frieden durch verteidigung und entspannung - ansprache des bundespraesidenten in muenchen

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bundespraesident richard von weizsaecker hielt vor
der universitaet der bundeswehr zum thema: "frieden
durch verteidigung und entspannung" am 13. oktober
1989 in muenchen folgende ansprache:

i.
hier an der universitaet der bundeswehr in muenchen haben
sich hervorragende sachverstaendige der sicherheitspolitik
und strategie zusammengefunden, um im wege eines
wissenschaftlichen symposions bedingungen und zusammenhaenge
konventioneller stabilitaet in europa zu erarbeiten.
sie definieren kriterien einer verteidigungsfaehigkeit, die
in der lage sein soll zu reagieren, ohne offensiv oder
provokativ werden zu koennen. sie soll grundlage
gegenseitiger und gemeinsamer sicherheit werden.
noch vor wenigen jahren haette sich niemand in ost oder
west ein so intensives gemeinsames arbeitsgespraech
vorstellen koennen. ihre tagung ist ein wichtiger praktischer
beweis fuer entspannung.
in aufgeschlossener atmosphaere sind die regierungen
dabei, sich auf eine verminderung der streitkraefte und
waffen zu verstaendigen. sollte das gelingen, koennen sich
neue handlungsalternativen bieten. verminderung bietet jedoch
nicht automatisch groessere stabilitaet. deshalb ist das thema
ihrer tagung so bedeutsam, naemlich herauszufinden, wie
stabilitaet auf einem niedrigeren ruestungsniveau
gewaehrleistet wird.
zur loesung dieser frage mit analysen und gedanken
beizutragen, ist eine sehr wichtige aufgabe. ihre resultate
muessen in die ruestungskontrollverhandlungen eingehen.
es liegt in der natur der sache, dass ihre eroerterungen oft
auf einer hoehe der abstraktion stattfinden, die nicht
jedermann verstaendlich ist. dies mindert in keiner weise die
bedeutung ihrer begegnung. ich moechte den veranstaltern
und allen teilnehmern aus ost und west fuer ihre beteiligung
und ihre anstrengungen von herzen danken, das gewicht
ihrer arbeit oeffentlich unterstreichen und die bitte
aussprechen, auf diesem ermutigenden weg fortzufahren.
ihre bemuehungen haben ihr grosses gewicht auch fuer mein
heutiges thema, zu dem zu sprechen ich in ergaenzung zu
ihrem symposion eingeladen worden bin. wirksame
entspannung, die zu ruestungskontrolle und nachhaltiger
abruestung fuehrt, erfordert nicht nur verantwortliche gedanken
ueber chancen und risiken zukuenftiger stabilitaet auf
niedrigerem waffenniveau. wie wir alle deutlich erkennen, hat
sie auch wirkung auf die oeffentliche bewusstseinslage.
die beruhigung auf spannungsherden in asien, afrika und
zentralamerika, die verstaerkten ost-west-kontakte und
verhandlungen zwischen den grossmaechten und ihren
buendnispartnern und die reformprozesse innerhalb der
gesellschaften vermitteln den menschen bei uns ein bisher
ungewohntes gefuehl von mehr sicherheit.
wenn der eindruck der bedrohung schwindet, werden alte
fragen mit neuer dringlichkeit gestellt: bleibt die
abschreckung mit gefaehrlichen vernichtungswaffen unentbehrlich?
welchem auftrag und sinn dienen streitkraefte, wenn der
kalte krieg zu ende geht?
in einer demokratie gibt es keine sicherheitspolitik hinter
dem ruecken der bevoelkerung. aufgabe und umfang der
streitkraefte muessen der oeffentlichkeit verstaendlich, die
dazu notwendigen anstrengungen gewollt sein, sonst lassen sie
sich nicht durchsetzen. werden zweifel laut, gilt es
nachzudenken und die grundlagen und ziele der sicherheitspolitik
in einem sinne zu vertreten, der die bereitschaft zur
selbstueberpruefung und die faehigkeit zur ueberzeugung
erkennen laesst.

