Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Sigmar Gabriel,

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"Herausforderungen gemeinsam meistern – auch in stürmischen Zeiten"

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages,
sehr geehrter Herr Harms,
lieber Herr Dr. Büchele,

zuerst soll ich aktuell etwas zur "Krise in Deutschland" sagen. Interessant ist doch: Es gibt Länder, die haben eine funktionierende Regierung und nicht funktionierende Institutionen. Bei uns ist das derzeit umgekehrt. Ich finde, dieser Fall ist immer noch der am einfachsten handhabbare.

Die größte Gefahr für Politiker ist, wenn sich herausstellt, dass alles funktioniert, ohne dass wir dabei sind. Das darf sich nicht herumsprechen. Ernsthaft gesprochen: Ich glaube, wir sind ein verdammt gutes Land, weil trotz manchem Unverständnis, warum es nicht klappt, eine Regierung zu bilden, das Land vergleichsweise ruhig und gelassen darauf reagiert. Das haben wir all denen zu verdanken, die in den letzten Jahrzehnten dieses Land aufgebaut haben. Die es auch krisenfest gegenüber solchen Irritationen gemacht haben. Ohne uns jetzt zu sehr loben zu wollen, sollten wir doch mal sagen, dass wir ein gutes Land sind, um Menschen Mut zu machen, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Wir müssen uns unabhängig von der Frage, wer die nächste Bundesregierung stellt und wer ihr angehört, deutlich machen, dass die derzeitige gute Lage nicht selbstverständlich ist. Die Herausforderungen, die international auf uns zukommen, werden jedenfalls eher größer als kleiner.

Meine Erfahrung mit der letzten Bundesregierung war: Wir haben Wochen zusammen gesessen, haben einen Koalitionsvertrag gemacht, der gelegentlich die Wirtschaft gefreut, gelegentlich nicht so gefreut hat und haben im Detail aufgeschrieben, was uns innenpolitisch wichtig ist. Und kaum hatten wir den Vertrag verabschiedet, ging es los: Ukraine, dann das Thema Euro und Griechenland, Flüchtlinge, dann Terror. Nichts davon haben wir auch nur geahnt, als wir den Koalitionsvertrag unterschrieben haben.

Ich finde, die eigentliche Leistung der letzten Bundesregierung war, das Schiff Deutschland durch diese doch ziemlich unruhige See gesteuert und auf Kurs gehalten zu haben. Dabei will ich uns nicht selbst loben, sondern ich will aufzeigen, zu was das Land in der Lage ist, wenn es zusammenhält und sich den Herausforderungen der Welt stellt und sich nicht aus ihnen zurückzieht.

Der Konflikt, den wir zurzeit auch im Deutschen Bundestag haben, ist spannend zu sehen: Auf beiden extremen Seiten des Parlaments findet auf einmal eine Debatte statt, bei der man den Eindruck hat, es geht um das Zurückziehen aus der Welt. Gott sei Dank diskutiert ein größerer Teil des Parlaments eher über die Fragen, wie wir hinein gehen in die Welt und was wir da tun. Diese Auseinandersetzung wird die Rolle Deutschlands in der Welt und in Europa bestimmen. Wir müssen überlegen, wie wir unsere Bevölkerung davon überzeugen, damit niemand den Eindruck bekommt, der Rückzug aus der Welt täte dem Land am Ende besser als das Hineingehen in die Welt – auch wenn die Welt, in die wir da hineingehen, ziemlich unbequem sein wird.

Ich habe vor ein paar Tagen in einem Interview gesagt, dass es nicht einfach ist, als Vegetarier in einer Welt voller Fleischfresser unterwegs zu sein, sinnbildlich gesprochen. Denn das ist unbequem. Der Rückzug hilft uns jedoch nicht viel. Ich glaube, diese Grundsatzfragen müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten verstehen, abseits der Frage, welche Details man mit wem in der Regierung verhandelt.

