Rede des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller,

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Frau Präsidentin!

Es ist mir eine ganz besondere Freude, unter Ihrer Präsidentschaft unseren Haushalt zu diskutieren.

Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir können diese Debatte nicht führen, ohne die Hilfeschreie aus Aleppo, aus Mossul oder aus Rukban zu hören. 500.000 eingeschlossene Menschen in der jetzigen Stunde in Aleppo. Wir erwarten in den nächsten Wochen eine Million Flüchtlinge nach der Befreiung vom IS in Mossul. 70.000 Flüchtlinge an der jordanisch-syrischen Grenze bei 50 Grad Hitze. Kein Zugang für internationale Hilfsorganisationen, kein Wasser, keine Medikamente, kein Essen. Nur die Hoffnung auf Hilfe – die Hoffnung auf uns.

Diese Menschen haben wahrlich andere Probleme als wir, aber sie bauen auf uns, und wir helfen auch; ich möchte sagen: Wir helfen auf allen Kanälen. Wer wegschaut, macht sich mitschuldig an einer der größten humanitären Katastrophen der letzten 50 Jahre. Ich sage das bewusst, denn wir wissen, was in diesen Tagen und Stunden ab-geht. Wir hatten große Hoffnungen auf den G20-Gipfel gesetzt, auf das Treffen von Putin und Obama. Es kam leider zu keinem Durchbruch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, am 14. November 1961 wurde Walter Scheel von Konrad Adenauer, damals gegen den massiven Widerstand des Außenministers und des Wirtschaftsministers, zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung ernannt. Es gab eine neue Struktur, ein neues Ministerium – ein Novum in Europa. Walter Scheel startete damals im Ministerium, lieber Bartholomäus Kalb, mit 34 Mitarbeitern. Heute sind wir round about 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen ich herzlich für die gute Zusammenarbeit danke. Walter Scheel ist der Gründervater nicht nur des BMZ, sondern auch der DEG sowie des Entwicklungsländer-Steuergesetzes. Wir haben ihn vor einigen Stunden zu Grabe getragen. Walter Scheel verdient unseren Dank, unsere Anerkennung und unseren Respekt.

Von Walter Scheel ausgehend – seine Büste steht vor meinem Büro –, gab es in seiner Nachfolge weitere sehr mutige, ja visionäre Minister – auch das kann man in einer solchen Debatte einmal ansprechen –: „Ben Wisch“ Wischnewski, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD – unvergessen –, aber auch Erhard Eppler, der unsere Debatten verfolgt und der mich in meiner Jugend als ökologischer Visionär begeistert hat. In seine Amtszeit fiel damals die Gründung der GTZ, heute GIZ.

1968, liebe Haushaltspolitiker, waren wir bei einer Milliarde D-Mark, heute knacken wir die Marke von acht Milliarden Euro. Dafür herzlichen Dank. Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat sich der Etat des Entwicklungsministeriums verdoppelt. Wir haben noch nicht das 0,7-Prozent-Ziel erreicht; daran müssen wir noch weiter arbeiten und in neue Dimensionen vorstoßen. Aber wir sind auf einem guten Weg.

Die Herausforderungen, vor denen wir in dieser Zeit stehen, haben ja auch vollkommen neue Dimensionen. Das, global betrachtet, explosive Anwachsen der Weltbevölkerung bringt massive Risiken für den Weltfrieden mit sich. Massive Risiken! Entwicklungspolitik ist in diesem Sinne auch Friedens- und Sicherheitspolitik, findet also auch im Verteidigungshaushalt ihren Niederschlag. Ich denke dabei an Afrika und Europa.

Die Weltbevölkerung wächst jährlich um 80 Millionen Menschen. Jetzt nenne ich Ihnen eine Zahl, die kaum nachvollziehbar ist, aber stimmt: Wenn die Rate des Bevölkerungswachstums und damit einhergehend die Fertilitätsrate auf dem afrikanischen Kontinent so bleiben, wie sie sind, werden dort bis 2050 zwei Milliarden Babys geboren. Zwei Milliarden Babys! Das stellt eine Verdopplung der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents dar. An diesen Dimensionen wird deutlich, welche Herausforderungen auf uns – Deutschland stellt heute noch eins Prozent der Weltbevölkerung – und damit auch auf unseren Haushalt zukommen.

