Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles,

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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Inklusion ist nicht abstrakt; sie umfasst eine Fülle von konkreten Schritten zur Verbesserung der Lage von Menschen mit Behinderungen. Mit diesen Worten kann man am besten beschreiben, worum es in dem Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, geht. Wir wollen die Lage für Menschen mit Behinderungen Schritt für Schritt barrierefreier gestalten und zu mehr Inklusion kommen. Dabei ist es wichtig, dass wir in Bewegung sind und die richtige Richtung eingeschlagen wird. Ich bin froh, sagen zu können: Ja, mit diesem Gesetz gehen wir voran. – Es wird nicht das einzige Gesetz bleiben, das die Inklusion in diesem Land voranbringt, schon bald werden weitere Schritte folgen.

Sicher, manchem geht es nicht schnell genug; das mag sein. Aber wenn man sich einmal anschaut, was wir bereits geschafft haben, dann merkt man auch, dass die regelmäßigen Reformschritte nach vorn dieses Land bereits gewaltig verändert haben. Ich gebe dazu ein konkretes Beispiel: Am Rande der Trauerfeier anlässlich des Todes von Hans-Dietrich Genscher war ich im Haus der Geschichte in Bonn. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Museen früher aussahen: Es gab Treppen und jede Menge Barrieren. Hier ist alles mit Rollstühlen erreichbar, es gibt Fahrstühle und barrierefreie Toiletten. Bei der Ausstellung wurde auch an Menschen mit Behinderung gedacht. Für Blinde gab es zum Ertasten von Objekten Handschuhe, die man sich ausleihen konnte.

Auch sonst: Kinder mit und ohne Behinderung besuchen dieselbe Kita und Schule. Nicht überall läuft das reibungslos, aber das ist mittlerweile das unbestrittene Ziel. Sie treffen sich in Vereinen. Es gibt viele Broschüren in leichter Sprache, Gebärdendolmetscher bei Veranstaltungen und die nötige Assistenz im Job. Das alles leider noch nicht überall – aber es ist viel selbstverständlicher geworden, und es ist unser Ziel, das alles überall anbieten zu können.

Ich sage dies deshalb, weil wir viel bewegt haben in den letzten Jahrzehnten. Trotzdem muss man sich klarmachen: Inklusion ist ein Prozess. Wir müssen dranbleiben und immer wieder fragen: Wo kann, wo muss es weitergehen? Seit der UN-Behindertenrechtskonvention betrifft dies alle Lebensfelder und alle politischen Bereiche. In der Tat wurde hier vorher zu eng gedacht. Wir gehen mit dem Nationalen Aktionsplan, der jetzt in der Ressortabstimmung ist, den nächsten Schritt, und mit dem Teilhabegesetz gehen wir einen weiteren.

Auch das Behindertengleichstellungsgesetz, das BGG, das wir heute beraten, symbolisiert einen echten Fortschritt. Seit 2002 regeln wir über das BGG die Barrierefreiheit in den Bereichen Bau, Verkehr und Infrastruktur bringen die Verwendung der Gebärdensprache und der leichten Sprache voran. Auch hier geht es ganz konkret weiter. Mit der vorliegenden BGG-Änderung wollen wir immer noch bestehende bauliche Barrieren in allen Bundesgebäuden endlich abbauen.

Das gilt auch für Barrieren innerhalb der Verwaltung. Mir selbst ist die Dimension erst in vielen Gesprächen klar geworden, nämlich dass interne Verwaltungsabläufe, zum Beispiel die Bearbeitung von elektronischen Akten, barrierefrei gestaltet werden müssen, damit wirklich alle daran mitarbeiten können. Dies ist Bestandteil dieser BGG-Novelle.

Eine weitere wichtige Neuerung ist eine Schlichtungsstelle bei der Behindertenbeauftragten Verena Bentele. Diese Schlichtungsstelle soll künftig bei Problemen rasch pragmatische Lösungen finden, wenn zum Beispiel eine Gebärdendolmetscherin oder eine Rampe abgelehnt werden. Es ist auch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir Verbände von Menschen mit Behinderung stärker fördern: 2016 mit einer halben Millionen Euro, danach mit einer Million Euro jedes Jahr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2016 wird ein Jahr wesentlicher und wichtiger Fortschritte auf dem Weg zur Inklusion: Weniger behindern, mehr möglich machen – das ist das Ziel. Weil das so ist, ärgert mich die Fundamentalkritik nach dem Motto: Weil wir nicht alles erreicht haben, ist alles Mist. Was das vorliegende Gesetz angeht, sage ich ganz offen: Ja, auch mir fehlt im BGG der private Sektor. Den hätte ich gern mit in das Gesetz einbezogen. Das ist nicht gelungen. Aber es wird beim nächsten Mal gelingen.

Jetzt setze ich darauf, dass das neue BGG die private Wirtschaft zum Mitmachen und Nachahmen anregt. Hier sind die Bundesbehörden Vorbild. Darum dürfen wir nicht gering schätzen, was wir jetzt hier erreichen. Von der Arbeitsagentur bis zum Zoll gibt es eine große Anzahl an Bundesbehörden, die ab jetzt mit gutem Beispiel vorangehen werden und Vorbilder und Treiber sind. Wenn zum Beispiel die BA bei der Barrierefreiheit vorangeht, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass die kommunalen Jobcenter nicht folgen werden.

Die Ressortabstimmung, die wir hatten, war gerade deswegen so schwierig und langwierig, weil so viele Behörden betroffen waren und weil wir diese baulichen Verbesserungen nicht nur für Neubauten, sondern auch für den Bestand erreichen konnten. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus danken, die sich in den letzten Wochen und Monaten engagiert und eingesetzt haben. Im Verfahren hier im Parlament ist es uns gelungen, wichtige Klarstellungen und Verbesserungen zu erreichen, die über den Gesetzentwurf hinausgehen.

Heute kann ich also sagen: Ich bin mit dem zufrieden, was erreicht worden ist – nicht, weil wir alle Wünsche und Erwartungen schon maximal umgesetzt haben, aber deswegen, weil es vorangeht. Das ist aber nun einmal ein Stück weit Demokratie; das sage ich hier an dieser Stelle auch.

Das ist für mich aber kein Grund zum Ausruhen; es ist keine Zeit für eine Pause. Das kommt nicht infrage. Wir müssen dranbleiben und den Prozess der Inklusion vorantreiben. Das Jahr 2016 wird uns ein gutes Stück weiterbringen – im Privaten, im Alltag und bei der Arbeit. Deshalb möchte ich Sie bitten, der Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes heute hier in diesem Hause zuzustimmen.