Ich danke jedenfalls herzlich für die Einladung zu Ihrem Neujahrsempfang. Was wir gemeinsam geschafft haben, dass ging natürlich nur, weil wir zueinander Vertrauen hatten. Das will ich auch mal aus meiner Sicht sagen. Ich hatte immer den festen Eindruck, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen persönlich, mit dem Ost-Ausschuss, aber ich sage das auch für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag, für den Bundesverband der Deutschen Industrie und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und übrigens auch mit den Gewerkschaften, immer sehr verlässlich war. Ich glaube, wir haben immer einen ganz guten Blick entwickelt für das, was für das gesamte Wohl des Landes gut ist. Ich danke herzlich für das Vertrauen, das Sie mir entgegen gebracht haben. Das gegenüber so einem Sozi zu haben, ist ja irgendwie auch eine Mutprobe.

Die Meldungen der letzten Wochen über den Zustand der deutschen Wirtschaft sind in der Tat gut: "Deutsche Exporte mit kräftigstem Anstieg seit drei Jahren" (9. Januar), "Wirtschaft wächst auch 2018 zum neunten Mal in Folge" (27. Dezember), "Brexit-Wirrwarr, Trump-Gepolter oder GroKo-Geschacher – nichts scheint die deutsche Wirtschaft derzeit aus der Bahn werfen zu können", so das Institut für Wirtschaft in Köln auch am 27. Dezember des letzten Jahres. Das sind die Schlagzeilen. Es ist gut, dass wir die haben. Trotzdem würde ich immer sagen: Wer sich zu sicher fühlt, dessen Probleme beginnen an diesem Tag. Deswegen hat es Sinn, sich bei allem Selbstbewusstsein darüber im Klaren zu sein, dass nichts von Dauer ist, dass das alles stets neu erarbeitet werden muss.

Widerstandskraft in stürmischen Zeiten, Anpassungsfähigkeit an wirklich dramatisch veränderte Rahmenbedingungen und ein auf strategische Interessen ausgerichtetes Handeln und Denken: Ich glaube, dass das in Wahrheit das Geheimnis des Erfolgs der deutschen Wirtschaft ist. Und gerade die Unternehmen des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft stehen für die Fähigkeit, auch in schwierigen Zeiten Chancen zu nutzen. Denn schon seit 1952 steht der Ost-Ausschuss dafür, Brücken in den Osten zu schlagen. Er wurde gegründet, um "einen einheitlichen Verhandlungspartner auf" – so damals – "westdeutscher Seite" zu schaffen, aber auch – und das hat mir besonders gut gefallen – um den Ost-West-Handel "in feste Hand zu bekommen". Das jedenfalls verraten die Akten aus dem Jahr 1952. Und das hat der Ost-Ausschuss auch wirklich seitdem getan: Er hat mit "fester Hand" die Beziehungen Deutschlands in den Osten mitgestaltet, und zwar vor allen Dingen dann, wenn die politische Großwetterlage schwierig war.

Die in diesem Jahr geplante Fusion mit dem Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft wird Ihren Aktionsradius erweitern und Ihr Gewicht in der Region, aber auch in der deutschen und in der europäischen Politik verstärken. Und vor allem wird die Fusion eben auch wieder einen "einheitlichen Verhandlungspartner schaffen". Das, glaube ich, ist wirklich eine gute Botschaft.

Mit einem einfachen "Weiter so", das wissen Sie, ist es bei solchen Neujahrsveranstaltungen nicht getan. Gerade die gegenwärtige politische Lage im Osten und Südosten Europas stellt uns vor ziemliche Herausforderungen. Wir müssen uns mehr denn je aktiv bemühen, dass die über Jahrzehnte aufgebauten Verbindungen keinen Schaden nehmen oder gar abreißen und dass neue Hoffnungen gerade auch in den noch nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Europa nicht verloren gehen. Deshalb die vielen Reisen, die Sie, Herr Dr. Büchele, zitiert haben.

Der Erfolg der deutschen Wirtschaft im Ausland ist mir in der Tat ein besonderes Anliegen, nicht nur weil ich Wirtschaftsminister war, sondern weil ich genau weiß, dass das Auslandsgeschäft der deutschen Unternehmen maßgeblich unsere Wirtschaftskraft stärkt, zu unserem Wohlstand und zu unserem Ansehen beiträgt. Deutsche Unternehmen repräsentieren im besten Sinne des Wortes die Fortschrittsfähigkeit unseres Landes.

