Staatsbesuch des Präsidenten der Griechischen Republik vom 10. bis 13. Juni 1996 - Empfang auf Schloss Augustusburg

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Der Präsident der Griechischen Republik, Constantinos Stephanopoulos, stattete
der Bundesrepublik Deutschland vom 10. bis 13. Juni 1996 einen Staatsbesuch ab.

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei einem Abendessen zu Ehren des
Präsidenten der Griechischen Republik, Constantinos Stephanopoulos, auf Schloß
Augustusburg im Brühl am 10. Juni 1996 folgende Ansprache:

Herr Präsident,

es ist mir eine Freude, Sie als ersten gewählten Präsidenten Griechenlands
begrüßen zu dürfen, der der Bundesrepublik Deutschland einen Staatsbesuch
abstattet. Ich sehe einige von Ihnen stutzen, und so ist es mir auch gegangen.
Aber es stimmt: Es hat zwar Besuche griechischer Präsidenten in Deutschland
gegeben, zum Beispiel Ihren Besuch in Berlin im letzten Jahr. Es hat auch
bereits einen Staatsbesuch gegeben. Der liegt aber 40 Jahre zurück, und damals
war das griechische Staatsoberhaupt nicht ein gewählter Präsident, sondern der
König.

Inzwischen ist viel geschehen, in Griechenland wie auch in Deutschland.
Niemand würde mehr, was eigentlich schade ist, mit der Eisenbahn aus
Griechenland zum Staatsbesuch anreisen, wie es 1956 noch der Fall war.

Ich heiße Sie, Herr Präsident, heute abend auf Schloß Augustusburg willkommen.
Dieses Gebäude hat eine Gemeinsamkeit mit dem griechischen Parlamentsgebäude,
in dem Sie einige Zeit Ihres Lebens verbracht haben: Beide Gebäude wurden von
Mitgliedern des Hauses Wittelsbach erbaut, das Parlament von König Otto I. und
dieses Schloß von Clemens August, dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln. Den
Wittelsbachern ging es in Köln nicht besser als in Griechenland: Sie wurden
von der Bürgerschaft vor die Tür gesetzt. So wurden Brühl und Bonn als
Residenzen zum erzbischöflichen Ausweichquartier. Otto I. hat auch keinen
schlechten Tausch gemacht: Er ging in eine der schönsten Städte Bayerns, ja
Deutschlands, nach Bamberg, wo er auch beigesetzt wurde ­ in griechischer
Nationaltracht!

Herr Präsident, bei einem bekannten Dichter heißt es über eine Darstellung,
sie zeige ­ und ich zitiere ­ "die Erde, das Meer und den Himmel, ferner den
vollen Mond und die unermüdliche Sonne, dann auch alle Sterne dazu, die den
Himmel umkränzen, oben das Siebengestirn, die Kraft des Orion und den Bären,
den auch mit Namen den Wagen sie nennen, der auf der Stelle sich dreht".

Das ist uns bekannt: Wer kennt nicht das Siebengestirn, den Orion in klaren
Winternächten oder den Großen Bären, den wir vielleicht auch heute abend sehen
können. Der Dichter aber, von dem ich sprach, ist Homer, und er beschrieb den
Schild von Achilleus, auf dem die Sternbilder abgebildet waren. Ich finde es
faszinierend, daß Sternbilder, die wir alle schon als Kinder kannten, vor fast
3000 Jahren bereits die gleichen waren, die gleichen Namen trugen und sich mit
den gleichen Mythen verbanden. Es gibt eigentlich kein schöneres Beispiel
dafür, wie sehr die europäische Kultur ihre Wurzeln in der griechischen Antike
hat.

Schon wegen dieser griechischen Wurzeln Europas wäre eine Europäische
Gemeinschaft ohne Griechenland ein Torso geblieben. Den mit dem Ende der
Obristen-Herrschaft möglich gewordenen Beitritt hat Deutschland seit 1974 nach
Kräften unterstützt. Heute blickt Griechenland auf eine 15jährige
Mitgliedschaft zurück.

Mit der Rückkehr Griechenlands auf die Bühne der europäischen Geschichte im
vergangenen Jahrhundert begann auch für die deutsch-griechischen Beziehungen
ein neues Kapitel. Hier dominierten von Anfang an wechselseitige Sympathie und
gegenseitige Befruchtung, bis es zur Zäsur des Zweiten Weltkrieges kam. Der
Zufall will es, daß der heutige Tag zugleich der Jahrestag des Massakers von
Distomon ist, dessen Opfer wir in Ehrfurcht gedenken.

Heute prägen die gemeinsame Zugehörigkeit Deutschlands und Griechenlands zur
Europäischen Union die Beziehungen ebenso wie die Zusammenarbeit im
Nordatlantischen Bündnis. Daneben gibt es einen vielfältigen kulturellen und
wissenschaftlichen Austausch. Zahlreiche Griechen haben in Deutschland
studiert und gelebt, ungezählte Deutsche reisen nach Griechenland, nicht nur
wegen der großen Denkmäler der europäischen Geschichte, sondern auch wegen der
Gastfreundschaft eines von Sonne und Meer verwöhnten Landes. Man könnte das
vielfältige Geflecht unserer Beziehungen anhand von Zahlen beeindruckend
darstellen. Es heißt aber, daß jede Zahl im Vortrag die Zahl der Zuhörer
halbiert, ein Risiko, das ich nicht eingehen möchte.

