rede des bundesaussenministers vor den vereinten nationen - 43. generalversammlung in new york

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der bundesminister des auswaertigen, hans-dietrich
genscher, hielt vor der 43. generalversammlung der
vereinten nationen am 28. september 1988 in new york
folgende rede:

herr praesident!

zu ihrer wahl zum praesidenten der 43.
generalversammlung der vereinten nationen gratuliere ich ihnen
herzlich. ich wuensche ihnen in ihrem hohen amt glueck und
erfolg.
meine delegation wird alles tun, um zu positiven
ergebnissen auch dieser generalversammlung beizutragen.
dem praesidenten der 42. generalversammlung, herrn
botschafter peter florin, danke ich fuer sein erfolgreiches
wirken. er hat die generalversammlung umsichtig, pragmatisch
und ergebnisorientiert geleitet.
herr praesident, meine damen und herren, diese
generalversammlung beginnt unter ermutigenden vorzeichen. als
wir uns hier vor zwoelf monaten versammelt haben, forderte
der krieg zwischen irak und iran taeglich ungezaehlte opfer.
in afghanistan schien ein ende des menschlichen leides nicht
absehbar. auch im suedlichen afrika gab es keinen grund
zur hoffnung.
heute schweigen am golf die waffen. verhandlungen
zwischen den kriegfuehrenden staaten sind aufgenommen. ein
jahr nach ihrer einstimmigen verabschiedung im
sicherheitsrat ist die srr 598 zur grundlage eines von beiden
konfliktparteien akzeptierten waffenstillstands geworden.
in afghanistan haben die genfer vereinbarungen - auch sie
sind unter entscheidender mitwirkung der vereinten
nationen zustandegekommen - die voraussetzungen fuer den
rueckzug der sowjetischen truppen geschaffen. fuenfzig
prozent der truppen haben schon vereinbarungsgemaess
das land verlassen. der generalsekretaer hat nach seinen
gespraechen im suedlichen afrika zuversicht ueber die
verwirklichung der sicherheitsratsentschliessung 435 zum
ausdruck gebracht.
alle diese fortschritte sind unserer weltorganisation nicht
in den schoss gefallen. sie sind die frucht eines positiv
veraenderten weltpolitischen klimas, und sie sind das ergebnis
vielfaeltiger anstrengungen der wichtigsten vn-organe -
allen voran des generalsekretaers der vereinten nationen,
perez de cuellar.

von ihnen, herr generalsekretaer, stammt das wort, die
arbeit fuer den frieden lohne den hoechsten einsatz der
person. sie erbringen diesen einsatz. wir alle, die
mitgliedsstaaten der vereinten nationen, sind ihnen dafuer
dankbar. sie haben jene widerlegt, die an den vereinten nationen
zweifelten. sie ermutigen alle, die die friedenschaffende
rolle der vereinten nationen staerken wollen.
die bundesrepublik deutschland unterstuetzt tatkraeftig die
vereinten nationen und ihren generalsekretaer. wir haben
als nicht-staendiges mitglied des sicherheitsrats an den
sicherheitsratsentschliessungen 435 und 598 konstruktiv
mitgearbeitet. wir haben nach der verabschiedung der
sicherheitsratsentschliessung 598 in stetigem gespraech mit
den beiden kriegfuehrenden parteien auf ihre annahme und
durchfuehrung gedraengt.
ich appelliere an irak und iran, die verhandlungen
kompromissbereit und mit dem willen zu fuehren, einen
umfassenden, gerechten und ehrenhaften frieden zu erreichen.
in afghanistan schafft der abzug der sowjetischen truppen
die moeglichkeit zu einem politischen neubeginn. sie sollte
von allen beteiligten genutzt werden. wie die europaeische
gemeinschaft ist die bundesregierung bereit, mit
humanitaerer hilfe zur rueckfuehrung und wiedereingliederung
der millionen fluechtlinge substantiell beizutragen und, wenn
die inneren voraussetzungen dafuer gegeben sind,
wiederaufbauhilfe zu leisten.
auch bei der loesung der konflikte im suedlichen afrika
sind wichtige schritte nach vorn getan worden. die
suedafrikanischen truppen haben angola verlassen. ueber den
abzug der kubanischen truppen wird verhandelt. wir sind der
unabhaengigkeit namibias ein gutes stueck naehergerueckt. die
sicherheitsratsresolution 435 ist nach wie vor der einzig
gangbare weg zu diesem ziel. die bundesregierung stellt
als mitglied der kontaktgruppe ihre guten dienste bei der
implementierung der resolution 435 zur verfuegung.