Darüber würde ich übrigens gerne mal wieder etwas offensiver reden. In der brasilianischen Fahne finden sie noch eines der Symbole für Fortschritt. Wir hingegen sind skeptisch gegenüber technischem Fortschritt geworden. Trotzdem glaube ich, dass unser Land den Mut zum Fortschrittswillen haben muss. Fortschritt, jedenfalls der ökonomische Fortschritt, war immer die Voraussetzung für sozialen, kulturellen und politischen Fortschritt – und umgekehrt auch. Ich glaube, dass das, was deutsche Unternehmen überall auf der Welt schaffen, ein Ausdruck unseres Fortschrittwillens ist, und dass das zum Ansehen unseres Landes unglaublich beiträgt.

Wir werden derzeit jeden Tag darum gebeten, eine Führungsrolle zu übernehmen. Wir werden aber nicht gefragt, weil wir so nette Leute sind. Das sind wir selbstverständlich auch, aber der eigentliche Grund ist, dass wir eine wirtschaftliche Macht darstellen, ein "Power House" in Europa und in der Welt.

Wenn wir das irgendwann nicht mehr wären – und gute Politik erfordert, auch über dieses Szenario nachzudenken –, dann würde man uns auch zu anderen Themen nicht mehr fragen. Das haben übrigens Moskau, Washington und Peking gelegentlich gemein: Sie haben nicht so richtig Respekt vor der Europäischen Union, aber durchaus vor uns – aber nur wegen unserer ökonomischen und innovativen Stärke. Ich jedenfalls glaube, dass wirtschaftlicher Erfolg und außenpolitische Bedeutung und Einfluss in der Welt für unser Land und für den ganzen Kontinent zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Wer glaubt, das könne man voneinander trennen, irrt sich.

Dabei gilt bei allem Enthusiasmus für neue Märkte in der Ferne: Es bleibt dabei, der Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt die Europäische Union. Das gilt für Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Wir werden noch sehr darum kämpfen müssen, dass sich kein falscher Souveränitätsgedanke in der Europäischen Union Bahn bricht. Diese Idee, dass die Europäische Union ein Verlust an nationaler Souveränität sei, ist natürlich falsch. Wir gewinnen Souveränität über die Europäische Union zurück, die wir alleine als Nationalstaaten in der Welt von heute und morgen gar nicht mehr haben. Asien wächst, Lateinamerika wächst, Afrika wächst. Relativ dazu verlieren wir an Bedeutung. Nicht mal das starke Deutschland wird in Zukunft in der Welt hörbar sein, wenn es nicht eine gemeinsame Stimme Europas ist. Dieser Idee, Europa sei ein Verlust nationaler Souveränität, müssen wir entgegentreten.

Die internationale Ausrichtung unserer Wirtschaft hat uns zu einem großen Gewinner der Globalisierung gemacht. Sie offenbart aber gleichzeitig unsere verletzliche Flanke: Störungen der Weltwirtschaft gefährden die deutsche Wirtschaft und damit den Wohlstand in besonderem Maße und auch die Stabilität, besonders die soziale Stabilität in unserem Land. Daher brauchen wir mehr denn je eine intelligente und auch stärker wirtschaftsorientierte Außenpolitik, die mit einem klaren Blick auf die Realität und einem natürlich ebenso klaren Wertekompass Interessen definiert und ihnen Rechnung trägt und sich nicht scheut, dafür einzutreten.

Willy Brandt hat vor 50 Jahren einmal formuliert, was deutsches "erwachsenes" Handeln ausmacht. Er hat das so beschrieben: "Mündigkeit in der Welt, ohne dass man sich dabei übernimmt; vernünftige Interpretation der eigenen Interessen und ihre Durchsetzung allein oder mit anderen, so gut das geht."

Dieses mündige, dieses erwachsene Handeln nach unseren eigenen Interessen können wir heute vor allem in Verbund mit unseren europäischen Partnern schaffen. Und übrigens auch nach wie vor mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die wir nicht einfach preisgeben dürfen in der Illusion, sie seien für uns nicht mehr wichtig. Dass es schwieriger wird, stimmt, aber die Vorstellung, das sei für uns Nebensache geworden, dürfen wir nicht einreißen lassen. Fest verankert in der Europäischen Union ist Deutschland gerade auch für die Länder des Ost-Ausschusses ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Wirtschaftspartner. Das Umfeld der deutschen Unternehmen ist nach meiner Einschätzung zurzeit eher schwierig, mindestens jedenfalls mittelfristig.

