Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,

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Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!

Ich stehe noch sehr unter dem Eindruck des Besuches in Israel und in Ägypten in den letzten beiden Tagen. Ich glaube, dass es aus diesem Anlass entgegen der sonstigen Übung angemessen ist, dass ich hier auch in der zweiten Runde der Haushaltsdebatte das Wort ergreife.

Ich möchte vorab noch einmal zum Ausdruck bringen: Wir alle sind enttäuscht darüber, dass gestern Abend eine Waffenruhe nicht möglich wurde. Gleichzeitig ist die Bundesregierung der Auffassung: Wir werden unsere Bemühungen, dass eine Waffenruhe aufgrund internationaler Hilfe doch noch zustande kommt, nicht einstellen. Im Gegenteil: Wir werden im Interesse der Menschen unsere Bemühungen noch verstärken. Wir wollen, dass eine Waffenruhe erreicht wird. Wir wollen aber gleichzeitig mit dieser Waffenruhe die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein nachhaltiger Waffenstillstand erarbeitet werden kann.

Dazu gehören drei Säulen:

Erstens. Die Raketenangriffe aus Gaza nach Israel müssen unverzüglich eingestellt werden. Das ist ein Verbrechen, das durch nichts gerechtfertigt werden kann.

Zweitens. Der Raketen- und Waffenschmuggel nach Gaza ist eine der Ursachen für die innere Bewaffnung, auch von militanten Gruppen im Gazastreifen selbst. Deswegen wird es einen nachhaltigen, stabilen Waffenstillstand nur geben, wenn der Waffenschmuggel eingestellt wird. Wir appellieren auch an Ägypten, diese Aufgabe anzunehmen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ägypten hat sich in diesen letzten Tagen als ein sehr verantwortungsvolles Land gezeigt. Jetzt geht es darum, dass der Waffenschmuggel unterbunden wird. Er ist eine Bedrohung für die Sicherheit der gesamten Region, nicht nur für die Sicherheit von Israel.

Drittens. Für uns ist völlig klar, dass es einen nachhaltigen Waffenstillstand und eine stabile, gute und friedliche Entwicklung für die gesamte Region nur geben kann, wenn auch die Menschen in Gaza selbst eine wirkliche Entwicklungsperspektive haben.

Ich war vor zwei Jahren der erste Außenminister der westlichen Welt, der nach der ersten Lockerung der Blockade im Gazastreifen gewesen ist. Ich habe die Kinder dort gesehen, und ich habe dort Schulen besucht. Das ist etwas, was man natürlich nicht vergisst. Deswegen sage ich hier noch einmal ganz klar: Für uns ist selbstverständlich, dass die Menschen in Gaza eine Perspektive brauchen, dass sie eine Möglichkeit haben müssen, sich auch wirtschaftlich zu entfalten. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Radikalen und die Gewaltbereiten die friedlichen Menschen in Gaza nicht länger in Geiselhaft nehmen können. Dieser Zusammenhang muss gesehen werden.

Ich will hinzufügen: Israel ist unser Freund. Die friedlichen Palästinenser sind es ebenfalls.

Aus der Tatsache, dass wir Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gegen den Süden Israels in aller Klarheit verurteilen, eine unbalancierte Einseitigkeit herauszulesen, beinhaltet einen Vorwurf, der der Sache nicht gerecht wird. Wenn wir die Raketenangriffe verurteilen und das Recht von Israel, sich zu verteidigen, unterstreichen, dann ist das keine Parteinahme. Wenn es eine Parteinahme ist, dann ist es eine Parteinahme für die Menschen und für die Menschlichkeit und für den Frieden. Zu dieser Parteinahme und auch zu dieser Parteilichkeit bekennen wir uns gerne.

Frau Kollegin Hänsel, ich fürchte, dass Ihrer Frage nicht nur eine falsche Annahme, sondern auch eine falsche Politik zugrunde liegt, und zwar unter folgendem Gesichtspunkt: Hamas spricht nicht für die Palästinenser, sondern Hamas spricht für die Gewalt. Die Palästinenser werden durch Präsident Mahmud Abbas repräsentiert, den ich selber gestern aufgesucht habe und der in großer Klarheit immer und immer wieder gesagt hat: Die Raketenbeschüsse aus Gaza in Richtung Israel sind nicht die Politik von Palästina und der palästinensischen Autoritäten; sie sind zu verurteilen.

Wir dürfen die Unterschiede auch innerhalb dieser Kräfte nicht unterschätzen. Deswegen habe ich ausdrücklich gesagt: Die friedlichen Palästinenser sind unsere Freunde. Dass wir auf dem Verhandlungswege eine Zwei-Staaten-Lösung wollen, ist von dieser Bundesregierung und übrigens auch von mir selbst, zuletzt in meiner Rede vor den Vereinten Nationen, immer und immer wieder unterstrichen worden.

Frau Wieczorek-Zeul, wenn Sie freundlicherweise stehen bleiben würden, solange ich Ihre Frage beantworte – nicht aus Gründen der Courtoisie, sondern damit der Präsident nicht den falschen Knopf drückt und die Antwort zulasten meiner Redezeit geht.