auch in anderen teilen der welt hat eine positive
entwicklung eingesetzt: in kambodscha werden erste konturen
einer friedensloesung sichtbar. gespraeche zwischen den
regierungen suedkoreas und nordkoreas ruecken in den
bereich des moeglichen. in zentralamerika kann der
fortbestehende waffenstillstand die gespraeche der streitenden
parteien erleichtern, um demokratischen ordnungen zum
durchbruch zu verhelfen. eine friedliche loesung des
westsahara-konflikts und der libysch-tschadischen
auseinandersetzungen rueckt naeher. repraesentanten der beiden
volksgruppen in zypern verhandeln ueber die zukunft der insel.
anlass zur sorge bietet weiterhin der nahe osten. noch
immer sind verhandlungen nicht in sicht. dabei zeigt die
buergererhebung der palaestinenser in den besetzten
gebieten, dass der status quo unhaltbar ist.
eine internationale nah-ost-konferenz ist und bleibt der
geeignete rahmen fuer die notwendigen verhandlungen
fuer eine friedensloesung, die dem palaestinensischen volk
die ausuebung seines selbstbestimmungsrechts ermoeglicht,
und die das recht aller staaten der region, einschliesslich
israels, auf leben und existenz in gesicherten grenzen
gewaehrleistet. wir wuenschen dem leidgeprueften libanon eine
friedliche loesung seiner probleme, die auf der
souveraenitaet, einheit und nationalen versoehnung beruht.
wenn wir ueberall in der welt den frieden endgueltig
gewinnen wollen, muessen wir die kraefte des friedens staerken.
das heisst zunaechst, wir muessen die vereinten nationen
staerken. dafuer muessen die bisherigen erfolgreichen
bemuehungen um innere reformen weitergefuehrt werden. was wir
vor allem brauchen, ist die vollstaendige ausfuellung der
charta der vereinten nationen.
wir sind bereit, alle vorschlaege ernsthaft zu pruefen, die auf
eine staerkung der friedenstiftenden kraft unserer organisation
gerichtet sind. diesem ziel dient auch unsere initiative
zur konfliktpraevention, die dieser generalversammlung zur
abschliessenden billigung vorliegt. wir halten es fuer
notwendig, dass die vereinten nationen handeln koennen, bevor
ein konflikt ausgebrochen ist.
herr praesident, der friede, den wir erstreben, kann nur auf
der herrschaft des rechts aufgebaut sein. sie muss sich
gruenden koennen auf das selbstbestimmungsrecht der
voelker und auf die buergerlichen, die wirtschaftlichen und
die sozialen menschenrechte, so, wie sie in den
menschenrechtspakten der vereinten nationen verankert sind.
die erkenntnis waechst, dass alle staatliche gewalt an den
menschenrechten ihre absolute grenze findet.
die achtung der menschenrechte ist nicht allein eine innere
angelegenheit der staaten. im rahmen des ksze-prozesses
sind sie zu einem zentralen thema geworden. zu
den schlimmsten verhoehnungen und missachtungen der
menschenrechte gehoert das system der apartheid in der
republik suedafrika. wir fordern die abschaffung dieses
nicht reformierbaren systems.
wir fordern die freilassung nelson mandelas, eric molobis
und aller anderen politischen gefangenen in suedafrika. wir
fordern die aufhebung des verbots des anc und aller
anderen organisationen der schwarzen mehrheit, damit der
weg freigemacht wird fuer einen friedlichen nationalen
dialog. wir lassen keinen zweifel: wir lassen uns die hilfe
fuer anti-apartheids-organisationen nicht verbieten.
der vorsitzende der groessten einzelgewerkschaft der welt,
der ig metall in der bundesrepublik deutschland, hat einen
katalog von mindeststandards in den arbeitsbeziehungen
suedafrikanischer toechter deutscher unternehmen
aufgestellt. sie gibt den suedafrikanischen gewerkschaften und
arbeitnehmern, unabhaengig von der hautfarbe, denselben
anspruch auf soziale gerechtigkeit wie ihren kollegen in der
bundesrepublik deutschland. grosse deutsche
unternehmen haben die anwendung dieser mindeststandards in
suedafrika zugesagt. wir appellieren an alle gewerkschaften
und unternehmen, diesem beispiel zu folgen.
