Internationaler akademischer Austausch - eine Investition in die Zukunft - Rede von Staatsminister Dr. Hoyer in Peking

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Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Werner Hoyer,
hielt anläßlich der Eröffnung der Außenstelle des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes in Peking am 20. April 1995
folgende Rede:

Verehrte chinesische und deutsche Gäste,

ich freue mich, daß ich mit Ihnen zusammen die Eröffnung der Außenstelle des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Peking
feiern darf. Dies ist ein bedeutender Schritt voran in den
Beziehungen unserer beiden Länder. Dabei feiern wir heute
weder die Grundsteinlegung noch das Richtfest der deutsch-chinesischen Beziehungen.
Wir sind vielmehr Zeugen der Pekinger Inbetriebnahme eines in
elf Hauptstädten bereits bewährten Instruments - um im Bild zu
bleiben: eines Geräts am Bau immer intensiverer und soliderer
Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern. Im politischen
Bereich haben wir mit der Chinareise von Außenminister Dr.
Klaus Kinkel 1992, mit dem Besuch des Bundeskanzlers Dr.
Helmut Kohl in Peking, Schanghai und Kanton 1993 sowie mit
dem chinesischen Gegenbesuch 1994 in Deutschland eine
beachtliche Dichte der Konsultationen erreicht. Die jährlichen
Zuwachsraten im deutsch-chinesischen Handel sind
beträchtlich. Sein Jahreswert hat beinahe 25 Milliarden DM
erreicht. Viele Gruppen in Staat und Gesellschaft tragen dazu
bei, daß unsere Länder und Völker sich kennen und verstehen,
daß sie das Potential des anderen als Partner richtig beurteilen
und daß sinnvolle, für beide Seiten nützliche Entscheidungen
über die Felder und Formen der Zusammenarbeit getroffen werden. Neben den
Diplomaten und den Vertretern der Wirtschaft im Partnerland
denke ich hier auch an die Vertreter der Medien, die einen
durch nichts zu ersetzenden Beitrag zum Wissen ihrer
Landsleute über ihre Gastländer leisten. Ich denke an die
Experten und Entwicklungshelfer, die Kenntnisse durchaus
nicht nur in einer Richtung vermitteln. Auch die
Reiseunternehmen möchte ich erwähnen: Mit dem Tourismus
fördern sie zugleich das gegenseitige Verständnis. Im
Mittelpunkt unserer heutigen Veranstaltung steht eine Gruppe,
die zu den besten Garanten für Breite und Tiefe, für Kontinuität
und zugleich für stete Erneuerung in der bilateralen
Zusammenarbeit von Generation zu Generation Großes leisten
muß und leistet: die Gruppe der international engagierten
Wissenschaftler und Akademiker. Über ihr Wirken, über ihre
Bedeutung für unsere Beziehungen werden wir in den heutigen
Vorträgen aus berufenem Munde noch manches hören. Ich darf mich daher darauf beschränken zu unterstreichen, welche
große Bedeutung die Bundesregierung der Förderung des
internationalen akademischen Austausches für ihre weltweiten
Beziehungen beimißt. Der Deutsche Akademische
Austauschdienst ist, wie schon sein Name sagt, das zentrale
Instrument dieser Förderung. Er ist ein wichtiges Instrument
nicht nur unserer auswärtigen Kulturpolitik, er ist eines
unserer Außenpolitik schlechthin. Seine Präsenz mit einem
eigenen Büro in Peking wird zu einer spürbaren Verbesserung
der Vorbereitung und Anbahnung unserer Zusammenarbeit in
der Wissenschaft und zwischen den Hochschulen beitragen -
in beide Richtungen. Wir investieren damit bewußt in die
Zukunft. Wir wissen, daß hochqualifizierte junge Menschen, die
heute Lehre und Forschung, Sprache und Menschen des
anderen Landes kennenlernen, für Jahrzehnte Träger und
Mitgestalter unserer Beziehungen sein werden. Nicht nur das,
die Wissenschaft erweitert durch Kooperation über die
Grenzen hinweg ihre eigenen Möglichkeiten. Die deutsche
Wissenschaft hat das früh erkannt und hat daher eine alte
Tradition in der Pflege internationaler Beziehungen. Dem liegt
sicher ein gutes Stück in der Wissenschaft selbst angelegte,
Grenzen nie anerkennende Neugierde zugrunde, sicher auch
der Drang, sich an anderen zu messen - Wissenschaftler haben
hier etwas mit Sportlern gemeinsam. Doch es geht um mehr als
den Ehrgeiz von talentierten Individuen: Unsere Gesellschaften
als ganze, unsere Volkswirtschaften, brauchen die
Zusammenarbeit der Hochschulen und der Wissenschaft. Sie
ist unerläßlich, wenn wir wettbewerbsfähig und attraktiv
bleiben wollen. Chinas wirtschaftliche und wissenschaftliche
Entwicklung hat in den letzten Jahren an Tempo gewonnen.
