Rede des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel,

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Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Dies ist der fünfte Haushalt, den ich als Bundesfinanzminister einbringe. Zweifelsfrei ist es der Haushalt mit den bisher größten Risiken. Das größte Risiko besteht allerdings darin, dass insbesondere Sie von der Union in dieser kritischen Situation unseres Landes überhaupt nicht wissen, was Sie im Bundesrat, in dem Sie eine entscheidende Verantwortung tragen, selbst wollen. Darauf werde ich im Zuge der Haushaltseinbringung im Einzelnen noch zurückkommen.

Ich habe gesagt, dass es in der Tat der Haushalt mit den größten Risiken ist. Im Jahre 1999 sind wir mit einer Haushaltskonsolidierung gestartet, durch die wir, bezogen auf den Bund, in den Jahren 1999, 2000 und 2001 Erfolge erzielt haben. Im Jahre 2000 hatten wir die mit großem Abstand geringste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung. Sie betrug 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das war weniger als die Hälfte von dem, was Sie drei Jahre vorher noch abgeliefert hatten.

Wahr ist aber, dass durch die dreijährige wirtschaftliche Stagnation das meiste von dem, was wir erreicht hatten, wieder infrage gestellt wurde. Die entscheidende Frage ist, wie wir da wieder herauskommen. Das ist Gegenstand unseres Konzepts.

Im vorigen Jahr, also im zweiten Jahr der wirtschaftlichen Stagnation, belief sich das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts nach der Maastricht-Abgrenzung auf 74 Milliarden Euro. In diesem Jahr wird es möglicherweise noch etwas mehr sein. Wenn wir nicht eingreifen, wird dies im nächsten Jahr in gleicher Weise der Fall sein. Diese Situation des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der sozialen Sicherungssysteme kann nicht hingenommen werden.

Dabei ist eines klar: Wer sich die Haushaltspolitik genau ansieht, stellt fest, dass alle Konsolidierungsmaßnahmen, die wir 1999 eingeleitet haben, auch in den Haushalten voll gegriffen haben.

Als Folge der Stagnation der letzten drei Jahre haben sich zwei Dinge verändert:

Erstens: Die Steuereinnahmen sind weggebrochen und zweitens sind die Ausgaben für den Arbeitsmarkt wesentlich höher.

Das macht sich überall bemerkbar. Für den Bundeshaushalt gilt dies in besonderer Weise, weil er sowohl von der Einnahmeseite – den wegbrechenden Steuereinnahmen – als auch von der Ausgabenseite her – ich nenne die Ausgaben für den Arbeitsmarkt – betroffen ist. Die Länder werden an dieser Stelle übrigens nicht in gleicher Weise belastet. Bei den Kommunen ist das schon eher der Fall, weil die Kosten der Sozialhilfe voll auf sie durchschlagen. Bei den sozialen Sicherungssystemen macht sich das durch Defizite – zum Beispiel bei den gesetzlichen Krankenkassen – bemerkbar; heute wird ja noch über die Reformen im Gesundheitswesen beraten. Das sind die Folgen von drei Jahren Stagnation.

Übrigens gibt es diese Stagnation nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa. Wer jetzt nach den Ursachen fragt, der kommt zu einem ganz einfachen Ergebnis. Sehen wir uns den Unterschied zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2001 an. Im Jahr 2000, in dem wir die mit großem Abstand niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung und ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent hatten, verzeichneten die Vereinigten Staaten als Lokomotive der Weltwirtschaft ein Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent. In 2001 hatten sie nur noch eines von 0,3 Prozent. Das war ein richtiges Entgleisen der Lokomotive der Weltwirtschaft. Wie eng der Zusammenhang zwischen den Vereinigten Staaten, der Weltwirtschaft und uns ist, hat der Sachverständigenrat in seinem entsprechenden Gutachten deutlich gemacht. Das bedeutet auch bei uns einen Absturz von 2,9 Prozent – das hatten wir ursprünglich berechnet – auf 0,6 Prozent beziehungsweise 0,8 Prozent, wie wir heute wissen.

Die enge Verflechtung unseres Landes mit der Weltwirtschaft und seine große Stärke im Welthandel wird auch in Zukunft Bestand haben. Diese Stärke hat sich auch in diesen schwierigen Zeiten bewährt; aber sie bedeutet zugleich, dass wir das Auf und Ab der Weltwirtschaft mehr zu spüren bekommen als viele andere.

Deutschland hat auch eigene Wachstumsschwächen. Wir haben die EU-Kommission gebeten, diese Wachstumsschwächen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zu untersuchen. Übrigens will ich mit diesem Thema keinen Streit auslösen. Aber Sie werden schon merken, dass jeder sein Päckchen selber tragen muss.

Was ist das Ergebnis dieser Untersuchung? Etwa zwei Drittel der deutschen Wachstumsschwäche, also der größte Teil, sind Folgen der Wiedervereinigungspolitik. Ich meine das gar nicht negativ; denn eines ist klar: Das, was wir politisch machen mussten, muss kein anderes Land in Mittel- und Osteuropa ökonomisch leisten. Alle anderen Volkswirtschaften können sich der Europäischen Union erst dann anschließen, wenn sie eine funktionierende Marktwirtschaft und wettbewerbsfähige Betriebe haben. Beides war in der ehemaligen DDR nicht vorhanden. Trotzdem haben wir uns sozusagen über Nacht wiedervereinigt und die ostdeutsche Wirtschaft der Weltwirtschaft ausgesetzt.

Die Folgen, die politisch zwingend waren, aber ökonomisch einen Prozess der Massenarbeitslosigkeit und der Deindustrialisierung der alten DDR mit sich brachten, zu bewältigen dauert eine ganze Generation. Dies hätte besser am Anfang gesagt werden sollen, damit klar geworden wäre, wo die Probleme liegen.

Ich will das im Einzelnen gar nicht weiter ausführen. Aber eines muss deutlich gemacht werden: Dies ist ein besonderes Paket, das wir zu tragen haben und auch gerne tragen. Man darf jedoch nicht, wie es damals passiert ist, den Menschen vormachen, dass die Wiedervereinigung aus der Portokasse bezahlt werden könne. Man muss ehrlich sagen: Dies bedeutet, eine ganze Generation von Deutschen muss mehr als alle anderen arbeiten, um die Folgen der Wiedervereinigung wirklich meistern und die Vereinigung vollziehen zu können. Das ist so.

Jedes Jahr wird in der Größenordnung von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Transfer in die neuen Bundesländer verwendet. Davon wird ein erheblicher Teil in die sozialen Sicherungssysteme gesteckt. Dieser Anteil wird nämlich als Ausgleich zwischen Ost und West in Deutschland benötigt, weil es andernfalls zu einem Auseinanderbrechen käme. Sie sollten sich daran erinnern, dass Ihr Kanzlerkandidat genau diesen solidarischen Zusammenhang zwischen Ost und West infrage gestellt hat. Eine Konsequenz davon war, dass man ihm in Ostdeutschland nicht vertraut hat. Diese Solidarität mit Ostdeutschland müssen wir aufbringen und auch ökonomisch abarbeiten.

Es gibt auch hausgemachte Probleme, auf die ich gleich zu sprechen komme. In einer solchen Lage – warum sollte man darum herumreden? – muss alles auf den Tisch; denn nur das, was klar angesprochen wird, kann auch gelöst werden. Allerdings muss klar sein: Unser Land steht nicht am Abgrund. Es ist, gemessen am Weltmaßstab, ein außerordentlich starkes Land, wie unsere Position im Welthandel jedes Jahr erneut beweist.

