Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel,

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Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Ich habe mich bei der Rede von Frau Verlinden gefragt, ob sie das, was sie gesagt hat, selbst glaubt. Wenn das zutreffen würde, was Sie sagen, Frau Verlinden, hätten doch Herr Kretschmann und Herr Murawski, die Vertreter der baden-württembergischen Landesregierung und Mitglieder Ihrer Partei, gestern Abend nicht zugestimmt.

Gestern hat übrigens auch der Vertreter Thüringens, der Ministerpräsident, der der Linken angehört, am Ende des Abends gelobt, wie weit wir gekommen seien. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Sie das glauben, was Sie hier erzählen.

Frau Verlinden, passen Sie einmal auf. Ich lese Ihnen einmal etwas vor. Bei Ihnen geht es ja nach dem Motto: Je schriller, desto besser. Ich bin sicher, Herr Krischer übertrifft Sie nachher noch. Daran habe ich keinen Zweifel.

Aber das hat doch alles mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Es geht doch nur noch darum, dass Sie mit einer scheinbaren Skandalisierung in die Zeitung kommen wollen. Um mehr geht es doch gar nicht mehr.

Herr Krischer, ich lese Ihnen einmal etwas vor. – Dass Ihnen das unangenehm ist, das weiß ich. Aber trotzdem muss ich es Ihnen vorlesen. – Was haben Sie denn 2014 bei der EEG-Novelle gesagt? Meine Bitte an alle, die sich für dieses Thema interessieren, ist: Lesen Sie einmal die Protokolle mit den Reden von Herrn Krischer und anderen Mitgliedern der Grünen sowie von Frau Bulling-Schröter zum EEG des Jahres 2014 – das war ja der Vorläufer des jetzigen EEG – nach. Dann werden Sie die Reden, die heute hier gehalten wurden, fast wörtlich wiederfinden. Ich lese Ihnen hier einmal etwas vor. Herr Krischer – das kommt nachher bestimmt wieder –: „Abbruchveranstal-tung für die Erneuerbaren“.

– Vorsicht! Mein Rat ist – ich mache das bei Ihnen auch –: Hören Sie einmal bis zum Ende zu. Mal gucken, ob Sie dann noch so laut sind. – „Abrissbirne“, „Anschlag auf die Energiewende“, auch der Vorwurf: „Sie reduzieren das Ausbautempo der erneuerbaren Energien um die Hälfte.“ Und es heißt, natürlich adressiert an die Lobbyisten der Branche, dass die Energiewende an Tempo verliert. Frau Bulling-Schröter, Ihr Zitat ist zu lang, aber es ist die gleiche Größenordnung.

Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zu den Fakten. Seit der Schaffung des EEG im Jahr 2000 – hören Sie gut zu! –, und zwar egal unter welcher Regierung, unter Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb, gab es noch nie einen so starken Aufwuchs der erneuerbaren Energien wie in den Jahren 2014 und 2015. Das ist die Realität.

Jetzt mache ich einmal eine Prophezeiung. Wir treffen uns in zwei Jahren wieder. Wenn es geht, noch ein bisschen früher, weil das für die Bundestagswahl gut ist. Dann halten wir wieder Ihre Reden hoch, sozusagen die Konterrevolution gegen die Energiewende, und stellen fest: Gott sei Dank kümmert sich die Energiewende nicht um solche schrillen Reden. Gott sei Dank geht sie weiter.

Die erneuerbaren Energien sind 2014 um zwei Prozent und 2015 um 5,4 Prozent gewachsen, zusammen 7,4 Prozent. Ein Wachstum in zwei Jahren in dieser Größenordnung gab es in der Geschichte der Erneuerbaren-Energien-Gesetze in Deutschland noch nie. Das ist die Realität gegenüber den Brandreden, die Sie so halten. Ich frage mich: Gibt es eigentlich noch ein Minimum an Interesse daran, miteinander die Sachfragen zu bereden? Wenn es das gibt: Trauen Sie sich doch einmal, zu dem zu kommen, zu was gestern auch die Vertreter von Grün-Schwarz, Rot-Grün, Rot-Rot-Grün und was es noch alles so in Deutschland gibt, bereit waren: nämlich sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen.