Wir müssen uns diesen gewaltigen Herausforderungen stellen. Dabei stellt sich zunächst die Frage: Wie sichern wir die Ernährung? Das ist die Überlebensfrage. Dann geht es um mit dem Kampf um Ressourcen zusammenhängende Fragen: Wie lösen wir das Energieproblem? 80 Prozent der Afrikaner haben noch keinen Zugang zu Strom. Wie halten wir es mit dem Klima? Zerstören wir den Planeten? Und: Lösen wir das Gerechtigkeitsproblem? Ich zähle all das schon bewusst auf. Wenn immer über Fluchtursachen gesprochen wird: Hier haben wir eine Aufzählung der Ursachen.

Es ist heute in vielen Bereichen im Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern noch der Fall, dass Globalisierung ohne Grenzen und Werte zu frühkapitalistischen Ausbeutungsstrukturen führt, insbesondere bei großen Konzernen. Heute haben wir die Situation, dass zehn Prozent der Bevölkerung, also wir, 90 Prozent des Vermögens besitzen und 20 Prozent, also wir, Sie und ich, 80 Prozent der Güter und Ressourcen verbrauchen. Es kann nicht immer so weitergehen, dass diese Schere so weit auseinandergeht. Das ist nämlich die Basis für Konflikte, für Spannungen, für Kriege, für Auseinandersetzungen und infolgedessen die Ursache für Flucht von Millionen von Menschen.

Die Herausforderungen, die sich durch Migration ergeben, sind lösbar. Ich lege immer großen Wert darauf, Kolleginnen und Kollegen und alle, die zuhören und unsere Arbeit bewerten, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu sagen, dass die Probleme lösbar sind und dass der Weg dazu schon beschrieben wurde. Wir haben heute, im Jahr 2016, die Situation, dass Sie, Frau Präsidentin, und auch viele andere hier im Haus Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dafür gekämpft haben. Den Weg zur Lösung beschreiben die in New York formulierten SDGs – im Weltzukunftsvertrag ist aufgeschrieben, wie die Probleme von der Weltgemeinschaft zu lösen sind – und der Weltklimavertrag von Paris. Es soll also keiner sagen, es würden nur Probleme benannt. Wir haben auch die Lösungen.

Es geht jetzt darum, gemeinsam – und das ist schwierig – mit den Wirtschaftspolitikern, den Haushalts-, Finanz- und Umweltpolitikern an die Umsetzung der Deklarationen zu gehen. Von den Weltpolitikern geht die Kanzlerin voran, aber es ist schwierig. Ich nenne da das Thema Klimaschutzplan. Frau Umweltministerin Hendricks hat da meine Unterstützung; denn wir können nicht auf der einen Seite bejubeln, dass man solche Ziele vereinbart hat, und auf der anderen Seite national dem Lobbying, also all denen, die ihren Besitzstand wahren wollen, nicht widerstehen.

Oder nehmen wir den Nationalen Aktionsplan. Da geht es um Wirtschaft und Menschenrechte. Ich freue mich, dass ich da beim Wirtschaftsminister nicht nur auf offene Ohren stoße, sondern dass ich in ihm, wie ich glaube, einen Partner habe und wir hier gemeinsam Zeichen setzen. Ich fordere aber die Wirtschaft auch auf, nicht Lobbying in Bezug auf Selbstverständlichkeiten zu machen, wie das Verbot von sklavenähnlicher Kinderarbeit.

Geht nicht gibt es nicht. Wir haben mit dem Textilbündnis gezeigt, dass es geht, neue Strukturen zu schaffen. Ich fahre demnächst nach New York zum UN-Gipfel zum Thema Flucht und Migration und darf dort einige Punkte ansprechen. Zur Beantwortung dieser Zukunftsfragen brauchen wir eine Reform der UN. Insofern ist Entwicklungspolitik auch Außenpolitik. Wir brauchen Vorschläge zur Reform des UN-Sicherheitsrates. Wir brauchen eine neue WTO, die weg von der Frei- zur Fairhandelsorganisation entwickelt wird.

– Ja, Frau Hänsel. – Wir brauchen einen UN-Weltflüchtlingsfonds mit zehn Milliarden Euro. Die UN und Europa müssen handlungsfähig sein. Europa – das wäre ein eigenes Thema; Sie wissen, ich habe hier einen Schwerpunkt gesetzt, und es bewegt sich auch eine Menge; Dank an Frau Mogherini, an die Kommissare, die unseren Druck verstanden haben – muss gestärkt und mit neuen Strukturen aus dieser Krise hervorgehen. Dazu gehört eine Neukonzeption – liebe Kolleginnen und Kollegen, diese müssen wir gemeinsam auf den Weg bringen – der Entwicklungs- und der Afrikapolitik. AKP – das war gestern, vor 50 Jahren. Wir müssen eine Neukonzeption auf den Weg bringen, mit einem Marshallplan für die MENA-Region und Afrika.