Frau Kollegin, Sie waren selber viele Jahre Mitglied der Bundesregierung. Deswegen wissen Sie, dass man in der Außenpolitik Fragen dann beantwortet, wenn sie sich stellen, und nicht immer dann, wenn sie einem gestellt werden. Wir werden die Entscheidung fällen, und zwar dann, wenn wir den Antrag kennen, wenn er tatsächlich vorliegt, wenn er tatsächlich zur Abstimmung gestellt werden sollte und wenn wir mit allen unseren Verbündeten ausreichende Konsultationen getätigt haben. Dann entscheide ich über das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung. Das ist verantwortungsvolle Außenpolitik. Keine verantwortungsvolle Außenpolitik wäre es, jetzt irgendwelche Schaufensterankündigungen zu machen, nur weil das hier vielleicht gerne gehört wird. Das wäre außenpolitisch ein großer Schaden für unser Land.

Ich will dazu Folgendes sagen, Frau Wieczorek-Zeul: Zunächst einmal ist es nicht angebracht, den Eindruck zu erwecken, als hätte Ihnen mein Amt ein Abstimmungsverhalten der Europäischen Union oder einzelner Mitgliedstaaten angekündigt; Sie haben vielmehr eine Unterrichtung von den Beratungen erhalten, an denen ich selber noch am Montagmittag teilgenommen habe. Das wichtigste Wort, das Sie erwähnt haben, ist „vermutlich“. Nur, auf der Basis einer Vermutung kann kein Außenminister ein Abstimmungsverhalten festlegen. Das würden auch Sie in meiner Situation nicht tun, wobei ich sagen muss, dass Sie in diese Situation aus meiner Sicht nicht kommen werden.

Ich will noch einen ernsten, inhaltlichen Grund sagen, warum wir all dies mit allen anderen Europäern sorgfältig beraten werden, übrigens auch mit den anderen Verbündeten, die wir international haben. Dass das gestern natürlich ein Thema bei Präsident Mahmud Abbas gewesen ist, wissen Sie. Das war auch im September, als ich ihn ebenfalls getroffen habe, so. Das ist regelmäßig ein Thema zwischen uns.

Der Punkt ist nur: Was hilft dem Anliegen einer wirklichen Zwei-Staaten-Lösung am meisten, einseitige Schritte oder ein Ergebnis von Verhandlungen? Wir sind der Überzeugung, dass eine Verhandlungslösung das Beste ist, was man in dieser Situation erreichen kann. Deswegen werde ich keine spekulativen Ankündigungen hier machen. Wir werden diesem Prinzip weiterhin folgen, wie es übrigens auch die Vorgängerregierungen stets getan haben. Es ist noch nicht allzu lang her, dass Sie selber regiert haben.

Ich will noch eine Bemerkung zu einem Thema machen, das von den Kollegen Mißfelder und Kindler angesprochen worden ist, nämlich zum Thema Patriots. Ich rech-ne damit, dass in kurzer Zeit eine Anfrage der Türkei für die Stationierung von Patriot-Raketen bei der NATO eingeht. Ich habe den deutschen Botschafter angewiesen, einen solchen Antrag – natürlich nur, wenn die Bedingungen erfüllt sind, und unter den üblichen Vorbehalten – positiv anzunehmen; denn es wäre ein schwerer Fehler, wenn wir einem NATO-Mitgliedsland in einem Moment, in dem sich dieses Mitgliedsland Angriffen von außen ausgesetzt sieht, eine defensive Unterstützung verweigern würden. Ich glaube, wenn die Bitte eines NATO-Mitgliedslandes nach defensiver Hilfe von einem anderen Bündnispartner, zum Beispiel Deutschland, abgelehnt und damit eine Entscheidung der NATO blockiert würde, hätte das unabsehbare Folgen für das Bündnis. Manchmal braucht man auch selber Solidarität. Das muss man immer dann im Kopf haben, wenn andere in einem Bündnis nach Solidarität fragen. Das ist die Richtung, in die wir gehen wollen.

Allen Parlamentsvorbehalten wird selbstverständlich Rechnung getragen. Herr Kollege, auch ich glaube, dass eine Befassung des Deutschen Bundestages und eine Abstimmung erforderlich sind.

Zum Abschluss möchte ich mich bei den Damen und Herren der Ausschüsse, vor allen Dingen des Haushaltsausschusses, und bei den Berichterstattern bedanken. Ich danke von Herzen für eine sehr kollegiale Zusammenarbeit. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Damen und Herren – in diesem Fall die Herren – der Opposition ein, und zwar für ihre Berichterstattung und für ihre Arbeit insbesondere im Haushaltsausschuss. Es war eine gute, faire Zusammenarbeit.

Ich verstehe und respektiere, dass Kollegen der Opposition immer etwas finden müssen. Das soll auch so sein. Im Kern kommt es aber auf eine Sache an: Ist es der Bundesregierung in den letzten drei Jahren gelungen, das Ansehen unseres Landes in der Welt zu mehren, ja oder nein?

Da wir vor zwei Jahren in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und vor wenigen Wochen nach kontroverser Diskussion in einer geheimen Abstimmung in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt worden sind, scheint der Blick der Welt auf unsere Außenpolitik offensichtlich besser zu sein als der Blick der Opposition. Damit kann ich leben.