Ich verweise auf die Internationale Funkausstellung, die gerade zu Ende gegangen ist, oder die Internationale Automobilausstellung, die vor uns liegt. Lesen Sie auch, was die Chefs der großen Unternehmen, die in Deutschland investieren, über den Standort Deutschland sagen, zum Beispiel Jürgen Schrempp. Man muss zwar mit ihm nicht immer einer Meinung sein; aber er weiß, wovon er redet, wenn er Standorte in der Welt vergleicht. Wenn er den Standort Deutschland für sehr gut hält und in Deutschland investiert, dann heißt das: Wir haben eine Chance, unsere Probleme zu lösen. Wir befinden uns nicht in einer Position der Schwäche, sondern in einer Position der Stärke, aus der heraus wir unsere Probleme anpacken können.

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Die erste Herausforderung – ich habe sie erwähnt – ist die Gestaltung der deutschen Einheit. Wo gibt es das denn, dass ein Solidarpakt II, wie wir ihn ausgehandelt haben, mit einer Laufzeit von 15 Jahren und fünf Jahre im Voraus abgeschlossen wird? Das ist eine Zusage an unsere "ostdeutschen Brüder und Schwestern", wie wir früher gesagt haben, an unsere Landsleute, dass sie sich darauf verlassen können: Die innere Einheit Deutschlands wird hergestellt! Aber das muss erarbeitet werden. Wir haben eine besondere Chance und Herausforderung durch die europäische Einigung, insbesondere durch die Osterweiterung der Europäischen Union. Ich will darauf hinweisen, dass die Wachstumsraten in den mittelosteuropäischen Reformstaaten relativ hoch sind und unser Handel mit ihnen bereits unseren Handel mit den Vereinigten Staaten überschreitet. Daran sieht man, welche Chancen in diesem Bereich liegen.

Als Finanzminister sage ich aber auch, ohne gegenwärtig über Zahlen zu reden: Von 2007 bis 2013, bei der nächsten finanziellen Vorausschau, wird es ein knüppelhartes Geschäft werden, zu erreichen, dass der deutsche Staatshaushalt dann die Kosten der Erweiterung tragen kann, die auf uns zukommen. Ich sage einmal an den spanischen Ministerpräsidenten gewandt: So wie er können auch wir verhandeln.

Der entscheidende Punkt, die Konsequenz langer Fehlentwicklungen, ist der demographische Wandel. Jetzt muss ich einmal einige Zahlen nennen. Schauen Sie sich den Bundeshaushalt von 1961 an. Damals mussten wir gerade einmal 16 Prozent des Bundeshaushalts als Zuschuss an die Rentenversicherung zahlen. Das war zu einem Zeitpunkt, als auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter, das heißt zwischen 20 und 60 Jahren, 33 kamen, die im Rentenalter waren. Heute ist der Bundeszuschuss an die Rentenversicherung bereits bei einem Drittel des Bundeshaushalts angelangt. Gleichzeitig aber ist die Zahl der Rentner, bezogen auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter, auf 44 gestiegen. Lassen Sie mich eine Generation oder noch etwas weiter denken, nämlich bis zum Jahr 2050. Dann lautet das Verhältnis nicht mehr 44 zu 100, sondern mindestens 80 zu 100. Daran wird die Dramatik der Alterung unserer Gesellschaft sichtbar. Auch das wird in diesem Herbst noch Gegenstand unserer Debatte und von Vorschlägen der Bundesregierung sein.

Es ist schön, dass wir immer älter werden, und wir wollen das genießen. Dass wir aber so wenig Kinder haben und weltweit auf einem der letzten Plätze stehen, ist ein Drama für die Familien- und Gesellschaftspolitik in diesem Lande. Das muss nicht so sein; das hätte auch anders sein können. Darauf geben wir Antworten, und zwar keine, die kurzfristig wirken. Das weiß wohl jeder.

Ich möchte ein Wort zu den innerdeutschen Verhältnissen sagen. Man kann und muss vieles kritisch über die DDR sagen, weil sie eine Diktatur war und man diese nicht akzeptieren konnte. Aber die Ostdeutschen sind mit einer jungen Bevölkerung in das wiedervereinigte Deutschland gekommen. Die Frauen dort und fast überall in Europa hatten und haben mehr Chancen, Kinderwunsch und Berufstätigkeit zu verbinden als bei uns im Westen. Darüber muss nachgedacht und daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Wir tun das. Wir brauchen Reformen für ein nachhaltiges Wachstum und für Konsolidierung. Denn eines ist klar geworden: Es gibt – anders als ich zu dem Zeitpunkt betont habe, der Konsolidierungskurs eingeleitet wurde und wir ein Wirtschaftswachstum hatten – keine Haushaltskonsolidierung ohne nachhaltiges Wachstum. Es gibt allerdings auch kein nachhaltiges Wachstum ohne konsolidierte Staatsfinanzen. Das eine wie das andere sind zwei Seiten derselben Medaille.

Deswegen musste der Reformstau aufgehoben werden, der Ihre Politik in den letzten 16 Jahren gekennzeichnet hatte. Wir haben damit durch die Einleitung der Haushaltskonsolidierung, die Steuerreform und die Einführung der kapitalgedeckten Altersvorsorge begonnen. Aber ich stehe nicht an zu sagen: Das war zu wenig. Es war zu wenig, um unser Land durch diese Fährnisse zu bringen. Wir müssen das Reformtempo drastisch erhöhen und wir müssen unser Land auf allen Feldern der Gesellschaft modernisieren. Das ist das Konzept, das wir Ihnen vorlegen. Das ist anstrengend und das muss in diesem Herbst verabschiedet werden. Was wir Ihnen vorlegen – übrigens liegt bereits ein Großteil davon zur Beratung im Hause vor; ein weiterer Teil ist schon im Bundeskabinett verabschiedet worden, sodass nur noch wenige Punkte im Kabinett verabschiedet werden müssen –, ist ein Dreiklang aus Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Dieses Paket enthält Zumutungen für sehr viele, ja für alle. Denn wenn im öffentlichen Gesamthaushalt ein Defizit von 70 bis 80 Milliarden Euro besteht, dann kann dies nicht beseitigt werden, ohne dass es alle merken. Es kann auch nicht beseitigt werden, ohne dass alle – jedenfalls die bedeutenden Gruppen dieses Landes, sofern sie politische Verantwortung tragen – zusammenwirken. Wir leben schließlich im Föderalismus und nicht in einem Zentralstaat.

Dabei sind sehr viele Besitzstände nicht nur infrage zu stellen, sondern abzuschaffen. Das geht gar nicht anders, wenn man die Zukunft gewinnen will. Ich glaube schon, dass die Menschen dazu bereit sind, aber – das ist der entscheidende Punkt – unter einer Voraussetzung: dass sie sehen, dass auch wirklich jeder seiner Leistungsfähigkeit entsprechend seinen Beitrag leistet.

Ich sage mit aller Freundlichkeit - zu der ich auch in der Lage bin -, aller Zurückhaltung und Vorsicht - wir werden noch über die Gesundheitsreform diskutieren -: Auch ich als Finanzminister stehe zu dem, was Sie verabredet haben und bin froh darüber, dass wenigstens an dieser Stelle ein Zeichen der Zusammenarbeit gesetzt werden konnte. Passen Sie aber bei dem, was Sie mitgestalten, auf, dass Sie die Klientel, von der Sie meinen, dass Sie sie vertreten müssen, genauso gerecht in die Zumutungen mit einbeziehen, wie auch alle anderen einbezogen werden! Ich bin Graf Lambsdorff und Herrn Professor Pinkwart sehr dankbar dafür, dass sie dies auf der FDP-Seite in aller Offenheit ausgesprochen haben. Ich bitte Sie sehr herzlich, dies auch in der großen Volkspartei CDU/CSU so zu diskutieren.