Das verstärkt in uns den Wunsch nach Zusammenarbeit mit
den chinesischen Hochschulen und Forschungsinstituten.
Deswegen fördern wir auch seit längerem die Kooperation
zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der
Chinesischen Nationalen Wissenschaftsstiftung. Wie wichtig,
meine Damen und Herren, nicht nur das Auswärtige Amt und
der DAAD das heutige Ereignis nehmen, sehen Sie daran, daß
zu der Feier der Präsident der deutschen
Hochschulrektorenkonferenz, Herr Professor Erichsen, der
Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Herr Dr.
Hasenclever und der stellvertretende Generalsekretär der
Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Herr Dr. Maaß, sowie
prominente Chinakenner nach Peking und zu den
Anschlußveranstaltungen in Schanghai angereist sind. Meine
Damen und Herren, ich habe eingangs einige Worte über die
Beziehungen zwischen unseren Ländern gesagt. Sie schauen
auf eine lange, wechselvolle Geschichte zurück. Punktuelle
Kontakte sind schon für das 14. Jahrhundert belegt, einzelne
Handelsverbindungen für das 18. und die erste Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Der Freundschafts-, Handels- und
Schifffahrtsvertrag, der 1861 in Tianjin ("Tiän-Djin") zwischen
dem deutschen Zollverein und China unterzeichnet wurde und
der später auf den Norddeutschen Bund und das Deutsche
Reich überging, war der erste Schritt zu formalisierten
Beziehungen. Die quasi-koloniale Besetzung von Teilen Chinas
durch das Deutsche Reich um die Jahrhundertwende kann man
heute allerdings weder aus chinesischer noch aus deutscher
Perspektive als eine positive Entwicklung unserer Beziehungen
werten. Doch wenn wir bedenken, welch traumatische
Erinnerung an fremde Herrschaft auf chinesischem Boden
verständlicherweise fortlebt, so bewundern wir die
Gelassenheit unserer chinesischen Partner, mit der sie heute
über die damalige deutsche Präsenz sprechen. Es wirkt
versöhnlich, wenn man in Quingdao ("Ching-Da-u") um
deutsche Investitionen wirbt, unter anderem mit dem
schmunzelnden Hinweis, dort stehe für die entsandten
Mitarbeiter Qingdao-Bier ("Ching-Da-u-Bier") der
ursprünglichen deutschen Qualität zur Verfügung.
Akademische, künstlerische, menschliche Kontakte können
Phasen überbrücken, in denen konstruktive Beziehungen
zwischen den Staaten und Regierungen nicht möglich sind. Für
China und Deutschland waren dies zunächst die drei
schwierigen Jahrzehnte zwischen dem Beginn des Ersten und
dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch danach, nach dem
Ausweichen der Kuomintang-Regierung nach Taiwan, nach der
Gründung der Volksrepublik China, der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik,
alles im Jahre 1949, war eine normale Entwicklung der
politischen und wirtschaftlichen Beziehungen lange nicht
möglich. Sich widerstreitende Alleinvertretungsansprüche von
im ganzen vier Regierungen auf deutschem und chinesischem
Boden, die Konfrontationsmuster des Kalten Krieges, der
sowjetisch-chinesische Konflikt und über Jahre hin die innere
Entwicklung in der Volksrepublik China blockierten die
Möglichkeiten zu vernünftiger Zusammenarbeit. Ich brauche
dies nicht im einzelnen darzulegen. Es ist noch in unser aller
frischer Erinnerung. Ich rufe statt dessen drei Daten in
Erinnerung, die der Entwicklung der deutsch-chinesischen
Beziehungen, insbesondere der politischen und
wirtschaftlichen, nach und nach die Fesseln abgenommen
haben. 1972, sogleich nach Unterzeichnung des
Grundlagenvertrags zwischen den beiden deutschen Staaten,
konnten Bonn und Peking diplomatische Beziehungen
zueinander aufnehmen -die Hallsteindoktrin, mit der wir dritte
Staaten vor die Wahl von Beziehungen entweder zur
Bundesrepublik Deutschland oder zur DDR stellen mußten, war
gegenstandslos geworden. Aus diesem Jahr, genauer vom 11.