herrschaft des rechts - das heisst unbedingte achtung des
voelkerrechts. auf diese achtung gruendet sich eine politik,
die statt auf drohung und gewalt auf verhandlungen und
vereinbarungen setzt.
herrschaft des rechts - das heisst schutz und achtung von
minderheiten: seien es religioese minderheiten, nationale
oder ethnische minderheiten. sie alle haben anspruch
darauf, in politischer und rechtlicher gleichberechtigung
ihre identitaet zu entfalten und ihre sprache und kultur zu
pflegen, ihre religion auszuueben.
die herrschaft des rechts wird bedroht vom internationalen
terrorismus. die internationale gemeinschaft muss noch
entschlossener dem terrorismus, diesem feind der
menschenwuerde und jeder menschlichen ordnung,
entgegentreten.
herrschaft des rechts - das heisst: gemeinsamer kampf
gegen den drogenhandel. es ist ein immer dringender
werdendes weltweites problem, das nur durch gemeinsame
anstrengungen aller staaten geloest werden kann. die
bundesregierung hofft, dass die beratungen ueber den entwurf
einer vn-konvention gegen den illegalen drogenhandel bei
der bevorstehenden diplomatischen konferenz in wien
erfolgreich abgeschlossen werden koennen. dann waeren wir
ein gutes stueck weiter.
herr praesident, wir koennen mit zuversicht in die zukunft
schauen. das rechtsbewusstsein der voelkergemeinschaft
erstarkt. die bereitschaft, auch schwerste differenzen auf
dem verhandlungswege zu loesen, waechst.
das deutet auf einen grundlegenden wandel in den
internationalen beziehungen. im zentrum dieser veraenderungen
stehen die bemuehungen von west und ost, ihre beziehungen
auf eine neue grundlage zu stellen. die fortschritte, die
unsere weltorganisation bei der friedlichen konfliktloesung
erzielen konnte, wurden auch moeglich, weil west und ost
dabei zunehmend zusammenarbeiteten.
die einsicht setzt sich durch, dass der west-ost-gegensatz
nicht auf die dritte welt uebertragen werden darf. er muss
vielmehr dort, wo er entstanden ist, durch dialog und
zusammenarbeit schritt fuer schritt entschaerft, und soweit
moeglich ueberwunden werden.
herr praesident, zu den hoffnungsvollen entwicklungen
dieser welt gehoeren die fortschritte in der europaeischen
gemeinschaft. mit dem zusammenschluss von zwoelf
europaeischen demokratien zur europaeischen gemeinschaft
haben wir einen sieg errungen ueber nationale egoismen,
ueber machtpolitisches denken und ueber vorurteile. es ist
der groesste und schoenste sieg der europaeischen geschichte
- er kostet kein einziges menschenleben - aber er gewinnt
uns die zukunft.
die deutsch-franzoesische freundschaft und
zusammenarbeit ist das herzstueck dieser zukunftsentwicklung.
die europaeische gemeinschaft ist die derzeit am hoechsten
entwickelte form des zusammenschlusses souveraener
staaten. dynamik und anziehungskraft unserer
gemeinschaft wachsen weiter. die europaeische gemeinschaft
hat sich dem freien welthandel und der weltwirtschaftlichen
kooperation verschrieben. sie wird zum wachstumsmotor
nicht nur fuer uns, sondern fuer die gesamte weltwirtschaft.
das macht uns zu entschiedenen gegnern des protektionismus.
die wachstumskraft des gemeinsamen
binnenmarktes und des sozial- und waehrungsraums wird die
europaeische gemeinschaft noch besser zur weltwirtschaftlichen
partnerschaft mit den nordamerikanischen demokratien
und japan befaehigen.
auch fuer die entwicklung in der dritten welt koennen wir mit
der staerkung unserer wirtschaftlichen kraft noch mehr
beitragen. der groessere markt wird noch mehr produkte aus der
dritten welt aufnehmen koennen.
die europaeische gemeinschaft ist schon heute, wie die
lome-abkommen, wie unsere mittelmeerabkommen und
wie unsere kooperationsvertraege mit den asean-staaten,
den staaten zentralamerikas und mit dem golf-kooperationsrat
zeigen, ein wichtiger partner der staaten der dritten
welt auf der grundlage der gleichberechtigten
zusammenarbeit.
fuer das west-ost-verhaeltnis eroeffnet die kraftvolle
entwicklung der europaeischen gemeinschaft eine grosse chance.