Eine der Realitäten ist, dass wir im Jahr 2025 einen Anteil von 45 Prozent erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch erreichen werden, derzeit liegt er bei 33 Prozent. Stichwort „Abbruch“: Bei Anwendung der Grundrechenarten ist eine Steigerung von 33 auf 45 Prozent schwer als Stoppen der Energiewende zu bezeichnen. Jetzt sagen Sie: Das ist viel zu wenig. Wir müssen noch mehr machen. – Da sagen wir: Es gibt dafür ein paar Bedingungen. Ich finde, in diesem Punkt hat sich die gestrige Debatte gelohnt. Im Jahr 2010 – ich komme gleich zu Ihrem Argument mit Kohle- und Atomstrom, der angeblich die Leitungen verstopft – lag die Leistung der abgeregelten Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien bei 127 Gigawattstunden. Das sind Anlagen, bei denen wir den Betreibern gesagt haben: Du bekommst Geld dafür, dass du den Strom produzierst. Es tut uns leid, aber wir brauchen deinen Strom nicht. Wir regeln deine Anlage ab, aber das Geld bekommst du trotzdem. – Diese Zahl ist von 127 Gigawattstunden 2010 auf 4.600 Gigawattstunden im Jahre 2015 gestiegen. Wir bezahlen also dafür Geld, dass Strom nicht verbraucht wird.

Die Kosten dafür liegen zurzeit bei 1,1 Milliarden Euro insgesamt. Wenn wir nichts tun, steigen diese Kosten auf über vier Milliarden Euro. Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie den Mut haben, auf einer Demonstration zu sagen: Meine sehr geehrten Damen und Herren, was Sie und auch wir als Grüne fordern, hat den Preis, vier Milliarden Euro dafür zu zahlen, dass Strom produziert wird, aber nie zum Kunden kommt. – Ich bin gespannt, ob Sie den Mut haben, das den Menschen zu sagen.

Woran liegt das? Es liegt in diesem Fall, Herr Kollege Hofreiter, gerade nicht am Thema Ausbau der Strombrücke im Süden, sondern es liegt daran – ich war damals Umweltminister und habe das Gesetz mit eingebracht und beschlossen –, dass sich eine Vielzahl der sogenannten Energieleitungsausbauprojekte nicht hat realisieren lassen – unter anderem deshalb, weil unser Rat damals nicht befolgt wurde, nämlich in die Erdverkabelung zu gehen. Das ist damals nicht gemacht worden. Das ist gar keine Schuldzuweisung. Jetzt haben wir das endlich durchgesetzt.

– Hören Sie auf, Herr Krischer! – Ich glaube, das Ganze wird jetzt schneller gehen. Es wird nicht so schnell gehen, wie Sie den Leuten wieder weismachen, weil jetzt nur andere klagen. Trotzdem wird es hoffentlich schneller gehen.

Die bestehenden Leitungen haben Netzengpässe. Frau Verlinden, natürlich haben wir berechnet, wie sich das Netz entwickelt, wenn der Atomstrom abgeschaltet wird. Natürlich haben wir berechnet, wie sich das Netz entwickelt, wenn die Leitung nach Norwegen zur Nutzung der Wasserkraft dort steht. Trotzdem haben wir Engpässe. Und nicht einmal die Fraktion der Grünen traut sich, im Deutschen Bundestag zu sagen, dass wir im Jahr 2021 oder 2022 sämtliche Kohle- und Gaskraftwerke in Norddeutschland abregeln sollen. Nicht einmal Sie trauen sich das.

