zur Änderung des Bevölkerungsschutzgesetzes vor dem Deutschen Bundestag am 16. April 2021 in Berlin:
- Bulletin 53-1
- 16. April 2021
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!
Die letzte Beratung von Bund und Ländern zur Pandemiebekämpfung am 22. März 2021 habe ich – das habe ich ja auch öffentlich gesagt – als Zäsur empfunden. Ich weiß, dass es nicht nur mir so gegangen ist, sondern vielen von uns.
Zugleich wissen wir: Es führt kein Weg daran vorbei, wir müssen die dritte Welle der Pandemie bremsen und den rapiden Anstieg der Infektionen stoppen. Um das endlich zu schaffen, müssen wir die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln als zuletzt. Deshalb ziehen wir jetzt die im Wortsinne notwendigen Konsequenzen aus der Zäsur des 22. März. Am Dienstag hat die Bundesregierung dazu den Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Kabinett beschlossen, und heute beraten wir ihn in erster Lesung in diesem Hause.
Diese Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes heißt – auf den wichtigsten Nenner gebracht –: Wir setzen die Notbremse bundesweit um. Die bundeseinheitlich geltende Notbremse ist nach meiner Überzeugung dringend, sie ist überfällig. Denn ich muss es auch heute leider wieder sagen: Die Lage ist ernst, und zwar sehr ernst. Wir alle müssen sie auch ernst nehmen. Die dritte Welle der Pandemie hat unser Land fest im Griff. Das sagen die täglichen Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts, das sagt die Entwicklung des R-Werts, und das sagen vor allem die Zahlen der belegten Intensivbetten, gerade auch in dieser Woche. Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen. Wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?
Das dürfen wir nicht. Wir dürfen Ärzte und Pfleger nicht alleine lassen. Alleine können sie den Kampf gegen das Virus in dieser dritten Welle auch mit bester medizinischer Kunst und dem aufopferungsvollsten Einsatz nicht gewinnen. Sie brauchen unsere Unterstützung. Sie brauchen die Unterstützung von Staat, Politik, Gesellschaft. Ärzte und Pfleger brauchen die Unterstützung von uns Bürgerinnen und Bürgern, von uns allen. Deshalb müssen wir unsererseits alles tun, um die dritte Welle zu bremsen, um sie zu brechen und sie umzukehren. Deshalb müssen wir die Pandemiebekämpfung von Bund und Ländern mit der bundesgesetzlichen Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes auf neue Füße stellen.
Genau das ist die bundeseinheitliche Notbremse, über die wir heute beraten. Wo die Inzidenz über 100 liegt, sollen künftig bundeseinheitliche Regelungen gelten. Die Notbremse ist dann nicht mehr Auslegungssache, sondern sie greift automatisch. Und neben der schon im Arbeitsschutzrecht vereinbarten Pflicht zum Homeoffice – wo immer das möglich ist – und der Pflicht von Arbeitgebern, in Zukunft – ab nächster Woche – Tests mindestens einmal in der Woche, zum Teil auch zweimal in der Woche, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzubieten, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass hier in diesem Gesetz harte Einschränkungen vereinbart werden für alle Kreise, in denen die Inzidenz oberhalb von 100 liegt: Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Geschäften, Kultur- und Sporteinrichtungen, nächtliche Ausgangsbeschränkungen.
Gerade über die Ausgangsbeschränkungen gibt es ja eine intensive Diskussion des Für und Wider, sowohl hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Freiheitseinschränkungen als auch nicht zuletzt darüber, ob sie überhaupt etwas bringen. Diese Einwände nehme ich ernst, und ich setze mich natürlich auch mit ihnen auseinander. Ich möchte das auch hier tun.
Zunächst – Ausgangsbeschränkungen sind keine neue Erfindung. Sie sind im aktuell geltenden Infektionsschutzgesetz als Maßnahme bereits angelegt und in mehreren Bundesländern bereits seit Monaten angewandt. Auch eine Vielzahl anderer Staaten – Großbritannien, Irland, Frankreich, die Niederlande, Portugal – hat Ausgangsbeschränkungen praktiziert oder praktiziert sie noch. Warum machen diese Länder das, zum Teil im Übrigen erheblich restriktiver, als wir das überlegen? Und warum steht diese Maßnahme auch heute in unserem Gesetzentwurf? Weil es in der Pandemiebekämpfung stets um die Reduzierung von Kontaktmöglichkeiten gehen muss, muss es immer auch um die Reduzierung von Mobilität gehen.