es geht jetzt darum, die architektur fuer das ganze europa zu
entwerfen. je staerker die sowjetunion den prozess der
oeffnung nach innen und nach aussen vorantreibt, um so
kooperationsfaehiger wird sie fuer die west-ost-zusammenarbeit.
wir wollen den erfolg dieser reformpolitik. die zukunft
europas liegt nicht in der hoffnung auf oder gar in dem
bemuehen um die destabilisierung der anderen seite, sie
liegt in zusammenarbeit und produktivem wettbewerb.
die vielfaeltigen formen der zusammenarbeit werden die
architektur der europaeischen friedensordnung oder, wie
man es auch nennen kann, des gemeinsamen
europaeischen hauses, bestimmen. die daraus folgende
interdependenz wird vertrauen staerken und stabilitaet schaffen.
nicht abgrenzung, sondern offene tueren, freiheit der bewegung
fuer menschen, ideen und gueter, achtung der
menschenrechte muessen diese neue ordnung auszeichnen. ein
pfeiler der struktur europas ist und bleibt die auf offenheit
und zusammenarbeit angelegte europaeische gemeinschaft.
wir wissen, europa ist mehr als die europaeische
gemeinschaft. praesident mitterrand hat darueber in seiner
historischen rede in aachen 1987 so eindrucksvoll gesprochen.
durch fortschreitende zusammenarbeit, durch wirkliche
entspannung und durch abruestung werden die militaerischen
elemente im west-ost-verhaeltnis an bedeutung verlieren,
andere - politische, oekonomische, oekologische, kulturelle
zusammenarbeit - werden an bedeutung gewinnen.
west und ost werden durch diese entwicklung neue kraefte
gewinnen, die nicht mehr fuer ruestung, sondern fuer die
entwicklung der eigenen gesellschaften und fuer die
zusammenarbeit mit den entwicklungslaendern eingesetzt werden
koennen.
die wende zum besseren fuer ganz europa empfaengt ihre
kraft aus der wiederbelebung der identitaet unseres
kontinents. diese identitaet gruendet sich auf die gemeinsame
europaeische geschichte auf ihre hoehepunkte und ihre
irrwege, auf die gemeinsame kultur, zu der alle europaeischen
voelker grosses beigetragen haben und auf das bewusstsein
der gemeinsamen verantwortung fuer die zukunft unseres
kontinents und fuer frieden und entwicklung in der welt.
jahrzehnte der trennung haben aus einem europa nicht
zwei europa gemacht und aus einer deutschen nation nicht
zwei deutsche nationen. das deutsche volk im herzen
europas, das in der geschichte oft im gegensatz zu seinen
nachbarn stand, hat seine geschichtlichen lehren gezogen.
beide deutsche staaten stellen sich auch in ihrer
zusammenarbeit ihrer europaeischen friedensverantwortung.
davon gewinnen alle europaeer.

wir deutschen in der bundesrepublik deutschland haben
durch unsere mitgliedschaft in der europaeischen
gemeinschaft und in dem atlantischen buendnis mit den usa
und kanada verantwortlichen gebrauch gemacht von der nach
dem zweiten weltkrieg wiedergewonnenen freiheit.
wir sind die tiefgreifendste verbindung zwischen staaten
eingegangen, die denkbar ist: die verbindung der werte.
unsere europaeische friedensverantwortung fuehrte auch zu
den vertraegen mit der sowjetunion, der volksrepublik polen,
der cssr und dem grundlagenvertrag mit der ddr, sie
fuehrte zu unserer aktiven mitwirkung an der schlussakte von
helsinki und am ksze-prozess.
wir sehen in der entwicklung unserer beziehungen zur
sowjetunion, die fuer uns von zentraler bedeutung sind, eine
schluesselrolle fuer die verbesserung des west-ost-
verhaeltnisses. der bevorstehende besuch von bundeskanzler
helmut kohl in der sowjetunion wird diesem ziele dienen.
herr praesident, seit 1967, seit dem harmel-bericht des
atlantischen buendnisses, fordern wir eine europaeische
friedensordnung. auf diesen grossen entwurf fuer ein besseres
europa sind wir lange zeit ohne antwort geblieben. die von
generalsekretaer gorbatschow in der sowjetunion
eingeleitete politik kann die perspektive des harmel-berichtes
wirklichkeit werden lassen.
