig begleiten.

Ich habe heute mit dem französischen Premierminister de Villepin telefoniert. Wir haben uns auf gemeinsame Grundsätze verständigt, gerade auch im Sinne, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam Lastenteilung und Umstrukturierung tragen und hier ein Höchstmaß an Transparenz notwendig ist, um den Menschen zu erklären, was an Umstrukturierung stattfindet. Ich glaube, dass wir uns alle einig sind: Wenn wir hier ein europäisches Unternehmen haben, dann müssen die Interessen jedes Partners in diesem Unternehmen gleichermaßen berücksichtigt werden.

Wir wissen: In Europa hängt unsere Wirtschaftskraft von unserer Innovationskraft ab. Wenn Sie in andere Teile der Welt fahren – und Seefahrer kommen ja viel herum –, dann wissen Sie, was überall los ist. Die Menschen weltweit wollen nach dem Ende des Kalten Krieges, nach dem Durchbruch des Internets, der Informations- und Kommunikationstechnologie gemeinsam an den Erfolgen teilhaben. Heute kann man Informationen nicht mehr über eine längere Zeit geheim halten, sondern eine Ausschreibung ist heute weltweit auf jedem Computer in der gleichen Sekunde sichtbar. Deshalb sind wir einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt.

Da heute schon eine Rede an den Bundespräsidenten gehalten wurde, will ich an eines seiner Zitate erinnern: "Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind." Das ist eine ganz einfache Gleichung, die jeder Seefahrer und jeder Finanzexperte sofort versteht. Wir wollen teurer sein, weil unser Wohlstand höher ist. Also hängt von der Innovation, von der Kreativität so vieles ab. Das zeigt, dass Innovation stattfinden muss. Deshalb verfolgen wir zum Beispiel auch mit so viel Freude die Hochschul- und Bildungsanstrengungen hier in Bremen.

Wir haben uns im Programm der Bundesregierung ein Vorhaben gesetzt. Wir haben letztes Jahr gesagt: "Sanieren, Reformieren, Investieren." Wir haben einen Schwerpunkt der Investitionen bei Innovation und Forschung und gerade auch für mittelständische Unternehmen gesetzt. Denn wir wissen: Mittelständische Unternehmen sind ja in Deutschland sozusagen das Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung. Von den 600.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, die im letzten Jahr neu dazu gekommen sind, sind bestimmt 80 bis 90 Prozent in den mittelständischen Betrieben. Darum müssen wir gerade diese Betriebe fit für die Globalisierung machen, das heißt, fit machen für Innovation. Deshalb werden wir die Forschungsprämie einführen. Deshalb werden wir unseren staatlichen Beitrag dazu leisten, dass drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation ausgegeben werden. Und deshalb werden wir auch dafür Sorge tragen – ganz besonders auch in der Europäischen Präsidentschaft –, dass wir unnötige Bürokratie abbauen, weil wir an dieser Stelle noch sehr viel Effizienzen freisetzen können.

Ich will die Reformen, die wir angefangen haben, hier nur kursorisch nennen: Die Gesundheitsreform hat sich in ihrer Qualität noch nicht bei jedermann entfaltet. Ich sage Ihnen: Wir werden in zwei Jahren anders darüber sprechen. Sie sehen jetzt schon vor der Verabschiedung im Bundesrat, dass die Krankenkassen mit völlig neuen Tarifsystemen auf den Markt treten – mit Selbstbehalten und Individualtarifen. Die Menschen werden stärker darüber nachdenken: Wie kann ich meinen Beitrag senken? Die Kassen werden sehr darauf achten, dass sie dabei gut im Geschäft bleiben.

Wir werden eine Unternehmenssteuerreform vorlegen – die Kabinettbefassung wird im März sein –, inklusive einer Erbschaftsteuerreform in diesem Jahr. Ich glaube, dass uns diese Unternehmenssteuerreform im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger machen wird. Ich war Anfang dieser Woche in Kuwait. Dort hat man mir zum Beispiel ganz klar gesagt: Mit euren Steuersätzen der 90er Jahre seid Ihr für Anlagen nicht attraktiv für uns. Aber ich glaube, das wird sich mit dieser Unternehmenssteuerreform verbessern. Wir sagen, gerade auch für die Familienunternehmen, für die privaten Gesellschaften: Wir wollen bei denjenigen, die ihr Kapital im Unternehmen lassen und das über einen längeren Zeitraum, auf die Erbschaftsteuer verzichten. Wir haben uns jetzt vorgenommen, das, – auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts –, rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft zu setzen und gleichzeitig noch die Neubewertung der Immobilien zu machen, so wie uns das das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat.