Denn wir werden in einer Demokratie den großen Reformprozess, der vor uns liegt und der enorm anstrengend ist, nur dann bewältigen können, wenn ihn die Menschen akzeptieren und diesen Weg mitgehen. Sie werden ihn aber nur dann akzeptieren, wenn sie nicht meinen, einige seien privilegiert und blieben außen vor, während sie selbst das ganze Päckchen tragen müssten. Das geht nicht an. Es unterminiert den gesamten Prozess und damit unsere Zukunftsfähigkeit.

Zu dem ersten Punkt, den wir zu entscheiden haben, nämlich zu den Strukturreformen, will ich nur wenig sagen, weil Ihnen bereits alles vorliegt oder in sehr kurzer Zeit vorliegen wird. Worum geht es? Es geht zum einen darum, die sozialen Sicherungssysteme – ich habe Ihnen die Zahlen genannt – an die Herausforderungen des demographischen Wandels anzupassen. Es ist eine bittere und harte Entscheidung, die in diesem Zusammenhang fällig ist. Es geht dabei auch um eine völlige Neubestimmung des Verhältnisses von Solidarität und Eigenverantwortung. Grundsätzlich muss Solidarität gewahrt bleiben. Der Kranke muss wissen, dass er das medizinisch Notwendige bekommt, ganz unabhängig davon, wie viel er verdient. Jeder muss wissen, dass er im Alter nicht in Armut fällt. Das haben wir geschafft und das muss auch in Zukunft gelten.

Aber gleichzeitig gilt vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen auch: Kleinere Risiken – die in der Vergangenheit von der Allgemeinheit getragen werden konnten – müssen wir wieder selber tragen. Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Gerhardt, haben in diesem Zusammenhang einmal von der Vollkaskomentalität unserer Gesellschaft gesprochen. Daran ist sehr viel Wahres. Ich bitte nur um eines: Spitzen Sie das nicht auf einzelne Gruppen der Bevölkerung zu! Es gilt nämlich für alle. Diese Mentalität gibt es bei Arbeitnehmern wie bei Unternehmern. Deshalb gilt meine Feststellung, dass wir wieder bereit sein müssen, kleinere Risiken selber zu tragen, wirklich für alle.

Ich komme damit auf Ihren Zwischenruf zurück, Herr Kollege Rexrodt. Sie werden nämlich in diesem Herbst die Gelegenheit haben, bei den Strukturreformen zu beweisen, ob Sie das auch wirklich selber meinen. Bei den sozialen Sicherungssystemen geht es darum, die Lohnnebenkosten zu senken, weil nämlich hohe Lohnnebenkosten ein Einstellungs- und ein Jobhindernis sind.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine Grundsatzbemerkung machen – ich könnte im Übrigen fast den Kollegen Waigel zitieren –: Die Versuchung, in einer Reihe von Fällen – zum Beispiel in den sozialen Sicherungssystemen – die Probleme nicht wirklich zu lösen, sondern nur nach anderen Finanzquellen, nach Umfinanzierung zu suchen und die Probleme in den Haushalt zu verschieben, ist nicht gering. Ich will auf diesen Punkt nur ausdrücklich hinweisen. Wenn die Probleme im System gelöst sind, kann man über die Frage reden, was die günstigste  – auch die volkswirtschaftlich und für den Arbeitsmarkt günstigste – Finanzierung sei. Die Voraussetzung ist aber, dass alle anderen Probleme in den Systemen gelöst worden sind. Das darf nicht etwa eine Ausflucht sein, weil man sich die Einschnitte, die man wirklich machen muss, nicht zutraut.

Es geht außerdem um die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, um die Chancen für Ältere, um die Beseitigung von Fehlanreizen, um die Chancen für gering Qualifizierte, wieder eine Arbeit zu bekommen. Das ist das, was mit Hartz I bis IV vorliegt und zum Teil auch schon beschlossen worden ist.

Es geht auch um die Flexibilisierung der Handwerksordnung. Es gilt nicht nur dann, verkrustete Strukturen aufzubrechen, wenn es um Arbeitnehmer geht. Es gilt auch dann, wenn es um das Handwerk und um viele andere Bereiche geht. Lassen Sie mich dazu eine Grundsatzbemerkung machen, die sehr viel mit der europäischen Einpassung unserer Politik zu tun hat. Herr Clement hat ein paar Mal deutlich gemacht, dass Betriebe aus den Niederlanden oder demnächst aus Polen, die die Anforderungen, die wir stellen, nicht stellen, bei uns auftreten und arbeiten können. Die entscheidende Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist, ob dann nicht auch Inländer dieselben Chancen haben sollten wie die Ausländer. Der Meisterbrief soll nicht abgeschafft werden. Im Gegenteil, ich denke, er kann an Wert gewinnen, wenn er als Herausforderung angesehen wird, der sich jeder persönlich stellt, um damit sozusagen seinen Betrieb zu qualifizieren. Das ist es: nicht staatlich verordnet, sondern als eigene Herausforderung, die man besteht. Da werden sie Chancen haben.

Es geht in der Agenda 2010 um die Investitionsfähigkeit der Gemeinden. Es geht um die Gemeindefinanzreform. Wir haben dazu ein Konzept auf den Tisch gelegt. Darüber sind wir uns noch nicht in allen Teilen, aber in den Grundsätzen einig in der Koalition. Ich sage "in den Grundsätzen einig", weil wir genau dem folgen, was die große Mehrheit der Gemeindefinanzreformkommission beschlossen hat, nämlich die Gewerbesteuer zu modernisieren. Bei uns ist das klar. Es gibt Streit – das wissen wir alle – um die Frage, ob so genannte ertragsunabhängige Elemente einbezogen werden sollen oder nicht, und in welchem Umfang. Sie wissen, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht das nicht vor. Er sieht aber – darin sind wir uns einig – eine starke Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer und damit eine gewaltige Stabilisierung vor. Das ist, glaube ich, noch nicht richtig bei den kommunalen Spitzenverbänden angekommen. – Das ist die gemeinsame Grundlage. Jetzt reden wir im Zusammenhang mit der Frage, ob noch etwas hinzugerechnet wird oder nicht, über Einzelheiten. Ich sage Ihnen: Wenn das Gesetzgebungsverfahren mit den Anhörungen gelaufen ist, dann wird es dazu auch eine einvernehmliche Position in der Koalition geben; da bin ich mir ganz sicher.

Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu Ihnen. Das ist eine spannende Veranstaltung. In der Kommission sitzen alle Finanzminister oder auch Innenminister der CDU- beziehungsweise CSU-geführten Landesregierungen. Alle beschließen – alle! –, es solle zum 1. Januar nächsten Jahres eine grundlegende Reform geben. Die grundlegende Reform soll aufbauen auf einer modernisierten Gewerbesteuer. Was passiert dann bei Ihnen? Ich sage an dieser Stelle zum ersten Mal – und komme darauf zurück –, wo das Risiko liegt, das Sie für den Konsolidierungsprozess in Deutschland darstellen. Das ist doch das Problem. Das ist das Problem der gesamten Opposition.

Herr Stoiber, der sich in besonderem Maße als derjenige aufspielt, der die Kommunen schützt, bringt es glatt fertig, dass die bayerischen Kommunen im vergangenen Jahr weit vor allen anderen ihre Verschuldung erhöht haben. Warum weisen denn 2002 die Kommunen im wirtschaftsstarken Bayern im Vergleich zu allen anderen den höchsten Zuwachs bei der Neuverschuldung auf? Weil Bayern – das alles kann man im Einzelnen nachweisen – mit seinen Kommunen noch nie gut umgegangen ist. Aber das ist ein anderes Thema. – Das ist so, weil es in Bayern den geringsten kommunalen Finanzausgleich gibt und weil dort Staatsaufgaben von den Kommunen wahrgenommen werden.