diese neue politik trifft bei uns nicht nur auf ein positives
echo, sondern auch auf eine konstruktive reaktion. wir alle
haben die verantwortung, alle moeglichkeiten fuer eine wende
zum besseren zu nutzen. die deutliche verbesserung der
amerikanisch-sowjetischen beziehungen zeigt die
moeglichkeiten, die sich daraus ergeben. die schlussakte von
helsinki ist die kursbestimmung fuer eine europaeische
friedensordnung, in der staaten unterschiedlicher politischer
und sozialer ordnung in friedlichem wettbewerb ohne angst
voreinander leben koennen.
mit der arbeit an dieser friedensordnung erfuellt die
bundesrepublik deutschland den auftrag unseres grundgesetzes,
dem frieden in europa zu dienen und die trennung unserer
unteilbaren nation zu ueberwinden. unser bemuehen um
einen baldigen abschluss der wiener folgekonferenz mit
einem substantiellen und ausgewogenen schlussdokument
soll uns auf dem weg zu einer europaeischen
friedensordnung eine neue etappe voranbringen.
herr praesident, wir stehen heute vor der aufgabe, die
menschheit vor den gefahren zu schuetzen, die der mensch
selbst geschaffen hat. die technologische entwicklung legt
es in unsere hand, ob wir die welt humaner und besser
gestalten, oder ob wir untergehen. verantwortung nicht nur
fuer uns, sondern fuer alle kuenftigen generationen muss unser
denken und handeln bestimmen.
angesichts der nuklearen vernichtungsgefahren musste der
abruestungsprozess mit der nuklearen abruestung beginnen.
der inf-vertrag markiert hier einen prinzipiellen
durchbruch. bisher wurden ruestungen begrenzt. jetzt wird
erstmals eine ganze waffenkategorie beseitigt. der weltweiten
beseitigung der sowjetischen und amerikanischen
mittelstreckenflugkoerper muessen tiefgreifende
abruestungsschritte bei den nuklearen, chemischen und
konventionellen waffen folgen.
die fuenfzig-prozentige reduzierung der strategischen
potentiale beider grossmaechte muss wirklichkeit werden. die
erschuetternden bilder vom einsatz chemischer waffen im
golfkrieg vor augen, appelliere ich an alle
teilnehmerstaaten der genfer abruestungskonferenz, die weit
fortgeschrittenen verwaffen zum fruehestmoeglichen zeitpunkt
zum abschluss zu bringen.
nur ein weltweites abkommen, das herstellung, lagerung,
transfer und einsatz chemischer waffen ueberpruefbar
verbietet, kann die menschheit fuer alle zeit von der geissel
dieser grausamen waffenkategorie befreien.
die bundesregierung beteiligt sich aktiv an der staerkung
aller instrumente, die schon vor einem weltweiten
cw-verbot dem einsatz und der proliferation chemischer
waffen entgegenwirken koennen. wir begruessen die von
praesident reagan angekuendigte initiative fuer eine
konferenz der signatarstaaten des genfer protokolls von 1925.
bei allen diesen bemuehungen muessen wir das prioritaere
weltweite verbot mit aller energie weiterverfolgen.
im konventionellen bereich wollen wir ueberlegenheit und
ungleichgewichte durch asymmetrische abruestung beseitigen.
wir wollen auf einen zustand in europa hinwirken, bei
dem keine seite mehr die faehigkeit zum angriff auf fremdes
territorium besitzt. in unserem westlichen konzept haben
schon jetzt vorstellungen von raumgreifenden
offensivoptionen keinen platz. wirkliche konventionelle
stabilitaet und weitere vertrauensbildung verlangen darueber
hinaus auch die verstaendigung ueber die der verteidigung
zugrundeliegende philosophie.
wir wollen ein gemeinsames verstaendnis ueber die
aufgabenstellung der streitkraefte auf beiden seiten. das
muss sich in umfang, ausruestung und fuehrungsgrundsaetzen
fuer die streitkraefte beider seiten ausdruecken.
ich appelliere an alle beteiligten noch im oktober 1988
zusammen mit dem schlussdokument fuer die wiener
kszefolgekonferenz auch ein mandat ueber die aufnahme der
verhandlungen ueber die konventionelle stabilitaet zu
beschliessen. die zeit ist reif, jeder muss jetzt seiner
verantwortung gerecht werden.