Über die Föderalismusreform und ihren zweiten Schritt ist gesprochen worden. Ich glaube, von der Frage, ob wir die Kraft haben, hier etwas hinzubekommen, viel abhängen wird. Das hat etwas mit Solidarität, aber auch mit Kreativität zu tun. Denn es ist ja nun nicht zu erwarten, dass wir in Deutschland jemanden treffen, der zu viel Geld hat. Es ist vielleicht nur zu erwarten, dass wir Länder treffen, die überlegen, ob sie sich gegenseitig günstigere Anreize setzen können, dass nicht derjenige, der das Geld am schnellsten gibt, der Belobigte ist, sondern derjenige, der das Geld am zukunftsfestesten ausgibt. Das, glaube ich, müsste das Ziel sein. Ich setze große Hoffnungen in diese Reform.

Ich will hier ganz klar in Bremen sagen: Bremen ist und bleibt ein wichtiges Mitglied in der Familie der Bundesländer. Das heißt: Die Föderalismusreform II soll keine verkappte Fusionsdebatte von Bundesländern sein. Das lässt das Grundgesetz sowieso nicht zu; aber ich will es hier an dieser Stelle noch einmal sagen. Ich glaube im Übrigen, dass die Unterschiedlichkeit der Bundesländer ein Wesenszug des Föderalismus ist. Wenn alle auf eine gleiche Größe getrimmt wären, dann wäre das aus meiner Sicht ein Verlust an Vielfalt. Als Bundespolitikerin sage ich: Dann würden sich vielleicht die Bundesländer alle gleichzeitig gleich verhalten, was auch nicht immer hilfreich für die Bundespolitik ist. Insofern leben wir im Bund von der Unterschiedlichkeit der Bundesländer und den unterschiedlichen Interessen.

Deutschland hat in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft und in diesem Jahr die G8-Präsidentschaft. Ich glaube, dass wir damit eine einzigartige Chance haben, bestimmte Entwicklungen in Europa und bestimmte Entwicklungen im Zusammenhang mit der Globalisierung ein Stück zu befördern. Man darf das aber nicht überschätzen.

Es gibt jetzt in Europa glücklicherweise die so genannte Dreierpräsidentschaft. Das heißt, Deutschland, Portugal und Slowenien übernehmen für anderthalb Jahre miteinander gemeinsame Verantwortung. So können wir auch längerfristige Projekte planen und uns für sie gemeinsam verantwortlich fühlen. Die Europäische Union wird zum Beispiel im zweiten Halbjahr wieder einen EU-Afrika-Gipfel stattfinden lassen. Wir werden die Portugiesen natürlich auch schon bei der Vorbereitung unterstützen.

Wir wollen im Frühjahrsrat etwas dafür tun, damit die wirtschaftliche Kraft Europas wieder verbessert wird – über Energiepolitik und Bürokratieabbau. Europa hat sich das Ziel gesetzt, mit dem so genannten Lissabon-Prozess 2010 der dynamischste Kontinent der Welt zu sein. Das werden wir nicht schaffen. Aber wir sollten den Anspruch nicht aufgeben, an Dynamik zuzulegen und ein solches Ziel im Auge zu behalten. Denn wenn wir das nicht schaffen, dann heißt das nichts anderes, als das andere in ihrem Wohlstand schneller wachsen als wir.

Es ist heute sehr eindrücklich über die demographische Veränderung in unserem Land gesprochen worden. Wenn wir es nicht hinbekommen, innovativ zu sein – und dazu gehört lebenslanges Lernen –, und wenn wir es nicht hinbekommen, auch wieder für die besten Köpfe der Welt attraktiv zu sein – und dazu gehört zum Beispiel, was ja an deutschen Universitäten auch zunehmend passiert, nämlich dass man auch einmal eine Vorlesung in Englisch hält –, dann werden wir unsere strukturellen Vorteile nicht behalten können, sondern dann werden die Menschen woanders hingehen.