Was hört man aus Bayern? Obwohl Herr Faltlhauser in der Kommission für die Modernisierung der Gewerbesteuer und für das In-Kraft-Treten der Reform am 1. Januar 2004 gestimmt hat, fordert der bayerische Ministerpräsident ein Sofortprogramm. Aber die grundsätzliche Lösung wird in die Zukunft verschoben. Das hat in der Kommission niemand gewollt, weder die kommunalen Spitzenverbände noch die Landesregierungen.

Herr Koch hat gefordert, dass ertragsunabhängige Elemente in die Gewerbesteuer einbezogen werden. Herr Merz, Herr Stoiber und Herr Teufel sagen dagegen: Ertragsunabhängige Elemente sollen einbezogen werden? Mit uns nie! – Sehr verehrte Frau Merkel, wie soll man denn zu einer Verständigung mit Ihnen kommen, wenn nicht einmal im Grundsatz klar ist, ob Sie die Gewerbesteuer modernisieren wollen oder nicht, weil es bei Ihnen so stark widerstreitende Auffassungen gibt? Zu einer Verständigung müssen wir aber kommen. Die Kommunalhaushalte zu sanieren ist aber zuallererst Ländersache; denn nach unserer Verfassung gehören die Kommunen zu den Ländern. Es gibt einen Vorschlag des Bundes zur Sanierung der Kommunalhaushalte, den Sie nicht mögen müssen. Aber wo sind denn die Vorschläge der Länder, aus denen hervorgeht, wie die Kommunalhaushalte saniert werden können? Wo ist Ihr Vorschlag? Es gibt von Ihrer Seite keinen Vorschlag, obwohl Sie die Mehrheit im Bundesrat stellen. So kann das nicht weitergehen.

Wir sind uns in der Koalition auch über die Summen einig. Die Kommunen sollen im nächsten Jahr auf jeden Fall um 4,5 Milliarden Euro – anwachsend auf fünf Milliarden Euro – entlastet werden. Eine leichte Steigerung der Entlastung wird es auch in den Folgejahren geben. Darauf kommt es an. Wir werden den Kommunen mit dem Haushaltsstabilisierungskonzept – jedenfalls wenn es auf die Kommunalhaushalte entsprechend übertragen wird – eine zusätzliche Entlastung von knapp zwei Milliarden Euro verschaffen. Das bedeutet also, dass die Kommunalhaushalte bereits im nächsten Jahr um knapp über sechs Milliarden Euro – in den Folgejahren ansteigend auf über sieben Milliarden Euro – entlastet werden. Das ist ein Wort.

Natürlich können die Kommunalhaushalte nicht aus dem Bundeshaushalt saniert werden. Der Bund leistet lediglich einen freiwilligen Beitrag. Aber nur in einem Gesamtpaket von Gewerbesteuerreform, Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – auch das bedeutet eine Entlastung für die Kommunen – und einem Konsolidierungskonzept für alle öffentlichen Haushalte können die Probleme des Bundes, der Länder, der Kommunen und der sozialen Sicherungssysteme gelöst werden.

Jetzt komme ich auf einen weiteren Baustein unseres Konzepts zu sprechen: das Haushaltsstabilisierungsgesetz im Vollzug der Haushalte 2003 und 2004. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Haushalt 2003 zweifelsfrei wieder eine wesentlich höhere Nettoneuverschuldung aufweist, die eine Verdoppelung dessen bedeutet, was wir ursprünglich veranschlagt haben. Ich werde im Spätherbst im Zusammenhang mit der Steuerschätzung im Kabinett und im Bundestag einen Nachtragshaushalt einbringen. Dieser Haushalt zeigt aber eindeutig: Alle Maßnahmen, die wir zum Zwecke der Konsolidierung seit 1999 beschlossen haben, werden in vollem Umfang fortgesetzt. Die unbereinigten Ausgaben des Bundes sind von 1999 bis 2004 insgesamt nur um zwei Prozent gestiegen. Das sind gerade einmal 0,4 Prozent pro Jahr. Das gibt es in keinem anderen Land. Hessen ist beispielsweise deswegen in der Bredouille, weil es in den letzten vier Jahren über die Stränge geschlagen hat. Es muss nun alle Leistungen, die es gewährt hat, quasi wieder einsammeln. Das gilt in der Tat für uns nicht. Das, was uns große Probleme bereitet – darauf habe ich schon hingewiesen –, sind das Wegbrechen der Steuereinnahmen und die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Das alles zusammen bringt den Bundeshaushalt sehr stark in die Bredouille.

Wir werden aber – das ist auch mit Brüssel verabredet – in einer solchen, von Wachstumsschwäche gekennzeichneten Situation dem Konjunkturabschwung nicht noch "hinterhersparen". In dieser Phase müssen die automatischen Stabilisatoren wirken. Deswegen ist es in dieser Situation richtig, Probleme nicht etwa durch zusätzliche Sparmaßnahmen zu verschärfen. Auch wenn das heute eher etwas fern erscheint, gilt: Wenn der Aufschwung kommt und es wieder richtig aufwärts geht, dann muss in Deutschland das gemacht werden, was bisher zu wenig gemacht worden ist, nämlich eine beinharte Konsolidierung.

Damit komme ich zum Haushalt 2004. Die Grundlage der gesamtwirtschaftlichen Eckdaten lautet: zwei Prozent Wachstum nächstes Jahr. Dazu habe ich die unterschiedlichsten Äußerungen gelesen. Wir haben gesagt – darauf komme ich nun zurück –, dass wir mit dem Vorziehen der Steuerreform unseren Beitrag dazu leisten wollen, dass es im nächsten Jahr wirklich zu einem Wachstum von zwei Prozent kommt. Wir wollen dieses Maß an sich verfestigender Arbeitslosigkeit nicht hinnehmen. Dieses Maß an Arbeitslosigkeit ist die entscheidende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die beseitigt werden muss, und zwar durch offensive Maßnahmen.

Mittlerweile haben sich einige Indikatoren wieder ein Stückchen verändert. Auch das muss man festhalten. Am nächsten Wochenende treffen wir, die EU-Finanzminister, uns in Stresa. Eine Woche später treffen sich die Finanzminister im Rahmen der IWF-Tagung und des Treffens der G7 in Dubai. Vermutlich werden wir feststellen, dass zum ersten Mal seit über einem Jahr die Chancen etwas größer als die Risiken sind. Das ist noch nicht gesichert. Man muss das mit aller Vorsicht sagen.

Ich verweise auf den Ifo-Index zum Weltwirtschaftsklima. Ich verweise darauf, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex zum vierten Mal in Folge für Deutschland einen Anstieg – dieses Mal ist es ein starker – prognostiziert. Nicht nur die Zukunftserwartungen, sondern auch die Gegenwartsbeurteilungen sind positiv. Ich verweise auch auf das, was das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) seit längerem sagt. Übrigens, es spiegelt nur das wider, was an den Aktienmärkten passiert. Derartige Prognosen werden in der Wirtschaft in der Regel nach einem halben Jahr real.

Außerdem verweise ich – ich tue das ganz vorsichtig, weil ich noch nicht weiß, wie gefestigt das ist – auf harte Fakten wie die Zahl der Auftragseingänge bei der Industrie. Zum ersten Mal hat ein Institut, das Ifo in München, mit Hinweis auf unser Konzept – Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und das Vorziehen der Steuerreform – seine Wachstumsprognose – sie lag unter unserer – von 1,5 Prozent auf 1,75 Prozent nach oben korrigiert. Das sind jedenfalls ein paar Hoffnungszeichen.

Eines ist in Deutschland komplett out, sozusagen mega-out, nämlich Schwarzmalerei. Die Wirtschaft hat begriffen, dass auch Schwarzmalerei ein Standortnachteil ist. Man soll die Dinge beim Namen nennen, aber nichts kaputtreden. Ich verweise noch einmal auf das Interview mit Jürgen Schrempp.