herr praesident, unbegrenzte ruestung schafft nicht
unbegrenzte sicherheit, aber ausgewogene und beiderseitige
abruestung kann zu mehr sicherheit beitragen. deshalb sind
abruestung und ruestungskontrolle fuer uns im atlantischen
buendnis ebenso integrale bestandteile unserer
sicherheitspolitik wie unsere verteidigungsanstrengungen. im
nuklearzeitalter muessen kriege ein fuer allemal unfuehrbar
gemacht werden.
neues denken erfordert, dass ueber das netz der abschreckung
- das auffangnetz der ultimo ratio - ein zusaetzliches
netz von neuen, kooperativen strukturen militaerischer
sicherheit gespannt wird, das die risiken reduziert, die sich
bei einer ausschliesslichen abstuetzung auf abschreckung
ergeben.
als realisten wissen wir, dass wir die sicherheit von heute
nicht auf hoffnungen fuer morgen gruenden koennen. aber als
handelnde, die sich ihrer verantwortung fuer die zukunft
stellen, muessen wir schon heute fundamente kuenftiger
sicherheit schaffen, die breiter, fester und staerker sind
als die, auf denen der frieden bisher ruht.
herr praesident, die zukunft des menschen wird nicht nur
vom krieg bedroht, die gefahr waechst, dass die menschheit
ihre eigenen lebensgrundlagen auf diesem planeten
zerstoert. wir haben die aufgabe, unsere natuerlichen
lebensgrundlagen zu bewahren und die entwicklung der dritten
welt voranzutreiben. und beides haengt eng miteinander
zusammen. heute leben ueber 5 milliarden menschen auf
der welt, bald werden es 6 milliarden sein. ca. 1 milliarde
menschen leben nach den feststellungen der weltbank in
absoluter armut.

die industrielaender - alle industrielaender - nicht nur die
des westens, auch die sozialistischen staaten stehen in der
verantwortung zu gemeinsamen handeln. wir muessen
moeglichkeiten der wirtschaft, der wissenschaft und der
technik einsetzen, um entwicklung moeglich zu machen und
die natuerlichen lebensgrundlagen weltweit zu bewahren.
das setzt die entwicklung neuer verkehrsformen, neuer
energiequellen, neuer materialien, neuer
produktionsmethoden voraus.
darauf, und nicht auf die entwicklung immer neuer und
immer furchtbarerer massenvernichtungswaffen muessen
sich geist und technik der industrielaender konzentrieren.
hilfe bei der entwicklung, und nicht waffenexporte
brauchen die staaten der dritten welt. ich wiederhole meinen
vorschlag, ein waffenexportregister der vereinten nationen
zu schaffen. ich begruesse die unterstuetzung, die die
sowjetunion gestern diesem vorschlag gegeben hat.
zugleich geht es darum, die grundbeduerfnisse von
hunderten von millionen menschen in den entwicklungslaendern zu
befriedigen. immer wieder, und in immer kuerzeren
abstaenden brechen hungerkatastrophen aus, die die
hilfsbereitschaft und die solidaritaet der menschheit
erausfordern. aber humanitaere hilfe allein kann das problem
nicht loesen. trotz einiger positiver entwicklungen in diesem
jahr - die weltkonjunktur entwickelte sich besser als erwartet -
muessen wir leider feststellen: die armut in der dritten welt
waechst, der schuldenberg waechst.
zwar ist das bruttoinlandsprodukt auch in den
entwicklungslaendern im letzten jahr gestiegen, doch dieser
zuwachs wird vielfach durch bevoelkerungswachstum wieder
aufgezehrt, zukunftsinvestitionen werden durch
schuldendienstverpflichtungen erschwert. die schuldendienstzahlungen
der entwicklungslaender ueberstiegen im jahre 1987 die
mittelzufluesse um 15 mrd. dollar. unter diesen umstaenden ist
eine staerkung der wirtschaftskraft der entwicklungslaender
unmoeglich.
besonders bedraengt ist die lage der afrikanischen laender
suedlich der sahara. die bundesregierung unterstuetzt das
vn-aktionsprogramm der afrika-sonder-generalversammlung.
die bundesregierung hatte deshalb bereits frueher
zwanzig dieser laender schulden in hoehe von rund 2,4 mrd.
dm erlassen. sie hat darueber hinaus ihre bereitschaft
bekundet, neben einem zusaetzlichen schuldenerlass fuer
andere laender auch sechs weiteren afrikanischen laendern,
die nicht zu den aermsten zaehlen und die anpassungs- und
reformprogramme in zusammenarbeit mit iwf und
weltbank durchfuehren, schulden in hoehe von etwa 2,3 mrd. dm
zu erlassen.