Wir werden uns mit der Frage des Verfassungsvertrages beschäftigen. Damit möchte ich Sie heute im Detail nicht behelligen. Ich möchte nur sagen, dass die Europäische Union als eine gemeinsame Union im Wettbewerb mit anderen Regionen in einer globalen Welt wissen muss, wovon sie spricht, wenn sie von sich redet. Sie muss funktionsfähig sein; sie muss abstimmungsfähig sein. Deshalb müssen wir diese Entscheidungen treffen. Ich glaube, da sind wir uns auch alle einig.

G8 bedeutet natürlich, dass wir uns auch wieder internationalen Abkommen zuwenden. Ich rede von der Doha-Runde. Für eine Stadt wie Bremen ist der freie Handel in der Welt eine konstitutive Voraussetzung für ihren Wohlstand; Sie wissen, wovon die Rede ist. Deshalb müssen wir dafür sorgen, in dem kleinen Zeitfenster, das uns im nächsten halben Jahr noch bleibt, alles daran zu setzen, etwas hinzubekommen. Ich weiß, dass es viele Bedenken gibt – nicht von denen, die hier im Saal sitzen – und man sich wunderbar etwas vormachen und vorhalten kann – die Amerikaner den Europäern, wir gemeinsam den Entwicklungsländern. Das alles hilft uns nicht weiter. Denn wenn wir zum Schluss 180 oder mehr bilaterale Handelsabkommen auf der Welt haben, dann wird alles komplizierter und nicht besser. Deshalb muss der erfolgreiche Abschluss der Doha-Runde ein Anliegen sein.

Ich persönlich glaube auch, dass wir in unseren transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen bei nichttarifären Handelshemmnissen, also bei Standards und vielem anderen mehr – hier spreche ich ausdrücklich nicht über tarifäre Handelshemmnisse, die multinational in der Doha-Runde behandelt werden –, sehr viel mehr machen könnten.

Wir müssen auch um unsere Werte kämpfen. Auch dafür steht die Europäische Union ein. Der Schutz des geistigen Eigentums ist zum Beispiel eine der Voraussetzungen dafür, dass unsere Innovationskraft auch in werthaltige Produkte verwandelt werden kann. In einer Welt, in der Produktpiraterie von der einen Hälfte der Welt als akzeptabel geachtet wird und in der anderen Hälfte nicht – in einer solchen Welt können wir nicht im Wettbewerb stehen. Deshalb erfordert Globalisierung auch, sich auf bestimmte gemeinsame Prinzipien zu verständigen.

Sie sind in Deutschland im Wettbewerb mit anderen eines der wichtigsten Tore zur Welt. Wir wollen, dass dieses Tor weiter offen steht. Ich habe jetzt im Zusammenhang mit Bremen noch die Raumfahrt vergessen, obwohl ich an die Verabschiedung der Columbia und auch an die Astronauten der Europäischen Raumfahrtbehörde gute Erinnerungen habe. Unser Astronaut Reiter hat eine wunderbare Zeit im Weltraum verlebt. Bremen soll auch als Raumfahrtstandort erhalten bleiben.

Wir brauchen Mut zur Veränderung. Wir sind heute auf einer Veranstaltung, die es seit 463 Jahren gibt. Es ist heute an das erinnert worden, was zu Zeiten des 30-jährigen Krieges hier eingebracht wurde, was zur Zeit der Reformation stattfand und wie dieses Schaffermahl die Zeit der Industrialisierung überlebt hat. Man bekommt Beklemmungen, wenn man spürt, was in der Zeit der Weltkriege zerstört wurde, insbesondere im Zweiten Weltkrieg. Aber glücklicherweise ist es gelungen, im Jahre 1952 diese Tradition wieder aufzunehmen.

Deshalb ist dieses Schaffermahl für mich geradezu der Inbegriff von der Fähigkeit, seine eigene Heimat, seine eigene Wurzel immer wieder zu betrachten, aus ihr Kraft zu schöpfen, und zwar zu einem Zwecke, nämlich offen für Veränderungen zu sein und für eine Welt, in der wir das Wohl nicht nur der Menschen in Bremen, sondern aller Menschen im Auge haben.

Ich wünsche dem "Haus Seefahrt" alles Gute, denen, die so viel ehrenamtliche Arbeit auf sich nehmen, die Kraft, dies auch weiter zu tun, und Ihnen allen eine gute Zukunft.

Herzlichen Dank, dass ich der erste weibliche Ehrengast sein durfte.