Beim Stichwort „Flüchtlingsfragen“ ist Entwicklungspolitik Querschnittspolitik. Es gehört auch eine gemeinsame Asyl-, Ausländer- und Migrationspolitik der Europäischen Union dazu.

National, in Deutschland, steigern wir den Haushalt auf acht Milliarden Euro. Wir erhöhen – das sage ich in Richtung der Haushaltspolitiker – die Effizienz. Wir haben das Evaluierungsinstitut neu besetzt. Es liegen jetzt auch Evaluierungsberichte vor. Das Institut arbeitet gut; herzlichen Dank. Ich lege großen Wert darauf: kein Euro ohne Wirkung und kein Euro in korrupte Strukturen.

Es geht um Stabilisierung und Wiederaufbau in den Kriegs- und Krisenländern. Auch in den Fraktionen wurde gefragt: Wohin geht denn das Geld? Seit 2014 haben wir die Mittel für die Krisengebiete in und um Syrien von 250 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro erhöht. Libanon, Jordanien, Irak würden zusammenbrechen und könnten ihre großen Herausforderungen kaum bewältigen ohne unsere Solidarität, aber sie haben unsere Solidarität.

Ich nenne auch die Türkei. Ich konnte in der letzten Woche die Vereinbarung zum Abschluss bringen, dass 6.000 syrische Lehrerinnen und Lehrer – es ist wichtig, dass man das so konkret macht – mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers in Flüchtlingscamps in der Türkei Zehntausende von Kindern unterrichten. Ich finde, das ist eine großartige Form der Zusammenarbeit.

Wir verstärken – Frau Präsidentin, eine Minute bekomme ich noch – den Bildungs- und Ausbildungsansatz. Mein Ziel ist: in Richtung 25 Prozent. Nur Bildung löst die Probleme, Bildung und Ausbildung, insbesondere auch für Frauen. Staatssekretär Fuchtel und Staatssekretär Silberhorn, die mich uneingeschränkt unterstützen, haben beispielsweise mit den Entwicklungsbanken vereinbart, dass Mittel für Großprojekte – wir sind nicht die Chinesen – an Ausbildungsleistung in den Ländern vor Ort gebunden sind.

Wir erhöhen die Hilfe und Zusammenarbeit für die LDCs. Hier muss konzentriert werden. Ich komme gerade aus einem Gespräch über das Thema Menschenrechte mit einer eritreischen Delegation. Wir verstärken den Ansatz für MENA/Nordafrika. Ich habe eine deutsch-ägyptische Regierungskommission zur beruflichen Bildung auf den Weg gebracht. Wir vernetzen Rückführung, ein Thema der Innenpolitiker, mit Beschäftigungsprogrammen der Entwicklungspolitik. Wir brauchen, Kolleginnen und Kollegen, querschnittsmäßig ein Programm für die Rückführung von Deutschland zurück in befreite Gebiete, wie wir es vor Ort mit Cash for Work haben.

Ein neuer Weg: Wir binden die Privatwirtschaft ein. Ich habe Herrn Finanzminister Schäuble und dem Wirtschaftsminister den Vorschlag vorgelegt, ein neues Entwicklungsländer-Steuergesetz auf den Weg zu bringen – ich bitte Sie um Unterstützung und habe auch schon Unterstützung –, um privatwirtschaftliche Investitionen steuerlich zu fördern.

Wir brauchen eine Ausweitung der Hermesbürgschaften. Ich habe dazu mit der Bundesagentur für Arbeit einen neuen Ansatz auf den Weg gebracht. Wir brauchen private Investments, fairen Handel und eine Erhöhung der ODA-Quote – diesen Dreiklang –, dann kommen wir auf dem richtigen Weg voran.

Herzlichen Dank an meine Staatssekretäre, an das Haus, an die Haushaltspolitiker, an die Fachpolitiker! Ich freue mich, in die Endphase dieser Legislaturperiode, die nächsten 365 Tage, zu gehen, und bin weiterhin voll motiviert, die großen Herausforderungen anzupacken. Nelson Mandela sagte: „Es scheint immer unmöglich, bis es vollbracht ist.“ Aber wir schaffen es.