Europa sieht sich heute gewaltigen Herausforderungen gegenüber, und zwar im
wirtschaftlichen und technischen, aber auch im kulturellen und nicht zuletzt
im politischen Bereich. Wir dürfen uns keinesfalls auf den Lorbeeren der
Vergangenheit ausruhen, wenn unser Kontinent auch künftig seine Rolle auf der
Weltbühne spielen soll.

Wir stehen heute am Anfang einer ganzen Reihe äußerst bedeutsamer
Weichenstellungen, die wir in den nächsten Jahren vornehmen müssen und die die
Gestalt unseres Kontinents im nächsten Jahrhundert entscheidend prägen werden.
Das Pensum, das uns dabei in den nächsten Jahren bevorsteht, kann in seiner
strategischen Komplexität nur mit der Gründungsphase der Europäischen
Gemeinschaft verglichen werden:

­ Die Regierungskonferenz 1996 hat am 29. März in Turin begonnen.

­ Anfang 1998 werden die Beschlüsse über die Vollendung der Wirtschafts- und
Währungs-Union auf der Basis der Ist-Daten des Jahres 1997 folgen.

­ Sechs Monate nach Abschluß der Regierungskonferenz beginnen Verhandlungen
über den Beitritt weiterer Staaten zur EU.

­ Parallel dazu müssen die Beschlüsse über die neue Finanzverfassung der EU
für die Zeit ab 2000 vorbereitet werden.

Auf uns allen lastet eine große Verantwortung für die Zukunft unseres
Kontinents. Aber vergessen wir nicht: Wir haben heute ­ anders als in der
Vergangenheit ­ die große Chance, eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung
für Europa zu schaffen.

Die Erweiterung der Union, die im Grundsatz bereits beschlossen ist, ist
hierfür das Fundament. Dieses Fundament muß ergänzt werden durch den Ausbau
enger und partnerschaftlicher Beziehungen zu den Nachbarregionen der EU im
Osten und Süden. Ich nenne hier insbesondere Rußland und die Ukraine, aber
ausdrücklich auch die südliche und östliche Mittelmeerregion. Auch die Arbeit
an einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem gehört dazu. Dabei ist die Frage
der Öffnung der NATO für neue Mitglieder von besonderer Bedeutung. Schließlich
müssen wir das transatlantische Verhältnis langfristig absichern und
vertiefen. Eine enge und freundschaftliche Partnerschaft Europas mit den USA
ist für mich wenigstens einer der Stützpfeiler eines stabilen und wohnlichen
europäischen Hauses.

Einer Herausforderung ganz anderer Art sehen wir uns im Innern der EU
gegenüber: Der Integrationsprozeß wird zwar nach wie vor von einer
überwältigenden Mehrheit der Menschen in Europa getragen. Anders noch als vor
einigen Jahren wird die Europapolitik aber im einzelnen hinterfragt und
kritisch diskutiert. Das ist gut so, das ist ein Schritt in die Normalität.
Aber auch hier ist eine Aufgabe, die erst noch bewältigt werden muß, von uns
und von den europäischen Instanzen.

Eine intensive öffentliche Debatte muß deshalb den weiteren europäischen
Integrationsprozeß begleiten. Wir müssen die Bürger stärker einbeziehen und
uns den Problemen zuwenden, bei denen ein gemeinsames Handeln der Europäer
wirklich notwendig ist. Gleichzeitig stehen wir vor der Aufgabe, die EU
künftig bürgernäher zu gestalten, eine Aufgabe, die wir noch nicht einmal in
Angriff genommen haben. Dann ist mir auch nicht bange, daß die Bürger die
weitere Fortsetzung der europäischen Integration akzeptieren.

Der Große Bär, meine Damen und Herren, war eigentlich eine Bärin, genauer eine
Dame namens Kallisto, die von der nicht grundlos eifersüchtigen Gattin des
Zeus verwandelt worden war. Zeus trug sie zum Himmel, damit sie nicht das
Opfer von Jägern werde. Hera sorgte dann dafür, daß sie so hoch wie möglich am
Himmel steht ­ wo sie heute noch ist ­, damit sie nie den Ozean berührt und
somit immer Durst leiden muß. Das hat nicht ganz geklappt, und einmal pro Tag
neigt sich die Bärin ganz im Norden für kurze Zeit ins Meer. Trotzdem befinden
Sie sich jetzt in einer ungleich besseren Lage. Ich hebe nämlich bereits jetzt
mein Glas, auf Ihr persönliches Wohl, Herr Präsident, auf die
deutsch-griechische Freundschaft, auf die Sterne und auf die Zukunft unseres
Kontinents.