Das Welthandelssystem kommt immer stärker unter Druck. Bis vor kurzem waren die USA der wichtigste Garant dieses Systems. Heute sind es vor allem die USA, die es in Frage stellen. Die nahezu ergebnislose Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation Ende 2017 ist symptomatisch für diese Entwicklung. Wobei wir versuchen, unseren amerikanischen Freunden immer zu erklären, dass der Glaube, das Verlassen der multilateralen Ebene sei im Interesse Amerikas, höchstens kurzfristig sinnvoll ist, weil es in der internationalen Politik nie ein Vakuum gibt. Wenn jemand den Raum verlässt, dann tritt jemand anderes in diesen Raum hinein. Wir erleben das oder haben das bitter erleben und sehen müssen in Syrien, aber wir erleben das auch in der Welthandelsorganisation. Es ist China, das dort sagt, diese Streitschlichtungsmechanismen brauche man eigentlich nicht mehr, es gäbe ja ein chinesisches Rechtssystem, bei dem auch im Fall eines Unternehmer-Staatsstreites jeder Unternehmer das chinesische Recht in Anspruch nehmen könne.

Als ich das gehört habe, habe ich gedacht, die müssen der deutschen Debatte über CETA und TTIP ziemlich gut zugehört haben. Denn das war eines der Hauptargumente.

Ich glaube, heute sind wir an einem Punkt, wo wir froh wären, wir hätten nicht nur CETA, sondern auch TTIP. Heute wissen wir, wie gefährdet wir dadurch sind, dass keiner mehr irgendwelchen Regeln folgen will, die das internationale Handelssystem braucht.

Vor ein oder zwei Jahren hat das die Republik beschäftigt. Ich habe mich damals immer gefragt, wieso eigentlich eine Exportnation auf die Idee kommen konnte, Regeln für den Handel seien gefährlich für sie. Jetzt merken wir, wie gefährdet wir sind, wenn es keine Regeln gibt. Oder wenn der Garant der "liberal order", die Vereinigten Staaten von Amerika, dieses System verlassen und andere ihre Regeln einführen wollen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass China offensichtlich das einzige Land ist mit einer geopolitischen Strategie. Ich finde, das ist nicht vorwerfbar. Es ist nur vorwerfbar, dass wir keine haben!

Bei uns glauben noch viele, "one belt one road" sei eine sentimentale Erinnerung an die Seidenstraße von Marco Polo. Dabei geht es um die Durchsetzung eines eigenen, chinesischen Verständnisses, einer eigenen Interpretation der Regeln im internationalen Handel. Noch mal: Ich kritisiere nicht, dass China diese Idee hat, ich glaube aber, daraus wird nur eine vertretbare Balance, wenn wir in der Lage sind, selbst unsere eigenen Interessen zu definieren.

Dazu müssen wir alles unternehmen, die Vereinigten Staaten von Amerika davon zu überzeugen, dass die "liberal order", die sie vertreten haben und die Europa erst möglich gemacht hat, dazu geführt hat, dass die Gefahr gebannt war, dass in Europa reaktionäre Zeiten zurückkehren. Das war keine europäische Konspiration, sondern es war im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika und es wird es auch in Zukunft sein. Darum werden wir sehr ringen müssen. Wenn wir diesen Partner verlieren, wird es jedenfalls eher schwieriger für uns. Deswegen noch einmal die Erinnerung daran, dass wir dafür eintreten müssen, in unserem Welthandelssystem und auch in bilateralen Verträgen verlässliche Grundlagen für die deutsche Wirtschaft und damit letztlich auch für jeden Menschen in unserem Land durchzusetzen.

Gleichzeitig hängt die Bedrohung des Welthandelssystems, wie wir es kennen, natürlich sehr stark mit der Verschiebung der politischen Kräfte insgesamt zusammen. Vor unseren Augen vollzieht sich der Übergang einer im Wesentlichen westlich geprägten Ordnung in einen ganz neuen Aggregatszustand, in dem auch andere Akteure wie eben China, aber auch Indien und Russland immer stärker eine Rolle reklamieren.