Mein Ziel war, bei einer ohne Gegenmaßnahmen für das nächste Jahr zu erwartenden Neuverschuldung des Bundes von 38 Milliarden Euro zunächst die Neuverschuldung unter die veranschlagten Investitionen zu drücken. Mein Ziel war also, die Neuverschuldung auf 24 Milliarden Euro zu senken. Das damit verbundene Sparpaket ist ein harter Schritt. Er hat dieselbe Größenordnung wie die von uns 1999 mit allen Folgewirkungen eingeleitete Konsolidierung. Allerdings hat dieser Schritt erhebliche positive Folgewirkungen für die Entlastung der Landes- und Kommunalhaushalte, wenn eine gleichgerichtete Übertragung erfolgt. Da sind sie dann wieder mit am Zuge.

Dabei wird klar, dass der Weg zur Haushaltskonsolidierung von uns nicht verlassen wird – im Gegenteil. Ohne dass man über den Stabilitäts- und Wachstumspakt im Einzelnen diskutieren muss, kann man feststellen, dass es zum Beispiel zwischen den europäischen Finanzministern und den Ländern in Europa trotz mancher Differenzen eine grundlegende Übereinstimmung gibt: dass die mit der alternden Gesellschaft verbundenen Herausforderungen erzwingen, dass wir die damit einhergehenden Belastungen in der Zukunft nicht mit hohen Schulden aus der Vergangenheit kombinieren dürfen. Deswegen müssen wir für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen, sobald das irgendwie möglich ist. In einer Zeit der Wachstumsschwäche und der Stagnation werden wir das allerdings nicht schaffen. Deswegen müssen wir aus dieser Situation herauskommen. Deswegen ist die Konsolidierung erforderlich. Deswegen wird sie auch gemacht.

Was sind die Wege zur Konsolidierung? Ich nenne zunächst die Einschränkung des Staatsverbrauchs. Wir haben den Haushalt des Bundes 2004 auf 11,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt. Der letzte Haushalt, den Sie verantwortet haben, lag bei 12,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist in der heutigen Währung eine Differenz in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Das ist die Konsolidierung auf der Ausgabenseite! Die wischen Sie mit nichts vom Tisch, weil die Zahlen ganz eindeutig sind.

Wenn ich "Einschränkung des Staatsverbrauchs" sage, dann heißt das zum Beispiel: Eingriffe bei den Sonderzahlungen im öffentlichen Dienst. Wir reduzieren das Weihnachtsgeld sowohl für die Pensionsempfänger als auch für die noch aktiven Bediensteten. Das Urlaubsgeld fällt weg. – Übrigens: Ich erinnere mich noch daran, dass der hessische Ministerpräsident unmittelbar vor der Hessenwahl noch der Meinung war, der Tarifabschluss müsse sofort und in vollem Umfang auch auf die Beamten übertragen werden; da könne man nichts machen. Noch nicht einmal ein halbes Jahr später sieht man das auch dort ganz anders. Die Realität holt Sie überall ein, meine Damen und Herren!

Ich will auf etwas hinweisen, das im Land nur wenig bekannt ist: Die Stellenzahl des Bundes liegt heute, im wiedervereinigten Deutschland, unter der Stellenzahl, die die alte Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung hatte, und unter der, die die alte, kleinere Bundesrepublik 1970 hatte. Es gibt 287.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. 300.000 waren es 1970 in der alten Bundesrepublik. Das ist eine wirkliche Einschränkung des Staatsverbrauchs und das ist auch vernünftig; denn in einer schrumpfenden Gesellschaft muss auch der öffentliche Dienst kleiner werden, weil wir anderenfalls Steuererhöhungen in der Zukunft vorprogrammieren.

Wir haben die Finanzhilfen – in dem Punkt sind wir ganz allein entscheidungsfähig, weil wir nicht die Zustimmung des Bundesrats brauchen – ordentlich abgebaut, nämlich seit 1998 um mehr als 30 Prozent, von 11,4 Milliarden Euro auf 7,7 Milliarden Euro in diesem Jahr. Im nächsten Jahr werden es sieben Milliarden Euro sein. Das ist viel mehr, als sich Herr Steinbrück und Herr Koch – darauf komme ich noch zu sprechen – vorgenommen haben. Wir müssen da sehr viel härter herangehen und wir werden es auch tun.

Ich bin gespannt, wie Sie reagieren, wenn wir zum Beispiel über die Agrarsubventionen – es geht nicht um die Steinkohle; da sinken die Subventionen systematisch degressiv – reden. Ich habe dazu aus Bayern schon wieder die alten Töne vernommen. Wenn Sie sich als Schutzheiliger von einzelnen Subventionen aufspielen, werden Sie den Staatshaushalt nie in Ordnung bringen.

Damit komme ich zu den Subventionen, die sich auf der Einnahmeseite finden. Da sind sie ja sehr schön versteckt. Ich habe schon im Haushaltsausschuss gesagt: Ich glaube, dass das bayerische Modell – nein, das gibt es ja gar nicht; ich hätte aber nichts dagegen, wenn es das gäbe, weil wir in Bayern dann schon einen Verbündeten hätten –, das Schweizer Modell, bei dem Subventionen nicht mehr bei den Steuern versteckt werden – Subventionen sollen, wenn sie überhaupt gegeben werden, auf der Ausgabenseite stehen, damit sie jeder sehen kann, damit man sie leichter überprüfen kann und leichter an sie herankommt –, ein vernünftiger Weg ist. – Darüber müssen Sie bei Gelegenheit auch einmal nachdenken.

Nun komme ich auf einzelne Subventionen zu sprechen. Da ist zunächst die Eigenheimzulage zu nennen. Ich habe vorgeschlagen, sie gänzlich zu streichen. Der Sachverständigenrat ist dafür. Die Bundesbank ist dafür. Der gesamte ökonomische Sachverstand ist dafür. Was, verehrte Frau Merkel, ist jetzt Ihre Position? Ich höre Gemeckere an der einen oder anderen Stelle. Ich habe von Herrn Merz gehört, als wir zusammen bei Christiansen waren, man könne vielleicht darüber reden. Andere – Herr Stoiber oder auch Herr Koch – sagen, das gehe überhaupt nicht.

Wie können wir eine Subvention vertreten in einem Markt, der überwiegend, von ganz wenigen Regionen in Deutschland abgesehen, übersättigt ist? Es geht um eine Subvention, die – da ist in diesem Jahr noch einmal ein ordentlicher Zuwachs zu verzeichnen – nachhaltig acht bis zehn Milliarden Euro beträgt. Können Sie das wirklich noch vertreten? Können wir nicht in diesem Herbst zu dem Ergebnis kommen, dass diese Subvention abgebaut wird? Wenn wir über Finanzpolitik reden, dann will ich dazu noch einen Satz sagen. Macht es eigentlich Sinn, dass der Staat Schulden macht, damit Private Eigentum schaffen können? Über den Punkt müssen Sie einmal nachdenken. Das kann doch keinen Sinn machen.

Nächster Punkt: Wir wollen die Subvention in Form der Entfernungspauschale auf die Hälfte des bisherigen Niveaus zusammenstreichen. Auch daran wird nur an allen  Ecken herumgemosert. Wie sieht denn nun Ihre Position aus? Das Defizit des Gesamthaushaltes liegt zwischen 70 und 80 Milliarden Euro. Wir können das nicht beseitigen, ohne dass die Menschen es merken und viele etwas abgeben müssen. Sind Sie bereit, diesen Weg mitzugehen? In diesem Zusammenhang komme ich wieder auf die Landeshaushalte, für die Sie doch in den meisten Fällen die Verantwortung tragen, und die Kommunalhaushalte zu sprechen. Alle sind ja davon betroffen: zu 42,5 Prozent die Länder und zu 15 Prozent die Kommunen. Wir reden hier über richtig viel Geld. Allein die Entfernungspauschale macht drei Milliarden Euro aus – jedes Jahr. Sie müssten doch irgendwann zu einem Ergebnis kommen.