alle geber sollten bei oeffentlichen hilfeleistungen den
aermsten laendern einen hohen zuschussanteil gewaehren. wir
werden den zuschussanteil unserer finanziellen
zusammenarbeit mit den entwicklungslaendern insgesamt erhoehen.
die entwicklungshilfe an die aermsten laender wird von uns
schon jetzt als zuschuss gegeben.
die bundesregierung schlaegt ferner vor, bei der
umschuldung von zahlungsverpflichtungen im rahmen des pariser
clubs erste spuerbare erleichterungen des schuldendienstes
zu ermoeglichen. sie hat darueber hinaus beschlossen, die
kreditbedingungen unserer bilateralen finanziellen
zusammenarbeit mit den entwicklungslaendern zu erweitern und fuer
unsere partner in der dritten welt erheblich guenstiger zu
gestalten. wir erwarten, dass auch die privatbanken ihr
engagement in den entwicklungslaendern verstaerken.
auch viele "schwellenlaender" leiden an den folgen ihrer
hohen auslandsverschuldung. auch hier sind vor allem die

geschaeftsbanken dringlich aufgefordert, die zur entwicklung
der wirtschaft dieser laender erforderlichen mittel
bereitzustellen, die allerdings nur dann langfristig positive
wirkungen entfalten koennen, wenn wirksame anpassungsprogramme
der empfaengerlaender geeignete rahmenbedingungen
schaffen. wir hoffen, dass auch die neue multilaterale
investitionsgarantieagentur (miga) diesen prozess foerdern wird.
unverzichtbar bleibt der freie zugang der entwicklungslaender
zu den maerkten der industrielaender. hier liegt das
problem vor allem bei den nichttarifaeren handelsbarrieren. sie
muessen in der laufenden uruguay-runde beseitigt werden,
wenn die idee des freien welthandels nicht unglaubwuerdig
werden soll. unsere importe aus den entwicklungslaendern
haben in den ersten sechs monaten dieses jahres um mehr
als 5 prozent zugenommen, waehrend unsere
entsprechenden exporte um ueber 8 prozent zurueckgegangen sind.
industrielaender und entwicklungslaender muessen bei ihrer
gemeinsamen arbeit an der entwicklung darauf achten, dass
diese nicht selbst zu einem faktor der umweltzerstoerung
wird. grundsatz ist und bleibt, dass die industrielaender sich
bei ihren investitionen in entwicklungslaendern den
standards zu unterwerfen haben, die bei ihnen zuhause gelten.
der vom ausschuss fuer verbrechensvorbeugung und
kontrolle erwogene gedanke eines internationalen
umweltstrafrechts ist richtig.
wir muessen verhindern, dass durch kriminelle
transportpraktiken aber auch durch ausnutzung der finanziellen
notlage mancher entwicklungslaender grosse gebiete der dritten
welt zur giftmuellhalde der ueberflussgesellschaften des
nordens gemacht werden. dem politischen und oekonomischen
kolonialismus der vergangenheit darf jetzt nicht der
giftmuellkolonialismus folgen.
der zusammenhang entwicklung - oekologie reicht jedoch
noch tiefer. viele entwicklungslaender sind durch ihre
oekonomische lage gezwungen, raubbau an ihren natuerlichen
ressourcen zu treiben. das verhaeltnis von oekonomie und
oekologie muss zu einem zentralen sachthema auf der
tagesordnung des nord-sued-dialogs werden. denn mit
der verletzung und schaedigung der natur verhaelt es sich
aehnlich wie mit der verletzung der menschenrechte: die
schaeden, die in einem land geschehen, gehen alle an.
wer wollte laenger noch bestreiten, dass es sich hier laengst
um aufgaben einer weltinnenpolitik handelt. deshalb
werden alle deutschen entwicklungsprojekte auf ihre
umweltvertraeglichkeit gruendlich ueberprueft. eine solche
ueberpruefung sollte in der entwicklungspolitischen
zusammenarbeit zwischen nord und sued fuer alle zur
slbstverstaendlichen regel werden.
wie gross die gefaehrdungen sind, denen wir alle ausgesetzt
sind, machen die veraenderungen des weltklimas deutlich.