Wir erkennen Bruchlinien der Weltwirtschaftsordnung, die eben kein Zufallsprodukt sind. Diese Entwicklungen sind, neutral betrachtet, zunächst einmal "nur" eine globale Kräfteverschiebung. Bedenklich stimmen aber damit einhergehende Trends zum Nationalismus und zum Aufkommen protektionistischer Tendenzen. Hier müssen wir entschlossen gegenhalten, denn Abschottung und der Ruf nach nationalen Lösungen sind gerade für unser Land Gift für Wirtschaft und Gesellschaft. Gelegentlich muss man auch in Europa aufpassen, ob nicht manches, was sich modern anhört, am Ende Protektionismus bedeutet – bei dem wir Deutschen jedenfalls keine Gewinner sein können.

Die international orientierten deutschen Unternehmen benötigen Offenheit und eine regelbasierte Weltwirtschaft wie die Luft zum Atmen. Es wird die zentrale Aufgabe von Politik und Wirtschaft der nächsten Jahre sein, auf die beschriebenen Umwälzungen überzeugende Antworten zu finden. Und was Mut machen kann, ist: Deutsche Unternehmen und Verbände, gerade auch die zum Ost-Ausschuss gehörenden, lassen sich auch in Zeiten von Gegenwind nicht unterkriegen. Das haben sie immer wieder bewiesen. Deutsche Unternehmen – DAX-Unternehmen ebenso wie Tausende von Mittelständlern – sind in den Ländern des Ost-Ausschusses nach wie vor stark engagiert und bauen ihre Präsenz sogar aus.

Aus meiner Sicht sind es vor allem drei Aspekte, die diese Unternehmen ausmachen:

Erstens gelingt es ihnen seit Jahrzehnten, genau die Art von qualitativ hochwertigen Waren herzustellen, die auf dem Weltmarkt gefragt sind.

Zweitens zeichnet sich die langfristige Perspektive unserer Unternehmen letztlich auch als etwas aus, was in diesen Ländern wertgeschätzt wird. Sie denken eben nicht in Quartalen, sondern eher in Generationen. Das ist das Markenzeichen des deutschen Mittelstands. Wenn Sie an die Zukunft eines Marktes glauben, dann sind Sie auch bereit, zeitweilig Rückschläge hinzunehmen. Das verschafft einen großen Vorteil, wenn es wieder bergauf geht.

Und drittens: Die Unternehmen sehen sich als Partner bei der Modernisierung von Volkswirtschaften. Das ist das, was wir in der Politik immer wieder versuchen, unseren Gesprächspartnern aus anderen Teilen der Welt zu entgegnen, wenn es um die Frage "Ihr seid zu teuer" geht. Natürlich sind wir nicht der billige Jakob auf dem Weltmarkt, aber wir bringen etwas mit, was sozusagen mehr Wert schafft – ohne dass man es in Cent und Euro ausdrücken kann: Ausbildung zum Beispiel, Modernisierung, Technologietransfer, und zwar nicht erzwungen, sondern freiwillig dadurch, dass man am Markt präsent ist.

Dieses breite Engagement der deutschen Unternehmen zeigt sich in ganz vielen Regionen, gerade übrigens auch in den Ländern des Westlichen Balkans. Dort werden wir sehr viel dafür tun müssen, dass die Zeitperspektive, bis diese Länder in der Lage sind, Mitglieder der Europäischen Union zu werden, nicht zu einer Abwendung von Europa führt. Ich wünsche mir jedenfalls, dass wir die Kraft aufbringen, dort im realen Leben zu zeigen, dass es sich lohnt, mit uns zusammenzuarbeiten. Das bedeutet eben auch Investitionskraft, Förderkraft, Finanzmittel und Investitionen in Forschung und Entwicklung in die Länder zu tragen, selbst wenn sie noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind.

Es ist manchmal erschreckend zu sehen, wie lange es nicht nur in Deutschland dauert, eine Straße zu bauen, sondern wie lange das auch im Balkan dauert. Und ich glaube, wir müssen einfach mehr im Alltag der Menschen zeigen, dass die Orientierung an Europa in ihrem eigenen Interesse ist und dass es uns im wahrsten Sinne des Wortes "etwas wert ist", in den Balkan zu investieren. Das Engagement in dieser Region kann eindrücklich illustrieren, wie Politik und Wirtschaft gemeinsam eine Region voranbringen. Viele der Länder verzeichnen ja bereits gute Wachstumsraten.