Oder wie stehen Sie zu der Abschaffung der Vereinfachungsregelungen bei den Abschreibungen? Wie soll man denn jemandem erklären, dass im Dezember angeschaffte Wirtschaftsgüter rückwirkend ab Juli abgeschrieben werden können? Das hat man früher gemacht, als die Buchführungsmöglichkeiten noch schlechter waren; heute sind sie aber prima. Hierbei handelt es sich um eine reine Steuersubvention, die schön für denjenigen ist, der sie bekommt, die aber angesichts des Defizits des öffentlichen Gesamthaushaltes nicht verantwortbar ist.

Nächster Punkt: Der Kampf gegen die Schwarzarbeit ist ein schwieriges und sehr mühevolles Unternehmen. Über die Maßnahmen hinaus, die wir auf dem Verwaltungswege ergreifen können, werden wir Ihnen in diesem Herbst in einem Gesetzentwurf Vorschläge unterbreiten. Ich hoffe, dass wir uns über die vorgesehenen Maßnahmen gegen Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung verständigen können. Wir haben zwar eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, aber sie reichen nicht aus. So ist mittlerweile ziemlich klar, dass dem Staat allein bei der Umsatzsteuer durch den so genannten Karussellbetrug pro Jahr zwischen zwölf bis 13 Milliarden Euro verloren gehen. Wir werden auch da viel härter eingreifen müssen, um dieses Problem zu lösen.

Wenn es wahr ist, dass die Schattenwirtschaft in Deutschland etwa 15 bis 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, dann ergibt sich daraus folgerichtig, dass wir kein Problem mit unseren Staatsfinanzen hätten, wenn jeder seine Sozialabgaben und Steuern so zahlte, wie es gesetzlich vorgesehen ist. Es sind die ehrlichen Arbeitnehmer und die ehrlichen Unternehmer, die geschädigt werden, wenn wir zulassen, dass sich andere illegal bereichern. Deswegen müssen wir diese Dinge angehen. Ich setze sehr darauf, dass Sie alle dabei mitmachen, denn allein durch Kontrolle kann man diese Dinge nicht ausrotten. Das ist auch gar nicht meine Vorstellung. Wir brauchen in diesem Lande wieder eine andere Kultur und eine andere Einstellung zu diesen Dingen. Wir wollen die Steuern senken – der Vorschlag ist ja in unserem Paket enthalten –, aber umgekehrt muss dann auch jeder das, was er dem Staat schuldet, geben, damit nicht die Ehrlichen die Dummen in diesem Lande sind. Ansonsten schwindet nämlich die Zustimmung zur Demokratie.

Darüber hinaus müssen wir natürlich auch weitere Subventionen abbauen. Vorschläge hierfür erwarten wir aus der von den Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück initiierten Arbeitsgruppe. Wenn die Arbeitsgruppe nichts liefern sollte, werden wir selber Vorschläge machen. Grundsätzlich begrüße ich natürlich, dass es diese Arbeitsgruppe gibt und sie sich dem Thema, wenn auch in Trippelschritten, langsam nähert. Ich erwarte also konkrete Vorschläge aus dieser Arbeitsgruppe, mache mich davon aber – das sage ich ganz deutlich – nicht abhängig.

Die Einsparungen auf der Ausgabenseite und den Abbau von Steuersubventionen – das ist nicht das Ende der Veranstaltung, ich komme gleich darauf zurück – nehmen wir nicht allein um des Sparens willen vor – natürlich muss das Defizit weg –, sondern auch, um Gestaltungsspielraum für die Zukunft zu gewinnen. Die alternde Gesellschaft – darüber gibt es ja schon viele Grundsatzdebatten – wird dann zu einem Albtraum für alle, wenn es uns nicht gelingt, deutlich höhere Wachstumsraten zu erzielen; denn ansonsten werden wir Verteilungskämpfe erleben, die ziemlich schaurig sind. Es stellt sich deswegen jetzt die Frage, wie der Beitrag der Finanzpolitik aussieht. Ich sehe hier zwei Schwerpunkte:

Zum einen brauchen wir mehr Mittel für Zukunftsfelder wie Familienpolitik, Kinderbetreuung, Bildung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung. Wir haben in den letzten Jahren die entsprechenden Ausgaben gegenüber 1998 schon um 30 Prozent erhöht. Wir sind dabei auch besser als vergleichbare Staaten in Europa. Wir haben  aber noch nicht das Niveau erreicht, das in Skandinavien herrscht. Wir haben auch noch nicht so viel erreicht wie die Amerikaner, die Japaner und die Kanadier. An dieser Stelle müssen wir also noch viel besser werden. Der Erfolg der Strategie Europas, zu einer der wettbewerbsfähigsten Regionen zu werden, hängt in großem Umfang davon ab, ob es uns gelingt, unser Erneuerungspotenzial in allen Bereichen zu stärken. Wir machen es ja, indem wir die entsprechenden Ausgaben seit 1998 um 30 Prozent erhöht haben, alleine von 2003 auf 2004 um sechs Prozent. Dazu muss man natürlich ausdrücklich sagen, dass in diesen Zahlen das Ganztagsschulprogramm enthalten ist und auch die Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Ebenso sind in das Finanztableau die Forschungsorganisationen eingearbeitet, die wieder mehr Geld bekommen.

Dasselbe gilt – ich sage das ausdrücklich – für die öffentlichen Investitionen. Die Verkehrsinvestitionen bis 2007 belaufen sich immerhin auf knapp zehn Milliarden Euro – unter Einschluss der Maut. Die bislang für die Eigenheimzulage verwendeten Mittel fallen nicht ersatzlos weg. Mit 25 Prozent dieses Volumens richten wir ein neues Investitionsförderprogramm für die Städte und Gemeinden ein und schlagen den Ländern und Kommunen vor, dasselbe zu tun. Das ist, denke ich, der richtige und moderne Weg, mit dem auf die unterschiedlichen Situationen am Wohnungsmarkt reagiert werden kann.

Worauf kommt es bei der Finanzpolitik an, wenn sie zum Wachstum beitragen soll? Auf der einen Seite stehen die Zukunftsaufgaben, auf der anderen Seite – das sage ich mit allem Nachdruck – geht es um die Rente. Es geht nicht so weiter, wie wir es bisher gemacht haben. Ich habe Ihnen vorhin die Zahlen genannt. Deswegen haben wir im Haushaltsentwurf eine Absenkung des Bundeszuschusses um zwei Milliarden Euro vorgesehen. Gleichzeitig muss eine Stabilisierung des Rentenversicherungsbeitrages erfolgen. Das alles wird ein hartes Geschäft.

Wir werden uns angesichts der Dramatik der Zahlen darauf konzentrieren müssen, sicherzustellen, dass Altersarmut, die wir heute Gott sei Dank nicht mehr haben, trotz der dramatischen demographischen Veränderungen auch in Zukunft nicht entsteht. Damit wir das leisten können, werden wir uns in der Finanzpolitik von vielen schönen Dingen verabschieden müssen. Auch das ist ein Argument dafür, warum wir uns die Eigenheimzulage und anderes nicht mehr leisten können. Wir sind voll dadurch gefordert, Altersarmut in der Zukunft zu vermeiden. Wenn Sie die vielen schönen großen Umverteilungstöpfe, die wir im Steuersystem in der Mitte der Gesellschaft eingerichtet haben, behalten wollen, dann kommen Sie um massive Steuererhöhungen nicht herum. Das wäre die Alternative, aber das ist genau der Weg, den ich nicht gehen will.