das ozonloch ueber der erde vergroessert sich staendig. eine
vom deutschen bundestag eingesetzte kommission kam zu
dem ergebnis, dass eine klimakatastrophe auf der erde nur
vermieden werden kann, wenn innerhalb der naechsten
jahre bestehende internationale abkommen drastisch
verschaerft werden und die fuer das ozonloch verantwortlichen
treibgase bis zum jahre 2000 fast voellig verschwinden.
in den letzten 20 jahren haben als folge von
naturkatastrophen weltweit mehr als 3 millionen menschen ihr
leben verloren, mehr als 800 millionen menschen haben unter
den folgen von naturkatastrophen zu leiden gehabt, schaeden
sind in einer groessenordnung von mehr als 23 milliarden
dollar entstanden. die 42. generalversammlung der
vereinten nationen hat zu recht das letzte jahrzehnt dieses
jahrhunderts zur katastrophenschutzdekade erklaert.

immer zahlreicher werden die naturkatastrophen, die nicht
aus naturgegebenen ursachen ueber die menschen
hereinbrechen, sondern reaktionen der vom menschen
misshandelten natur sind.
die nachtraegliche heilung von katastrophenschaeden muss
ergaenzt werden durch praeventive massnahmen zur
frueherkennung und milderung von naturkatastrophen.
wissenschaft und technik sind schon heute dazu in der lage,
wenn wir unsere kraefte nur vereinigen. das ist ein gebot der
politischen und wirtschaftlichen vernunft, es richtet sich an
die ganze staatengemeinschaft. die ganze staatengemeinschaft
traegt die verantwortung fuer den zustand der uns
anvertrauten erde, die folgen von fehlentwicklungen
treffen uns alle.
die gentechnologie wird dem menschen schon bald die
macht geben, sich selbst zu veraendern. hieraus ergibt sich
die frage nach unserem selbstverstaendnis als menschen.
diese frage kann kein biogenetikerkongress, kein staat,
diese frage kann nur die menschheit beantworten. ihre
behandlung gehoert daher in die vereinten nationen.
lassen wir die besten, die weisesten aller voelker
zusammenkommen, damit sie uns raten, wo der mensch sich
selbst seine grenze setzen muss, wenn er sich nicht selbst
verraten, nicht selbst in seiner wuerde, in seiner einmaligkeit
aufgeben will. darauf muessen wir unser denken richten.
auch dafuer brauchen wir ein neues denken. in den
naturwissenschaften ist das verstaendnis fuer eine komplexe
gegenseitige abhaengigkeit und zugleich fuer ein
zusammenwirken unterschiedlicher elemente und prozesse schon
selbstverstaendlich.
auch die politik muss endlich als ein zusammenwirken ganz
unterschiedlicher menschen, staaten und systeme
begriffen werden, mit einem handlungsrahmen: der biosphaere,
in der wir leben, und mit einer verantwortungsdimension,
die ueber unsere zeit hinausfuehrt, die das ueberleben der
menschheit und der ganzen schoepfung umfasst.
lassen sie uns eine brandmauer eroeffnen gegen
misshandlung und zerstoerung der schoepfung. weil wir alle
davon abhaengen, dass dies gelingt, haengen wir auch alle
voneinander ab. diese abhaengigkeit zwingt alle zum verzicht
auf ueberlegenheitsstreben, zum verzicht auf ruestungswettlauf
und zur absage an die arroganz der macht und den
egoismus der staerkeren.
west und ost, nord und sued muessen ihre kraefte verbinden
in einer neuen verantwortung fuer unseren planeten und fuer
die zukunft der menschheit. wir duerfen nicht laenger fragen:
was tun unsere nachbarn fuer unsere erde? wir muessen uns
fragen: was koennen wir selbst, was koennen wir gemeinsam
dafuer tun?
wir brauchen angesichts dieser in der
menschheitsgeschichte einzigartigen verantwortung nicht zu
verzweifeln. wir haben keinen anlass zu kleinmut und
verzagtheit. die besten verbuendeten fuer die politik der
zukunftsverantwortung sind die voelker selbst.
die menschen wollen leben, ohne angst ohne not. sie
lassen sich nicht laenger zu objekten machen von
ausbeutung, von unterdrueckung und von machtpolitik. sie
fordern ihre menschenrechte ein, ihre buergerlichen und
ihre wirtschaftlichen und sozialen. sie sind bewegt und
bestimmt von der idee ihrer unveraeusserlichen menschenwuerde,
von der idee der freiheit und von der idee des
friedens.
herr praesident, nichts ist maechtiger als eine idee, deren
zeit gekommen ist. diese zeit ist da!