Auch in Osteuropa und den Ländern des Südkaukasus entfaltet sich eine positive wirtschaftliche Dynamik. Unser Handel mit den Ländern dieser Regionen hat 2017 voraussichtlich zweistellig zugelegt. In vielen Ländern östlich der Europäischen Union bleiben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen natürlich verbesserungsbedürftig. Vor allem der Kampf gegen Korruption, für eine bessere öffentliche Verwaltung. Hier hoffe ich, dass die Regierungen in Europa 2018 den Mut aufbringen, diese notwendigen Strukturreformen anzugehen und zu unterstützen.

Wenn wir von der Standfestigkeit der deutschen Wirtschaft auch in stürmischen Zeiten reden, dann denken wir natürlich sofort auch an die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland. Es ist wirklich ein facettenreiches und manchmal auch zwiespältiges Bild, das sich dabei ergibt.

Positiv ist: Der Handel mit Russland ist im vergangenen Jahr deutlich zweistellig gewachsen – ich glaube, vorhin wurde 20 Prozent gesagt. Das ist eine erstaunliche Wiederbelebung nach einer sehr schwierigen Zeit und einem Einbruch des Handelsvolumens von mehr als 40 Prozent. Und bei den Rahmenbedingungen für Wirtschaftsunternehmen hat sich über Jahre viel verbessert. Im sogenannten "Ease of Doing Business"-Ranking hat sich Russland in den vergangenen sieben Jahren von Platz 123 auf Platz 35 verbessert. Etwas, was bei uns selten zur Kenntnis genommen wird. Gleichzeitig bleiben allerdings erhebliche Herausforderungen, mit denen die deutschen Unternehmen täglich konfrontiert sind. Der Terminus nichttarifäre Handelsschranken ist dafür sozusagen das Stichwort.

Die Lokalisierungspläne der russischen Regierung für die nächste Periode ihrer Lokalisierungspolitik – wenn sie umgesetzt würden – gefährden massiv die Wertschöpfungsketten der deutschen Automobilhersteller und auch andere Geschäftsmodelle. Wir müssen mit der russischen Regierung darüber offen reden und tun das auch bereits. Der russische Markt ist groß genug für eine auskömmliche Koexistenz russischer und europäischer Unternehmen.

Zudem trüben einige Fälle das Bild, in denen deutschen Unternehmen Unrecht widerfahren ist. Erst vor kurzem hat sich zum Beispiel ein führendes deutsches Bauunternehmen aufgrund juristischer Schikanen aus dem russischen Markt zurückgezogen. Daher will ich noch einmal betonen: Vertrauen und Rechtssicherheit sind das Fundament unserer engen Wirtschaftsbeziehungen. Das werden wir auch in Zukunft mit der russischen Regierung immer wieder zu besprechen haben. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass unsere eigenen Interessen gegenüber Russland durch andere beeinträchtigt werden.

Seit langem bildet der Handel mit Energie und Rohstoffen das Rückgrat der europäisch-russischen Zusammenarbeit. Eine zuverlässige Vernetzung Europas mit Russland ist essenziell für die deutsche und europäische Versorgungssicherheit. Unsere Lieferbeziehungen mit Russland werden vor dem Hintergrund der zurückgehenden Erdgasförderung in Nord- und Westeuropa zum Beispiel weiter an Bedeutung gewinnen.

Entscheidende Bedeutung wird dabei die Vollendung der Europäischen Energieunion sein. Ein funktionierender Markt ist letztlich der beste Schutz vor einseitigen Abhängigkeiten. Wir dürfen jetzt nicht zurückfallen in Zeiten vor der Liberalisierung des Gasmarktes und in den Gasmarkt politisch intervenieren. Was wir in Europa brauchen ist eine deutlich verbesserte Gasinfrastruktur, Interkonnektoren, Zugang an unterschiedlichen Stellen, um sicher zu sein, dass der potenzielle Ausfall einer Lieferbeziehung durch eine andere unproblematisch ersetzt werden kann. Von wem dann Gas bezogen wird, ist in Europa eine Entscheidung, die die Unternehmen treffen.