Das bedeutet, Sie haben es mit einem Netz zu tun, das in Norddeutschland für den Erfolg der Energiewende nicht ausreichend ist. Es ist immer noch genug. Wir bauen jetzt ungefähr 2.800 Megawatt pro Jahr zu. Das ist nicht gerade ein Abbau.

– Es ist brutto, Frau Verlinden. – Es ist in der Tat in der installierten Leistung – auch da machen Sie ja den Leuten etwas vor – kein Zubau, aber in der Bruttostromproduktion. Sie wissen, dass die Anlagen leistungsfähiger sind. Hören Sie doch auf, den Menschen etwas vorzumachen! Sie sind doch als eine aufklärerische Partei gestartet. Hören Sie doch auf, Propaganda zu machen!

Herr Krischer, ich weiß, dass Sie das nachher alles fortsetzen. Ich biete Ihnen an: Ich komme in den Ausschuss und zu Ihrer Fraktion, und wir diskutieren die Sache, aber nicht Ihre Propaganda.

Noch ein Hinweis zum Thema „Wie entwickeln sich die Netze?“: Wir haben das Problem und Gott sei Dank die Freude, dass wir in den nächsten Jahren weit mehr Offshore Windenergie produzieren werden, als wir das vor ein paar Jahren gedacht haben – wenn auch übrigens noch immer nicht so viel, wie ein früherer grüner Umweltminister gedacht hat. Jetzt müssen wir es schaffen, zu verhindern, dass der Strom bezahlt wird, ohne dass er die Kunden erreicht. Das ist eines der Probleme: die Synchronisierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Infrastrukturausbau.

Es ist doch völliger Unsinn, dass die Propaganda fortgesetzt wird und die Frage der Energiewende daran gemessen wird, wie viel Prozent wir erreichen. Es ist doch Unsinn, zu behaupten, dass die Energiewende toll ist, wenn der Anteil der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien 55 Prozent statt 45 Prozent beträgt. Sie müssen die Energiewende doch an der Frage messen, ob der produzierte Anteil auch beim Kunden ankommt und wir dafür bezahlen, dass er nicht ankommt. Das heißt, Sie schlagen die Schlachten der Vergangenheit. Die Schlacht der Zukunft ist, dafür zu sorgen, dass Infrastruktur und Ausbau parallel erfolgen.

Eine zweite dringende Notwendigkeit ist, durch Ausschreibungen dafür zu sorgen, dass der Markt die Preise reduziert. Heute legt der Staat bei den erneuerbaren Energien die Strompreise fest. Natürlich orientiert sich ein Grundstückseigentümer an den staatlich festgelegten Preisen und kassiert dann Pachteinnahmen von 30.000 bis 40.000 Euro pro Jahr. Das entspricht einem mittleren Arbeitnehmereinkommen. Wenn wir ausschreiben, dann geht das auf einmal nicht mehr, weil der Grundstückseigentümer dann im Wettbewerb steht. Dann muss er damit rechnen, dass jemand anders niedrigere Pachtpreise anbietet und er den Zuschlag nicht bekommt. Das wollen Sie verhindern. Sie wollen, dass die Stromkunden diese Leute weiter reich machen. Ich will, dass die Stromkunden mithelfen, die Energiewende durchzusetzen. Darum geht es.

Wir werden heute noch ein paar Reden in der Preisklasse der Skandalisierung hören. Das ist auch alles gut und schön. Aber wenn Sie dann einmal ausgeatmet haben, dann haben Sie doch den Mut, in einer Debatte im Ausschuss an der Sache entlang zu diskutieren, übrigens wenn möglich in einer öffentlichen Ausschusssitzung. Ich habe da gar kein Problem, Frau Verlinden. Aber Sie müssen sich dann mit der Sache auseinandersetzen – und übrigens auch mit der Tatsache, dass offensichtlich auch die Länder, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, bereit sind, zur Durchsetzung der Energiewende Kompromisse einzugehen. Das ist, glaube ich, gestern ganz gut auf den Weg gebracht worden.