Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Heiko Maas,

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Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn die letzten Wochen uns eines deutlich gemacht haben, dann das: Es gibt einen Zusammenhang zwischen langem Atem und Erfolg. Das gilt für die Eindämmung einer Pandemie; das gilt aber genauso für nachhaltigen Frieden. Nach inzwischen gut 21 Jahren Bundeswehreinsatz auf dem Balkan kann man durchaus von einem sehr langen Atem sprechen, einem langen Atem, der sich, wie wir finden, aber auch ausgezahlt hat.

Die Sicherheitslage auf dem Balkan ist weitestgehend stabil. Das hat uns erlaubt, das Engagement der Bundeswehr in den letzten Jahren Schritt für Schritt zurückzufahren. Während zu Beginn noch über 6.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort waren und auch vor vier Jahren noch über 1.300 Soldatinnen und Soldaten dafür vorgesehen waren, sind es heute weniger als 70, die vor Ort sind. Es spricht auch für sich, dass KFOR in den letzten Jahren nicht mehr, und zwar kein einziges Mal, in sicherheitsgefährdende Situationen eingreifen musste.

Auch der Charakter dieses Einsatzes hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert. Die Bundeswehr ist heute nur noch in Pristina präsent. Der Schwerpunkt unseres Engagements liegt inzwischen auf der Beratung der kosovarischen Sicherheitskräfte.

Um im Jargon unserer Zeit zu sprechen: Das alles sind Lockerungen, aber solche mit Augenmaß. Wir reduzieren und verändern unsere Präsenz, bewahren KFOR aber gleichzeitig die nötige Flexibilität, um auf unerwartete, aber eben auch nicht ganz auszuschließende Verschlechterungen der Sicherheitslage nach wie vor schnell reagieren zu können.

Dass die kosovarische Bevölkerung Vertrauen gefasst hat in die neu aufgebauten multiethnischen Polizei- und Sicherheitskräfte, das ist auch ein Verdienst der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die dazu in den letzten 21 Jahren Enormes beigetragen haben. Dafür gilt ihnen unser großes Dankeschön.

Aber wir wollen auch das nicht verschweigen: Politisch haben sich trotz aller Fortschritte die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien gerade in den letzten 16 Monaten deutlich verschlechtert. Der bilaterale Dialog beider Staaten, der von der EU moderiert wird, ist praktisch zum Erliegen gekommen. Das schürt Unruhe, und zwar immer wieder auch aufgrund kleinster Ereignisse auf beiden Seiten. Das hat aber auch Auswirkungen auf den ganzen Kontinent: vom Stocken des EU-Annäherungsprozesses bis hin zu Spannungsschwankungen im europäischen Stromnetz. Die Spannungen auf dem Balkan bekommen wir europaweit zu spüren. Der Balkan liegt eben nicht nur geografisch, sondern auch politisch und historisch im Herzen Europas.

Ja, auch das spielt in dem Zusammenhang eine Rolle: Wie nah wir uns sind, das zeigt gerade im Moment ausgerechnet ein globales Virus. Anders nämlich als auch von manchem der Verantwortlichen vor Ort dargestellt, hat die Europäische Union 3,3 Milliarden Euro mobilisiert, um den Westbalkanstaaten in der Coronakrise auf medizinischem und wirtschaftlichem Gebiet zu helfen. Außerdem können die Länder des westlichen Balkans sich jetzt auch an der gemeinsamen europäischen Beschaffung von medizinischen Gütern beteiligen; denn auch das haben wir innerhalb der Europäischen Union auf den Weg gebracht.

Bilateral haben wir dort unterstützt, wo der Bedarf am größten gewesen ist, etwa in den Roma-Gemeinden. Wir sind auch bereit, noch mehr zu tun, und sind dazu bereits in guten Gesprächen auf der Grundlage der Entscheidungen, die hier im Bundestag, insbesondere im Haushaltsausschuss, zu treffen sind. Denn gerade jetzt ist es wichtig, zu zeigen, dass wir verlässlich zu unseren Partnern auf dem westlichen Balkan stehen. Dabei spielt auch dieses Mandat eine wichtige Rolle.

Wir werden während unserer EU-Präsidentschaft hier einen Schwerpunkt für den westlichen Balkan setzen und auch für die komplette Östliche Partnerschaft im Kampf gegen die Folgen der Coronapandemie. Parallel arbeiten wir darauf hin, den politischen Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien wieder anzuschieben; denn das ist bitter nötig. Ein erster Schritt ist es ja auch gewesen, dass Deutschland und Frankreich den Gipfel aufgesetzt haben im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses. Wenn es hier Fortschritte gibt, werden wir zusammen mit Frankreich ein Follow-up vorbereiten. Auch die Ernennung von Miroslav Lajcak zum EU-Sonderbeauftragten für den Dialog ist eine gute Voraussetzung, um ein Momentum zu schaffen, in dem dieser Dialog wieder in Gang gesetzt wird.

Letztlich geht es darum, wegzukommen von Scheinlösungen wie Grenzänderungen, die ja nicht nur von Betroffenen, sondern auch von anderen, die dort Einfluss nehmen wollen, mit auf den Tisch gelegt worden sind. Dies ist allerdings nur ein vermeintlicher Fortschritt, der damit erreicht würde, wenn das, was damit erreicht würde, bei der Geschichte, die es dort gibt, überhaupt als Fortschritt zu bezeichnen wäre. Stattdessen verschieben solche Gedankenspiele die Lösung komplexer Probleme eher in die Zukunft, und sie führen in nichts anderes als eine Sackgasse.

Der Weg nach vorne führt – das ist unsere feste Überzeugung – einzig und allein über einen strukturierten, über einen transparenten und auch inklusiven Verhandlungsprozess, so wie ihn die Europäische Union vorgeschlagen hat. Daran werden wir auch festhalten. Am Ende muss nichts anderes als ein umfassendes Abkommen zwischen Belgrad und Pristina stehen, das in beiden Ländern politisch tragfähig ist, das zur regionalen Stabilität beiträgt – nicht nur in diesen beiden Ländern; denn von dem, was dort entschieden wird, sind auch andere betroffen – und damit diesen beiden Ländern letztlich auch, wenn man ganz weit nach vorne schaut, den Weg in Richtung EU-Mitgliedschaft ebnet.

Bis dahin wird KFOR als Sicherheitsgarant und als Stabilitätsfaktor in der Region weiter gebraucht werden. Dass KFOR dabei die Unterstützung beider Seiten genießt, die im Moment gerade in nur noch wirklich wenigen Themen übereinstimmen, ist Gold wert, auch wenn es um Deeskalation und Vermittlung bei vielen anderen politischen Themen geht. Insofern bleibt unser weiteres Engagement an die Lage vor Ort gekoppelt. Der Erfolg bedingt einen langen Atem. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandates.

Herzlichen Dank.