Wogegen wir uns wehren sollten, ist der Versuch, diese Entscheidung der Unternehmen politisch zu determinieren, weil es gerade aktuell in den Kram passt. Das darf nicht unsere Politik werden. Wir sollten jedenfalls als Deutsche nicht zulassen, dass man versucht zu sagen, unsere Unterstützung solcher Gasprojekte erhöhe unsere Abhängigkeit. Nein, wir sollten sagen, wir sind bereit zum Ausbau der Gasinfrastruktur, um unsere Unabhängigkeit zu vergrößern, aber wir wollen nicht in den Bereich politischer und dann unkalkulierbarer Interventionen kommen. Vor allem dann nicht, wenn die Gesetzgeber in den Vereinigten Staaten auch noch erklären, dass das Bedrängen der russischen Gaslieferungen dem amerikanischen Flüssigerdgas-Markt zugunsten kommen soll. Ich bin froh über dieses Maß an Transparenz bei Gesetzgebungsvorhaben, aber es zeigt auch, um was es dann am Ende eigentlich geht. Deshalb müssen wir hier eine klare Position einnehmen.

Russische Unternehmen sind auf unserem Markt willkommen, solange sie sich an die Regeln halten. Beim Bau von Nord Stream 2 halten sie sich an die Regeln. Was uns Sorge machen muss ist, wenn sich Russland an Regeln hält und dann versucht wird, die Regeln zu ändern. Das jedenfalls kann politische Konsequenzen in der Erzählung über Europa haben, die wir gar nicht gebrauchen können. Deswegen glaube ich, dass es einen Bezug gibt zur politischen Situation zwischen Europa und Russland. Ich finde, wir müssen sehr sorgfältig aufpassen, welche Entwicklungen sich hier in Europa vollziehen. Natürlich wollen wir dabei Sorge tragen, dass bei solchen Prozessen keine anderen Länder in Gefahr geraten. Ich jedenfalls habe mehrfach mit der russischen Seite darüber gesprochen, dass Nord Stream 2 voraussetzt, dass die Transit-Pipeline durch die Ukraine erhalten bleibt. Was übrigens voraussetzt, dass dort investiert wird und dass der Eigentümer diese Investitionen auch zulässt.

Gleichzeitig wollen wir natürlich versuchen, die Situation zwischen der Europäischen Union und Russland insgesamt zu verbessern. Auch wenn ich weiß, dass das in der Wirtschaft kaum noch jemand hören kann, trotzdem ist es eben so, dass die Verletzung des Völkerrechts von Russland ausgegangen ist und wir einen Weg zurück brauchen in eine Situation, in der vor Ort Frieden und Wiederaufbau stattfinden kann. Meine persönliche Überzeugung ist, dass dies nur durch eine Friedensmission der Vereinten Nationen gelingen kann.

Wir haben lange mit dem russischen Präsidenten über diese Frage geredet, er hat das immer abgelehnt. Dass er es jetzt selbst vorgeschlagen hat, sollten wir nicht kleinreden. Auch wenn wir wissen, dass die Bedingungen, unter denen die Russische Föderation eine solche Blauhelm-Mission vorschlägt, andere sind, als wir sie für notwendig halten. Daraus sollten wir meiner Meinung nach die Konsequenz ziehen, über die Bedingungen zu verhandeln und sollten nicht unterstellen, der andere wolle eigentlich gar nicht.

Ich glaube, dass nur durch ein robustes Mandat der Vereinten Nationen beide Seiten dazu gezwungen werden können, ihre Verabredungen in den Minsker Protokollen einzuhalten, zum Beispiel schwere Waffen rauszuziehen. Wir wissen, dass es nicht nur eine Seite ist, die den Waffenstillstand verletzt, sondern dass es beide Seiten tun. Wie das leider immer dann der Fall ist, wenn ein Konflikt zu lange dauert und die Konfrontation viel zu lange stattgefunden hat.

Da herauszufinden, wird ohne internationale Hilfe schwer möglich sein. Deshalb sage ich in aller Offenheit, auch wenn das in der deutschen Öffentlichkeit gelegentlich zu Kritik führt: Wenn die Russische Föderation bereit ist, das zu machen, dann muss sie dafür auch etwas bekommen.

Die Vorstellung, erst 100 Prozent Umsetzung des Minsker Abkommens und dann auf einen Schlag 100 Prozent Aufhebung der Sanktionen, halte ich für weltfremd. Die Sanktionen sind auch nicht zu 100 Prozent eingeführt worden, sondern "step by step", stufenweise. Ich finde, wenn wir uns einigen würden – ich gebe zu, davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt – über die Durchsetzung eines Waffenstillstandes und den dann auch zu machen, dann muss der erste Schritt sein, dass wir der Russischen Föderation zeigen, dass wir diesen guten Willen natürlich auch im Gegenzug belohnen, dass wir ihnen jedenfalls durch den Abbau von Sanktionen entgegen kommen. Wir sind auch bereit, in den Wiederaufbau des Donbass zu investieren, denn die Lebensbedingungen dort sind katastrophal, die Menschen leiden unglaublich unter diesem Konflikt.