Ich höre sehr wohl, wenn manche Aerosolforscher darauf hinweisen, dass man sich im Freien sehr viel weniger ansteckt als in geschlossenen Räumen. Aber bei der Ausgangsbeschränkung geht es ja um etwas anderes. Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen, im Übrigen auch unter Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, zu reduzieren.
Das heißt also für mich: Ausgangsbeschränkungen sind natürlich kein Allheilmittel gegen die Ausbreitung des Virus. Sie können ihre Wirkung in der Kombination mit anderen Maßnahmen entfalten, zum Beispiel auch mit strengen Kontaktbeschränkungen. Und so müssen wir dann entscheiden, ob der mit der Ausgangsbegrenzung verbundene Effekt den Nachteil – den natürlich nicht zu leugnenden erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit – rechtfertigen kann, ob Ausgangsbeschränkungen also unter Abwägung des Für und Wider eine geeignete, verhältnismäßige und erforderliche Maßnahme sind. Und ich komme zu dem Ergebnis: Ja, die Vorteile dieser Maßnahme im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie überwiegen die Nachteile. Deshalb möchte ich auch für diese Maßnahme in der Form, wie wir sie im Gesetz vorgeschlagen haben, werben.
Ich möchte auch für weitere Maßnahmen des Gesetzentwurfs werben, obwohl sie gegenwärtig natürlich im parlamentarischen Verfahren alle heiß diskutiert werden. Schulen und Kitas spätestens ab einer Inzidenz von 200 schließen: ja oder nein? Homeoffice noch stärker durchsetzen: ja oder nein? Verpflichtendes Testangebot von Arbeitgebern: ja oder nein? Click-and-meet in Geschäften: ja oder nein?
Ich kenne die Diskussion sehr wohl. Ich habe menschlich auch jedes Verständnis für den Impuls, hier eine Erleichterung zu suchen, dort Maßnahmen etwas weniger streng zu gestalten beziehungsweise, wenn ich es bewusst etwas zugespitzt sagen darf, hier ein Schlupfloch zu suchen und dort jenes. Aber wenn das den Betroffenen wirklich helfen würde, wäre ich sofort dabei. Aber das tut es nicht, im Gegenteil.
Wenn wir nach 13 Monaten Pandemie eine Lektion doch wirklich gelernt haben, dann ist das diese: Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten; sie machen alles nur noch schwerer. Das Virus verzeiht kein Zögern; es dauert alles nur noch länger. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Es versteht nur eine einzige Sprache: die Sprache der Entschlossenheit. Entschlossenheit jetzt hilft am Ende allen so viel mehr – davon bin ich überzeugt –, als wenn wir jetzt wieder zögern und halbherzig vorgehen.
Alle Maßnahmen haben ein einziges Ziel: unser ganzes Land aus dieser furchtbaren Phase der stetig steigenden Infektionszahlen, der sich füllenden Intensivstationen, der bestürzend hohen täglichen Zahl der Coronatoten herauszuführen, und zwar zum Wohle aller, und dies eher, als wenn wir uns weiter durch diese Zeit irgendwie hindurchschleppen.
Wir haben es doch schon einmal geschafft. Wir können es auch jetzt wieder schaffen und haben jetzt, anders als im letzten Jahr, auch die Impfkampagne, die uns ja enorm hilft. Seit die Hausärzte mitmachen – auch die Betriebsärzte werden noch hinzukommen –, geht es richtig voran.
Die Notbremse ist also das Instrument, die drohende Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Systematisches Testen ist das Mittel, bei niedrigeren Inzidenzen kontrollierte und nachhaltige Öffnungen zu ermöglichen, und das Impfen ist der Schlüssel, die Pandemie zu überwinden.
Ich kann diese Rede nicht schließen, ohne auch heute wieder den Bürgerinnen und Bürgern zu danken. Wir Politiker machen es ihnen wirklich nicht immer leicht. Aber diese übergroße Mehrheit der Bürger macht und hilft unverändert mit. Ich danke für ihre Geduld, für ihre Einsicht, für ihre Fürsorge für andere und unser ganzes Land, auch nach dieser langen, langen Zeit immer noch.
Danken möchte ich auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen wie auch der Oppositionsfraktionen, für Ihre kritisch-konstruktive Mitarbeit und für die Bereitschaft, den Gesetzentwurf in Bundestag und Bundesrat zügig zu beraten. Denn machen wir uns nichts vor: Jeder Tag zählt. Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung, damit uns dieses wichtige Gesetz sehr bald helfen kann, die dritte Welle zu brechen.
Herzlichen Dank.