ii.
den willen zum frieden machen wir uns nicht gegenseitig
streitig, den haben wir alle. er manifestiert sich in akuten
lagen und in langfristigen perspektiven

- als nahziel, wenn es darum geht, gewalt und krieg zu
beenden oder zu verhueten, ein hauptbeispiel unserer
tage ist der libanon,

- in der anstrengung, dauerhafte, spannungsfreie,
gesicherte beziehungen der voelker zu erreichen.

beides greift ineinander. wir duerfen nicht unter dem
visionaeren einfluss einer erhofften friedensordnung die
unbequemen anstrengungen unterlassen, die wir brauchen, um
gewaltsame uebergriffe oder erpresserische einfluesse heute
und morgen zu verhindern. ebensowenig aber duerfen wir
unseren blick einseitig auf vorhandene ruestungen richten,
ihre zahlen und wirkungen als unumstoessliche politische
absicht interpretieren und uns dadurch von einer aktiven
politik in richtung auf eine dauerhafte friedensordnung
abbringen lassen.
wir alle kennen die vielfaeltigen ursachen von unfrieden. zu
ihnen gehoeren soziale trostlosigkeit und oekonomische
ungleichheit, rechtsverletzungen, ideologische
verblendungen oder machtpolitische herrschaftsansprueche, aber
auch militaerische konkurrenz und wechselseitige angst mit
der folge des ruestungswettlaufs. es genuegt nicht, entweder
die politischen spannungsprobleme oder die ruestung fuer
sich allein zu betrachten. beides kann unseren frieden
bedrohen.
gewiss ist, dass militaerische vorkehrungen und waffensysteme
zwar schuetzen sollen und koennen, aber nicht dazu beitragen,
die politischen spannungen zu entschaerfen. ihnen fehlt
der politische veraenderungswille. die menschen in ost und
west spueren dies. sie glauben nicht an einen europaeischen
frieden, der sich allein auf militaerische schutzmassnahmen
stuetzt, sondern sie wollen den frieden durch aktive
politische zusammenarbeit herbeifuehren.
dies fuehrt begreiflicherweise zu rueckfragen nach sinn und
zweck der sicherheitspolitik und nach ihrem beitrag zur
europaeischen zukunft. wir alle sind mit diesen fragen
verantwortlich befasst, die politik und das militaer,
wissenschaftler und publizisten. es ist hervorragend, dass die
universitaet der bundeswehr ihren beitrag durch gemeinsames
nachdenken mit teilnehmern aus ost und west dazu leistet. es
ist notwendig, dass das militaer selbst sich aktiv mit den
fragen beschaeftigt. dies geschieht sehr nachdruecklich, und
das ist gut so.
primaer aber ist es die aufgabe der politik, sich der
diskussion zu stellen und position zu beziehen. so schwierig
die fragen sind, sie muessen und koennen klar beantwortet und
verantwortlich vertreten werden. das ist es, was die politik
dem buerger und mit ihrem primatanspruch dem militaer
schuldet.