Ich bin froh, dass die Mehrwertsteuerdebatte einen sanften Tod gestorben ist; denn der Subventionsabbau ist in der Tat der richtige Weg. Das Gesamtpaket, das wir zur Konsolidierung vorschlagen, umfasst 14 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt, 23 Milliarden Euro für den gesamtstaatlichen Haushalt – Bund, Länder und Gemeinden außer Acht gelassen; das geschieht im Rahmen der Agenda 2010 zur Konsolidierung der sozialen Sicherungssysteme.

Man wird sich fragen müssen – das ist der entscheidende Punkt –, wie Konsolidierungspolitik in einer Phase der Stagnation aussieht. Muss sie anders sein als in einer Phase des Wirtschaftswachstums wie 1999/2000, als wir diese Politik eingeleitet haben? Ich sage ausdrücklich: ja. Denn wenn wir in einer Phase der Stagnation 23 Milliarden Euro – 14 Milliarden Euro allein für den Bund – aus dem Kreislauf herausnehmen, dann wirkt das natürlich zunächst kontraktiv. Das Wichtigste aber ist: Wir müssen heraus aus der Stagnation und hinein ins Wachstum, weil wir anderenfalls unsere Probleme nicht lösen. Deswegen legen wir dieses Konzept auf den Tisch.

Angesichts dieses Konsolidierungspaketes, das wir auf den Tisch legen, ist es auch richtig, dass wir vorschlagen, die nächste Stufe der Steuerreform, die für 2005 vorgesehen ist, um ein Jahr vorzuziehen, um einen Wachstumsimpuls zu geben und dafür zu sorgen, dass die Finanzpolitik in einer stagnativen Phase nicht kontraktiv wirkt. Darauf kommt es an.

Übrigens ist es schon verwunderlich, wie sich bei Ihnen die Positionen ändern. Ich denke, diese Spielchen sollten wir jetzt einmal lassen. Sie waren bereit, Steuersenkungen auch in ganz anderen Phasen vorzunehmen, völlig unabhängig davon, welche Staatsverschuldung das nach sich zieht. Ich erinnere mich lebhaft daran, was Sie hinsichtlich der Steuerreform 2000 gesagt haben – das war Ihnen alles nicht genug. Ich erinnere mich lebhaft daran, was Sie vorigen Sommer erzählt haben, und daran, was Herr Koch noch vor der Landtagswahl gesagt hat, nämlich das sei eine Phase, in der man Schulden machen müsse. Die Konsequenz ist jetzt, dass Hessen von einer Ratingagentur heruntergestuft worden ist.

Ich wiederhole es: Wenn man den Mut hat, nicht auszuweichen und auch in Phasen der Stagnation harte Strukturreformen in den Sozialsystemen und im Haushalt durchzuführen, ist man quasi gezwungen, vonseiten der Finanzpolitik einen Wachstumsimpuls zu geben. Deshalb wundere ich mich darüber, dass in den letzten Tagen in der Presse zu lesen ist, wir würden unser Wachstumsziel aufgeben. Wir geben es nicht auf; aber wir sagen, dass es schwer zu erreichen ist. Das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform ist ein Element zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und zur Erreichung des Wachstums und des Beschäftigungsaufbaus. Darum geht es.

Den Vorteil haben der Mittelstand wegen seiner verbesserten Investitionsbedingungen und eine große Zahl von privaten Haushalten.

Was die Finanzierung angeht, so sage ich: Wir bauen Steuersubventionen ab. Ich habe schon wieder gehört: Was Sie da machen, passt uns nicht. – Im Rahmen der Umsatzsteuer beseitigen wir einige Ungleichbehandlungen der Landwirtschaft.

Ferner setzen wir Privatisierungserlöse ein. Dadurch werden die sieben Milliarden Euro, die der Bund braucht, um zwei Milliarden Euro reduziert. Das kann auch mehr werden. Aber ich kann nur das veranschlagen, was ich jetzt zusagen kann. Ich will die Märkte nicht negativ beeinflussen. Wenn es am Aktienmarkt so weitergeht, wie es gegenwärtig der Fall ist, dann wird man möglicherweise auch früher über andere Privatisierungserlöse reden können, aber auch nur dann. Ich privatisiere nur, wenn es vom Kurs her vertretbar ist, andernfalls nicht.

Ferner haben wir eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme vorgesehen. Eine der Bedingungen dafür lösen wir selber ein, indem wir die Finanzhilfen weiter abbauen, nämlich im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung jedes Jahr mindestens um fünf Prozent. Außerdem bieten wir dem Bundesrat an, dass wir uns über einen weiteren Abbau steuerlicher Subventionen ab 2005 verständigen, einen Abbau, der über das hinausgeht, was in unserem Konzept steht und was die Herren Koch und Steinbrück nach meinen Erwartungen vorlegen werden; denn es ist vernünftig, diesen Weg des Abbaus von Subventionen konsequent weiterzugehen, egal welcher Lobbyist jeweils gerade dagegen ist.

Ich sage ausdrücklich: Das Vorziehen der Steuerreform, das die öffentlichen Haushalte mit insgesamt 16,6 Milliarden Euro belastet, ist mit dem 23-Milliarden-Paket längst abgegolten. Dass die Länder sagen, sie wollten noch mehr zur Konsolidierung ihrer Haushalte tun, ist in Ordnung. Der Bund tut das ja auch. Infolgedessen kann ich das nur begrüßen. Aber ich betone: Der Bund hat die Bedingungen geschaffen, die man vernünftigerweise schaffen kann. Es liegt am Bundesrat und an den Länderregierungen, dem Vorziehen der Steuerreform und damit einem Wachstumsimpuls in einer stagnativen Phase zuzustimmen. Da wird auch die FDP, wenn die CDU nicht will, in den Landesregierungen, in denen sie mitregiert, denke ich, ein Wort mitzureden haben. Da werden Sie sich entscheiden müssen.

Dies ist eine Politik, die mit dem Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen auch unsere europäischen Verpflichtungen erfüllt. Sie können – das mag Ihnen nicht passen – gerade heute Morgen im "Handelsblatt" lesen, was der zuständige Kommissar der Europäischen Union dazu sagt. Die Bundesregierung bekennt sich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt mit all seinen Elementen. Wir werden alles daransetzen, dass wir das Drei-Prozent-Kriterium im nächsten Jahr erfüllen. Das wird schwierig. Darum ist überhaupt nicht herumzureden. Es bedarf auch eines höheren Wirtschaftswachstums. Es bedarf aller Anstrengungen, die ich eben geschildert habe.

In Brüssel ist übrigens bekannt – man muss sich nur die Zahlen ansehen –, dass Deutschland bei all den Schwierigkeiten, die es hat, das Land mit den geringsten Schätzabweichungen bei der Projektion von Finanzierungssalden ist. – Seien Sie vorsichtig! Ich glaube nicht, dass Sie gelesen haben, was der schwedische Ministerpräsident Göran Persson, der die großen Länder zu Recht kritisiert hat, gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: Die großen Länder haben in den 90er Jahren, als wir, die kleinen, die Konsolidierung eingeleitet haben, dies nicht gemacht. – Der Vorwurf richtet sich nicht an uns; denn als wir an die Regierung kamen, haben wir die Konsolidierung sofort eingeleitet.

Hätten Sie drei Jahre früher angefangen, wären wir nicht mit 1,2 Prozent Defizit, sondern – wie die kleineren Länder – mit einem ausgeglichenen Haushalt oder mit einem kleinen Überschuss in die Stagnationsphase gegangen und mit dem Drei-Prozent-Kriterium gäbe es keine Probleme. Deswegen sind jetzt alle gefordert.