Was wir gar nicht brauchen, ist eine Verschärfung des US-Sanktionsregimes gegen Russland, vor allen Dingen dann nicht, wenn es eigentlich getrieben wird durch inneramerikanische Konflikte. Es ist ein bisschen unsere Sorge, dass Teile der internationalen Politik in dem Konflikt "Kongress oder Repräsentantenhaus gegen Weißes Haus" missbraucht werden.

Es gibt allerdings auch eine Tendenz in den Vereinigten Staaten, von der ich befürchte, dass wir uns mit ihr in Europa leider intensiver auseinandersetzen werden müssen. Diese Wirksamkeit von exterritorial wirkenden Sanktionen finden sie nicht nur in diesem "Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act", sondern Sie finden es auch im Iran und Sie finden es zum Beispiel im Kubakonflikt. Es ist ganz interessant zu sehen, wer auf Kuba eigentlich – es sind ja in der Regel keine ausländischen Eigentümer, das ist in Kuba eher "old style" – mit welcher Bedrohung zu arbeiten hat und wer übrigens nicht. Ich finde, Europa darf nicht zulassen, dass sich eine US-Strategie durchsetzt, die uns nicht zum ökonomischen Wettbewerber – das sind wir, das ist kein Problem –, sondern zum ökonomischen Gegner und manchmal zum ökonomischen Feind erklärt. Hier wird sich Europa aufstellen müssen. Es kann nicht sein, dass Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft nur dann existiert, wenn sie sich den amerikanischen Wettbewerbsbedingungen unterwirft.

Ich bin übrigens überhaupt kein Anti-Amerikaner, ich habe mich immer als Transatlantiker verstanden. Ich bin zehn Kilometer von der Zonengrenze aufgewachsen. Ich weiß genau, warum wir sicher gelebt haben und dass wir dies insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika zu verdanken haben. Und ich weiß, dass wir ohne die Bereitschaft Amerikas, ihre Kinder in den Zweiten Weltkrieg zu schicken, entweder unter den Nachfolgern Hitlers oder Stalins leben würden.

Man muss in Deutschland ein bisschen aufpassen, dass man nicht den Anti-Amerikanismus bedient. Aber die Interessen, die wir haben, dürfen wir nicht klein machen. Mein Eindruck ist, dass diese Idee "America first" nicht nur Mexiko und Kanada auf dem Zettel hat, sondern auch die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und Europa und dass wir als Europäer sehr klar sein müssen bei der Verteidigung unserer wirtschaftlichen Interessen. Wir wollen fairen Wettbewerb, aber wir wollen uns nicht Wirtschaftsbeziehungen unterwerfen, wie die Vereinigten Staaten sich das vorstellen – jedenfalls Teile dort.

Im wirtschaftlichen Zusammenwachsen Europas, im Ausbau von Infrastruktur und der immer engeren Vernetzung des euro-asiatischen Großraums liegen in der Tat nach wie vor riesige Chancen. Chancen, die Sie und wir zusammen intensiv nutzen sollten, etwa durch verstärkte Kontakte der Europäischen Union mit der Eurasischen Wirtschaftsunion.

Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen, gerade dann, wenn es schwierig ist. Entspannungspolitik hat mal begonnen im Jahr 1968 in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges, als die Sowjetunion in Prag einmarschierte. Damals über Entspannungspolitik zu reden, galt als völlig weltfremd – am Ende hat sie sich durchgesetzt.

So ein Sturm weht manchmal liebgewordene Gewohnheiten weg, aber er schafft auch einen klaren Kopf. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass wir als mündige Unternehmer und Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und Europas im vorhin zitierten Brandt'schen Sinn – mit qualitativ hochwertigen Produkten und einer fairen Partnerschaft und einem fairen partnerschaftlichen Engagement – gemeinsam diese Herausforderungen bewältigen werden.

Vielen Dank für das, was Sie dafür tun und dass Sie mir zugehört haben.