November 1972, ist übrigens die folgende Feststellung des
damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Chou En Lai
überliefert: "Es ist nicht möglich, dem deutschen Volk eines
Tages die Verwirklichung seiner Wiedervereinigung zu
verwehren." Diplomatische Beziehungen zwischen Ostberlin
und Peking hatte es ja bereits seit der Gründung dieser beiden
Staaten im Jahre 1949 gegeben, auch wenn sie durch die
Entfremdung zwischen der damaligen Sowjetunion und der
Volksrepublik China über lange Zeit von geringer Substanz
blieben. Das zweite Datum ist das Ende der Kulturrevolution in
China und der Beginn von Pekings Politik der Öffnung und der
wirtschaftlichen Reform Ende der siebziger Jahre. Seither
sehen wir, vor allem in der Wirtschaft und der Wissenschaft,
eine bedeutende Ausweitung unserer Beziehungen. Inzwischen
hat China eine beachtliche Stellung auf dem deutschen Markt,
investieren und verkaufen deutsche Unternehmer in
erheblichem Umfang in China. Von 1 Milliarde DM 1972 hat sich
der Wert unseres Handels, wie gesagt, auf zuletzt 25 Milliarden
DM pro Jahr gesteigert. Die Zahl deutsch-chinesischer
Gemeinschaftsunternehmen wächst von Jahr zu Jahr. Beide
Seiten erkennen ein noch nicht annähernd ausgeschöpftes
Potential der Zusammenarbeit. Ein drittes Datum wollte ich
nennen. Es setzt sich aus zwei Jahreszahlen zusammen, 1990,
dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, und 1991, dem
Jahr des Zerfalls der Sowjetunion. Diese beiden Ereignisse und
weitere epochale Veränderungen, die damit Hand in Hand
gingen, haben Deutschland und China auf einem gänzlich
veränderten außenpolitischen Spielfeld einander
nähergebracht. Wir haben gemeinsame Interessen und
gemeinsame globale Verantwortung erkannt. Ich kann hier nur
einiges als Beispiel nennen: die Nichtverbreitung von
Massenvernichtungswaffen,
den weltweiten Schutz der Umwelt, die Stärkung und Reform
der Vereinten Nationen, die Hilfe für die Entwicklungsländer,
die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des
internationalen Drogenhandels. Wie stark sich unsere
staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme
auch unterscheiden mögen - dies sind Ziele, an die wir
gemeinsam glauben. Deshalb müssen so wichtige und große
Länder wie Deutschland und China, so gut es geht, auch
gemeinsam auf sie zugehen. In den letzten ein bis zwei Jahren,
meine Damen und Herren, ist allmählich ein Dialog über die
individuellen Menschenrechte zwischen unseren Ländern in
Gang gekommen. Er steht noch am Anfang und hat einen
langen Weg vor sich. Mit Sicherheit können wir einiges
voneinander lernen,
wenn es darum geht, als irrig erkannte Wege zu korrigieren
und unnötiges Leid schon auf dem Wege zum Ziel zu
vermeiden. Wir sollen uns nicht gegenseitig zu belehren
versuchen, doch die Menschenrechte müssen ein Thema des
gleichberechtigten Gesprächs zwischen Deutschland und
China sein, nicht nur zwischen den Regierungen, sondern auch
zwischen den gesellschaftlichen Gruppen beider Länder. Zu
diesen zählen immer auch die Experten und Akademiker. In
diesem Zusammenhang gehört auch der Austausch von
Erfahrungen über den besten Weg zu sich selbst tragender
gesellschaftlicher Stabilität in unseren Staaten. Wir können
voneinander lernen, den Wohlstand des einzelnen und der
Gesellschaft zu mehren. Unseren Ingenieuren, Medizinern und
Naturwissenschaftlern wird es nie an gemeinsamen Themen
fehlen. Die Philosophen, Theologen und Künstler Deutschlands
und Chinas sind fasziniert von den Traditionen und der
Moderne im jeweils anderen Land. Dieser wissenschaftlichen
Neugier aufeinander, dieser gegenseitigen Faszination, dem
Willen, zusammenzuarbeiten, hat der Deutsche Akademische
Austauschdienst mit seinem China-Programm bereits seit
vielen Jahren gewidmet. Er hat bisher schon Tausenden von
Akademikern den Weg in beide Richtungen geebnet. Mit seinem
Büro in Peking möchte er dies künftig noch wirksamer
tun.
Den Mitarbeitern des DAAD-Büros wünsche ich eine glückliche
Hand bei der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben, und ich
wünsche denen, die hier Hilfe und Beratung suchen, daß ihnen
geholfen werde.