iii.
dass sich im zeichen der entspannung alte bedenken neu
beleben, kann niemanden verwundern. seitdem es
kernwaffen mit ihren unvorstellbaren vernichtungswirkungen
gibt, haben die menschen schwierigkeiten damit, die
androhung des einsatzes solcher waffen zu verstehen. die
gegenseitige abschreckung sichert den frieden, indem sie
die vernichtung dessen in aussicht zu stellen vermag, was
sie schuetzen will, naemlich leben ueberhaupt. wirkungsvoll
ist die abschreckung nur, solange sie faehig ist, die drohung
wahrzumachen. ausfuehren kann sie die drohung nur um
den preis der selbstvernichtung. es ist eine strategie
weniger des alles oder nichts als vielmehr in letzter
konsequenz des nichts.
innerlich verarbeitet haben die menschen diese gedanken
nie. wie sollten sie auch? sie haben sich aber an die
erfahrung gewoehnt, dass die gegenseitige abschreckung
nun schon so lange wie kaum je eine andere strategie in
unserer geschichte funktioniert. im kalten krieg mit seiner
politischen sprachlosigkeit zwischen ost und west nahm
man die risiken, die sich mit solchen waffensystemen
verbinden, eher in kauf. und heute?
auch heute bleibt die grundsaetzliche aufgabenstellung
dieselbe. auch in der gegenwart duerfen wir niemandem
erlauben, uns zu erpressen und seinen frieden aufzuzwingen.
wer auch immer versucht, gewalt anzudrohen oder
anzuwenden, muss sich einem fuer ihn unberechenbaren
und unertraeglichen risiko ausgesetzt sehen. wir
nennen das abschreckung, die franzosen sprechen von
"dissuasion". das trifft die sache besser, zumal in der
heutigen epoche. es gilt jedem denkbaren gegenueber
wirkungsvoll von jedem gedanken an gewalt in
unwiderleglicher weise abzuraten.
wir duerfen nicht glauben und behaupten, dass fortdauernde
abschreckung mit kernwaffen fuer immer den frieden
garantiert. auch muessen wir die fehlentwicklung gruendlich
korrigieren, die in der ebenso teuren wie gefaehrlichen atomaren
ueberruestung liegt. dem abkommen ueber die beseitigung der
mittelstreckenraketen muessen also weitere nachhaltigste
atomare abruestungsschritte folgen.
ebenso klar aber ist zu sagen, dass es eine realistische
alternative zur atomaren sicherheit nicht gibt. wir duerfen
nicht die wirklichkeit mit hoffnungen auf einen zustand
beschoenigen, der ausserhalb unserer heutigen reichweite
liegt. der entspannungsprozess zwischen ost und west wird
in der fuer uns heute absehbaren zukunft auf kernwaffen
nicht verzichten koennen.

iv.
der spezielle themenbereich der kernwaffen ist nur ein teil
der allgemeinen frage nach der sicherheitspolitik im zuge
eines immer wirkungsvoller werdenden
entspannungsprozesses. wer oder was bedroht uns? wovor und
womit muessen wir uns schuetzen? eine antwort moechte ich mit
einem kurzen rueckblick auf die nachkriegsentwicklung
verbinden.
alsbald nach dem krieg wurden aus alliierten gegner. das
ost-west-verhaeltnis verschaerfte sich immer mehr. schwere
krisen waren zu bestehen. beide seiten folgten dem
konzept, sicherheit zu erruesten. der anfaenglichen eindeutigen
ueberlegenheit der amerikaner begegnete die sowjetunion
mit massiven anstrengungen, um gleichzuziehen und den
status der anderen supermacht zu erreichen.
trotz fortbestehender politischer konfrontation kam es im
angesicht der immer bedrohlicheren atomaren potentiale an
der wende zu den siebziger jahren zu ersten ernsthaften
kontakten der ruestungskontrolle. die versuche,
entspannung zu erreichen, nahmen ihren anfang. es war die phase
von salt und von der neuen, in der bundesrepublik
deutschland begonnenen ostpolitik.
dennoch gingen im schatten oder im schutz der damals
erzielten vereinbarungen die ruestungen weiter. nicht allein,
aber, was die moskauer fuehrung heute einraeumt, primaer
war es die sowjetunion, die die siebziger jahre nutzte, um
ihr strategisches potential und ihre konventionellen
streitkraefte zu modernisieren und zu vermehren. die vor- und
nachruestung der mittelstreckenraketen und die expansiven
sowjetischen eingriffe, vor allem in afghanistan, liessen die
erste phase konstruktiver ost-west-beziehungen beinahe
vergessen.
der gedanke der entspannung hatte sich dennoch
eingewurzelt. vor allem die 1975 abgeschlossene konferenz fuer
sicherheit und zusammenarbeit in europa mit ihrer
schlussakte von helsinki hatte ein neues kapitel eingeleitet.
es waren am anfang der achtziger jahre weniger die
zwischenstaatlichen verhandlungen als vielmehr
innergesellschaftliche aufbruchbewegungen und reformprozesse,
die sich allmaehlich auch auf die internationale lage
entschaerfend auswirkten.
solidarnosc in polen, die offenheit der ungarn und in erster
linie das neue denken in der sowjetunion unter fuehrung von
gorbatschow spielen dabei die bis heute wichtigste rolle.
noch blieb die innerwestliche debatte ueber die
sicherheitspolitik zunaechst von wechselbaedern gepraegt.
ueberschwengliche hoffnungen und tiefes misstrauen loesten
sich ab oder lagen in konflikt miteinander. selbst von der
amerikanischen fuehrung hoerte man einerseits die
ankuendigungen, nun wuerde ueber die beseitigung saemtlicher
kernwaffen zu verhandeln sein, andererseits aber die sorge, dass
europaeische buendnispartner der "gorbimanie" verfallen seien,
waehrend moskau weiterrueste, anstatt seinen friedlichen
worten entsprechende taten folgen zu lassen.
mit grossem recht wird bei uns im westen immer wieder
gefordert, wir sollten unsere eigenen interessen vertreten
und nicht die von gorbatschow. der stellvertretende
amerikanische aussenminister eagleburger hat dies vor wenigen
wochen nachhaltig bekraeftigt. genau dies muessen wir tun,
selbstverstaendlich. und eben diese unsere interessen
wuerden wir verletzen, wenn wir uebersaehen, wie sehr es
unseren eigenen zielen schaden wuerde, wenn das neue denken
in der sowjetunion ohne praktische folgen bliebe oder gar
scheiterte.
zwei entwicklungen sind es vor allem, die die reformen
ausgeloest oder beschleunigt haben. zum einen ist es der
ksze-prozess, der die menschen mit neuem mut erfuellt und
es auch regierungen erschwert, ihnen noch laenger die
politische mitbestimmung und freizuegigkeit vorzuenthalten.
ohne die schlussakte von helsinki - um nur ein beispiel zu
nennen - haette solidarnosc wohl kaum zur bestimmenden
demokratischen kraft in polen werden koennen.
zum anderen ist es die einsicht der heutigen moskauer
fuehrung, dass die sowjetunion ihre weltmachtstellung nur
halten kann, wenn sie, gemessen am globalen massstab,
wissenschaftlich, technologisch und wirtschaftlich
wettbewerbsfaehig wird. heute ist sie dies nur in bestimmten
sektoren, vor allem im bereich der ruestungen und der raumfahrt,
aber kaum darueber hinaus.
in aller offenheit diskutiert die sowjetische fuehrung darueber,
dass sie ihre voellig einseitigen mittelzuweisungen umsteuern,
ihr system aendern und ihre gesellschaft modernisieren und
demokratisieren muss. dies kann ihr nur gelingen, wenn sie
das vitale interesse und die aktive mitarbeit ihrer eigenen
buerger fuer die umgestaltung gewinnt.
die fuehrung darf also die stimme der menschen nicht
unterdruecken, sie muss anreize zur partizipation schaffen,
zentrale lenkung durch eigenverantwortlichkeit ersetzen,
willkuer durch rechtsstaatlichkeit.
man denke allein an die gewaltigen aktuellen engpaesse im
transport- und verteilungssystem, die die schwaechen der
zentralen steuerungen aller wirtschaftsprozesse und den
mangel an initiative offenbart. kein denkender mensch wird
sich ueber die schwierigkeiten hinwegtaeuschen. der
uebergang zur freiheit im politischen und gesellschaftlichen
sinn ist, zumal gemessen am dortigen ausgangspunkt, voller
risiken. auch wird sich niemand darueber taeuschen, dass
gorbatschow die reformen nicht sucht, um uns einen
gefallen zu tun. es geht ihm um die position seines eigenen
landes und lagers.
die mittel aber, die er dazu einsetzen muss, wirken in unserer
richtung: menschenrechte, friedlicher wettbewerb statt
ruestungswettlauf, zusammenarbeit zur loesung der
draengenden globalen fragen. unser interesse ist es, dass
gorbatschow auf diesem weg erfolg hat. das haengt primaer
von der sowjetunion selbst ab. was wir aber dazu beitragen
koennen durch wirtschaftliche und wissenschaftliche
kooperation und durch konstruktive energie bei den
ruestungskontrollverhandlungen, muss geschehen. ich wiederhole:
in unserem ureigensten interesse.

v.
eine sowjetunion, wie gorbatschow sie anstrebt und
braucht, vermindert frueher bestehende bedrohungen. er
versteht sich aber gewiss nicht als konkursverwalter
sowjetischer grossmachtinteressen. unsere eigene sicherheit
bleibt unsere eigene aufgabe.
vor mehr als zwanzig jahren hat sich das atlantische
buendnis die harmel-doktrin gegeben: verteidigung und
entspannung als untrennbare bestandteile der sicherheitspolitik.
diese leitlinie hat sich bewaehrt und sie ist aktueller denn je.
die faehigkeit zur verteidigung ist erhalten geblieben, die
aktive entspannungspolitik traegt ihre fruechte.
nun duerfen wir nicht den erfolg des doppelkonzepts zu
seiner krise werden lassen.
fuer die entspannung bedeutet dies die entschlossene
fortsetzung der laufenden verhandlungen. mit dem abkommen
ueber die mittelstreckenraketen ist eine bedeutende aufgabe
sorgfaeltig und zuegig geloest worden. die konventionelle
thematik wirft weit kompliziertere fragen auf. das bisherige
verhandlungsklima laesst jedoch noch vor jahresfrist eine
erste verstaendigung erhoffen. im bereich der chemiewaffen
ist es trotz der besonderen schwierigkeiten der verifikation
vor allem wegen der gefahren der proliferation um so
notwendiger, dass es sehr bald zu einer umfassenden
vertraglichen regelung durch die grossen maechte kommt.
ueber den ruestungskontrollsektor hinaus sind umfangreiche
felder des internationalen bildungsaustausches,
gemeinsamer wissenschaftlicher und wirtschaftlicher projekte
und auch der materiellen hilfe zu bearbeiten. was der westen
bilateral und multilateral bisher zum beispiel polen
gegenueber ins auge fasst, geht zwar in die richtige richtung,
reicht aber bei weitem noch nicht aus. je aktiver der westen
die chancen der zusammenarbeit wahrnimmt, desto besser
sieht es fuer reformen in richtung demokratie, rechtsstaat
und sicherheit aus.
die aufgabe der verteidigung, des anderen teiles des
harmel-konzeptes, ist damit keineswegs ueberfluessig
geworden. verteidigungsbereitschaft ist nichts anderes als das
standbein einer politik der verstaendigung. wir haetten keine
entspannungserfolge erzielt, wenn unser verteidigungswille
unglaubhaft geworden waere. wir sind kein willenloses
werkzeug anderer maechte und wollen es auch nicht werden.
wir haben einen aktiven beitrag fuer die friedliche
entwicklung europas zu leisten. wir koennen massgeblich daran
mitwirken, dass zwischenstaatlich und innergesellschaftlich
entspannung und freiheit wachsen. so wie dies in der
vergangenheit nur moeglich wurde, weil unsere
verteidigungsfaehigkeit glaubhaft blieb, so ist es auch in
zukunft. nur wer sich schuetzen kann und will, wird ernst
genommen und gehoert, auch und gerade im entspannungsdialog.
eine sich veraendernde welt, in der die friedliche
zusammenarbeit zunimmt, stellt auch anforderungen an neues denken
fuer die verteidigung. unterstaatssekretaer eagleburger hat in
seiner schon erwaehnten rede mit recht konstatiert, dass das
beziehungsgeflecht der beiden grossmaechte im kalten krieg
trotz aller seiner risiken bemerkenswert stabil und
berechenbar gewesen sei. er spricht davon, dass international
nicht nur chancen, sondern auch neue unsicherheiten mit
einer pluralisierung der einfluesse und mit einem wandel der
gesellschaften im warschauer pakt-bereich verbunden seien.
diese gewiss zutreffenden feststellungen helfen uns
indessen nur dann weiter, wenn wir daraus nicht die untaugliche
konsequenz ziehen wuerden, den wandel zu bagatellisieren
oder ihn gar zu behindern. verteidigung muss glaubwuerdig
bleiben, sowohl nach aussen als auch in der eigenen
gesellschaft. der internationale veraenderungsprozess ist im
gang. er ist in unserem interesse, denn er dient den zielen des
menschen und der abnahme der bedrohung in europa.
deshalb stellen wir uns auf ihn ein.
dennoch sind die folgen dieses wandels fuer die sicherheit
im einzelnen schwer berechenbar. um so mehr muessen wir,
gerade weil wir ihn wollen, nicht nur verstaendigungs-,
sondern auch verteidigungsbereit bleiben. fuer die
willensbildung im westen ist dies nicht immer eine erleichterung,
das wissen wir alle. und es hat deshalb auch schon manche
harte diskussionen gegeben. aber damit werden wir fertig,
sowohl zu hause als auch im buendnis. die erfahrung
lehrt es.
verteidigung bleibt wie bisher eine der notwendigen
bedingungen unserer sicherheits- und aussenpolitik. wenn auch
auf niedrigerem niveau, ohne feindbilder und ohne
beeintraechtigung unserer beitraege zur entspannung, so muessen
wir uns doch um unserer freien handlungsfaehigkeit willen
schuetzen. wir koennen es und wir werden es auch tun.

vi.
aufgabe der politik ist es, nicht nur die marschroute fuer
verteidigung und entspannung festzulegen, sondern sie
auch schluessig in der oeffentlichkeit zu vertreten. im
demokratischen wettbewerb der parteien um die zustimmung der
waehler gibt es da manche versuchungen, sich zweideutig
aus der affaere zu ziehen.
auf der einen seite steht dann das bekenntnis der politiker
zum verfassungsauftrag und zur politischen bedeutung der
militaerischen friedenssicherung. es wird vom dank und
respekt fuer den dienst der soldaten begleitet. auf der
anderen seite dagegen melden sich die bedenken und
beschwerden aus den wahlkreisen. sie betreffen grosse und
kleine fragen:

- klagen ueber den dienstbetrieb, wie sie der
wehrbeauftragte eindrucksvoll zusammenfasst,

- belastungen durch die erforderliche zunahme von
reserveuebungen,

- folgen fuer den oertlichen arbeitsmarkt im falle der
reduktion oder schliessung militaerischer standorte,

- tieffluege, manoever, ausbildungsbetrieb und ihre
auswirkungen.

mit allen diesen fragen sind wahrlich ernstzunehmende
probleme verbunden. loesungen sind oft nur mit grossem
zeitaufwand, mit viel muehe und kompromissbereitschaft zu
finden. so ist es immer im leben. vom politiker wird keine
haltung des alles oder nichts erwartet, sondern offenheit
fuer die konflikte und hilfe bei ihrer loesung.
fuer seine glaubwuerdigkeit und wirksamkeit ist es freilich
entscheidend, dass er dabei nicht mit zwei zungen spricht.
wer im wahlkreis hoffnungen auf den wegfall von
tieffluegen erweckt, fuer die er sich spaeter im parlament nicht
einsetzt, wer sich in der zentrale fuer truppenverminderungen
ausspricht, ihr aber wegen der wirtschaftlichen folgen
zu hause widerspricht, der macht die loesungen nicht
leichter und sich selbst keinen besseren namen.
die sicherheitspolitik ist eine besonders schwierige und
wichtige nagelprobe fuer den mandatstraeger. er muss die
stimmungen seiner waehler kennen und ihre forderungen
ernst nehmen, aber nach gewissenhafter pruefung zu einer
eigenen verantwortlichen position gelangen und sich
unzweideutig fuer sie einsetzen. so verlangt es die
verfassung, und darauf sind vor allem auch die streitkraefte
angewiesen, sonst koennen sie den dienst nicht leisten, den
die buerger und die politiker von ihnen erwarten.

vii.
lassen sie mich noch einen allgemeinen gedanken
hinzufuegen. wir koennen dankbar dafuer sein, bei uns zu hause
in einer zeit des friedens und - verglichen mit den meisten
staaten der welt - des wohlstands zu leben. das traegt
freilich dazu bei, dass die privaten ziele der menschen an
bedeutung gewinnen und dass auch die bequemlichkeit
waechst. darueber sollte niemand jammern. hinzu kommen
die grossen entwicklungen der wissenschaft und
technologie, die zwar in ihren ablaeufen und folgen oft schwer
zu uebersehen sind, aber schritt fuer schritt menschliche
arbeit durch technik ersetzen.
daraus ergibt sich die neigung, persoenliche anstrengungen
als unzeitgemaess zu empfinden und sie von den apparaten
und aggregaten der gesellschaft und technik zu erwarten.
es bedarf nur noch eines schrittes, diese mentalitaet auch
auf die loesung der sicherheitsfrage zu uebertragen: man will
verteidigungsdienste lieber kaufen als selbst leisten. das ist
in der geschichte noch nie gutgegangen.
auch hier gilt es, das kind nicht mit dem bade auszuschuetten.
wir wollen nicht in moralischen rigorismus verfallen
oder unsinnige generationskonflikte austragen. koerperliche
uebung schadet nicht, aber niemand verlangt, dass
infanteristen heute wieder mehr laufen sollten, nur weil wir
frueher immer laufen mussten.
es gibt keine wirksame verteidigung, die man dem staat
ueberlassen kann, ohne sich selbst daran zu beteiligen, und
zwar ueber steuerzahlungen hinaus. wir haben und wir
produzieren in der bundesrepublik deutschland keine
kernwaffen, und wir verfuegen nicht ueber sie. dazu haben wir
uns selbst verpflichtet, so wird es bleiben, und das ist gut.
unsere waffentechnologie ist leistungsfaehig, aber sie
ersetzt den persoenlichen einsatz nicht. wollten wir auf ihn
verzichten, wuerden wir den wert unserer freiheit
preisgeben und uns fremden einfluessen unterwerfen.
und was heisst "dem staat ueberlassen"? wer ist der staat?
er ist kein uebergeordneter apparat, kein
beherrschungssystem, aber auch kein automat zur produktion von
dienstleistungen aller art. vielmehr ist der staat die
einrichtung der freien buerger fuereinander und miteinander,
die sie brauchen, um menschenwuerdig zusammenzuleben und um
nach aussen und innen frei zu sein.
wir selbst sind der staat. wenn wir unseren staat schuetzen,
schuetzen wir uns. geschehen kann dies glaubwuerdig nur
durch uns selbst.
die streitkraefte sind kein fremdkoerper in unserer
gesellschaft, sie sind ihr bestandteil. die bundeswehr steht
uns nicht als agentur fuer verteidigung gegenueber, wir selbst
sind die bundeswehr. die bundeswehr teilt die interessen
unserer gesellschaft, wie die gesellschaft die interessen der
bundeswehr teilt. alle moeglichkeiten der politik, alle
notwendigkeiten des handelns in die zukunft betreffen
den staat und in ihm die bundeswehr. deshalb sind wir
leidenschaftlich daran interessiert, dass man bei ihr die
eigene pflicht wahrnimmt und die mitmenschen zu achten
lernt.
aber weil die bundeswehr teil der gesellschaft ist, ist sie
auf die gepflogenheiten und tendenzen in dieser
gesellschaft angewiesen. es ist und bleibt aufgabe der familien
und schulen, der gewerkschaften und arbeitgeber, der
medien und der politiker inmitten von wohlstand und
frieden den unentbehrlichen wert der eigenen leistung fuer das
gemeinwesen nicht aus dem auge zu verlieren, damit die
notwendigkeit der verteidigung zu erkennen und der
bundeswehr bei der erfuellung ihrer pflichten zu helfen.
unser land wird alles in seinen kraeften stehende tun, um
international zusammenzuarbeiten, zu helfen,
reformprozesse zu foerdern und damit auch zur verminderung von
bedrohung gegen uns beizutragen.
wir werden es nur dann tun koennen, wenn wir zum schutz
unserer freiheit bereit und in der lage bleiben. das ist es,
was uns politikfaehig macht, und das wollen wir bleiben.