Verehrter Herr Storm, Sie haben, wie in der Zeitung nachzulesen war, gesagt, die sozialen Sicherungssysteme seien nicht dazu da, dem Bundesfinanzminister zu helfen, das Drei-Prozent-Kriterium zu erfüllen. Das ist völlig falsch. Das Drei-Prozent-Kriterium ergibt sich aus der Situation der sozialen Sicherungssysteme, des Bundeshaushalts, der Länderhaushalte und der kommunalen Haushalte. Ich bin bereit, für all das die Verantwortung zu übernehmen, über das ich entscheiden kann. Aber es gibt Dinge, über die andere entscheiden. Deswegen sage ich ausdrücklich: Bei der Konsolidierung der Sozialsysteme, des Bundeshaushaltes, der Länderhaushalte und der Kommunen ist ein Zusammenwirken aller gefordert. Was in Europa und in Deutschland fehlt, ist nicht Stabilität. Deutschland ist in Sachen Stabilität der Musterschüler der Europäischen Union. Dabei bleibt es. Was aber fehlt, ist Wachstum – das ist wahr –, und zwar im dritten Jahr infolge. Deutschland hat als größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union eine besondere Verantwortung.

Auch kleinere Länder, die sehr lange auf einem ziemlich hohen Ross gesessen haben, schauen inzwischen sehr nachdenklich – das Pendel ist stark zur anderen Seite ausgeschlagen – auf ihr Wachstum und ihre Haushaltsdefizite. Polen, die Beitrittsländer und die kleineren Länder um uns herum stellen jetzt die Frage – es ist nicht nur die eine von Herrn Balcerowicz, die ich gelesen habe –: Was ist mit eurem Wachstum? Wir wollen aus diesem Loch endlich herauskommen. – Vor uns liegt eine riesige Aufgabe. An dem Beispiel Schweden sehen Sie, dass Sozialdemokraten eine gute Politik machen; das ist überhaupt keine Frage.

Wir müssen ein großes Paket schnüren. Unsere Antwort liegt in dem Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen. Es wird in diesem Herbst für alle in diesem Lande sehr anstrengend werden, übrigens auch für die gesetzgebenden Körperschaften. Unsere Antwort wird in Brüssel wie auch beim Internationalen Währungsfonds verstanden. Stimmen von außerhalb Deutschlands sagen: Wir hätten nicht gedacht, dass Deutschland in Bewegung kommt; in Deutschland geht es richtig voran. Darauf kommt es an.

Die Menschen wollen, dass das Land für die Zukunft fit gemacht wird, auch wenn es schmerzlich ist. Es gibt eben keine Medizin, die nicht bitter schmeckt. Unsere Vorschläge liegen, wie Sie es immer gefordert haben, auf dem Tisch. Sie müssen sie nicht mögen. Wir haben unsere Verhandlungsbereitschaft längst erklärt. Ich habe dem Finanzplanungsrat angeboten, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Gemeinden einzurichten und über die Folgekosten von Bundesgesetzen zu reden. Die B-Seite war aber vor der Bayernwahl nicht in der Lage, zu verhandeln. Was ist denn das für ein Verständnis von den Problemen in diesem Land?

Damit komme ich zu Ihrer Verantwortung. Man kann der Meinung sein, dass die Opposition keine Vorschläge machen muss; die Regierung muss Vorschläge machen. Das ist in Ordnung. Aber die meisten Entscheidungen können im föderalen System – ich bin Föderalist, auch wenn ich inzwischen an manchen Stellen ein Fragezeichen setzen würde – von Bundestag und Bundesrat, in denen es gegenwärtig unterschiedliche Mehrheiten gibt, nur gemeinsam getroffen werden.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie Sie sich mit Ihrer Mehrheit verhalten können.

Sie können erstens die Landesregierungen ihre verfassungsmäßige Pflicht tun lassen. Das ist in Ordnung. Wir kommen damit klar, wenn Sie die Landesregierungen nicht an die parteipolitische Leine legen wollen.

Sie können zweitens eine Blockadepolitik machen – ich komme gleich noch darauf zurück –, weil Sie sich nicht einigen können. Das ist aber unverantwortlich.

Drittens können Sie ein eigenes Konzept vorlegen, weil Sie, Frau Merkel, nicht wollen – das kann ich verstehen –, dass die Bundespartei und die Union in den Ländern nicht einig sind. Aber dann müssen Sie auch ein Konzept auf den Tisch legen. Wo sind denn Ihre Vorschläge zu den Strukturreformen in diesem Land? Was ist denn Ihr Konzept zur Haushaltskonsolidierung beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden? Was ist Ihr Konzept zum Vorziehen der Steuerreform? Was ist Ihr Konzept zur Gemeindefinanzreform? Wo sind die gemeinsamen Stellungnahmen der Union zu einigen Schwerpunkten der Haushaltskonsolidierung, zur Eigenheimzulage, zur Entfernungspauschale und zu anderen Punkten? Wo ist das gemeinsame Konzept der Union, sehr verehrte Frau Merkel? Man hat gedacht: Die mogeln sich durch – das kann ich politisch verstehen –, um bei den Wählern besser dazustehen. Denn nichts, was man jetzt auf den Tisch legt, ist angenehm. Das ist wahr; Medizin ist bitter.

Nach der Hessen- und der Niedersachsenwahl haben eine Reihe Unionskollegen gesagt, nun könne man anfangen, miteinander zu reden. Nichts ist geschehen! Sie haben wieder Zeit gebraucht. Einen ganz kleinen Teil des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen haben Sie schließlich zuwege gebracht. Dann war die Frage: Vielleicht geht es nach der Bremenwahl? Es ging wieder nicht.

Jetzt heißt der neue Termin: Bayernwahl. Herr Koch und Herr Steinbrück werden nichts vorlegen, bevor die Bayernwahl nicht vorüber ist. Was heißt denn das? Das heißt, dass Sie vor der Bayernwahl nicht sagen wollen, was Sie im Hinblick auf die Eigenheimzulage, die Pendlerpauschale und viele andere Dingen vorhaben. Ist das ein Verhalten, das in dieser Situation unseres Landes angemessen ist? Wir werden uns wohl damit abfinden müssen, dass das so ist. Wir werden aber auch den Menschen im Lande sagen müssen, dass das so ist.

Nach der Bayernwahl ist definitiv Schluss: Entweder Sie versündigen sich an diesem Lande – ich hoffe das nicht – oder Sie kommen nach der Bayernwahl mit einem schlüssigen Konzept oder Sie lassen die Landesregierungen ihre verfassungsmäßige Pflicht tun.

So viele Reformnotwendigkeiten und – auch das sage ich – so viele Reformmöglichkeiten wie gegenwärtig hat es nie zuvor in Deutschland gegeben. Wir müssen die jetzige Situation, die verdammt schwierig ist, nutzen. Es braucht eine große gemeinsame Kraftanstrengung in diesem föderalen Staat. Das erwarten die Menschen und das ist unsere Verantwortung für dieses Land und für Europa.

Die Chancen stehen besser als je zuvor in den letzten drei Jahren, dass wir aus der Stagnation herauskommen, dass wir, wenn wir das zart keimende Pflänzchen des Aufschwungs mit einer entschlossenen Politik der Strukturreformen, der Haushaltskonsolidierung und der Wachstumsimpulse richtig begießen, aus der Wachstumsschwäche herauskommen und wieder in ein ordentliches Wirtschaftswachstum hineinkommen. Es kann gelingen und es wird gelingen, wenn Sie bereit sind, Ihren Teil der Verantwortung, der Ihnen nach der Verfassung über den Bundesrat zugewiesen ist, zu übernehmen. Wir sind zu jedem vernünftigen Gespräch und auch zu Kompromissen, die in der Sache weiterführen, bereit.

Dies ist der Weg, Deutschland aus einer schwierigen Lage herauszuführen. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken!